Redaktionsgespräch mit Boris Marte

"Der Kunde hat erstmals etwas von seinen Daten und bekommt einen besseren Überblick über sein Finanzleben"

Boris Marte, Leiter Erste Hub, Erste Group Bank AG, Wien

Ebenso wie den Mitarbeitern der Fintechs merkt man auch den Digitalisierungsteams der Banken von der Diktion bis zum Outfit an, dass sie frischen Wind in ihre Häuser bringen wollen. In Österreich hat sich die dortige Sparkassenorganisation schon vor gut zwei Jahren mit einem Großprojekt vorgewagt, dem Boris Marte zutraut, binnen zwei weiteren Jahren mehr als die Hälfte aller dortigen Onlinebanking-Kunden zu gewinnen. Im Redaktionsgespräch will sich der Leiter des Erste Hub zwar nicht so ganz festlegen, wann das Projekt die Gewinnschwelle erreicht, aber mit dem Kundenzulauf und nicht zuletzt dem Imagegewinn zeigt er sich heute schon sehr zufrieden. Auch einen gewissen Vorbildcharakter für andere Länder hält er für realistisch. Sein Haus ist jedenfalls offen, die Lösung in alle europäischen Länder zu übertragen, in denen die Muttergesellschaft Erste Bank selbst nicht aktiv ist. Auch technisch sieht er das neue System für alle Implikationen und Möglichkeiten gerüstet. (Red.)

Herr Marte, seit zwei Jahren läuft in Österreich George als Onlinebanking-Lösung aus dem Sparkassensektor. Wie zufrieden sind Sie mit der bisherigen Entwicklung? Inwieweit decken sich die bisherigen Erfahrungen mit Ihren Erwartungen zum Start des Projektes?

Also um ehrlich zu sein - ich hätte mir nie träumen lassen, dass George so abhebt. Das Feedback ist überwältigend. Wir haben zwar immer dran geglaubt und waren sicher, dass wir hier etwas richtig Großes bauen, aber der Erfolg ist für mich Wahnsinn. Wir sind seit gut zwei Jahren am Markt und haben bald eine Million Nutzer. Das muss uns erst einmal jemand nachmachen.

Hatte Ihr Team bei der Entwicklung andere Projekte oder Anbieter aus dem In- und Ausland als Vorbild? Auf welche eigenen Akzente wird gegebenenfalls Wert gelegt?

Natürlich haben wir uns international viele Systeme und Plattformen angeschaut. Es gibt da einige Banken im Norden Europas oder auch in Australien, die wirklich gute Lösungen im digitalen Bereich haben. Da haben wir uns stark inspirieren lassen.

Aber so richtig das, was wir im Kopf hatten, haben wir nirgends gefunden. Wir haben uns da aber einiges an Inspiration geholt und das mit unseren eigenen Vorstellungen zusammengeführt. Das war aber nur möglich, weil auch wirklich nur die besten Leute daran gearbeitet haben.

Mit welchem zeitlichen Vorlauf wurde George an den Markt gebracht?

Wir haben vor dem Start rund zwei Jahre entwickelt, designt, Kunden gefragt. Ein paar Monate vor dem Launch gab es dann einen Betatest mit 1 000 Kunden und 1 000 Mitarbeitern. Und das war kein Marketing-Gag - wir haben hier jede Kritik und jeden Input ernst genommen und auch Rückmeldung gegeben. Nachdem wir alles gesammelt hatten, haben wir das vor dem Public Launch nochmal in die finale Designphase einfließen lassen.

Rechtfertigt die Schnelligkeit der Marktfähigkeit ein Projekt an den Start zu bringen, an dessen Weiterentwicklung erklärtermaßen noch gearbeitet wird, sprich wie wichtig ist in Zeiten der Digitalisierung Schnelligkeit für ein hohes Nutzeraufkommen.

Ich glaube, das ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Time-to-market muss sich gerade bei einer Bank ändern und den neuen Rahmenbedingungen anpassen. Wir können nicht mehr jahrelang hinter verschlossenen Türen an einer Software basteln, um sie dann voller Stolz den Kunden zu präsentieren. Bis dahin hat sich die digitale Welt schon wieder dreimal gedreht. Wir haben mit George ein so flexibles System gebaut, dass wir es laufend an neue Gegebenheiten anpassen können. Damit spielen wir die nächsten Jahre immer vorne mit.

Ist das Projekt auf andere Länder übertragbar oder eher auf Österreich zugeschnitten?

George ist dafür gebaut, dass er jederzeit über die Grenzen hinaus einsetzbar ist. Aktuell stehen wir in den Startlöchern, George in Tschechien und der Slowakei auf den Markt zu bringen. Weitere Länder werden folgen ...

Gibt es Kreditinstitute aus dem Ausland, die sich das Projekt George einmal näher anschauen wollen? Wie offen sind Sie im Austausch, beispielsweise gegenüber möglichen Interessenten aus der deutschen Sparkassenorganisation?

Wir wurden schon aus vielen Ländern auf George angesprochen und es gab auch immer wieder Gespräche. Wir sind jedenfalls offen für Kooperationen mit anderen Banken. Aber nur in jenen Ländern, in denen wir als Bank selbst nicht aktiv sind.

Inwieweit erweist sich die Lösung als Wettbewerbsfaktor? Bringt sie messbaren Imagegewinn?

Davon bin ich überzeugt! Wobei es da weniger um Image alleine geht. Jeder, der einmal George ausprobiert hat, fühlt sich bei anderen Banken wie in der Steinzeit. Wir sagen nicht nur, dass wir das modernste Banking haben, wir haben es. Im Bereich Innovation sind wir sicher Imageführer in Österreich.

Ist George eine Anwendung für onlineaffine und jüngere Kundensegmente? Was sagt dazu die Auswertung der Nutzerdaten?

Interessanterweise ist es nicht so, dass George nur etwas für Junge wäre. Der durchschnittliche George-User ist 37 Jahre alt. Wir haben natürlich viel Zuspruch bei Jüngeren, aber auch bei den Senioren sind wir weit vorne. George ist intuitiv und einfach zu bedienen - das scheint quer über alle Altersgruppen gut anzukommen.

Welche Reaktionen auf George gibt es mit Blick auf Datenschutzfragen?

Eigentlich nur gute. Datenschutz und Bankgeheimnis stehen bei uns natürlich immer an oberster Stelle. Schon alleine von Gesetzes wegen. Wir hatten die Daten der Kunden ja immer schon - nur haben wir sie ihnen entweder vorenthalten oder in einer etwas bürokratischen Art und Weise gezeigt. Mit George hat der Kunde erstmals was von seinen Daten und bekommt so einen besseren Überblick über sein Finanzleben.

Müssen die Kunden eine Einwilligungserklärung zur Auswertung ihrer Kundendaten geben? Inwieweit schafft das Akzeptanzprobleme?

Ja - aber damit gibt es bisher keine Probleme. Weil wir dadurch ja die Daten für die Kunden in einer übersichtlicheren Art und Weise darstellen können. Und es wird so möglich, dem Kunden nur Produkte anzuzeigen, die für ihn relevant sind. Da sind wir den George-Usern gegenüber auch ganz offen.

George analysiert das Geldleben der Nutzer, heißt es in den Funktionsbeschreibungen. Das klingt nach Nutzung künstlicher Intelligenz? Wie wird dieser Aspekt von den Kunden aufgenommen?

Das hat noch nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun. Vielmehr sind es gute Algorithmen, die aus einem Haufen Zahlen für Kunden relevante Informationen generieren.

Wenn die Kunden zum Beispiel ganz rasch sehen, wie viel sie für ihr Auto, das Einkaufen oder Urlaub in den letzten Monaten ausgegeben haben, dann hilft ihnen das. Und sie müssen nicht mehr Berge von Kontoauszügen durchwühlen oder irgendwelche Excel-Listen durchforsten, um sich zu fragen, wo denn ihr Geld hingekommen ist.

Welchen Anspruch stellen Sie bei George an die Sicherheit der Kundendaten?

Den allerhöchsten! Sicherheit der Kundendaten und die strikte Einhaltung von Datenschutzrichtlinien und Bankgeheimnis haben allerhöchste Priorität. Darüber hinaus erlauben die in die George-Architektur eingebauten Real-time-Systeme auch in Zukunft Betrug besser zu vermeiden.

Kann das beim angedachten Andocken dritter Finanzdienstleister so bleiben oder muss es damit nicht auch den Zugriff Dritter auf die Kundendaten geben?

Auf europäischer Ebene schaut es so aus, dass die sogenannte Payment Service Directive 2 (PSD2) 2018 in Kraft tritt. Diese Richtlinie schreibt Banken vor, dass sie die Daten eines Kunden, wenn der das möchte, per Knopfdruck an einen Drittanbieter weiterleiten muss. Die Daten gehören ja auch den Kunden und nicht der Bank. So kann auch jeder Kunde entscheiden, wer seine Daten bekommen soll. Das wird am Bankenmarkt so einiges verändern - viele Fintechs stehen da schon in den Startlöchern. Wir sind mit George für diese Entwicklung jetzt schon bestens gerüstet.

Wie stellen Sie sicher, dass die bestehende Lösung und die geplanten Weiterentwicklungen unter recht lichen Aspekten nicht angreifbar sind? Waren Rechtsfragen bei den Vorarbeiten an dem Projekt ein wichtiges Thema?

Natürlich! Recht, Compliance und all diese Themen waren selbstverständlich von Anfang an ein wesentlicher Faktor, den wir in vollem Umfang berücksichtigen mussten. Als große Bank können wir ja nicht irgendeine Software auf die grüne Wiese stellen und hoffen, dass alles rechtens ist. Von Anfang an war klar: Mit George haben wir nur einen Versuch und der muss klappen.

Sie sprechen von neuer Technik. Ist eine Plattform wie George mit den traditionellen Kernbanksystemen der Banken beziehungsweise der beiden großen deutschen Verbünde überhaupt kompatibel?

Ja natürlich! Das war auch bei uns die Herausforderung, an ein über Jahrzehnte gewachsenes IT-System mit so einer modernen API-Schnittstelle anzudocken. George basiert auf einer modernen, offenen API-Schnittstelle, ist daher für alle Implikationen und Möglichkeiten der API-Industrie gerüstet. Das war im Hintergrund viel Arbeit, aber es hat sich ausgezahlt. Und das ist im Wesentlichen bei den meisten Banken gleich. Die IT ist ein riesengroßer, gewachsener Apparat und meistens auch noch etwas antiquiert.

Wie wichtig sind eine große Masse an Kundendaten und das direkte Feedback von Nutzern bei der Weiterentwicklung von Projekten wie George?

Das direkte Feedback von Kunden ist das allerwichtigste. Wir haben ja auch als einzige Bank in Österreich die Kunden bei der Entwicklung wirklich vorab eingebunden. Die Zeiten, in denen man als Bank glaubte, man weiß, was gut für die Kunden ist, sind vorbei. Wir müssen zuhören, User-Experiences durchdenken, mit Menschen sprechen - nur so können wir genau die digitalen Produkte bauen, die auch wirklich ankommen bei den Usern. Aus diesem Grund arbeiten bei uns im Erste Hub auch hauptsächlich Menschen, die vorher noch nie für eine Bank gearbeitet haben. Die Sicht von außen ohne dem ganzen Bankhintergrund ist wichtig. Heute funktioniert die Kooperation mit der Bank-Infrastruktur reibungslos und kulturell perfekt und ist wahrscheinlich unser wahres Erfolgsgeheimnis.

(Wann) rechnet sich George mit Blick auf die GuV? Welche Nutzerzahlen sind dafür erforderlich?

George ist eine Investition in unsere Zukunft. Das muss man anders sehen. Aber mit dem Wachstum sind wir absolut auf der Überholspur. In gut zwei Monaten haben wir eine Million Nutzer. Wenn das so weitergeht, wette ich, ist 2019 jeder zweite Onlinebanking-Nutzer in Österreich George-Kunde.

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