Von Europa lernen

Innovationenim Versicherungsbereic:h das Beispiel Großbritannien

Mit dem Wort Innovationen gehen Finanzdienstleister in diesen Tagen vorsichtig um. Einige hochrangige Bankvertreter fassten die aktuelle Lage während einer Tagung in Frankfurt am Main mit den Wor ten zusammen: "Wir hatten genug Innovation, der Trend heißt zurück zu den Wurzeln". Innovative Finanzinstrumente gelten derzeit als Teufelszeug und einige wenige davon als Auslöser der aktuellen wirtschaftlichen Talfahrt.

Paradox: Noch vor wenigen Jahren galten die deutschen Banken und Finanzdienstleister als langsam, innovationsfeindlich und damit dem Wettbewerb ausländischer Institute nicht mehr gewachsen. Fakt ist, ohne Innovationen kann keine Industrie dauerhaft überleben. Häufig entstehen innovative Produkte oder Prozesse durch ausländische Anbieter, die Geschäftsmodelle aus ihrem Heimatmarkt übertragen und dabei als Nischenplayer starten.

Oft entwickelt sich aus diesen kleinen Anfängen eine Dynamik, die den gesamten Markt strukturell erheblich verändert. Ein Beispiel hierfür waren Anfang der neunziger Jahre US-amerikanische Banken, die mit Angeboten preisgünstiger, internetbasierter Kontoführung eine Konsolidierungswelle der deutschen Filialnetze einläuteten.

Einheimische Finanzdienstleister sind mit etablierten Produkten am Markt ...

Interessanterweise entstehen im deutschen Finanzdienstleistungsmarkt Produktinnovationen ausländischer Anbieter nicht oder nur selten durch die Einführung neuer Produktkategorien, sondern durch das Übertragen etablierter Produkte und Dienstleistungen auf eine Vielzahl von Lebenssituationen der potenziellen Kunden. Der Hintergrund, weshalb einheimische, deutsche Finanzdienstleister selten zu den Innovatoren in ihrem Heimatmarkt gehören, ist kulturell bedingt und nachvollziehbar. Anbieter, die seit vielen Jahren mit ihren etablierten Produkten an einem Markt erfolgreich sind, sehen nicht die Notwendigkeit oder scheuen die Kosten für die Einführung innovativer Produkte.

... und ausländische Anbieter ergänzen deren Palette

Ausländische Dienstleister, die in einem neuen Markt mit starker heimischer Konkurrenz erfolgreich sein wollen, müssen Nischen finden, in denen sie erfolgreich Produkte vermarkten können, die in dieser Form von keinem inländischen Unternehmen angeboten werden. Häufig entwickeln sie diese nicht in Konkurrenz, sondern in Ergänzung zu bestehenden Angeboten der einheimischen Anbieter.

Ein besonders erfolgreiches Instrument ist zum Beispiel die Absicherung laufender Lebenshaltungskosten im Falle längerer Krankheit oder Arbeitslosigkeit. Dieses Produkt wurde bislang als reine Kreditausfallversicherung angeboten, entwickelt sich aber zunehmend zu einer Produktfamilie, die sämtliche Kosten des Alltags eines Kunden abdecken kann - vom Lebensmitteleinkauf über die Leasingrate fürs Auto bis hin zur Lebensversicherungsprämie. Das Beispiel Großbritannien mit seinem sehr dynamischen Versicherungsmarkt zeigt, wohin die Reise in Deutschland gehen kann. Briten gelten im Vergleich zu den Deutschen als kritischere und wechselwilligere Finanzdienstleistungskunden. Sowohl die Regulierungsbehörden als auch die Assekuranzwirtschaft haben sich darauf eingestellt: Daher gilt Fairness gegenüber dem Verbraucher noch stärker als hierzulande als wesentlicher Vertragsbestandteil und prägt das Verhältnis der Vertragsparteien.

So gibt es zum Beispiel in Großbritannien eine obligatorische Maximallaufzeit von einem Jahr für einen KFZ-Versicherungsvertrag. Danach läuft die Police ohne Kündigungsfrist automatisch aus und der Kunde kann sich einen neuen Anbieter suchen. Entsprechend groß ist die Angebotsvielfalt und das Bemühen der Versicherer, den Kunden immer wieder aufs Neue von sich zu überzeugen.

Fairness gegenüber dem Kunden könnte sich neben betriebswirtschaftlich soliden Produkten zu einem echten Unterscheidungsmerkmal und zu einem Innovationstreiber auch in Deutschland entwickeln. Dass dies leider noch nicht immer der Fall ist, zeigen immer wieder Beispiele bei der bereits erwähnten Versicherung gegen Zahlungsausfälle im Kreditgeschäft.

Mit Transparenz und Kundenschutz zu neuen Einkommensquellen

Manch einer Bank galt die Restschuldversicherung als Gelegenheit, einkommensschwächeren Kunden neue Kredite zu verkaufen und darauf zu vertrauen, dass die Versicherung bei Störungen der Rückzahlung einspringen wird. Genau hier steckt das Problem: Ein innovatives, gutes Produkt wie die Restschuldversicherung kann bei unlauterem Einsatz genau das Gegenteil bewirken. Viele Innovationen aus dem wenig regulierten Finanzmarkt Großbritanniens gerieten so in der Vergangenheit in Verruf.

In Großbritannien sind derzeit Versicherungsprodukte auf dem Vormarsch, die nicht auf Kreditausfallrisiken basieren, sondern alle möglichen Lebensstil erhaltenden Ausgaben sichern. In Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit und immer fragmentierterer Erwerbsbiographien ist das ein Angebot, das sicherlich auch hierzulande auf rege Nachfrage stoßen wird. Ziel dieser Produkte ist es, Versicherten, die ihre Arbeit verlieren, die Sorgen über den Lebensunterhalt zu nehmen und so die Jobsuche zu erleichtern.

Erste positive Erfahrungen hat Genworth Financial Services mit dem jüngst in Deutschland etablierten Produkt "Income Protector" gemacht: Eine private Versicherung, die im Falle der Berufsunfähigkeit für einen bestimmten Zeitraum die Differenz zwischen staatlicher Unterstützung und der tatsächlichen Höhe der laufenden Lebenshaltungskosten des Versicherten deckt.

In Deutschland wird beispielsweise etwa jeder Dritte in der Baubranche Beschäftigte aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls berufsunfähig. Dies zeigt die Notwendigkeit guter Absicherungsprodukte. In finanziell unsicheren Zeiten wie diesen ist davon auszugehen, dass Verbraucher vermehrt Interesse an Produkten haben, die ihnen helfen, bei Arbeitslosigkeit oder Krankheit die Stromrechnung, die Studiengebühren der Kinder, die Vorsorgeaufwendungen wie Fondssparpläne und andere laufende Ausgaben abzu sichern.

Aufklärung über Chancen und Risiken

Damit sich diese Innovationen erfolgreich etablieren und zu einer zusätzlichen Einkommensquelle im margenschwachen Massengeschäft führen können, ist der alte britische Grundsatz der Fairness oberstes Gebot.

Nur wer seinen Kunden die Vor- und Nachteile dieser Zusatzprodukte, die Kosten und Konditionen offen und transparent kommuniziert, wird damit dauerhaft neue Kunden an sich binden können. Denn die Vergangenheit hat deutlich gezeigt: Riskant sind in den wenigsten Fällen die Produktinnovationen selbst - riskant und fahrlässig handelt, wer diese ohne gewissenhafte Aufklärung über Chancen und Risiken an Dritte verkauft.

Alexander Hoffmann , Geschäftsführer , AXA Partners Deutschland und Schweiz, Köln
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