Wachsende Bedeutung von niedrigvolatilen Anlagestrategien

Weltweite Erträge/Risiken nach Volatilitätsdezilen

Dino R. Davis, Institutional Portfolio Manager, London, und Lars Detlefs, Managing Director Deutschland, Frankfurt am Main, beide MFS Investment Management - In Boomphasen entwickeln sich Aktien mit einer vergleichsweise geringen Schwankungsbreite ihrer Kurse zwar eher unterdurchschnittlich. Aber in Zeiten heftiger Kurseinbrüche machen sie dies wieder mehr als wett. Auf diese Beobachtungen gestützt sehen die Autoren der Tendenz nach in einem Aktienportfolio durch den Verzicht auf sehr volatile Papiere die langfristige Performance gestärkt. Als alleiniges Kriterium für eine Risikobegrenzung reicht ihnen der Blick auf die Volatilität allerdings nicht aus. Vielmehr wollen sie bei der Zusammenstellung des Portfolios auch eine angemessene Diversifizierung nach Ländern und Sektoren, die Sicherstellung von Liquidität sowie die Ergebnisse von Fundamentalanalysen berücksichtigt sehen. (Red.)

Die internationale Finanzkrise im Jahr 2008 hatte weltweit gravierende Auswirkungen auf die Kapitalanlage. Der heftige Kurseinbruch nur wenige Jahre nach dem Platzen der Technologieblase hat viele private wie institutionelle Anleger deutlich risikoscheuer werden lassen. Nach der Krise wollten viele Investoren ihre Portfolios stabilisieren und wieder aufstocken.

Bisweilen führte auch die demografische Entwicklung zu höheren Verbindlichkeiten, was ausreichende Erträge noch wichtiger macht. In der Folge haben niedrigvolatile Strategien zunehmend an Akzeptanz gewonnen - als langfristige Lösung für Investoren mit Renditebedarf bei eher niedrigem Risiko.

Risiko und Ertrag

Das Konzept einer risikoarmen Aktienstrategie scheint der traditionellen Sicht zu widersprechen, dass mehr Risiko auch mehr Ertrag bedeutet. Die moderne Portfoliotheorie postuliert, dass man das Risikobudget eines Aktienportfolios nicht senken kann, ohne zumindest auf einen Teil des Ertragspotenzials zu verzichten. Doch in den letzten Jahrzehnten zeigten viele Studien, dass es auch anders sein kann. Empirische Untersuchungen belegen, dass weniger volatile Portfolios ihre Benchmarks auf lange Sicht sogar tendenziell hinter sich ließen.1) Diese Beobachtung bezeichnet man als Volatilitätsanomalie.

Die Volatilitätsanomalie verdeutlicht sich in der Abbildung. Dort ist dargestellt, dass sich die 40 Prozent volatilsten globalen Aktien von 1989 bis 2014 deutlich schlechter als die 60 Prozent am wenigsten volatilen Aktien entwickelt haben. Dieses Muster kann an jedem entwickelten Aktienmarkt festgestellt werden. Die Volatilitätsanomalie ist sehr zyklisch. Vor allem in der Baisse liegen volatile Aktien klar hinten, während niedrigvolatile Aktien an einem Marktaufschwung partizipieren und zugleich in der Baisse wesentlich stabiler sind. Genau das wird auch von niedrigvolatilen Strategien erwartet: In der Hausse, wenn Papiere mit hohem Beta tendenziell erfolgreicher sind, sind niedrigvolatile Portfolios oft schwächer, doch in Zeiten heftiger Kurseinbrüche sorgen sie für Mehrertrag. Weniger ausgeprägt ist dieses Muster in den Emerging Markets. Doch auch hier blieben die volatilsten Aktien in der Baisse hinter weniger volatilen Titeln zurück.

Zinseszinseffekt entscheidend

Der Verzicht auf sehr volatile Aktien steigert die relative langfristige Performance auch aufgrund des Zinseszinseffekts. Entscheidend ist dabei, dass die Wiederanlage der Erträge zu neuen Erträgen führt. Auch spielt die Zeit eine wichtige Rolle: Je mehr Zeit man seine Anlagen gibt, desto größer ist die Aussicht auf Wertzuwachs. Die Erträge sehr volatiler Aktien sind zeitweise niedrig oder negativ. Der Wertzuwachs ist daher geringer, als die sonst üblicherweise aufgrund des Zinseszinseffektes zu erwartende Ertragssteigerung. Man spricht dann vom Volatilitätseffekt.

Der Volatilitätseffekt - also die negativen Auswirkungen von Volatilität auf die Portfolioerträge - wurde von James Mac-Beth quantifiziert. Er schätzte, dass der annualisierte Ertrag um etwa die Hälfte der Portfoliovarianz (also des Risikos) unter dem durchschnittlichen Jahresertrag liegt, wenn man die Varianz als die quadrierte Standardabweichung der Erträge definiert.2)

Eine Rolle spielt auch der Effekt der Verwaltung von Mittelzuflüssen und -abflüssen. Bei einem sehr volatilen Portfolio bereitet dies deutlich mehr Schwierigkeiten. Man stelle sich nur vor, dass unmittelbar vor einem Markteinbruch ein signifikanter Cashflow in Aktien investiert wurde und man genau auf dem Tiefpunkt aufgrund von Mittelabflüssen Aktien verkaufen muss. Dies kann katastrophale Auswirkungen auf ein Portfolio haben und das Verwalten von künftigen Zu- und Abflüssen deutlich erschweren.

Gründe für die Anomalie

Meist wird die Anomalie mit extremen Volatilitätsänderungen oder übertriebenem Marktmomentum erklärt. Beides ist typisch für sehr volatile Aktien. Die Erklärungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: verhaltenspsychologische und strukturelle.

Beispiele für verhaltenspsychologische Erklärungen sind eine gelegentlich hohe Risikoneigung der Investoren - sogenannter Lotterie-Effekt - oder die vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelte Prospect Theory (Neue Erwartungsnutzentheorie). Bei höherer Volatilität neigen Investoren demnach zu Spekulationen und einer größeren Risikobereitschaft. Eine andere verhaltenspsychologische Erklärung hat damit zu tun, dass viele Investoren auf den relativen Ertrag gegenüber einer Benchmark achten und dabei Wert auf eine hohe Partizipation an steigenden Kursen sowie einen niedrigen Tracking Error legen. Viele Portfolios bilden daher die Volatilität der Benchmark ab, anstatt sie zu meiden - mit der Folge, dass sich Schwankungen der Benchmark umso stärker auswirken.

Zu den strukturellen Faktoren zählen neue Technologien und Investmentinstrumente, die bisweilen für mehr Volatilität sorgen. So führten technologische Verbesserungen in den letzten Jahren zu einer ständigen Verfügbarkeit von Informationen und der Möglichkeit, schnell auf sie zu reagieren. Zudem hat die wachsende Bedeutung neuer Anlageformen wie ETFs, Derivate, Hedgefonds und Asset-Allocation-Produkte dazu geführt, dass Investoren sehr schnell sehr viel umschichten können.

Niedrigvolatiles Investieren in der Praxis

Verhaltenspsychologische und strukturelle Faktoren erklären nicht nur die Vergangenheitsentwicklung, sondern legen auch nahe, dass die Volatilität erhalten bleibt. Solange sich Anleger an Benchmarks orientieren, werden Portfolios immer auf Volatilitätsschocks reagieren, und solange es Aktienmärkte gibt, wird es immer Anleger geben, die Risiken suchen und auf bestimmte Einzelwerte setzen. Es ist nicht davon auszugehen, dass Innovationen wieder verschwinden. Die Volatilitätsanomalie wird Bestand haben.

Die Frage lautet also: Lässt sich eine tragfähige Investmentstrategie entwickeln, die diese Anomalie nutzt? Es gibt viele Ansätze, von unterschiedlichen Minimum-Varianz-Strategien über Strategien mit Beta-Ziel bis hin zu einfacheren Konzepten. Im Folgenden werden diese näher beschrieben. Die gebräuchlichsten Ansätze lassen sich zu den Kategorien Niedrigvolatiles Aktienuniversum, Beta-Ziel und Varianzminimierendes Investieren zusammenfassen. Hervorzuheben ist allerdings, dass die empirische Anomalie nicht ohne Vorsicht genutzt werden sollte.

Niedrigvolatiles Aktienuniversum: Bei den auch als "Low-volatility Universe" bezeichneten Strategien wird das Aktienuniversum nach Volatilitätskriterien zusammengestellt, etwa indem Aktien nach Volatilitätskennziffern geordnet werden. Investiert wird ausschließlich in die nach den Kennzahlen stabilsten Titel. So nimmt der S&P Low Volatility ETF nur die 20 Prozent der S&P-500-Aktien mit der geringsten Volatilität auf und gewichtet diese 100 Titel umgekehrt proportional zu ihrer Volatilität in den letzten zwölf Monaten.3) Der Russel Global Defensive Index orientiert sich an einem sogenannten Stabilitätsindikator, der je zur Hälfte aus der gewichteten durchschnittlichen Kurz- und Langfristvolatilität besteht.4)

Üblicherweise werden die Aktien nach ihrer Volatilität innerhalb des Gesamtuniversums klassifiziert und nicht innerhalb von Sektoren oder Regionen. Es kann also hohe Übergewichtungen traditionell stabiler Marktsegmente geben. So werden beispielsweise defensive Sektoren wie Konsumverbrauchsgüter und Versorger sowie Länder wie Japan oft übergewichtet. Dennoch haben die Strategien einiges mit anderen niedrigvolatilen Ansätzen gemein. In der Praxis führt nahezu jedes Volatilitätsziel zu einer Konzentration auf die stabilsten Aktien des Universums.

Beta-Ziel: Strategien mit Beta-Ziel gehen die Volatilitätsbegrenzung systematischer an. Sie beschränken sich nicht auf die stabilsten Aktien eines Universums, sondern können auch in volatilere Titel investieren - so lange das Portfolio-Beta niedriger als das Index-Beta ist. Trotz einiger Korrelation zwischen Beta und Volatilität und der absehbaren Übergewichtung stabiler Aktien wird erwartet, dass ein Portfolio mit Beta-Ziel dem Index enger folgt als eines, das die Volatilität auf andere Weise beschränkt. Dennoch ist das für diesen Ansatz typische langfristige Beta von 0,7 bis 0,8 auch der Durchschnittswert anderer Konzepte zur Volatilitätsbegrenzung.

Varianzminimierend investieren: Die sogenannten Minimum-Varianz-Strategien nutzen einen quantitativen Optimierer. Er ermittelt die Einzelwertgewichte so, dass die erwartete Portfoliovarianz minimiert wird. Ein einfaches Beispiel ist ein Portfolio aus zwei Aktien mit einer geringen Korrelation. Ihre Kombination ergibt ein Portfolio, dessen Varianz niedriger ist als die beider Einzelwerte.

Vorgaben zum Investmentstil und zur Sektor- und Regionenstruktur

Die Risikooptimierung hat den Vorteil, dass man Vorgaben machen kann - etwa zur Sektor- und Regionenstruktur und zum Investmentstil. Der Optimierer steuert die Positionsgrößen systematisch und identifiziert Einzelwerte mit Risikoprofilen, die sich ergänzen.

Ein Kritikpunkt ist allerdings, dass dadurch oft in Aktien mit gegenläufiger Entwicklung investiert wird. Das Risiko einer Aktie, die längere Zeit steigt, könnte durch das Risiko eines Titels mit konsequentem Abwärtstrend kompensiert werden. Die Nettovarianz der beiden Aktien wird niedrig sein. Aber macht es für Investoren wirklich Sinn, in eine schwache Aktie zu investieren, nur weil ihre Korrelation mit anderen Papieren niedrig ist?

Auch wenn sich ein solches Portfolio nach wie vor bei einigen Werten überschneidet, die auch durch die anderen Ansätze generiert wurden, kommt es bei der Varianzminimierung mehr auf einzelwertspezifische als auf systematische Faktoren an. Es geht also um Risiken, die mit dem Marktrisiko kaum oder gar nicht korreliert sind und sich deshalb durch Diversifikation eliminieren lassen (idiosynkratrische Risiken) - anders als das (systematische) Marktrisiko.

Akzeptables Risikoniveau gesucht

Eine Form des Minimum-Varianz-Ansatzes ist die Ziel-Varianz. Der Optimierer strebt hier ein spezifisches, akzeptables Risikoniveau an - im Gegensatz zum minimalen Risikoniveau. Wenn beispielsweise die Marktvolatilität bei einer annualisierten Standardabweichung von 20 Prozent liegt und eine Minimum-Varianz-Lösung zu einer Volatilität von 10 Prozent führt, so kann ein Investor die Einschätzung verfolgen, dass sich ein besseres niedrigvolatiles Portfolio bei einer Zielvolatilität von 11 Prozent erreichen lässt. Letztere Strategie wäre dann bevorzugt.

Unabhängig vom Konzept bestimmt das Volatilitätsziel letztlich die Portfoliogewichte. Weil das Marktrisiko stets von ähnlichen Variablen abhängt, haben alle niedrigvolatilen Strategien ähnliche Eigenschaften. Weltweit anlegende niedrigvolatile Portfolios haben üblicherweise ein Beta von 0,7 bis 0,8, Small Caps sind übergewichtet, die Dividendenrendite liegt etwas über dem Durchschnitt und die Volatilität verringert sich um 25 bis 35 Prozent. Außerdem haben sie die schon beschriebenen Besonderheiten wie eine starke Präferenz für Japan und defensive Sektoren.

Die Stärken von Fundamentalanalysen

Das Risiko sollte aber nicht der einzige Katalysator für die Aktienauswahl sein. Um ein globales Portfolio zu optimieren, ist auch ein gewisses Maß an Fundamentalanalyse notwendig. Eine Optimierung, die ausschließlich auf Risiken basiert, könnte zu Investitionen in illiquide Märkte, schwache Volkswirtschaften und wenig empfehlenswerte Einzelwerte führen, deren Transaktionskosten hoch sind und die nur von wenigen Analysten beobachtet werden. Ein niedrigvolatiles Portfolio schneidet langfristig besser ab, wenn es breit diversifiziert ist, aus liquiden und den Analysten bekannten Aktien besteht sowie Einzelwertanalysen berücksichtigt, anstatt ausschließlich vom Risikoziel getrieben zu sein.

Hochvolatile Aktien meiden: Die Analysen haben gezeigt, dass in den letzten Jahren etwa 30 bis 40 Prozent der Aktien eines internationalen Anlageuniversums sehr volatil waren. Für einzelne Regionen kommt man zu ähnlichen Ergebnissen. Wenn man neben dem Volatilitätsziel auch Einzelwertalphas betrachtet und sich nicht allein auf Diversifikationsvorgaben beschränkt, wird ein Optimierer zumindest einige eher volatile Titel für das Portfolio vorsehen. Dies lässt sich verhindern, indem man sie zuvor aus dem Anlageuniversum entfernt und damit nur in die Titel investiert, die bei fallenden Märkten eher keinen Minderertrag erwarten lassen.

Diversifikation erzwingen: Die Volatilität ändert sich im Laufe der Zeit und weder ihre Ursachen noch das Ausmaß sind immer gleich. Zwar helfen Trendanalysen beim Umgang mit kurzfristigen Portfolioschwankungen, doch kann man über die nächste große Krise nur spekulieren. Die Vorteile der Diversifikation sind allgemein bekannt - eine höhere Streuung verringert die Anlagerisiken. Stabile Sektoren können volatil werden, volatile Sektoren können sich stabilisieren. Und Sektoren, die gerade in Mode sind, können in den Indizes aufgrund steigender Kurse überrepräsentiert sein. Solche Veränderungen sind bisweilen dramatisch, wie sich während der Technologieblase und der internationalen Finanzkrise zeigte. Selbst beim niedrigvolatilen Investieren sind Sektor-und Länderdiversifikation unumgänglich.

Investmentanalysen berücksichtigen: Optimierer sind nur so gut wie ihre Annahmen, trotz aller Theorie. Bei der Konstruktion eines Portfolios mit Risikovorgaben muss man deshalb die Besonderheiten der mathematischen Optimierung berücksichtigen. So kann es vorkommen, dass ein Optimierer die Qualität eines Unternehmens, seine Marktaussichten oder die Kenntnisse der Analysten kaum oder gar nicht erfasst. In den Analysen hat sich gezeigt, dass längst nicht alle schwankungsarmen Aktien attraktiv sind. Value-Investoren drohen manchmal sogenannte Value-Fallen. Analog dazu ist vor Volatilitätsfallen zu warnen, vor niedrigvolatilen Aktien, die trotzdem nicht interessant sind. Außerdem zeigen die Analysen, dass ein gutes Gesamtkonzept den risikoadjustierten Erträgen dienlich sein kann.

Aktienauswahl nicht nur am Risiko orientieren

In einem Umfeld, in dem Investoren nicht nur risikoscheu, sondern auch auf der Suche nach mehr Rendite sind, haben sich niedrigvolatile Strategien als sinnvolle Möglichkeit erwiesen, um beide Ziele zu erreichen. Unabhängig vom jeweiligen Konzept bestimmt das Ziel der Risikobegrenzung letztlich die Portfoliogewichtung.

Die Aktienauswahl sollte nicht allein von ihrem Risiko abhängen. Niedrigvolatile Portfolios entwickeln sich langfristig besser, wenn sie angemessen diversifiziert und liquide sind sowie den Analysten bekannte Aktien enthalten und die Ergebnisse von Fundamentalanalysen berücksichtigen, anstatt sich ausschließlich am Risiko zu orientieren.

Fußnoten

1) Baker, Bradley and Wurgler (2011), Financial Analysts Journal 67(1), January/February: S. 1-15; Clarke, de Silva and Thorley (2010): Know Your VMS Exposure, Journal of Portfolio Management 36(2), Winter, S. 52-59.

2) MacBeth (1995): What's the Long-Term Expected Return to Your Portfolio? Financial Analysts Journal 51, September/October, S. 6-8.

3) S&P Dow Jones Indices Website: http://us. spindices.com/indices/strategy/sp-500-low-volatility-index

4) Russell-Website: http://www.russell.com/indexes/americas/indexes/fact-sheet.page?ic=D42711

Lars Detlefs , Senior Managing Director, Head of Institutional Sales – EMEA , MFS Investment Management, Frankfurt am Main
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