Redaktionsgespräch mit Marija Kolak

"Es musste deutlich gesagt werden, welche Folgen das Handeln der EZB haben kann."

Marija Kolak, Foto: BVR

Als sich im Laufe dieses Jahres immer mehr abzeichnete, dass sich an der lockeren Geldpolitik der EZB nichts ändern wird, wies Marija Kolak als eine der ersten hiesigen Bankenvertreter auf die gravierenden Folgen hin. Wie die Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken im Redaktionsgespräch noch einmal verdeutlicht, hat sie dabei nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Kreditwirtschaft im Blick, sondern vor allem auch die Altersvorsorge der Bevölkerung. An dieser Stelle die bessere Renditemöglichkeiten, etwa durch Aktien und Fondsprodukte aufzuzeigen, hält sie als Chance für ihre Mitgliedsbanken wie deren Kunden. Die Fiskalpolitik in Deutschland und Europa ermuntert sie zu stärker zukunftsgerichteten Staatsausgaben, will Konjunkturprogramme aber nur bei schweren Rezessionen eingesetzt wissen. (Red.)

Frau Kolak, die Rahmenbedingungen, in denen Banken sich bewegen müssen, sind mit einer expansiven Geldpolitik, einer intensiven Regulierung und fortschreitender Digitalisierung schon spannend genug, nun kommt noch die Politik mit immer mehr staatlichen Eingriffen in den Markt dazu. Wie werten Sie das?

Das Wesen der genossenschaftlichen Organisation ist es, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen und danach zu handeln. Hilfe zur Selbsthilfe ist das Leitmotto. Dabei wurde nie auf die Politik gewartet. Die Rahmenbedingungen bis hin zu den staatlichen Interventionen haben eine Qualität, die bis in die gesellschaftlichen Strukturen hinein wirkt.

Nehmen Sie das Beispiel Mietdeckel, nehmen Sie das Beispiel Provisionsverbote, es werden eindeutig falsche Signale ausgesendet. Hier muss dringend ein Umdenken stattfinden, darüber muss diskutiert werden.

Was genau heißt das?

Es ist wichtig, an das große Ganze zu denken. Die Unternehmer benötigen Freiräume, um Werte schaffen zu können. Nur, wenn zuvor Wertschöpfung erzielt und erarbeitet worden ist, kann danach auch verteilt werden.

Was bereitet Ihnen besonders große Sorgen?

Besonders große Sorgen machen mir alle Arten von Provisionsdeckeln oder Provisionsverbote und übrigens auch das Ausbleiben von Reformen bei den Unternehmenssteuern. Diese wurden zwar immer wieder angekündigt, jedoch bislang nicht umgesetzt. Das kann uns, also der deutschen Wirtschaft und dem dreigliedrigen deutschen Bankensystem, im internationalen Vergleich schaden. Mir fehlt die richtige Balance der Maßnahmen.

Und gerade mit Blick auf die Wirkungen von Basel IV sind Provisionsdeckel kontraproduktiv. Der Aufbau von Eigenmitteln kann bei nicht kapitalmarktorientierten Häusern ja primär nur über Gewinne erfolgen. Im Zinsbereich ist nicht mehr viel möglich. Folglich müssen die Provisionserträge gesteigert werden. Eine markt- und aufwandsgerechte Provisionserhebung, bei deren Bewertung zur Verhältnismäßigkeit beispielsweise auch Qualitätskriterien berücksichtigt werden könnten, muss möglich sein.

Was ist mit der Niedrigzinspolitik?

Die Vitaminwirkung der Niedrigzinspolitik wurde gern genommen, um die Staatshaushalte zu entlasten und mitunter eine schwarze Null präsentieren zu können, ohne dass gerade in den hoch verschuldeten Staaten des Euroraums nennenswerte Fortschritte beim Schuldenabbau gemacht wurden. In Deutschland wurden die von der EZB verschafften Möglichkeiten nicht genutzt, um ausreichende Zukunftsinvestitionen in Infrastruktur, in Bildung, in das Gesundheitswesen, die Wohnungsnot und Mietpolitik oder das Thema ländliche Strukturen zu tätigen. Das geht auf Dauer auf Kosten des Wirtschaftswachstums, schadet dem Standort Deutschland und damit den Bürgerinnen und Bürgern.

All das, so habe ich Sie verstanden, schmälert die Möglichkeit unternehmerisch tätig zu sein und Gewinne zu erzielen. Wie gefährlich ist das für die Genossenschaftsbanken?

Es ist dahingehend eine Belastung, als dass die Genossenschaftsbanken als privatwirtschaftlich organisierte Bankengruppe zusätzliches Eigenkapital vor allem aus einbehaltenen Gewinnen generiert. Überschüsse werden zwar auch ausgeschüttet. Das aber ist nicht primäres Geschäftsziel, sondern wir brauchen Gewinne zur Stärkung unserer Substanz und als Grundlage zur Ausfüllung einer wesentlichen Funktion: Genossenschaftsbanken als Motor in regionalen Wirtschaftskreisläufen durch Kreditvergabe. Wenn das über ordnungspolitische Eingriffe erschwert wird, frage ich mich schon nach den dahinterliegenden Interessen. Mit dem Grundverständnis der sozialen Marktwirtschaft hat das nicht mehr viel zu tun.

Spüren Sie denn nicht nur bei Ihren Banken, sondern auch den Kunden, also den Mittelständlern, und vielleicht sogar internationalen Investoren, die in den Wirtschaftsstandort Deutschland investieren wollen, eine gewisse Verunsicherung oder gar Zurückhaltung?

Die Wirtschaft braucht Planungs- und Investitionssicherheit. Wenn die nicht mehr gegeben ist, weil Gesetze sogar rückwirkend geändert werden, wird das nicht ohne Folgen bleiben.

Das jüngste Thema in diesem Zusammenhang ist ein mögliches Verbot der Weitergabe von Negativzinsen an die breite Masse der Privatkunden. Wäre ein solch schwerwiegender Eingriff in die Geschäftspolitik von Unternehmen, sprich Banken, juristisch überhaupt durchsetzbar?

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass wir noch viele Jahre mit Null- und Negativzinsen auskommen müssen. Damit sind wir volkswirtschaftlich betrachtet in einem japanischen Szenario angekommen. Die Art der Geldpolitik wirkt nun nachhaltig. Das ist ein neuer Umstand, der im Zuge unternehmerischer Entscheidungen berücksichtigt werden muss. Um Verwahrentgelte zu erheben, müssen Individualvereinbarungen getroffen werden. Darüber werden die Banken nun nachdenken. Auf der Firmenkundenseite ist dies heute schon üblich, auch bei der Anlage größerer Vermögen werden hier Lösungen zwischen Bank und Kunde getroffen.

Im breiten Privatkundengeschäft gibt es großen Beratungsbedarf, auch weil bei der Finanzbildung der Bürgerinnen und Bürger noch viel getan werden muss. Ich sehe es zum Beispiel als nicht gut für die Vermögensbildung an, wenn das Thema Aktien und Fonds auf breiter Front ignoriert wird. Das erschwert die Altersvorsorge, es werden keine Werte geschaffen, im Gegenteil werden bei Zinsen nahe null und steigenden Preisen Werte vernichtet. Investitionen in Aktien oder Fonds auch über Sparpläne sind langfristig die bessere Entscheidung im Vergleich zu Spareinlagen.

Noch einmal nachgefragt: Wäre ein generelles Verbot der Weitergabe von Negativzinsen an Privatkunden, wie es das Finanzministerium gerade prüft, juristisch durchsetzbar?

Das wäre ein eklatanter Eingriff in die Geschäftspolitik von Banken und Sparkassen. In einer Marktwirtschaft sollten sich Preise am Markt bilden. Dies nützt der Bund übrigens selbst, indem er Staatsanleihen mit negativen Zinsen begibt. Ich bin strikt gegen Verbote und gesetzliche Eingriffe.

Ich möchte noch einmal betonen: Es geht beim Thema Null- und Negativzinsen nicht nur um Banken. Es geht vielmehr um die Bürgerinnen und Bürger und ihre Altersvorsorge. Darüber muss gesprochen und darüber muss aufgeklärt werden. Wenn man da noch weitere gesetzliche Vorhaben wie beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer hinzuzählt, fügt das den Bürgerinnen und Bürgern Schaden zu.

Sie waren auf der Pressekonferenz im Sommer die Erste, die die Notwendigkeit der Weitergabe von Negativzinsen an Privatkunden in Erwägung gezogen hat. Wie waren die Reaktionen?

Es war mir wichtig, die Position unserer gesamten Genossenschaftlichen Finanzgruppe hier bewusst und klar zu benennen. Es musste deutlich gesagt werden, welche Folgen das Handeln der EZB haben kann. Das Thema wurde sachlich aufgenommen und die öffentliche Diskussion kam in Gang.

Gab es Reaktionen vonseiten der Politik?

Die gab es natürlich, in beide Richtungen, also Beipflichtung wie Kritik. Die Nullzinsphase ist keine vorübergehende Erscheinung, sondern der Normalzustand für viele Jahre. Irgendwann muss die Rechnung bezahlt werden. Darum geht es. Und ich bin mir sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger das durchschauen.

Wie bewerten Sie einerseits die Verschärfung des Negativzinses und andererseits die Einführung einer Staffelung durch die Europäische Zentralbank. Wie groß ist die daraus resultierende Erleichterung für die Genossenschaftsbanken wirklich?

Die Verschärfung der Negativzinsen ist eine Überreaktion auf die Abschwächung der Konjunktur im Euroraum. Sie hilft der Konjunktur kaum, verstärkt aber die negativen Nebenwirkungen der Geldpolitik. Die EZB drückt die gesamte Zinskurve nach unten und das ist vor allem für Banken mit einem starken Fokus auf dem traditionellen Einlagen- und Kreditgeschäft eine enorme Belastung. Die Einführung des Staffelzinses kann das nicht ausgleichen. Dennoch begrüßen wir den Staffelzins, denn er führt zu einer fühlbaren Entlastung durch geringere Zinszahlungen an die EZB.

Es gibt aber auch viel Widerstand gegen das neue Programm. Warum hat die EZB mit all ihren Maßnahmen in jüngerer Vergangenheit keinen Erfolg, die Konjunktur stottert, die Verschuldung der Staaten bleibt hoch, die Inflationsrate niedrig?

Das ist in der Psychologie der Menschen verankert. Vermeintlich billiges Geld soll suggerieren, jeder kann sich was leisten, jeder kann konsumieren. Nun wird der Mensch aber nicht nur von der EZB-Politik, sondern noch von vielen andere Faktoren beeinflusst. Und sowohl die geopolitischen wie auch die europäischen Entwicklungen sind von sehr vielen Unsicherheiten geprägt. Dadurch neigen viele Menschen zur Vorsicht, soll heißen zur Hortung von Geld, um sich für bevorstehende Krisenzeiten abzusichern. Dadurch wird gespart und nicht konsumiert.

Besteht dann aber nicht auch die Gefahr, dass die Weitergabe von Negativzinsen dazu führt, dass Bürger sich rational verhalten und ihre Guthaben von den Banken abziehen und unter das Kopfkissen legen?

Es gibt nicht den Kunden schlechthin. Es gibt Kunden, die lehnen Gebühren schlicht ab, es gibt andere, denen sind Sicherheit und Dienstleistung ein gewisses Entgelt wert. Von daher mache ich mir keine Sorgen, dass die Bürger ihre Vermögen unter das Kopfkissen legen.

Wie sähen geldpolitische Entscheidungen aus, wenn Sie sie beeinflussen könnten?

Ich würde auf weitere Anleihekäufe verzichten und die vorhandenen Anleihebestände bei der EZB sukzessive zurückführen. Die EZB hat bereits so viele Anleihen gekauft, dass die Marktpreise die Risiken oft nicht mehr adäquat widerspiegeln, gerade auch bei den hochverschuldeten Staaten. Eine Rückführung würde über höhere Zinsen auch die Gefahr von Zombieunternehmen, die nur durch billiges Geld künstlich am Leben erhalten werden, reduzieren. Eine Bereinigung des Marktes muss möglich sein. Darüber hinaus muss man einmal den Mut haben, Entscheidungen zu revidieren, wenn sich die Umstände ändern. Drittens schließlich würde ich die Messlatte an neue Beitrittsländer zum Eurosystem höher legen.

Wird sich unter Frau Lagarde Wesentliches an der Geldpolitik ändern?

Christine Lagarde ist eine hochrespektable und erfahrene Finanzexpertin und erfüllt alle Anforderungen an eine Notenbankpräsidentin. Gegenüber der Politik muss Frau Lagarde als EZB-Präsidentin die Unabhängigkeit der EZB verteidigen. Sie wird sich an ihren Entscheidungen messen lassen müssen.

Müssten Regelverstöße einzelner Ländern seitens der EU strenger bestraft werden?

Ja, absolut. Es wurden von vielen Ländern Fehler gemacht, unter anderem auch von Deutschland und Frankreich. Das darf aber nicht zu einer Entschuldigung für weitere Vergehen in der Zukunft werden. Man sollte einen Strich ziehen, einen Neustart wagen und die Regeln künftig bei aller notwendigen Flexibilität strikter durchsetzen. Im Ergebnis müssen die Schuldenquoten in den hochverschuldeten Ländern zurückgeführt werden, und das nicht erst am Sankt Nimmerleinstag. Das würde die Glaubwürdigkeit der Politik und die Stabilität deutlich erhöhen.

Was halten Sie von staatlichen Konjunkturprogrammen?

Konjunkturprogramme sind ein wichtiges Instrument der Stabilisierungspolitik, sollten aber nur im Fall schwerer Rezessionen zur Anwendung kommen. Die Fiskalpolitik in Deutschland kann auch heute stärkere Impulse für die Konjunktur setzen, auch innerhalb der Grenzen der Schuldenbremse. Wichtig ist, dass die Staatsausgaben zukunftsgerichtet sind. Sie sollten mit Augenmaß erfolgen und dabei stets das Gesamtbild berücksichtigen und das Gemeinwohl zum Ziel haben. Das vermisse ich aber leider bislang bei den angekündigten Maßnahmen, sowohl auf deutscher wie auf europäischer Ebene.

Wie groß sind die Gefahren, die aus einer konjunkturellen Abkühlung für die Genossenschaftsbanken resultieren können?

Unsere Bankengruppe hat die vergangenen Jahre genutzt, ihre Eigenmittel aus eigener Kraft zu verdoppeln. Wir haben für eine konjunkturelle Abkühlung also ausreichend Puffer aufgebaut, um einen Rückgang des Kundengeschäfts ebenso wie steigende Wertberichtigungen abfedern zu können.

Darüber hinaus steigen aber gerade in einer solchen Phase die Anforderungen an ein nachhaltiges Risikomanagement. Die Neigung mancher Unternehmen zu ökonomisch nicht immer sinnvollen Investitionen ist ob des billigen Geldes ebenso vorhanden, wie der Druck auf die Kreditinstitute, rückläufige Erträge durch eine Ausweitung des Aktivgeschäfts auszugleichen. Da ist es Aufgabe des Risikomanagements und der Vorstände, die in unserer Gruppe zum Glück sehr erfahren sind und schon einige Konjunkturzyklen mitgemacht haben, zu verhindern, dass zu hohe zukünftige Risiken in die Bücher geholt werden.

Haben Sie über die Halbjahreszahlen hinaus Indikationen der Banken zum Geschäftsjahr 2019 bekommen?

Wir sehen, dass der Zinsüberschuss im ersten Halbjahr verglichen mit dem Vorjahr leicht rückläufig ist, die Provisionserlöse sind demgegenüber leicht gestiegen. Die nachlassende Konjunktur hat noch keine Bremsspuren im Kundengeschäft gezeigt.

Wie groß war der Effekt der Übertragung von zinstragendem Geschäft auf die Union Investment auf Zins- und Provisionsüberschuss? Hat das für die Entwicklung eine maßgebliche Rolle gespielt?

Entscheidend ist hier vor allem die Orientierung am Bedarf der Kunden: Die vielen Sparer sind ja die Hauptleidtragenden in der aktuellen Niedrigzinssituation.

Die Banken möchten hier in der genossenschaftlichen Beratung Alternativen zu Sicht- und Spareinlagen aufzeigen, die die Chancen auf bessere Renditen haben und nicht zuletzt mit Blick auf die Altersvorsorge der Kunden die klügere Wahl sein können. Und ja, die Genossenschaftsbanken können dadurch ihre Abhängigkeit vom zinstragenden Geschäft etwas reduzieren, was gerade auf der Passivseite die Luft zum Atmen etwas verbessert.

In Zeiten wie diesen wird natürlich auch immer verstärkt über die Erlösverteilung in einem Verbund diskutiert. Wie nimmt der BVR hier die Rolle des Moderators war?

Aus dieser Diskussion hält sich der BVR heraus. Preisverhandlungen oder Fragen der Erlösverteilungen sind Sache der miteinander kontrahierenden Unternehmen - also der Genossenschaftsbanken und der Unternehmen der Genossenschaftlichen Finanzgruppe - beziehungsweise konkret ihrer jeweiligen Vorstände.

Wie werten Sie die Diskussionen um den Rückzug aus der Fläche und den Vorwurf an die Kreditwirtschaft, die Menschen im Stich zu lassen?

Beim Filialnetz sind wir aktuell bei 10 520 Bankstellen mit persönlicher Beratung vor Ort, ergänzt durch 3 800 SB-Zweigstellen. Damit haben sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken ganz sicher nicht aus der Fläche zurückgezogen. Diese Zahlen werden weiter sinken, da sich das Kundenverhalten sehr deutlich in Richtung online und App-Nutzung ändert. Auch das Handy in der Tasche kann aber Nähe bedeuten.

Banken sind Unternehmen, die wirtschaftlich denken müssen. Wenn ein Standort nicht mehr rentabel betrieben werden kann, muss sich der jeweilige Vorstand über Alternativen Gedanken machen und Entscheidungen treffen. An vielen Stellen vor allem im ländlichen Raum gibt es ernsthafte strukturelle Probleme. Es fehlt an Infrastruktur, es fehlt an Arbeitsplätzen und damit fehlt es an Perspektiven für die Menschen, die hier leben sollen. Das zu ändern ist nicht Aufgabe von Banken und Sparkassen. Solange es Geschäftsmöglichkeiten in den Regionen gibt, sind Kreditinstitute auch vor Ort präsent.

Wie bewertet Sie die Fortschritte bei der Bankenunion und der Kapitalmarktunion - reicht das aus, um den EU-Finanzbinnenmarkt im Wettbewerb mit den USA und den Chinesen zu stärken?

Die im Rahmen der Bankenunion immer wieder diskutierte Einführung einer Europäischen Einlagensicherung lehnen wir unverändert ab. Die damit verbundene grenzüberschreitende Risikoteilung könnte im Bankensektor ähnliche Transferwirkungen wie eine Fiskalunion ausüben. Wir befürchten zudem, dass der Fortbestand unseres seit 85 Jahren bewährten Institutssicherungssystems gefährdet würde. Die Kapitalmarktunion sehe ich demgegenüber grundsätzlich positiv, sofern sie als Ergänzung zur weiterhin zentralen Bankfinanzierung verstanden wird. Effizientere Märkte können Anleger und Unternehmen mit Finanzierungsbedarf sowohl innerhalb der Mitgliedstaaten als auch grenzübergreifend wirksamer und kostengünstiger zusammenbringen. Allerdings darf die Kapitalmarktunion nicht primär als Regulierungsthema verstanden werden. Es kommt auf die Attraktivität der Märkte an, gerade auch mit Blick auf den internationalen Wettbewerb. Und da sind vor allem die Regierungen der Mitgliedsstaaten gefragt.

Wie beobachtet und begleitet die BVR-Präsidentin die aktuellen Entwicklungen bei der Fiducia & GAD, die ja mitunter Auswirkungen auf den gesamten Verbund haben?

Die genossenschaftliche IT ist, wie in vielen anderen Häusern auch, mit einer Rekordzahl bankfachlicher Themen konfrontiert, andererseits muss sie selbst auch immer mehr regulatorische Anforderungen erfüllen. Dies ist den genossenschaftlichen Anteilseignern, Aufsichtsrat und Vorstand vollkommen bewusst und hier werden auch die relevanten Entscheidungen getroffen.

Resultieren aus den Belastungen bei der Fiducia & GAD auch Probleme bei der Digitalisierungsoffensive, die Sie vor etwa einem Jahr ausgerufen haben?

Ich mache mich weiterhin stark für die Digitalisierungsoffensive, denn dies sind die in die Zukunft gerichteten Themen. Ich schaue mir die Fortschritte durchaus auch persönlich an und habe vor einigen Wochen die Business Solution Teams besucht und gesehen, wie 450 Menschen intensiv daran arbeiten, die Digitalisierungsoffensive zu realisieren. Die ersten Tests in den Banken laufen und im Herbst kommen die ersten Auslieferungen. Die besondere Beanspruchung der Fiducia & GAD aus den Migrationsthemen heraus hat keine Auswirkungen auf diese Initiative.

Was sind die Lehren aus dem Fusionsprozess zur Fiducia & GAD?

Sie müssen das ganze Bild sehen. Natürlich gab es durch das Zusammengehen von GAD und Fiducia neben IT-architekturellen auch kulturelle Unterschiede zu bewältigen. Das geht nicht von heute auf morgen, das braucht Zeit. Wichtig ist mir aber festzuhalten, dass der komplexe Prozess der Migration auf ein IT-Verfahren zum Jahreswechsel zu einem erfolgreichen Abschluss kommen wird - dies war ja der entscheidende Antrieb für die Fusion. Alle wichtigen Termine, etwa für Instant Payments oder die PSD2, wurden dabei von der Fiducia & GAD gehalten. Eine wesentliche Erkenntnis ist sicher, dass im IT-Bereich generell möglichst frühzeitig die notwendigen Ressourcenausstattungen transparent gemacht werden.

Wie sehr wird der Open-Banking-Ansatz das Bankgeschäft und die Banken in Zukunft noch verändern?

Der Stellenwert wird sicherlich spürbar zunehmen. Weniger im hochkomplexen, beratungsintensiven Geschäft, aber bei Standarddienstleistungen. Ich glaube aber nicht, dass Banken dadurch überflüssig werden, wie mitunter ja schon geargwöhnt wird. Banken haben nach wie vor eine Kundenrelevanz. Sie müssen nun daran arbeiten, in der Lebenswelt des Kunden noch präsenter zu werden und vor allem das Bewusstsein beim Verbraucher zu schärfen, dass sie für ihn da sind. Banken müssen zum Kunden gehen, nicht mehr umgekehrt. Da können wir von den Fintechs und den großen Technik- und IT-Unternehmen lernen. Auch wenn ich betonen möchte, dass sich die Kreditgenossenschaften nie in einen digitalen Einheitsbrei begeben werden. Gerade auch im Sinne des Verbraucher- und Datenschutzes ist es unser Ansatz, dass immer ein Mensch Ansprechpartner bleibt.

Müssen die deutschen Banken nicht noch viel stärker zusammenarbeiten, um Strukturen und Prozesse zu erarbeiten, die nachhaltig wettbewerbsfähig sollen?

Es finden im Rahmen der DK gute Gespräche statt. Eine Bankengruppe kann den Wettbewerb künftig allein jeden - falls nicht gewinnen. Daher beschäftigen sich Banken und Sparkassen in Deutschland intensiv mit den Veränderungen der gesamten Branche. Technologische Entwicklungen, Veränderungen im Wettbewerbsumfeld und regulatorische Fragestellungen sind Gegenstand von Gesprächen, zu denen sich Verbände und Mitgliedsinstitute austauschen.

Marija Kolak, Präsidentin, Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. (BVR), Berlin
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