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Ottos Bezahldienstpläne - ein wichtiger Baustein im Handelsökosystem

Ian Simmonds, Foto: FIS

https://www.xing.com/profile/Ian_SimmondsMit seinen Plänen zum Aufbau eines eigenen Bezahldienstleisters tritt Otto ein Stück weit in die Fußstapfen von Amazon, Alibaba und Co., sagt Ian Simmonds. Mit der angestrebten BaFin-Lizenz werden neue Services für die Partnerunternehmen möglich und damit auch eine starke Bindung an die eigene Plattform. Vor allem aus der Ratenzahlung könnten sich dabei Ertragspotenziale ergeben - wenngleich die Wechselbereitschaft der Kunden auf neue Bezahlverfahren nicht überschätzt werden darf. Der Zeitpunkt für das Engagement im Zahlungsverkehr ist jedenfalls günstig. Schließlich hat die Corona-Epidemie dem Online-Handel noch einmal zusätzlichen Auftrieb gegeben. Red.

Die Ankündigung des Hamburger Unternehmens Otto, einen eigenen Bezahldienst entwickeln zu wollen, sorgte jüngst für Schlagzeilen. Mit der eigenen Zahlungsabwicklung können in Zukunft Zahlungsfunktionen auf dem eigenen Marktplatz direkt abgewickelt werden. Das Projekt könnte mittelfristig ein entscheidender Baustein hin zu einer zentralen Rolle im digitalen Handelsökosystem darstellen.

Das Traditionsunternehmen von der Elbe hat sich in den letzten Jahren vom klassischen Versandhändler aus den Zeiten des Wirtschaftswunders zu einem erfolgreichen E-Commerce-Markt platz gewandelt. Auf diesem können auch Dritte Waren anbieten und vertreiben. Otto selber stellt dazu die digitale Infrastruktur bereit - und ist dabei sehr erfolgreich. Hinter dem globalen Primus Amazon liegt das Unternehmen in Deutschland mit rund 3,36 Milliarden Euro Umsatz auf dem zweiten Platz der E-Commerce-Größen.

FIS erwartet für den E-Commerce- Markt in Deutschland bis zum Jahr 2023 jährliche Wachstumsraten von 8 Prozent. Mit den Zahlungsverkehrs- Ambitionen wird man nun teilweise in die Fußstapfen von Amazon, Alibaba und Co. treten.

Digitales Bezahlen: Der Megatrend bleibt intakt

Ottos Pläne sehen eigenen Angaben zufolge bereits vor, im Sommer 2021 den hauseigenen Zahlungsdienstleister als eigene Gesellschaft auszugliedern. Auf dem Weg dahin ist allerdings noch die Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) erforderlich, da Otto in Zukunft auch fremdes Geld verwalten wird. Infolgedessen wird das Frühjahr 2022 anvisiert, bis das Unternehmen die gesamte Zahlungsabwicklung als Service anbieten kann.

Mit den Payments-Plänen trifft man aktuell auf ein vielversprechendes Marktumfeld. Aufgrund der langen Lockdown-Situation im Land haben sowohl Online-Shopping als auch das digitale Bezahlen im Internet breiteren Zuspruch erhalten. Gerade Kunden aus Zielgruppen, die bis dato eher im Geschäft mit Bargeld eingekauft haben, waren geradezu gezwungen, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Im Zuge dessen haben viele Menschen zum ersten Mal eigene Erfahrungen mit dem digitalen Bezahlen gesammelt und ihre Scheu davor abgelegt. Es ist eindeutig, dass die Akzeptanz der neuen Verfahren gewachsen ist - und wohl auch noch weiterhin wachsen wird.

Starker Markenkern als Hebel?

Darüber hinaus kann Otto von seiner bei Verbrauchern sehr stark bekannten und mit einer guten Reputation versehenen Marke profitieren. Fast jeder Bundesbürger kennt Otto als zuverlässigen und preisgünstigen Online- Händler, der viel Vertrauen genießt. Das Kalkül der Manager bei Otto dürfte daher auch sein, die Stärke dieses Markenkerns zu hebeln: Wenn ich Otto beim Einkauf vertraue, dann vertraue ich ihm auch in Sachen Geld. Die Marktdurchdringung an dieser Stelle dürfte Otto deutlich leichter fallen als Zalando.

Ein weiterer positiver Treiber ist der stetige technische Fortschritt und die Durchdringung, welche Smart Devices wie Smartphones oder Tablets inzwischen hierzulande erreicht haben. Neue Apps aufseiten der Händler sowie leicht implementierbare Services der großen Zahlungsdienste, insbesondere aus den USA, haben Online-Shopping stetig vereinfacht und ein neues Convenience-Level ermöglicht. Wachstumszahlen bei Händlern wie auch Payments-Providern sehen vielversprechend aus.

Sogar das Desaster rund um die Wirecard könnte schon zeitnah zu positiven Effekten führen. So sind etwa der Regulator ebenso wie Wirtschaftsprüfer gezwungen, in Zukunft deutlich genauer hinzuschauen und den Bereich Zahlungsverkehr besonders kritisch zu prüfen. Diese Entwicklung ist aus Sicht der Kunden sehr zu begrüßen und wird weiteres Vertrauen schaffen.

Ratenzahlung und neue Services für Partnerunternehmen

Mit der eigenen Banklizenz durch die BaFin wird Otto zwar ein regulatorisch strenger Rahmen vorgegeben. Das Unternehmen erhält aber gleichzeitig das Privileg, fremdes Geld zu verwalten: Zahlungsströme jener Händler, welche auf der eigenen E-Commerce-Plattform vertreten sind. Die bestehenden Verdienstmöglichkeiten eines vollständig handlungsfähigen Zahlungsdienstleisters sind dabei vielfältig.

Als End-to-End-Dienstleister ist man in der Lage, für die Händler auf der eigenen Plattform Zahlungen abzuwickeln, was insbesondere auf die Gebühren von Partnerbanken und externen Zahlungsdienstleistern abzielt. Ein Modell, das auch für die 1 000 Partner Ottos, welche bis Jahresende auf der Plattform des Unternehmens zuhause sein werden, attraktiv sein kann: Schließlich müssen keine Gebühren an Dritte abgeführt werden, was die Margen merklich verbessern dürfte.

Darüber hinaus bestehen weitere lukrative Chancen, um vom Bezahlvorgang mit den Endkunden zu profitieren. Besonders im Fokus dürfte dabei die Ratenzahlung stehen, welche zukünftig auch für die Partner auf der eigenen Plattform angeboten werden kann. Durch die hohen Volumina im E-Commerce-Geschäft ergeben sich hier spannende Potenziale für den Provider beziehungsweise Plattformbetreiber.

Auf Basis der gesammelten Zahlungsdaten können weitere Services für die Partnerunternehmen auf den Weg gebracht werden, etwa das Kalkulieren von Risiken oder das Management des Rückversands. Diese zentrale Rolle im sich entwickelnden E-Commerce-Ökosystem verbessert die eigene Stellung und gewährleistet eine starke Bindung der Händler an das eigene Angebot beziehungsweise die eigene Plattform.

Daten im Fokus

Die Bereitstellung gänzlich eigener Bezahlverfahren gewährleistet nicht nur größere Unabhängigkeit und spart Gebühren: Ebenso attraktiv dürften die Erkenntnisse über den Endkunden sein, welche zwangsläufig zentral erhoben - und auch genutzt werden können. Die Transaktionsmuster und Zahlungsinformationen lassen sich hervorragend auswerten, um maßgeschneiderte Angebote, etwa auch mit angepassten Bezahlmöglichkeiten, zu kreieren. US- Gigant Amazon gilt im Bereich der Datennutzung bereits seit Jahren als Vorreiter.

Eine zielgenaue Nutzung der Daten kann dazu dienen, das Einkaufserlebnis für den Endkunden zu erleichtern, etwa indem er nur solche Angebote erhält, die für ihn von Interesse und ferner direkt mit individualisierten Finanzierungsangeboten verbunden sind.

Dieses Knowhow über den Kunden ist für E-Commerce Plattformen schon heute essenziell und wird sich in Zukunft noch stärker zum Wettbewerbsfaktor entwickeln. Der Zugang zu diesen Informationen erlaubt es, etwa mit den großen Spielern der USA Schritt zu halten. Ferner darf nicht unterschätzt werden, welche Möglichkeiten, auch für kleinere Partner auf der Plattform bestehen.

Gerade für kleinere beziehungsweise stationäre Händler ohne Online-Präsenz kann das End-to-End-Angebot ein Anreiz sein, den Otto-Marktplatz mit seiner Kenntnis über den einzelnen Kunden zu nutzen.

Herausforderungen und Wettbewerb ernst nehmen

Der Aufbau eines Zahlungsdienstleisters und die Integration in die E-Commerce-Plattform sind wichtige erste Schritte zur Ergänzung des vorhandenen Serviceangebots und schaffen zusätzliche Ertragspotenziale für das Unternehmen. Die große Frage wird sein, ob es gelingt, zeitnah die nötige Akzeptanz bei Händlern und Kunden zu erringen.

Etablierte Payment-Plattformen - allen voran die großen US-Anbieter - haben durch ihr hohes Maß an Nutzerkomfort über Jahre hinweg eine loyale Kundschaft gewonnen. Für viele Nutzer ist die Zahlung etwa via Paypal inzwischen zur absoluten Routine geworden. Diese Standards in puncto Komfort und Schnelligkeit stellen eine klare Messlatte für neue Spieler im Zahlungsverkehrsumfeld dar.

Erhebungen zeigen, dass der Komfort beim Bezahlvorgang entscheidend dafür ist, ob die Transaktion überhaupt getätigt wird. User bleiben in der Regel ihrem gewohnten Zahlverfahren treu, für Händler zählen zum einen der Preis und zum anderen die Akzeptanz bei ihren Kunden. Diese Akzeptanz zu schaffen, wird für alle Neulinge die zentrale Herausforderung darstellen. Eine Erkenntnis, an der bereits großangelegte Angebote wie etwa Paydirekt gescheitert sind. Es scheint dabei für eine Plattform kaum möglich, auf die besonders kundenstarken Zahlungsanbieter aus den USA zu verzichten, da Kunden ihre Verfügbarkeit voraussetzen.

Wechselbereitschaft nicht überschätzen

Allerdings bestehen für den Plattformanbieter selbst natürlich Stellschrauben, eigene Angebote für den Endkunden besonders attraktiv zu gestalten. Das kann etwa gelingen, indem man bei Nutzung der hauseigenen Bezahlverfahren Rabatte gewährt oder diese mit Loyalitätsprogrammen wie beispielsweise dem Sammeln von Bonuspunkten verbindet. Durch die Inhouse End-to-End Abwicklung und das Einsparen der Gebühren bestehen hier sicherlich finanzielle Spielräume.

Trotz möglicher monetärer Anreize darf die Wechselbereitschaft der Kunden jedoch nicht überschätzt werden. Das neue Angebot wird in punkto Usability konkurrenzfähig sein müssen.

Darüber hinaus könnte die eigene Marke selbst zum Wettbewerbsfaktor werden. Als Traditionsunternehmen, das einen sehr hohen Bekanntheitsgrad mitbringt, großes Vertrauen seitens häufig langjähriger Kunden genießt und ferner Innovationsstärke bewiesen hat, dürfte das Projekt Vertrauen und Neugier wecken. Dabei steht insbesondere jene Kundengruppe im Fokus, welche das digitale Bezahlen nicht bereits seit Jahren für sich entdeckt hat.

Genau zur rechten Zeit?

Ottos Payment-Offensive könnte genau zur rechten Zeit kommen. Der Online-Handel ist bedingt durch die Corona-Maßnahmen und Sicherheitsbedenken vieler Konsumenten derzeit besonders im Fokus. Infolgedessen genießt auch das digitale Bezahlen stärkere Aufmerksamkeit. Viele Kunden hatten im Jahr 2020 die Chance zu einem Praxistest. Um neue Ertragspotentiale zu erschließen, schauen Onlineplattformen vermehrt auf angrenzende Geschäftsbereiche wie Logistik und Zahlungsverkehr.

In den letzten Jahren hat Otto bereits großes Geschick beim Aufbau einer eigenen Plattform bewiesen. Die Ambitionen im Bereich Payments sind nun ein folgerichtiger Schritt, zumal bereits Kenntnisse in diesem Bereich vorhanden sind. Die nun weiter ausreifende Datenexpertise gilt es in den nächsten Jahren geschickt zu nutzen, um Händler, aber auch Endkunden mit besseren Services zu versorgen. Eine Strategie, mit der man sich auch gegen große Spieler aus Asien sowie den USA erwehren kann.

Ian Simmonds , Ian Simmonds, Regional Director DACH, FIS GmbH, Frankfurt am Main

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