Die Risikodichte - eine Kennzahl zur integrierten Steuerung (un)gewichteter Kapitalanforderungen?

Tobias Kienberg, Investitionsbank Berlin, Kredite Großkunden & Kapitalmarktgeschäft, Berlin

Quelle: privat

Tobias Kienberg, Investitionsbank Berlin, Kredite Großkunden & Kapitalmarktgeschäft, Berlin - Die Vorschläge der EU-Kommission für die vollständige Umsetzung der Basel-III-Regelungen in europäisches Recht liegen seit Ende vergangenen Jahres vor. Um die globale Anwendung der Regelungen wird nach wie vor gerungen. Gemäß dem Positionspapier der EU-Kommission sollen bislang nicht adressierte Systemschwächen berücksichtigt und global definierte Rahmenkonzepte assoziiert werden. Der Autor sieht ein wesentliches Defizit in der lediglich relativ orientierten Risikobegrenzung durch eine pauschale oder modellierte Risikogewichtung. Der ausschließliche Rückgriff auf risikogewichtete Aktiva im Verhältnis zur Kapitalbasis über risikogewichtete Kapitalquoten, so seine Argumentation, unterschätze die potenziellen Folgewirkungen von exzessiv aufgebauten Kreditrisiken. Daher hält er es für sinnvoll, wenn Institute den Impuls für eine integrierte Kapitalsteuerung aufnehmen und die Integration der Kennzahl der Risikodichte in die Banksteuerungsprozesse prüfen. (Red.)

Am 23. November 2016 hat die EU-Kommission ihre Vorschläge für die vollständige Umsetzung der Basel-III-Regelungen in europäisches Recht veröffentlicht. Damit werden die bislang etablierten Vorgaben der CRD IV, CRR und BRRD überarbeitet und erweitert.

Das Positionspapier enthält nunmehr verbindliche Regelungen zur Einführung der zukünftig verpflichtenden bankaufsichtsrechtlichen Verschuldungsquote (Leverage Ratio) und der strukturellen Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio - NSFR). Darüber hinaus werden die Messung für Marktrisiken standardisiert (Kontrahentenrisiko bei Derivaten - "SA-CCR") und die vom Financial Stability Board für global systemrelevante Institute (G-SIB) erarbeiteten Regelungen zur Verlustabsorptionsfähigkeit (Total Loss-absorbing Capacity - TLAC) in die EU-Regelungen integriert. Zudem erfolgt eine Anpassung der für das Großkreditregime relevanten Kapitalgrößen.1)

Leitplanken zur Minimierung verbliebener Systemschwächen

Die Anpassungen der europäischen Legislative können durchaus als Unternehmung zur Komplettierung der gegenwärtigen Aufsichtsstandards verstanden werden. Deren grundlegende Prämisse, das Finanzsystem künftig widerstandsfähiger gegen potenzielle Krisen und Schocks zu machen, ist unverändert. Mit den jüngsten Erweiterungen der aufsichtsrechtlichen Leitplanken sollen gemäß Positionspapier der EU-Kommission bislang nicht adressierte Systemschwächen berücksichtigt sowie global definierte Rahmenkonzepte (zum Beispiel TLAC) assoziiert werden.

Eine der Systemschwächen ist die seit dem Baseler Akkord lediglich relativ orientierte Risikobegrenzung durch pauschale oder modellierte Risikogewichtung. Der ausschließliche Rückgriff auf risikogewichtete Aktiva (RWA) im Verhältnis zur Kapitalbasis über risikogewichtete Kapitalquoten unterschätzt die potenziellen Folgewirkungen von exzessiv aufgebauten Kreditrisiken.2) Diese können bei rezessiven Entwicklungen zu merklichen nominellen Belastungen führen. In diesem Fall würden trotz anscheinend auskömmlicher oder zumindest hinreichender risikogewichteter Kapitalquoten realisierte Verluste in deutlichen Kapitalbelastungen resultieren (durch zum Beispiel hohe Abschreibungen infolge sinkender Asset-Preise). Diese Wirkungsweise sei vereinfacht am aktuellen Beispiel der italienischen UniCredit S.p.A. verdeutlicht: Deren zwar im internationalen Vergleich bereits schwache, aber formal noch hinreichende risikogewichtete Kernkapitalquote von 11,5 Prozent zum Jahresende 2015 wurde durch die umfangreichen Forderungsabschreibungen 2016 derart belastet, dass eine massive Kapitalerhöhung notwendig wurde. Dieses Prinzip lässt sich auf verschiedenste Risiken übertragen.

Leverage Ratio als "Backstop" für Zyklusrisiken

Zur Begrenzung eines derartigen Wachstums von Kreditexposures wurde die Einführung der nunmehr verbindlichen Leverage Ratio vorgeschlagen. Die Kennzahl ist als Auffangnetz für zyklische Entwicklungen gedacht und wirkt risikobegrenzend in konjunkturellen Aufschwungphasen.3) Die Leverage Ratio beschreibt die Obergrenze der maximalen Verschuldung und wird ausgedrückt durch das Verhältnis des Kernkapitals (Tier 1) zu den risikoungewichteten Engagements eines Instituts (Leverage Exposure - bilanzielle und bestimmte außerbilanzielle Positionen). Die Kennzahl wurde auf einen Mindestwert von 3 Prozent festgelegt und ist zusätzlich zu den risikogewichteten Kapitalquoten künftig verpflichtend von allen CRR-Instituten einzuhalten. Für G-SIB sollen zudem zusätzliche Leverage-Puffer eingeführt werden (das heißt Leverage Ratio > 3%).

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Die begrenzende Wirkung der Leverage Ratio auf das Exposurewachstum ist in der Unternehmensplanung künftig grundsätzlich zu berücksichtigen. Die alleinige geschäfts- beziehungsweise risikopolitische Orientierung an den risikogewichteten Kapitalquoten, die gegenüber der Leverage Ratio weniger restriktiv erscheinen, ist nicht mehr ausreichend.

Unterschiedliche Geschäftsmodelle von Instituten und damit verschiedene Ausgangssituationen vor Etablierung der neuen Kennzahl führen nun zu einem potenziellen Zielkonflikt bei der Risikoallokation. Institute mit einem auf niedrige Risikogewichte orientierten Geschäftsansatz wie zum Beispiel Staats-/Hypothekenfinanzierer dürften aufgrund des in der Vergangenheit eher geringen nominellen Kapitalbedarfs einen höheren Aufwand zur Einhaltung der Leverage Ratio haben als Institute, die bereits Risiken mit höherer Risikogewichtung eingehen. Aus Institutssicht entsteht damit gegebenenfalls ein Zielkonflikt bei der Einhaltung der Zielgrößen Risikogewichtung und Verschuldung.

Integrierte Betrachtung von Risikogewichtung und Verschuldung

Welche Steuerungsmöglichkeiten bestehen, einen solchen Zielkonflikt auf Ebene eines Einzelinstituts oder eines geschäftsmodellspezifischen Sektors angemessen zu berücksichtigen? Die risikogewichtete Kernkapitalquote und Leverage Ratio können in einer neuen Kennzahl zusammengeführt werden. Das wird durch den Bezug beider Kennzahlen zum Kernkapital möglich. Nachfolgend ist die Entwicklung beider Quoten zu der neuen Kennzahl schematisch aufgezeigt.

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Die Gleichungen (1) und (2) sind jeweils nach dem Tier 1 Kapital aufzulösen und anschließend gleichzusetzen. Nach einer weiteren Umformung ergibt sich die neue Kennzahl, die im Folgenden als Risikodichte bezeichnet wird6):

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In Abhängigkeit von den gegebenenfalls unterschiedlichen regulatorischen Vorgaben je Jurisdiktion und institutsindividuell kann nun ein Wert für die Risikodichte errechnet werden. Unter der Maßgabe der verpflichtenden Leverage Ratio von drei Prozent und Mindestkernkapitalquote von 8,5 Prozent errechnet sich beispielsweise eine notwendige Risikodichte von 35,3 Prozent. Die Kennzahl kann umgekehrt auch für die Ermittlung der Leverage Ratio herangezogen werden. Damit wird die bereits beschriebene Wirkungsweise der Verschuldungsquote als Begrenzungsfaktor beim exzessiven Aufbau nominaler Kreditrisiken anschaulicher7):

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Bei dieser Darstellungsweise wird deutlich, dass der Aufbau von nominellen Kreditrisiken (in der Regel = 100 Prozent Leverage Exposure) bei unverändertem Kernkapital zu einer Reduzierung der Leverage Ratio führt und zwar vollkommen unabhängig vom Risikogewicht der zusätzlichen Assets. Der Faktor "Risikodichte" hat in der Berechnungsformel den stärkeren Einfluss auf die Ermittlung der Leverage Ratio und eignet sich damit grundsätzlich als Steuerungsindikator.

Interpretationsansätze für die Risikodichte

Vor der Verwendung als Steuerungsinstrument ist der fundamentale Erklärungsgehalt der Kennzahl zu identifizieren - zunächst unabhängig von gegebenenfalls institutsspezifischen Kapitalanforderungen. Hierzu wird die regulatorisch implizierte Benchmark von 35,3 Prozent herangezogen.

Institute mit einer geringeren Risikodichte stellen mehr nominelles Kernkapital zur Verfügung als es für die Mindesterfüllung der risikogewichteten Kennzahlen erforderlich wäre. Entsprechend kann dieses Mehrkapital im Sinne der Risikoallokation als ungenutztes und damit ineffizientes Kapital verstanden werden, das durchaus für die Unterlegung höherer Risiken zur Verfügung stünde.

Ein Überschreiten der Quote deutet auf verhältnismäßig knappe risikogewichtete Kapitalverhältnisse und damit einen vergleichsweise höheren Risikogehalt der Assets eines Instituts hin. Mithin ist festzustellen, dass die Risikodichte sehr vereinfacht die Risikostruktur beziehungsweise -neigung eines Instituts wiedergibt, da sie in etwa das durchschnittlich gewichtete Risikogewicht aller Assets darstellt.

Die verschiedenen (inter-)nationalen Kapitalvorgaben nebst zusätzlichen Regelungen für systemrelevante Institute führen zu uneinheitlichen Kapitalpufferanforderungen und dadurch zu unterschiedlichsten theoretischen Optimalwerten für die Risikodichte eines Instituts. Damit disqualifiziert sich die Kennzahl als Benchmark für einen übergeordneten Institutsvergleich. Beispielhaft sei dies auf Basis einiger ausgewählter Kapitalanforderungen aus der EU, den USA und der Schweiz in der Tabelle dargestellt. Es wird deutlich, dass die Eignung der Kennzahl insbesondere von Jurisdiktion und Systembedeutung eines Instituts (systemrelevant, nicht systemrelevant, global systemrelevant) abhängig ist. Bei Vorliegen derselben Kapitalanforderungen kann ein Instituts vergleich hingegen gelingen (beispielsweise deutsche Sparkassen mit einer Bilanzsumme unter 10,0 Milliarden Euro).

Integration in Unternehmensplanung auf Institutsebene

Die Risikodichte eignet sich als Steuerungsinstrument auf Einzelinstituts- beziehungsweise Institutsgruppenebene. Aus den übergeordneten Erklärungsansätzen und unter Berücksichtigung der individuellen Kapitalvorgaben kann ein institutsspezifisches Optimum definiert werden. Dabei stellen die internen Planungsprämissen bezüglich der jeweils zu erreichenden Mindestquoten für die Tier 1 Ratio und die Leverage Ratio die Ausgangsbasis der Zieldefinition dar. Das schließt insbesondere auch gegebenenfalls vorgesehene Managementpuffer für das vorzuhaltende Mindestkapital ein. Ist hiernach ein Wert festgelegt, kann die Kennzahl als Zielwert in die Geschäfts- und Kapitalbedarfsplanung integriert werden.

Neben den individuellen geschäftspolitischen Zielen (Risiko-/Ertragsstruktur, Asset-Allokation) sind im Folgenden regulatorische Änderungen im Planungsprozess zu berücksichtigen. So können die aus Basel IV erwarteten Veränderungen von Risikogewichten (unter anderem Novellierung KSA und Floor für IRBA-Institute) oder Abzugspositionen auf das Kernkapital (durch zum Beispiel Investments in andere TLAC-fähige Kapitalinstrumente) in einem integrierten Konzept simuliert und mögliche Gegenmaßnahmen eruiert werden. Auch aus den Vorgaben zur Bemessung des Leverage Exposures lassen sich gegebenenfalls Optimierungspotenziale für die Asset-Allokation ab- und in die Geschäftsstrategie überleiten.

In einem weiteren Schritt ist es denkbar, die Steuerung der Risikodichte in die Ertragsplanung zu integrieren und die Asset Allokation in Abhängigkeit vom Risiko-/ Ertragsbeitrag (gewichtet und ungewichtet) vorzunehmen.

Etablierung eines integrierten Steuerungskonzepts empfehlenswert

Die Etablierung eines integrierten Steuerungskonzepts zur Einhaltung der individuellen Kapitalanforderungen ist empfehlenswert, da der Umfang regulatorischer Vorgaben und Einschränkungen ein inzwischen erhebliches Ausmaß angenommen hat. Die isolierte Steuerung von Kapitalkennzahlen dürfte Institute entsprechend vor weiter ansteigende Herausforderungen stellen. Das Modell der Risikodichte ist in der Lage, die Komplexität in der Beziehung von nominellem Kapital und Risikogewicht zu reduzieren und die Wirkungszusammenhänge nachvollziehbar aufzuzeigen. Es eignet sich damit insbesondere für den institutsspezifischen Planungsprozess, um erwartete interne Entwicklungen antizipieren und externen Einflüssen entgegensteuern zu können.

Vor diesem Hintergrund kann es für Institute sinnvoll sein, den Impuls für eine integrierte Kapitalsteuerung aufzunehmen und die Integration der Risikodichte in die Banksteuerungsprozesse zu prüfen.

Literaturverzeichnis

Board of Governors of the Federal Reserve System (2013): Capital Adequacy of Bank Holding Companies, Savings and Loan Holding Companies, and State Member Banks, Regulation Q (12 CFR part 217). Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA (2015): Die neuen Too-big-to-fail-Kapitalanforderungen für global systemrelevante Banken in der Schweiz, Faktenblatt.

EU-Kommission (2016): Regulation of the European Parliament and of the Council amending Regulation (EU) No. 575/2013 as regards the leverage ratio, the net stable funding ratio, requirements for own funds and eligible liabilities, counterparty credit risk, market risk, exposures to central counter parties, exposures to collective investment undertakings, large exposures, reporting and disclosure requirements and amending Regulation (EU) No 648/2012.

Fender, I./Lewrick, U. (2015): Calibrating the leverage ratio, in: BIS Quarterly Review, December 2015, S. 43-58.

Gambacorta, L./Karmakar, S. (2016): Leverage and risk weighted capital requirements, BIS Working Paper No. 586.

Thelen-Pischke, H./Sawahn, W. (2017): Regulatorische Agenda 2017 für Vorstände und Aufsichtsorgane - wie geht es weiter?, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 70. Jg. (3-2017), S. 116-123.

Fußnoten

1) Vgl. EU-Kommission (2016). Weitere Ausführungen hierzu auch in Thelen-Pischke, H./Sawahn, W. (2017), S. 116 ff.

2) Vgl. Gambacorta, L./Karmakar (2016), S. 8.

3) Vgl. ebenda, S. 23.

4) EU-Kommission (2016), S. 229 ff. Die Vorgaben zur Berechnung der Leverage Ratio werden in Artikel 429 CRR ihren Eingang finden. Insbesondere die Bemessung des Leverage Exposures ("exposure measure") erfolgt durch Ergänzung der Artikel 429a bis 429g. Es sind unter anderem Ausnahmen für durch Förderbanken vergebene, öffentliche Förderkredite oder staatlich garantierte Exportkredite vorgesehen (Art. 429a).

5) 6 Prozent Kernkapital zuzüglich 2,5 Prozent Kapitalerhaltungspuffer.

6) Vgl. Fender, I./Lewrick, U. (2015), S. 45.

7) Vgl. Ebenda.

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