Die Aufgaben genossenschaftlicher und kommunaler Bankvorstände - eine kritische Betrachtung

Hartmut Glenk, Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft e. V. (IGB), Siegen / Berlin, Sachverständiger für Organhaftungsfragen, Lehrbeauftragter für Unternehmensrecht und Unternehmensrechtsschutz und Tim Hofmann, Vorstandsassistent des IGB für die Bewertung technischer Sicherheiten - Bei allen Herausforderungen der Regulierung und einer Marktbearbeitung mit auskömmlichem Ertrag stehen die Bankvorstände der beiden Verbünde in der besonderen Pflicht der Mitgliederförderung beziehungsweise des öffentlichen Auftrags. Wie und ob sie diese unter den heutigen Rahmenbedingungen erfüllen, stellen die Autoren mit Blick auf die aktuelle Geschäftsausrichtung grundsätzlich und anhand von Beispielen infrage. Ihr Beitrag ist Teil einer Trilogie, die in lockerer Zeitfolge im Laufe dieses Jahres neben den Aufgaben von Bankvorständen die Organisation der Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat und die persönliche zivil- und strafrechtliche Haftung bei Pflichtverletzungen beleuchten wird. Der erste Teil darf gerne als Diskussionsgrundlage und Anstoß für Widerspruch dienen. (Red.)

Die Entwicklung der Kreditgenossenschaft als Mittel zur Selbsthilfe "unvermögender" Bevölkerungskreise1) durch Raiffeisen, Schulze-Delitzsch (auch Robert Owen in England) brachte typische Risiken mit sich, die jedem neuen Gebilde immanent sind:

- Zielkonflikte: Was soll auf welche Weise gefördert werden?

- Rechtsrahmen: Wer hat Ansprüche, in welchem Umfange, wann verliert er sie?; und den Prozess der Willensbildung - Anfechtbarkeit von Entscheidungen - Begegnung der Gefahr der Selbstblockade bei zu hohen formellen Anforderungen

- Statut, also Organisationsaufbau, als Folge des Statuts: Vorstand, Aufsichtsrat, Revision, als Folge des eingerichteten Betriebs: Ablaufprozesse

- Personalausstattung: ehrenamtliche oder hauptamtlich, mit welchen Anforderungen?

- Finanzausstattung

- Kontrolle: Was kann, was soll sie leisten, welche Konsequenzen sind aus Feststellungen zu ziehen? (Prüfungsverbände existierten noch nicht).

Resultate der historischen Genossenschaftsgründungen waren filigrane Gebilde, weitgehend von idealistischem Engagement und wenig Kapitalkraft getragen. Die Organe wurden unter den existierenden Auswahlmöglichkeiten, in der Regel aus dem Kreise der Gründungsmitglieder bestellt. Bezüglich des Umfangs der von Vorstandsmitgliedern noch nicht abzuschätzenden - und dann zu beaufsichtigenden - Tätigkeiten, entwickelte sich das Gebilde nach den "Regeln" des Learning by Doing und "Versuch und Irrtum".

Mangels klarer fachlicher Anforderungen standen charakterliche Qualifikationen der Vorstandsmitglieder im Vordergrund, die dort ebenso sehr gut oder mangelhaft waren und sind, wie in jedem anderen Berufsfeld. Damals übliche Probleme: unaufklärbare Kassenbeträge; Warenfehlbestände; unvertretbare Managemententscheidungen; unsichere Geldanlagen; Mängel in der Organisation, das heißt: Untreuehandlungen, die den Förderbetrieb in Gefahr brachten und mit denen unerfahrene Aufsichtsräte und Revisoren überfordert waren.

Aufgaben im Wandel der Zeit

Die Hauptaufgaben der Kreditgenossenschaften und Sparkassen haben sich grundlegend und bedenklich verändert. Ursprünglich stand im Vordergrund: Erstens die Unterstützung verarmter Bevölkerungsschichten; Kreditversorgung zwecks Schaffung und Erhalt von Existenzgrundlagen; Altersversorgung und zweitens die Mitglieder- und Kooperationsförderung: gemeinsame Produktion landwirtschaftlicher, handwerklicher oder industrieller Güter und Dienstleistungen.

Heute wird der persönliche Existenzerhalt überwiegend auf die Kommunen abgewälzt; Existenzgründung und Existenzgründungssicherung betrachtet man weitgehend als Aufgabe staatlicher Förderbanken und ähnlicher Einrichtungen. Die Abwicklung entsprechender Finanzierungen über Sparkassen und Volksbanken als "Hausbank" ändert wenig an der Feststellung, dass sie ihre ehemaligen Kernbereiche nicht mehr als eigenverantwortliche Aufgabe sehen und großenteils (nur) noch Beratungshilfen leisten. Zahlreiche Unternehmensberatungsgesellschaften sind in den letzten Jahrzehnten auf diesem Boden fruchtbar gediehen und haben staatlich aufgelegte Beratungsprogramme für ihre Existenz trefflich genutzt. Die Statistiken zum nachhaltigen "Erfolg" der beratenen Gründer spricht für sich: Viele sind verschuldet und haben die Wahl zwischen dem Erlernen eines Zweitberufes oder ein Leben mit "Hartz IV".

Nach weitgehendem Wegfall der aktiven Förderung des Kleinbürgertums und des Mittelstandes bei den Volks- und Raiffeisenbanken ist bei den Sparkassen die zielgerichtete und nachweisliche Förderung der Regionalwirtschaft nicht mehr erkennbare wesentliche Aufgabe. Das Ausgliedern von Beratungsleistungen für Unternehmen und Kommunen in eigens dafür gegründete kostenträchtige und gewinnorientierte "Consultingcenter" zeigt die Entwurzelung der Sparkassen von ihren Trägern und deren Bevölkerung. Die Betätigung großer Stadtsparkassen als Bauherren bei der Errichtung von Einkaufscentern ist ebenso wenig "Förderung des Mittelstandes" wie die jährliche Überweisung einiger Beträge an hilfsbedürftige ortsansässige Organisationen.

Statt die besorgniserregende Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen, dass sich galoppierende Vermögensverschiebungen in und zwischen den Bevölkerungsschichten ereignen und Kommunen Grundversorgungsaufträge nicht mehr wahrnehmen können, geben sich viele Vorstände einem erfolgversprechenderen Betätigungsfeld hin, nämlich der Risikominimierung und Ertragsmaximierung vermögender Kunden sowie fusionsreifen Vorbereitung ihres Unternehmens, um "künftig noch bessere Förderleistungen" erbringen zu können, wobei bereits die bisherigen kritisch zu hinterfragen wären. Die eigentlichen Hauptaufgaben von Genossenschaftsbanken mit Förderpflicht und Sparkassen mit öffentlichem Auftrag werden zusehends konturlos und nicht mehr verinnerlicht.

Problembewusstsein ist Mangelware

Die Anforderungen an das Vorstandsamt haben im Laufe der letzten Jahrzehnte stetig zugenommen; die Tätigkeit als Vorstand einer Bank ist zunehmend entartet. Die Belastungen sind mit einem Manager anderer Branchen nicht ansatzweise vergleichbar. Als Gegenstück zur Kapitalgesellschaft, bei der die Zufriedenheit der Aktionäre und Anleger mit Dividenden den Ausschlag für Wert- oder Unwerturteil gibt, müsste das Erreichen der Mitgliederförderung bei der Genossenschaft/Sparkasse dort für die Wertschätzung des Vorstandes maßgeblich sein.

Doch dem ist nicht so: Auch wenn sich die Mitglieder "wohlfühlen" und in der Regel per Akklamation jährlich Entlastung erteilen, ist das kein Gradmesser für den Erfolg des Vorstandes. "Wohlfühlen" wird sich - je nach Umfragestrategie - auch der Kunde einer Geschäftsbank und mit dem Management seines Kreditinstituts "einverstanden" sein.

Durch besondere Förderleistungen zeichnen sich Genossenschaftsbanken und Sparkassen nicht mehr aus. Wertschätzung ziehen heutige Bankvorstände für sich daraus, alljährlich den Beanstandungen und bürokratischen Verstrickungen des Verbandes und der Bankenaufsicht entkommen zu sein. Das heißt: keine persönlichen Herabsetzungen erfahren zu haben, nicht nach KWG "verwarnt" oder sonst diszipliniert und auch nicht durch Fusion "wegrationalisiert" worden zu sein.

Der Erfolg des Vorstands ist damit nicht mehr die spezifische und nachweisbare Förderung der Mitglieder beziehungsweise des einzelnen Mitglieds, sondern die Aufrechterhaltung der eigenen beruflichen Existenz in einem sich verschärfenden Umfeld. Die Leistungsbeurteilung erfolgt nicht mehr durch die Anteilseigner anhand verifizierbarer Kriterien, sondern durch externe Zwangsdienstleister (Prüfungsverbände) und die Aufsichtsbehörde.

Der historische Genossenschaftsvorstand sah sich zuerst als "Helfer, Beistand, Entwickler" seiner Anteilseigner, die er zum Teil persönlich kannte. Der heutige Genossenschafts- oder Sparkassenvorstand steht in harten Abhängigkeiten von Dritten. Er betreibt eine Politik der Risikovermeidung, das heißt letztlich der Versagung von Förderung und bereitet im Extremfall seine persönlichen wirtschaftlichen Grundlagen für die Zeit nach einer Fusion mit anderen Instituten vor, die man als Erlangung einer "starken Marktposition" schönredet.

Denn selten führt eine Verschmelzung zu Vorteilen für die Mitglieder, eher zu bürokratischeren Prozessen, hohen Umstrukturierungs- und Organisationsaufwendungen, damit auf lange Sicht zu höheren Kosten und zwangsläufig der weiteren Schwächung des Förderungsauftrags gemäß § 1 GenG. Möglicherweise hat sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Rechtsform der Genossenschaft für den Bereich des Bankgewerbes selbst abgeschafft.

Fachliche Anforderungen

Die Tätigkeit als Vorstandsmitglied setzt eine Qualifikationsprüfung durch die BaFin voraus. Vorgeschaltet ist die Beurteilung durch den zuständigen Prüfungsverband. Die endgültige Amtseinsetzung durch die Anteilseigner beziehungsweise Aufsichts- oder Verwaltungsrat ist reine Formsache; sie haben praktisch weder tatsächliche Auswahl noch realistisch durchsetzbare Entscheidungsbefugnisse. Ein Kandidat, der von Verband/BaFin nicht gewünscht ist, ist von den Inhabern des genossenschaftlichen beziehungsweise kommunalen Unternehmens nicht durchsetzbar, denn auf die gesetzlich mögliche Durchsetzung der Bestellung kann das Abberufungsverlangen auf dem Fuße folgen.

Die Voraussetzungen, unter denen eine Bestellung zum Vorstandsmitglied theoretisch möglich wäre, aber auch wesentliche Aufgaben, ergeben sich aus § 25c KWG und werden durch die BaFin in ihrem Merkblatt2) umfassend erläutert. Damit ist faktisch die Festlegung auf einen eng begrenzten Personenkreis getroffen, die verhindert, dass ausgezeichnete Finanzmanager aus der "freien" Wirtschaft Vorstandsmitglied einer Genossenschaftsbank oder Sparkasse werden können, obwohl Experten mit Spezialwissen und anderen ökonomischen Erfahrungen sehr wünschenswert sein könnten. So erhält sich das System von selbst.

Hat ein Vorstandsbewerber Erfolg, sollte er sich bewusst sein, dass die im BaFin-Merkblatt genannten Anforderungen zur Bestellung, bei späterer Nicht- oder Schlechterfüllung zugleich Kriterien zur Abberufung und gegebenenfalls Kündigung des Anstellungsvertrages sein können.

Der Einwand, etwa anlässlich eines Regressverfahrens (siehe unten), man habe nicht die erforderliche Qualifikation besessen, greift in der Rechtsprechung nicht mehr. Die herrschende Auffassung sieht in der Annahme der Bestellung die Versicherung des Bewerbers, er verfüge über die erforderlichen Kenntnisse. Der BGH vertritt die Ansicht, bei diesen Fragen sei darauf abzustellen, "was einem durchschnittlichen Mitglied gerade dieser Genossenschaft als Vorstandsmitglied abverlangt werden kann."3)

Richtigerweise fordern Gesetz und BaFin nicht nur die Bereitschaft, sondern die tatsächliche ständige Fortbildung. Allerdings nützen die besten Seminare und Schriften wenig, wenn sie nicht im Rahmen von Vorstandsbesprechungen einer Vergleichsanalyse mit dem eigenen Hause, seinen Abteilungen und Bearbeitungsverfahren unterzogen werden.

Persönliche Eignung

Auch bezüglich der persönlichen/charakterlichen Eignung gibt das Merkblatt4) Hinweise. Die ursprüngliche Fassung, dass eine "Verwicklung" in Ordnungswidrigkeitenverfahren (zum Beispiel auch Bußgelder im Straßenverkehr) als bedenklich für die Eignung als Bankvorstand angesehen wurde, ist mittlerweile entschärft. Verlangt werden muss eine durch Tatsachen unterlegte ernsthafte "Gefahrenprognose", wie sie sich etwa aus § 35 GewO ergibt oder zum Beispiel aus § 6 GmbH-Gesetz. Demnach kann Geschäftsführer zum Beispiel nicht sein, wer

- bei seinen Vermögensangelegenheiten einer Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt unterliegt5),

- einem Berufsverbot unterliegt, das ganz oder teilweise mit dem Unternehmensgegenstand übereinstimmt6),

- wegen einer oder mehrerer Wirtschaftsstraftaten, insbesondere Insolvenzstraftaten, Betrug, Untreue, rechtskräftig verurteilt ist7).

Die persönlichen Verhältnisse des Organmitglieds müssen den Schluss nahelegen, dass den Anforderungen an die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters einer Genossenschaft nicht entsprochen wird. Bedenklich ist nach wie vor die Beurteilung der "wirtschaftlichen Zuverlässigkeit", die bereits bei der Hausfinanzierung ansetzen könnte. Der Verfasser hat seit Jahren darauf hingewiesen, dass es letztlich Sache der Anteilseigner bleiben muss, wen sie als fachlich und persönlich geeignet für ein Vorstandsamt ansehen. Dass dabei qualifizierter Rat erforderlich ist, dürfte unstreitig sein. Weisungsberechtigungen hingegen nicht.

Gesetz und Satzung

Rechte und Pflichten der Bankvorstände folgen aus Gesetz, Statut, Anstellungsvertrag und auch den Compliance-Regeln. Rechte und Pflichten bedingen einander: Der Missbrauch von Rechten wird stets zugleich Pflichtverletzung sein. Interessant ist die Fortbildung des Rechts, zum Teil initiiert durch Veränderung gesellschaftlichpolitischer Anschauungen.

Oberste Pflicht ist die Förderung der Mitglieder gemäß § 1 GenG. Zur Erreichung dieses Zwecks hat der Vorstand die Rechte der §§ 24 I S.1, 26 I, 27 I S. 1, 51 II S. 2, 57 IV GenG.

Die Mitglieder haben Anspruch auf sorgfältige Auskunft. Diese Pflicht ist weitestgehend und findet ihre Grenze nur in gesetzlichen Beschränkungen (persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse einzelner) oder in statuarisch dem Aufsichtsrat zwingend zugewiesenen Aufgaben. Dabei sind die Mitglieder nicht gehindert, die Satzung anzupassen, wenn sie es für erforderlich halten und die Mindestinhalte gemäß GenG nicht tangiert sind.8)

Falsche Auskünfte des Vorstandes an die Mitglieder, sei es im Rahmen der General- oder Vertreterversammlung, ist stets Amtspflichtverletzung des Vorstandes. Eine Auskunft ist auch dann falsch, wenn sie unvollständig und missverständlich ist, sie ist es auch, wenn die Unterrichtung erheblich ist und ohne ausdrückliche Frage aus der Mitgliederschaft zu erfolgen hätte. Probleme in der Praxis sind vor allem:

- Der Verzicht auf individuelle Berichterstattung über das Geschäftsjahr zugunsten lediglich fortgeschriebener Lageberichte aus den Vorjahren;

- Verzicht auf die Darstellung von Risikolagen, zum Beispiel auf Rücksicht öffentlicher Wirkung;

- Verheimlichung wesentlicher Fusionsgründe, beispielsweise durch unvollständig und unklar abgefassten Verschmelzungsvertrag;

- Verzicht auf Kommentierung von Feststellungen der gesetzlichen Prüfung oder der BaFin.

Die unterlassene Berichterstattung über die Art und Weise, wie die Genossenschaft ihren Grundzweck, nämlich die Förderung der Mitglieder erfüllt hat oder nicht erfüllen konnte, ist Pflichtverletzung. Stets ist eine wahrheitsgemäße und nachvollziehbare Darstellung der wesentlichen Geschäftsund Vertretungstätigkeit des Vorstandes zu verlangen. Zweifelsfragen von erheblicher Bedeutung sind den Anteilseignern in die letzte Verantwortung zu geben. Ebenso wesentliche geplante Änderungen des genossenschaftlichen Geschäftsbetriebs.

Unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat sind den Anteilseignern zwecks Beratung und Entscheidung vorzulegen: Gegebenenfalls ist ein Mitglied des Vorstandes oder eines des Aufsichtsrates abzuberufen beziehungsweise zum Rücktritt aufzufordern. Rechtsstreitigkeiten von erheblicher Bedeutung bedürfen der Beratung und Beschlussfassung durch die Mitglieder. Es darf ihnen nicht die Möglichkeit genommen werden, zu entscheiden, ob sie gegebenenfalls langwierige und kostenträchtige Prozesse führen wollen oder nicht. Gutachten dürfen - mindestens in ihrem Ergebnis - der Versammlung nicht vorenthalten werden.

Die Unterzeichnung des Vertrages über die Fusion mit einer anderen Körperschaft ohne vorherige Legitimation durch Beratung und Beschlussfassung der Eigner ist (strafrechtlich relevante) Pflichtverletzung des Vorstandes. Die Rechte und Pflichten der Vorstandsmitglieder können per Satzung mit den erforderlichen Mehrheiten eingeschränkt oder ausgeweitet werden.

Regressverzicht durch Satzung

Unbestritten ist, dass ein Vorstandsmitglied bei einwandfreier Amtsführung einen klagbaren Anspruch auf Entlastung hat. Zweifelhaft war lange, ob die Generalversammlung beziehungsweise der Sparkassenträger von vornherein durch Satzungsgestaltung auf Regressansprüche verzichten darf. Dabei geht es um den Verzicht auf Schadensersatzansprüche, wenn die ursächliche Entscheidung des Vorstandsmitglieds "unternehmerisch vertretbar" war. Der BGH ist schon länger die Auffassung, die Satzung dürfe eine Regelung enthalten, wonach eine Pflichtverletzung des Vorstandes nicht gegeben ist, "wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln," und dann auf Regressinanspruchnahme grundsätzlich verzichten.9)

Nachdem sich ein Amtsgericht erstinstanzlich und dann das zuständige Landgericht weigerten, eine entsprechende Satzungsänderung einzutragen, hob das OLG Hamm die angefochtenen Beschlüsse auf, mit der Begründung, es handele sich bei dem Inhalt der Satzungsbestimmung um eine geläufige Klarstellung. Eine Erfolgshaftung der Organmitglieder scheide aus, für Fehler im Rahmen des unternehmerischen Entscheidungsspielraums werde nicht gehaftet. Dabei müsse ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar sei: "Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst handeln, ausgesetzt ist. Die unternehmerische Handlungsfreiheit ist Teil und notwendiges Gegenstück der dem Vorstand obliegenden Führungsaufgabe.

Eine Schadensersatzpflicht kann erst in Betracht kommen, wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss." Dieser Grundsatz finde in allen Unternehmensformen Anwendung.10)

Zu beachten ist dabei: Selbst bei ausdrücklichem Beschluss oder Satzungsbestimmung wird kein wirksamer Regressverzicht herbeigeführt, wenn die Generalversammlung aufgrund der ihr erteilten Auskünfte die Tragweite ihrer Entscheidung nicht überblicken kann.11) Umso höhere Bedeutung kommt der korrekten Information der Anteilseigner zu.

Anstellungsvertrag

Dass die Bestellung eines Vorstandsmitglieds gemäß § 24 III S. 2 GenG jederzeit widerruflich ist und die Tätigkeit jederzeit bereits durch eine interne Maßnahme gemäß § 40 GenG vorläufig beendet werden kann, ist ein Anachronismus, der mit heutigen Erfordernissen nichts mehr zu tun hat.12) 13) Richtet sich die "Vollbeendigung" der Tätigkeit - neben Gesetz und Satzung - hauptsächlich nach dem geltenden Anstellungsvertrag - Organstellung und Bediensteteneigenschaft sind theoretisch zu trennen - wird sie praktisch undurchführbar.

In der Praxis erfährt der Anstellungsvertrag unverdiente Vernachlässigung: Dass sich der Vertragsnehmer bei seiner Tätigkeit an Gesetz und Satzung zu halten hat, ist ebenso Grundpflicht, wie Loyalität und Achtung der genossenschaftlichen Prinzipien: Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Für den Sparkassenvorstand gilt analog die Wahrnehmung des öffentlichen Auftrags und die besonderen Pflichten einer kommunalen Bank ihrem Träger und ihren Bürgern gegenüber. Die Umsetzung von Geschäftsordnung und Geschäftsverteilungsplan runden den Vorstandsvertrag ab. Daraus folgt die Pflicht zu regelmäßigen Vorstandssitzungen mit umfassender Protokollführung bei Meinungsverschiedenheiten und die nachweisbare Pflicht zum Widerspruch des einen gegen Maßnahmen des anderen Vorstandsmitglieds.

Dadurch kann sich ein Vorstandsmitglied, das "Veto" einlegt und auf Risiken hinweist, möglicherweise von seiner Mitverantwortung exkulpieren. Das gilt auch für Dissenzen mit dem Aufsichtsrat, die gegebenenfalls von der Generalversammlung beziehungsweise dem Träger zu entscheiden sind. Aus der Praxis ist ein gravierender Fall bekannt, in dem ein Vorstandsmitglied montags die Entscheidungen der neuen Woche "verkündete" und seinem Kollegen regelmäßig eine Liste mit wahrzunehmenden Repräsentationsterminen vorlegte. Diese eklatante Verletzung der Dienstpflichten und ihrer Grundlagen führte später zur Sanierungsreife der Bank wegen "selbstherrlicher" Kreditvergabe, Fusion und Regressüberlegungen gegen Vorstand und Aufsichtsrat. Das von seinem Kollegen übergangene Vorstandsmitglied versuchte sich mit dem Argument zu rechtfertigen, bereits sein Vorgänger sei der Dominanz dieser starken Persönlichkeit erlegen. Das der "schwächere" Kandidat nicht vollständig existenziell "erlag" ist nur den ehrlichen Fürsorgeanstrengungen einzelner Verantwortungsträger des Verbandes, der BaFin und der Vertreterversammlung zu danken.

Ausnahmen dokumentieren

Die Pflicht zur regelmäßigen gemeinsamen Sitzung und sorgfältige Bearbeitung der Tagesordnung gewährleistet das Funktionieren insbesondere eines Kreditinstitutes. Dabei sind Ausnahmen von sonst geltenden Regeln genau zu dokumentieren. Üblich ist, dass auch eine genossenschaftliche oder kommunale Bank Kredit ohne Sicherheiten nicht mehr ausleiht. Schon oft hat der Verfasser darauf hingewiesen, dass hier aber ein grundlegender Unterschied zu den Geschäftsbanken besteht.

Dazu einige Überlegungen: Bürger und Mittelstand haben Sorge wegen Vernichtung ihrer Rücklagen und Alterssicherung durch Niedrigzinssätze. Es ist eine Kernaufgabe des Vorstandes jeder Genossenschafts- und Kommunalbank, nach seriösen Anlagemodellen zu suchen, sie im Verbund zu schaffen oder gegebenenfalls im eigenen Hause vertretbare Anlagezinsen festzusetzen. Das Gegenteil davon: "Strafzinsen", wie sie zum Beispiel von Geschäftsbanken praktiziert werden, würden das Genossenschaftsprinzip umkehren und den Mitgliedern empfehlen, Kapital möglichst nicht bei der eigenen Bank anzu legen.

Das zweite Problem: die Finanzierung. In zahlreichen Fällen wird sie mit schwer nachvollziehbaren Argumenten erschwert oder versagt, obwohl sie im Einzelfall möglich wäre. Das Risiko ist nicht der unvertretbare Kredit, der in unüberschaubare Einzel- oder Verbundprojekte hinein vergeben wird, sondern die unterlassene Förderung mit vertretbarem Ausfallrisiko. Die nachstehenden Praxisbeispiele stehen stellvertretend für Pflichtverletzung von Bank- und Sparkassenvorständen.

Beispiel Genehmigungsgrenze: Laut interner Kreditvergaberichtlinie durften Kunden einer Sparkasse, die durchschnittlich über weniger als 1 000 Euro Einkommen pro Monat verfügen, ihr Konto nicht überziehen; sie erhielten auch keinen Dispositionskredit. Das kann dazu führen, dass selbst kleinste Kreditwünsche kategorisch abgelehnt werden. Überspitzt gesagt: Es muss weitesten Bevölkerungskreisen möglich sein (Förderauftrag, öffentlicher Auftrag, Versorgung der Bevölkerung), anlässlich zum Beispiel von Geburts- oder Feiertagen kleine Geschenke einzukaufen.

Im Bewusstsein zahlreicher Bankvorstände ist nicht verankert, das etwa 20 Prozent der Bevölkerung (also ihrer Kunden) über keinerlei Ersparnisse verfügen, um sich oder anderen selbst kleine Wünsche zu erfüllen. Dazu gehören auch Ersatzbeschaffungen defekter Haushaltsgeräte, die von den Sozialämtern schon lange nicht mehr übernommen werden. Der Verfasser ist als ehrenamtlicher Berater mehrerer Stadtverwaltungen mit zahlreichen hilflosen Anträgen vertraut (auch Bestattungskosten, wenn der Sarg wegen "Übergröße" 50 Euro teurer werden muss). Vorstand (und Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsrat) sind verpflichtet, sorgsam abzuwägen, ob gegen Jahresende intern je Konto unter der "Genehmigungsgrenze" ein Kleinbetrag etwa in Höhe von 100 Euro "freigegeben" wird, nach Ermessen der Kundenberater. Die auflaufende Summe dürfte im Gegensatz zu riskanten Großentscheidungen nicht ins Gewicht fallen.

Auch unkonventionelle Entscheidungen zu durchdenken, sollte bei den Verantwortlichen von Kreditinstituten vorausgesetzt werden können. Das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen und das Nichtbemühen um Lösungen ist Dienstpflichtverletzung und Nachweis, nicht in der Lage zu sein, seiner Verantwortung gerecht zu werden.

Beispiel ungenutzte Chancen: Zwischen einem Einzelhändler und seiner Volksbank besteht eine traditionelle Geschäftsbeziehung. Abschreibungsbedarf bestand in 22 Jahren nicht. Die Finanzmittel des Kleinunternehmers sind aufgrund von Umbauten des Ladenlokals aufgebraucht. Er kann über clevere Kontakte eine Partie brandneue Markenhandys erwerben, die möglicherweise zeitgleich von einem "Ich bin doch nicht blöd"-Markt riesen angeboten werden. Der Händler sieht die Chance, junge Leute mit einer pfiffigen Aktion als neue Kunden anzuwerben. Dabei will er den steigenden Beratungsbedarf durch kompetente Fachleute wegen Reizüberflutung und unüberschaubarer Angebote hervorheben.

Seine Volksbank lehnt den Wunsch ab, ihm auf seinem Geschäftskonto eine Dispositionslinie von 38 000 Euro gegen Abtretungsvereinbarung einzuräumen. Die Chance des Mitglieds bleibt ungenutzt. Der Vorstand wäre kein völlig unvertretbares Risiko eingegangen, sondern hätte sich im Rahmen unternehmerischen Ermessens und der Förderpflicht bewegt. Entscheidend wäre die ernsthafte Befassung mit dem Kreditwunsch unter Hereinnahme der zur Verfügung stehenden Informationen und Erfahrungen. Der Vorgang berechtigt das Mitglied zu entsprechenden Anfragen und Anregungen in der Generalversammlung.

Beispiel Studienkredite: Volksbank K. verkündet in der Bilanzpressekonferenz positive Marktzahlen in allen Bereichen. Man präsentiert sich erfolgsstark. Dem Vorstand sollte bekannt sein, dass in seiner Universitätsstadt zahlreiche Studenten am Rande des Existenzminimums leben und Studiengebühren ein fast unüberwindliches Problem darstellen. Der Vorstand hat sich seit Jahren nicht mit einem Förderprogramm für Jugendliche, insbesondere Studenten befasst. Die Geschäftspolitik eines Vorstandes muss nachvollziehbar und verifizierbar sein, sie hat den Interessen der Mitglieder zu dienen.

Amt, Vertrag, Verantwortung

Während sich die Organpflichten mit den Grundstrukturen der Bank befassen, beinhalten Rechte und Pflichten des Anstellungsvertrages die täglich zu erfüllenden Konsequenzen daraus ebenso wie zu entwerfende Managementleitlinien einzelner Bereiche. Die Notwendigkeit, dass der Grad der persönlichen Leistung eines Vorstandsmitglieds untrennbar mit der Vergütung verbunden sein sollte, steht im Widerspruch zur Anwendung von gestaffelten "Aufschlägen" auf Tarifgruppen. Die individuell zu lösenden Probleme können bei erfolgreichem Krisenmanagement eines mittleren Kreditinstituts ungleich höhere Bezüge rechtfertigen als die "Verwaltung" einer großen Bestandsbank. Der Anspruch auf jährliche Überprüfung gehört in den Anstellungsvertrag und zum Pflichtrepertoire des Aufsichts- beziehungsweise Verwaltungsrates. Die Vertiefung dieser Aspekte bleibt dem Beitrag "Vorstand - Aufsichtsrat" vorbehalten.

Einzelne gravierende Pflichtverletzungen und Vertrauensverlust können einen wichtigen Abberufungsgrund vom Amt und zur Kündigung des Vertrages darstellen. Häufige Trennungsgründe sind in der Praxis, dass

- Vorstände mit den sich aus den Spezifika von Genossenschaft oder Sparkassen ergebenden Aufgaben nicht ausreichend vertraut sind und ihnen der Blick für wesentliches aufgrund der überstrapazierender Anforderungen Externer verloren geht;

- Vorstände ihre Aufsichtsräte nur unzureichend oder verspätet über wesentliche Vorgänge unterrichten;

- in den Beratungen mit dem Prüfungsverband Weichenstellungen nicht vorgenommen und Missverständnisse nicht ausgeräumt werden;

- der Aufsichtsrat im Konflikt zwischen BaFin/Verband erfahrungsgemäß keine effektive Hilfe darstellt, bereits mangels fachlicher Unterlegenheit der ehrenamtlichen "Aufseher".

Deshalb kommt dem "Spannungsfeld von Kompetenz und Verantwortung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand" besondere Bedeutung zu, dem der zweite Teil der "Trilogie" zum Thema "Bankvorstände" gewidmet ist.

Fußnoten

1) Siehe Bauer, Katja, Der Beitrag der Raiffeisengenossenschaften zur Überwindung des Wuchers, Münster 1993.

2) Merkblatt für die Prüfung der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG, KWG, ZAG und InvG vom 20.2.2013.

3) So BGH zu "ehrenamtlichem Vorstandsmitglied": Urt. v. 15. 11.1971 - VIII ZR 62/70.

4) Merkblatt für die Prüfung der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG, KWG, ZAG und InvG vom 20.2. 2013; Abschnitt II. sowie "C. Checklisten und Erläuterungen".

5) Siehe § 6 II Nr. 1 GmbHG.

6) Siehe § 6 II Nr. 2 GmbHG.

7) Siehe § 6 II Nr. 3 GmbHG.

8) Vgl. hierzu Glenk, Genossenschaftsrecht - Systematik und Praxis des Genossenschaftswesens, 2. Aufl. 2013, Rdnr. 379 f. sowie BGH, Urt. v. 20.9.2004 - II ZR 334/02.

9) BGH, Urt. v. 3.8.2008 - II ZR 236/07.

10) OLG Hamm, Beschl. v. 29.6. 2010, I-15 Wx 312/09 mwN.

11) Siehe BGH, Urt. v. 21.3.2005 - II ZR 54/03.

12) Siehe hierzu ausführlich: Glenk, a.a.O., Rdnr. 550 ff.; Lang-Weidmüller, Genossenschaftsgesetz, 37. Auflage, § 24 Rdnr. 43ff.

13) Siehe hierzu Bank intern ("Bi"), Ausgabe 13/ 2015.

Hartmut Glenk , Direktor, Institut für Genossenschaftswesen und Bankwirtschaft (IGB), Siegen/Berlin
Noch keine Bewertungen vorhanden


X