Kartenstrategie

Girocard: Sprachlosigkeiten zu überwinden ist das Ziel

Die Rahmenbedingungen im Kartengeschäft unterliegen derzeit so umfassenden Veränderungen, dass die Frage durchaus angebracht erscheint, ob die Dynamik im Kartengeschäft überhaupt noch beherrschbar ist. Aus der deutschen Kreditwirtschaft heraus werden hierzu, je nach unterschiedlichen Interessenslagen und definierten Kernzielgruppen eher beim Kartenemissions- oder im Kartenakzeptanzgeschäft, vielfältige Antworten gegeben. Schlagzeilen aus der aktuellen Presseberichterstattung wie

Ringen mit den Regulatoren: Wie viel Eigenständigkeit braucht Europa?

EAPS: Ein Meilenstein ist geschafft,

Monnet-Projektgesellschaft: Neue Konkurrenz für Visa & Co,

Banken bekämpfen sich am Geldautomaten: Kartellamt prüft die Vorgänge,

Kuchen und Cash: Bargeldziehen in Supermarkt und Tankstelle,

WestLB baut Partnerschaft mit Bonusprogramm Payback aus,

machen dies deutlich und zeigen zugleich die ganze Bandbreite regulatorischer und wettbewerblicher Herausforderungen auf. Können gemeinschaftlich organisierte Zahlungssysteme mit dieser Dynamik noch Schritt halten?

Als Klammer für die gesamte deutsche Kreditwirtschaft dient bislang das gemeinsame Girocard-System (früher als electronic cash bezeichnet). Es ist nach wie vor der unangefochtene Marktführer in Deutschland. Ist Girocard jedoch auch in einem sich rasch verändernden Umfeld angesichts des zunehmenden Konditionendrucks aus Europa, drohender Bereichszersplitterungen im Issuing, eines verstärkten Wettbewerbs beim PoS-Acquiring und einer Aushöhlung des nationalen Geldautomatennetzes durch Cash-Back, Maestro und Visa auf Dauer noch zukunftsfähig?

Girocard - quo vadis?

Ich bin davon überzeugt, dass dies auch weiterhin der Fall sein wird. Die Wettbewerbsfähigkeit von Girocard zeigt sich in der Marktrealität: Girocard ist das einzige Zahlungsverfahren im deutschen Einzelhandel, das über viele Jahre hinweg sowohl in absoluten Zahlen erheblich gewachsen ist als auch Marktanteile dazugewonnen hat (siehe Abbildungen).

So geht der 2008 zu verzeichnende weitere Rückgang von Bargeldtransaktionen im deutschen Einzelhandel ausschließlich auf das Konto von Girocard. Und: Dieser Erfolg konnte in einem der wettbewerbsintensivsten Märkte Europas vor dem Hintergrund der Einführung der Sepa und des Wandels ehemaliger Zahlungssystempartner zu Konkurrenten im deutschen Markt erreicht werden.

Girocard hat auch weiterhin hervorragende Entwicklungschancen, denn anders als manche zurzeit intensiv diskutierte Systemidee muss das System nicht neu entwickelt werden, sondern existiert bereits und funktioniert dabei im Milliarden-Transaktionsbereich erfolgreich und reibungslos. Es basiert auf hohen Sicherheitsanforderungen und genießt daher zu Recht großes Verbraucher- und Händler vertrauen. So wurde der Einsatz von Kartenduplikaten innerhalb des Giro- card-Systems durch frühzeitige Investitionen in das MM-Merkmal an Geldautomaten und in die Chip-Technologie am Point of Sale schon immer wirkungsvoll verhindert.

Roadmap sichert Zukunftsfähigkeit von Girocard

Gleichzeitig bleibt Girocard nicht auf dem Erreichten stehen. Vielmehr sichert eine klare Weiterentwicklungs-Roadmap mit auch vom Handel anerkannten Verbesserungen die Zukunftsfähigkeit des Systems. So wird Girocard ab 2011 zum rein chipbasierten Zahlungssystem werden. Dies ist ein bedeutender weiterer Entwicklungsschritt. Bislang musste die traditionell hohe Sicherheitsphilosophie der deutschen Kreditwirtschaft stets auch mit entsprechend höheren Investitionen bei den Ter minals und in der Akzeptanzinfrastruktur erkauft werden, was diese komplexer und teurer machte. Mit der Migration von Girocard zu einem rein chipbasierten Zahlungssystem kommt es nun zu einer Umkehr dieses Prinzips.

Höchste Sicherheit auf Basis einer konsequenten Nutzung der Chiptechnologie und eine kostengünstige, effiziente PoS-Infrastruktur als die beiden entscheidenden Qualitätskriterien für ein Zahlungssystem sind damit keine Gegensätze mehr. Girocard wird das erste Zahlungssystem sein, das diese Vorteile realisiert. Als Folge hieraus können die Terminalanforderungen in dem System künftig erheblich vereinfacht werden. Hiervon wird der Handel profitieren, da ihm dadurch die Nutzung kostengünstigerer und flexibler verteilter Terminals ermöglicht wird.

Einbindung in die Euro Alliance of Payment Schemes

Weitere zählbare Vorteile des Girocard-Systems sind seine technische Flexibilität durch die konsequente Nutzung der Seccos-Chip-Plattform und seine Wettbewerbsorientierung durch die Entflechtung einzelner Funktionen. Dies stärkt einerseits die Innovationskraft des Systems und gibt im Weiteren den Akzeptanzpartnern die Möglichkeit zur individuellen Konfektionierung der unterschiedlichen Angebote der verschiedenen am System beteiligten Dienstleister entsprechend ihren speziellen Preis- und Qualitätsanforderungen.

Zudem ist Girocard mit der Ausdehnung des Systems auf einige Nachbarländer sowie durch die Einbindung in die Euro Alliance of Payment Schemes (EAPS) Sepa-tauglich. Die EAPS ist integraler Bestandteil der Sepa-Strategie für Girocard. Damit wird bei grenzüberschreitenden Transaktionen eine größere Unabhängigkeit von den internationalen Zahlungssystemen erreicht.

Kombinationsmöglichkeiten mit der Geldkarte

Eine weitere Herausforderung für die Zukunft besteht darin, in Zeiten sich abschwächender Wachstumsraten in den klassischen Kartenzahlungssegmenten neue Transaktionspotenziale zu erschließen. Bei der Terminalausstattung im deutschen Einzelhandel ist der Sättigungspunkt zwischenzeitlich weitgehend erreicht. Die Anzahl der PoS-Terminals wird daher in der Zukunft nur noch leicht wachsen. Ein weiteres Zurückdrängen des Bargeldanteils wird daher nur entweder über eine forcierte Kartennutzung durch die Karteninhaber oder aber durch die Erschließung neuer Transaktionssegmente für Kartenzahlungen möglich sein.

Das derzeit noch größte unerschlossene Segment stellen die Kleinbetragstransaktionen dar. Die vielfach zu Unrecht gescholtene Geldkarte erfüllt bereits alle Anforderungen an eine effiziente Zahlungsabwicklung. Trotzdem hat sie sich bislang außerhalb des Automatensektors noch nicht im gewünschten Maß durchsetzen können. Durch eine bessere Ergänzung von Geldkarte und Girocard sollte sich dies künftig ändern lassen.

So gehen die Überlegungen des ZKA derzeit dahin, Einzelhändlern eine Kombinationsmöglichkeit des Girocard- und des Geldkarte-Systems anzubieten. Hier bei soll dem Karteninhaber bei Einkaufsbeträgen bis 20 Euro automatisch die Wahlmöglichkeit zwischen den beiden Zahlungssystemen angeboten werden. Entscheidet sich der Karteninhaber für die Zahlung mit der Geldkarte, würde dann bei nicht ausreichendem Rest-guthaben eine Ladung der Geldkarte, über 30 Euro am PoS und die Bezahlung aus dem neuen Guthaben er folgen. Damit wird die Geldkarte für kleinere Transaktionsbeträge immer verfügbar.

Für Handel, Kreditwirtschaft und Karteninhaber ergibt sich hieraus eine Win- Win-Situation. Der Handel profitiert von schnelleren Check-out-Zeiten und den günstigeren Transaktionskosten des Geldkarte-Systems, die Kreditwirtschaft durch die Vermeidung ineffizienter Kleinbetragstransaktionen im Girocard-System und der Karteninhaber muss seine Geldkarte künftig nicht mehr im Vorhinein am SB-Terminal oder im Internet aufladen, sondern kann dies erst im Zuge des Karteneinsatzes tun. Erste Implementierungen dieses neuen Angebotes könnten ab Ende 2010 erfolgen.

Eine Innovation, die mehr Aufmerksamkeit verdient, soll an dieser Stelle noch erwähnt werden: die Bay-Arena-Card. Sie ist seit Saisonstart 2009/2010 sowohl kontaktloses elektronisches Ticket für Clubmitglieder und Dauerkarteninhaber als auch multifunktional an allen Geldkarte-Akzeptanzstellen einsetzbar. Diese schlüsselfertige, offene Lösung für kontaktloses Bezahlen steht auch für andere Einsatzumgebungen zur Verfügung.

Sicherung der Erträge im Zahlungsverkehr

Vielleicht die größte Stärke des Girocard-Systems zeigt sich jedoch in der Möglichkeit zu differenzierten Ausgabestrategien, die von den deutschen Kartenherausgebern zunehmend wahrgenommen werden. Das Girocard-System bleibt dabei der gemeinsame Nenner der in Deutschland emittierten Debitkarten. Dagegen ändern viele Kartenemittenten ihre Co-Branding-Strategien. Bis Ende 2007 waren noch zirka 95 Prozent aller deutschen Karten auch mit einem Maestro-Logo ver sehen. Diese bisherige enge Verknüpfung der beiden Systeme Girocard und Maestro ist zwischenzeitlich bereits Vergangenheit.

Für die Volksbanken und Raiffeisenbanken kann zu Recht in Anspruch genommen werden, mit der Ausgabe erster VR-Bank-Cards mit Cirrus-Co-Branding im Herbst 2008 und von VR-Bank-Cards mit V-Pay-Co-Branding im Herbst 2009 Vorreiter dieser sinnvollen Entwicklung gewesen zu sein. Weitere wichtige deutsche Kartenemittenten, unter anderem die Postbank, die Landesbank Baden-Württemberg und die Landesbank Berlin werden bereits Anfang 2010 mit eigenen Debitkarten im V-Pay-Co-Branding folgen.

Durch diese erfolgreich in Gang gesetzte Produktdifferenzierung im Debitkartengeschäft kann zum einen entgegen gewirkt werden, dass die Girocard-Abwicklung innerhalb Deutschlands durch die internationalen Zahlungssysteme unterlaufen wird. Zum zweiten erlaubt eine Produktdifferenzierung auch ein differenziertes Pricing gegenüber den Karteninhabern, indem je nach Einsatzrahmen der Kartenprodukte unterschiedliche Preisstrategien, auch im Rahmen von Kontomodellen, angewandt werden können.

Bei Girocard also alles eitel Sonnenschein?

Die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Giro-card-Systems sind wohl abgesteckt. Gleichwohl gilt nach wie vor die Ausgangsanalyse. Die Komplexität im Kartengeschäft nimmt fortlaufend zu, und der Druck auf die Erträge aus dem Einsatz der Karten hält zugleich weiter an.

Die Kernherausforderung liegt daher meines Erachtens darin, die vielfach bestehenden Sprachlosigkeiten sowohl innerhalb des deutschen Kreditgewerbes als auch mit dem Handel, die sich in den letzten Jahren verstärkt entwickelt haben, umzukehren und zu überwinden.

So sind vor allem Verständigungen auf eine neue Entgeltvereinbarung bei Fremdverfügungen von Kunden am Geldautomaten, ein aktives Angebot von Cash-Back im Girocard-System, die Verknüpfung der Roadmaps von Girocard, EAPS und Monnet sowie eine aktive Kommunikation von Sepa-Cards-Clearing (SCC) als Angebot für ELV überfällig. Dies schafft einen langfristigen Orientierungsrahmen für alle Teilnehmer im Markt des elektronischen Bezahlens und zugleich Investitionssicherheit für den Weg in eine ausschließlich chipgestützte Kartenwelt.

Wenn sich die deutsche Kreditwirtschaft wieder mehr darauf besinnt, bei diesen Themen an einem Strang zu ziehen, wird das Girocard-System auch im Sepa-Zeitalter weiterhin eine Erfolg versprechende Zukunft haben.

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors beim Bankkarten-Forum 2009.

Dr. Andreas Martin , Mitglied des Vorstands , Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (BVR), Berlin
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