EUROPÄISCHES PAYMENT-SCHEME

Wie Banken die Kontrolle über den Zahlungssektor zurückgewinnen

Dr. Michael Salmony, Foto: Equens Worldline

Dass Kreditinstitute die Kontrolle über die Entwicklungen im Payment verloren haben, ist mindestens teilweise hausgemacht, meint Michael Salmony. Zu viele Entwicklungen hat die Branche schlicht zu spät erkannt. Um die Kontrolle zurückzugewinnen, so der Autor, braucht es eine "Kooperation der Willigen" und mehr proaktive Investitionen in potenziell unsichere Entwicklungen. Nur so lässt sich verhindern, dass Banken auch weiterhin von neuen Wettbewerbern oder Regulatoren angetrieben werden. Red.

In der jüngsten Vergangenheit ist der Druck, der auf Banken und Finanzdienstleistern lastet, enorm gestiegen - und eine Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Die Anforderungen wachsen stetig, der Zeitdruck ebenso. Dabei müssen die Anbieter an vielen verschiedenen Fronten kämpfen. Nicht nur verändert sich durch die Digitalisierung das Kundenverhalten erheblich, auch regulierungsseitig steigen die Ansprüche, gleichzeitig müssen die Kreditinstitute mit veralteten Systemen kämpfen, die die eigene digitale Transformation behindern. Hinzu kommen Händler, die paneuropäische Lösungen verlangen und Kunden, die sofortige, kostengünstige, bequeme, sichere Dienstleistungen wünschen.

Im Zuge dieser Entwicklung müssen sich Banken neuen Technologien wie Mobile (Geräte), API (Schnittstellen), DLT (Blockchain), KI (Künstliche Intelligenz) und IoT (Internet der Dinge) ebenso stellen wie neuen Wettbewerbern, darunter Fintechs, Challenger Banken, Bigtechs.

Aus den damit verbundenen hohen Infrastruktur- und Compliance-Kosten ergibt sich die immer dringlichere Frage: Wie können Banken die Kontrolle über den Zahlungssektor zurückerobern und ihre Agenda künftig selbst bestimmen?

Zum einen wird erwartet, dass sie die Bemühungen Europas zur Digitalisierung des Zahlungsverkehrs beschleunigen, und dass sie der Dominanz der US-amerikanischen und chinesischen Payment-Anbieter mit eigenständigen Lösungen entgegentreten. Dabei sollen sie eine führende Rolle bei der Entwicklung neuer und offener Marktstandards spielen und die neuen globalen Zahlungsprozesse mitbestimmen.

Zum anderen sollen sie die EZB bei der Stärkung der Rolle des Euro (EZB-Agenda) unterstützen. Außerdem sollen Banken neuartige End-to-End-Pointof-Interaction-Lösungen (basierend auf der Händleragenda) be reitstellen und zudem neue Open Banking-Ansätze (ERPB-Agenda) entwickeln. Darüber hinaus werden sie dazu aufgerufen, bei der Portabilität des Kontowechsels (Benutzeragenda) zu unterstützen. Natürlich gibt es darüber hinaus weitere Forderungen, die an Banken herangetragen werden. Diese gehen einher mit sich ständig ändernden technologischen Entwicklungen, strikten Compliance-Herausforderungen und scharfem globalen Wettbewerb.

Um in ihrem Handeln freier und proaktiver zu werden, sollten Banken eventuell darüber nachdenken, wie sie die Kontrolle zurückgewinnen und ihre eigene Strategie vorantreiben können. Die folgenden Überlegungen können hierbei unterstützen.

Anpassungen an Veränderungen heißt noch nicht Kontrolle

Welche Optionen können Banken in Erwägung ziehen?

1. Abwarten und auf Vorgaben warten: Die erste Möglichkeit besteht darin, Ereignisse auf sich zukommen zu lassen und auf Anweisungen der Regulierungsbehörde zu warten. Derartige Ereignisse werden zumeist ausgelöst durch immer unzufriedenere Kunden, die Veränderungen fordern. Das bedeutet, dass Änderungen mit hohem Aufwand, unter Zeitdruck und unter Regeln, die von anderen bestimmt werden, umgesetzt werden müssen. Dies ist eindeutig keine attraktive Option und wird daher nicht weiter beleuchtet, auch wenn einige Kritiker sagen würden, dass dies den bisherigen Modus Operandi darstellt.

2. Entwicklungen aktiv verfolgen: Ein proaktiverer Ansatz wäre, Veränderungen bei Technologien, Benutzeranforderungen und Marktentwicklungen systematisch zu verfolgen und dabei aktiv abzuwägen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten. Der europäische Bankensektor hat erstklassige Infrastrukturen aufgebaut und sich sehr gut neuen Anforderungen gestellt, beispielsweise Mobile Banking, oder gegen zahlreiche Angriffe verteidigt, etwa seitens der Fintechs. Über sie sagten viele voraus, dass sie zum Untergang der etablierten Kreditinstitute führen würden.

Es muss aber auch anerkannt werden, dass eine Reihe von Trends, die deutlich absehbar waren, nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Hierzu gehört beispielsweise, dass nicht alle Systeme frühzeitig auf Echtzeit umgestellt wurden. Hierbei hätten Banken die Umstellung auf Echtzeitzahlungen in Betracht ziehen müssen, bevor sie dazu genötigt wurden. Ein anderes Beispiel ist, dass Banken den Handy- und Internettrend zu spät erkannt haben und oft zu spät neue Kanäle und Lösungen angeboten haben. Diese und weitere Beispiele zeigen, dass eintretende Veränderungen oft nicht systematisch genug beobachtet und analysiert wurden.

Die aktive Beobachtung von Entwicklungen und die bewusste Entscheidung, sich an diesen Veränderungen zu beteiligen, geben einen strategischen Einblick und die Möglichkeit zu handeln.

Nichtsdestotrotz ist dieser Ansatz noch weit davon entfernt, "die Kontrolle zurückzuerobern", da dieses Handeln die Branche in keiner Weise proaktiv hin zu neuen Landschaften beeinflusst, sondern sie im Gegenteil eher in die Rolle eines Nachzüglers drängt. Ein weiteres Problem: Andere Marktteilnehmer greifen die Trendthemen auf, die traditionellen Banken geraten ins Hintertreffen, da eine einheitliche Herangehensweise fehlt.

3. Rückeroberung der Kontrolle: Für Banken bedeutet die Rückgewinnung der Bedeutungshoheit über den Zahlungssektor nicht nur, sich darüber bewusst zu sein, was benötigt wird. Sie sollten zudem im Eigeninteresse gezielt und rechtzeitig die Initiative ergreifen und so die Entwicklungen selbst gestalten.

Allerdings ist dies schon für einzelne Banken aufgrund von Lasten und Restriktionen wie beispielsweise rechtliche Vorgaben oft nicht ohne weiteres möglich. Bankengruppen sind mit wettbewerbseinschränkenden Richtlinien konfrontiert, und die gesamte Branche muss sich aufgrund der notwendigen Abstimmungen zwischen vielen Beteiligten abstimmen. Denn in einer so vernetzten Gemeinschaft wie dem Zahlungsverkehr müssen sich in der Regel alle Akteure gemeinsam bewegen, um etwas zu verändern.

Banken, die nicht von sich aus bereit sind zusammenzurücken, werden aber früher oder später von der Regulierungsbehörde und auch von neuen Marktteilnehmern, die die neuen Chancen nutzen sowie durch öffentlichen Druck dazu gezwungen. Finanzinstitutionen werden allerdings nie Vorreiter sein - und das sollten sie auch nicht. Ihre Vorteile gegenüber den anderen Markteilnehmern liegen in ihrer Zuverlässigkeit, Solidität und Compliance und diese Vorteile sollten sie auch für sich nutzen. Dennoch: Banken können und sollten sicher aktiver werden, die Initiative durch intelligente Ansätze zurückgewinnen und nicht nur den von anderen angestoßenen und getriebenen Entwicklungen hinterherlaufen.

In drei Schritten die Kontrolle zurückgewinnen

Sind Banken wirklich bereit, aktiver zu agieren und die Initiative sowie Kontrolle zurückzuerlangen, dann helfen eventuell folgende Ansätze weiter.

1. Das Warum: Für die Diagnose ist es notwendig zu verstehen, warum manche Institute oft nicht das für viele Offensichtliche sehen und entsprechend handeln. Die konkrete Empfehlung wäre an dieser Stelle die offene Diskussion innerhalb der wichtigsten Bankengemeinschaften: Wie stark ist der tatsächliche Wille, die Kontrolle wieder zu übernehmen? Das bedeutet nicht nur einfache Lippenbekenntnisse, sondern auch proaktive Investitionen in potenziell unsichere Entwicklungen zu gewährleisten, ohne dass Banken von außen dazu gedrängt werden. Stattdessen ist viel Eigeninitiative gefragt. Dies muss unter Beachtung der horizontalen Wettbewerbsleitlinien und in einer offenen, integrativen Art und Weise geschehen. Sicher wird es innerhalb der Gemeinschaften unterschiedliche Ansichten und Präferenzen geben, die eine "Koalition der Willigen" erfordern könnte, die aus Vorreiter-Banken gebildet wird.

2. Das Was: Wie kann also ein neuer Ansatz aussehen? Wichtig ist, dass aktuelle europäische Vorreiterthemen wie Open Banking oder "Sepa 2.0" als Grundlage dienen. Konkrete Empfehlung: Die Bankengemeinschaften sollten gemeinsame Workshops durchführen, um den Appetit auf eine aktive Weiterentwicklung der Branche zu erkunden. Vielleicht kann ein Dritter ein offenes kollaboratives Forum ermöglichen. Zwar wird es auch hier unterschiedliche Auffassungen geben. So wollen beispielsweise die kommerzielleren Privatbanken für ihre internationalen Händler eventuell aktiver sein als lokale Retailbanken. Es ist jedoch unerlässlich, lokale und individuelle Interessen zum Wohle der Branche und Europas hintenanzustellen.

3. Das Wer und Wie: In einem dritten Schritt geht es um die Frage der Genesung: Welches "medizinische Team" sollte die Leitung der Behandlung übernehmen, die Banken selbst oder ein Gremium unter Leitung von EU-Institutionen zum Wohle Europas? Die konkrete Empfehlung diesbezüglich: Bestehen tatsächlich der Wunsch und das Verlangen, sich aktiv zu bewegen, sollten die Ergebnisse dieses Prozesses nachdrücklich öffentlich an und mit den Regulierungsbehörden kommuniziert werden. Sehen die Regulierungsbehörden, dass die Banken auf die Änderungen aktiv zugehen, sind sie eher bereit, auf präventive Regulierung zu verzichten oder auf das zu reagieren, was sie als Marktversagen ansehen. Tatsächlich können die Regulierungsbehörden den Prozess moderieren und noch mehr Teil der Lösung sein.

Branche immer noch in der Defensive

Bei der Entwicklung des modernen elektronischen Zahlungsverkehrs gab es immer wieder offensichtliche Warnsignale. Allen, die nicht den Kopf in den Sand gesteckt haben, war klar, dass unvermeidliche Veränderungen bevorstanden: Verarbeitung in Echtzeit, national zu global, physisch zu online, Trend zu offenen Systemen und vieles mehr.

Dennoch musste die Finanzdienstleistungsbranche immer wieder von Außenstehenden, insbesondere von Regulierungsbehörden und agilen Wettbewerbern, zu Veränderungen gedrängt werden. Daher befindet sich die Branche weiterhin in der Defensive. Sie war in der Vergangenheit zu oft gezwungen, die von anderen getriebenen Veränderungen nach fremden Zeitplänen mit massiven Nachholkosten umzusetzen.

Wettbewerber - oft aus USA - hatten zwischenseitlich die Möglichkeit, sich so tief bei den Kunden und in der vorhandenen Infrastruktur zu etablieren, dass es sich für Banken im Nachhinein nun als sehr schwer erweist, das verlorene Terrain wieder zurückzugewinnen.

Proaktiv werden

Es ist an der Zeit, dass die Finanzbranche ihre Strategie ändert, um die Entwicklung umzukehren. Statt defensiv oder reaktiv zu agieren, muss die Kontrolle über den Sektor zurückerobert werden. Heute steht die Branche abermals vor zahlreichen unvermeidlichen Veränderungen: API-Wirtschaft, Fragmentierung und Neuzusammensetzung der Wertschöpfungskette, neue datenbasierte Dienste, ein Anstieg des Zahlungsverkehrs direkt vom Konto, die Entkoppelung von Identität/Authentifizierung von den Zahlungen selbst, eine Ende-zu-Ende Vernetzung der Händler und Kunden sowie der Aufbau eines europäischen Verfahrens gegenüber US- und asiatischen Lösungen sind nur einige von vielen Beispielen.

Diesmal sollten Banken jedoch nicht darauf warten, wieder von anderen angetrieben zu werden. Stattdessen geht es darum, diese Veränderungen frühzeitig zu erkennen, anzunehmen und selbst anzutreiben. Auch wenn vielleicht noch nicht alle Fragen beantwortet sind, auch nicht alle Business Cases von vorneherein durchplanbar sind und auch wenn Wettbewerbsfragen immer geklärt werden müssen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Banken müssen ihre Agenda wieder selbstbestimmen, eigene Antworten entwickeln und sinnvoller investieren. Dies alles gehört dazu, wenn die Kontrolle zurückerobert werden soll. Davon profitieren die Kunden, Europa - und die Banken selbst.

Dr. Michael Salmony, Executive Adviser, equens Worldline SE, Frankfurt am Main
Dr. Michael Salmony , Executive Adviser, equens Worldline SE, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X