Kontaktloses Zahlen

Girogo - ein Meilenstein für den Markt des mobilen Zahlens

Mobile Payment ist in aller Munde - zahlreiche Unternehmen wittern hier ein boomendes und vor allem auch international skalierbares Geschäft. Kunden wiederum lieben ihr Smartphone und wollen es als Geldbörse nutzen. Doch bisher kommt der Markt in Deutschland nicht ins Rollen.

Das kann sich nun ändern - und das, obwohl das Handy zunächst außen vor bleibt: Das Pilotprojekt "Girogo" des Spar kassen- und Giroverbands ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zum kontaktlosen Bezahlen in Deutschland. Denn erstmals stattet ein Marktteilnehmer eine signifikante Anzahl von ec-Kar ten mit NFC-Chips aus und stellt zudem die nötige Infrastruktur für Handelspartner bereit. Anhand von sieben Thesen soll jetzt erläutert werden, warum Girogo ein Meilenstein für den Megamarkt Mobile Payment sein kann, wie sich der Markt entwickeln wird und welche Rolle die Banken dabei spielen.

These1: Eines für alles - der Kunde ist bequem.

Das Smartphone ist heutzutage der treueste aller Lebensabschnittsgefährten: Es sichert den Kontakt mit Geschäftspartnern genauso wie mit Freunden und Familienmitgliedern, unabhängig von Raum und Zeit. Das Smartphone ist zudem Notizbuch, Nachschlagewerk, Stadtplan, Musikplayer und gegebenenfalls sogar Freundin in einem - Apples Siri sei Dank.

Mit Mobile Payment kommt eine weitere äußerst nützliche Eigenschaft hinzu: Das Handy wird zur elektronischen Geldbörse. Durch einen in das Gerät eingebauten Chip wird der Bezahlvorgang am Terminal per Funk ausgelöst. So wird vor allem das Bezahlen von kleinen Beträgen wie Fahr karten, Parkscheinen oder im Restaurant vereinfacht. Die (oftmals erfolglose) Suche nach passendem Kleingeld hat ein Ende.

These 2: Das "Henne oder Ei"-Problem hemmt den Fortschritt.

Ein funktionierendes Mobile-Payment-System besteht aus zwei elementaren Komponenten: einem Chip im Smartphone, um den Zahlvorgang auszulösen, und der passenden Infrastruktur am sogenannten Point of Sale (PoS), also dort, wo eine Ware oder ein Gut bezahlt wird.

Auch wenn es theoretisch verschiedene Möglichkeiten für kontaktloses Zahlen gibt, so hat sich die sogenannte "Near-Field-Communication" (NFC) als technischer Standard für die Übertragung von Daten durchgesetzt. Mit einem solchen Chip ausgestattete Smartphones sind bereits seit einigen Jahren erhältlich, Nokia war hier einer der ersten Anbieter.

Damals gab es allerdings kaum Möglichkeiten, diese Technologie für Mobile Payment oder andere Dienste zu verwenden. Als Smartphone der neueren Generation ist beispielsweise das Samsung Nexus mit NFC-Technologie ausgestattet - im Gegensatz zu den i-Phones von Marktführer Apple.

In Deutschland kann die neue Technik - als NFC-Chip auf Karten - bislang nur an wenigen Orten wie etwa am Frankfurter Flughafen genutzt werden. Hierzu werden unter anderem Angebote von Kreditkartenfirmen wie Paypass (Mastercard) und Paywave (Visa) genutzt. Viele Einzelhändler zögern, in den Aufbau der Infrastruktur zu investieren, weil nicht sichergestellt ist, dass eine kritische Masse diese nachfragt. Nicht zuletzt, weil viele sich an die Einführung eines anderen alternativen Bezahlsystems mit nur geringem Erfolg erinnert fühlen: der Geldkarte. So belauern sich die einzelnen Marktteilnehmer gegenseitig. Stillstand statt Fortschritt ist an der Tagesordnung.

These 3: Der Kampf um den Kunden ist entbrannt.

Die Abwicklung von Zahlungsverkehrsströmen ist das ureigene Kerngeschäft der Banken. Diese Struktur wird allerdings mehr und mehr aufgebrochen. Innovative Anbieter wie Paypal stehen für neue, innovative Formen des digitalen Bezahlens. Die großen Internet-Unternehmen verfügen über das nötige Budget und die Marktdurchdringung, um beim Mobile Payment eine wichtige Rolle einzunehmen.

Ein Vorreiter ist Google, der mit "Google Wallet" ein mobiles Zahlverfahren entwickelt hat, das kontaktloses Bezahlen per Smartphone App ermöglicht. Der Suchmaschinengigant nimmt auch den Aufbau der Infrastruktur selbst in die Hand: So stellt er in den USA im Rahmen von Pilotprojekten Einzelhändlern entsprechende Terminals zur Verfügung und erhebt derzeit keine Gebühren für Transaktionen.

Apple entwickelt mit i-Wallet einen ähnlichen Service weiter. Neben Google und Paypal drängen zahlreiche weitere Player in den Markt, Kreditkartenunternehmen schließen sich mit Telekommunikationsunternehmen zusammen wie jüngst Visa und Vodafone und entwickeln eigene Lösungen zum mobilen Bezahlen.

Banken treten in diesem Markt bisher wenig in Erscheinung - und werden auch nicht zwingend gebraucht: Der Zahlvorgang wird durch einen Chip auf dem Smartphone ausgelöst, die Bezahlung selbst kann über die Mobilfunk- oder Kreditkartenabrechnung erfolgen, wobei letztere vorerst die häufiger genutzte Variante sein wird. Wozu also eine Bank mit einbinden?

Genau dieser Aspekt sollte Banken in Alarmbereitschaft versetzen: Wenn eines Tages der Begriff "bezahlen" primär mit einem Smartphone-Hersteller oder einem Suchmaschinenbetreiber assoziiert wird, werden Banken zunehmend aus dem Zahlungsprozess verdrängt. Wie können Banken also Teil des Marktes bleiben?

These 4: Girogo ist richtungsweisend für den deutschen Markt.

Mit dem Pilotprojekt Girogo des DSGV kommt nun endlich Bewegung in den deutschen Markt für kontaktloses Bezahlen. Die Banken und Sparkassen haben lange gezögert, sich in diese Richtung zu bewegen, zu präsent war das Negativ-Beispiel der Geldkarte: Gut gemeint sollte sie die Zahlung von kleinen Beträgen erleichtern und fand dennoch keine breite Akzeptanz.

Ab April 2012 werden durch Sparkassen ec-Karten mit NFC-Chip ausgegeben, mit denen kontaktlos bezahlt werden kann. Auch hier muss die Karte zuvor aufgeladen werden, allerdings ist Fortschritt erkennbar: Mit der Funktion "Abo-Laden" wird ein Guthaben automatisch am PoS bereitgestellt, sollte der vorhandene Betrag für den Einkauf nicht ausreichen. Die B+S Card Ser vice stattet Einzelhandelsketten wie Douglas, Thalia und Edeka mit entsprechenden Bezahlterminals aus. Dieser Aspekt ist entscheidend: Denn nur wenn genügend Händler Infrastrukturen bereitstellen, wird die Nachfrage auf Kundenseite befeuert. Das Projekt ist zunächst auf die Region Hannover-Braunschweig-Wolfsburg beschränkt - ab August soll Girogo deutschlandweit ausgerollt werden. Die Sparkassen sehen im kontaktlosen Bezahlen einen lukrativen Markt, denn sie verdienen bei jeder Zahlung, die mit einer ec-Karte getätigt wird. Entsprechend groß ist das Inter esse, Bargeldzahlungen durch Kartenzahlungen zu ersetzen, denn immer noch werden über 90 Prozent der Beträge bis 20 Euro mit Bargeld bezahlt.

Die durch Girogo aufgebaute Infrastruktur können auch Kunden anderer Geldinstitute nutzen. Damit wird ein entscheidender Stein für Mobile Payment in Deutschland ins Rollen gebracht - da die gleiche Technologie auch in Smartphones enthalten ist.

These 5: Die Bank muss in die Hand des Kunden.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband macht es vor: Kontaktloses Bezahlen mittels NFC-Chip. Doch wie kann ein echtes Mobile-Payment-Angebot einer Bank aussehen? Welchen Mehrwert können Geldinstitute Kunden im Vergleich zu Paypal, Google & Co. bieten?

Banken verfügen gegenüber Telekommunikationsunternehmen und Geräteherstellern über einen entscheidenden Vorteil: den Vertrauensbonus. Sie stehen für Professionalität bei der Zahlungsabwicklung und Diskretion im Umgang mit Daten. Banken sollten also mit dem Zeitgeist gehen und eigene Mobile-Payment-Lösungen entwickeln.

Imagefaktoren spielen auf diesem Gebiet eine große Rolle. So kann es für eine Bank durchaus einen Wettbewerbsnachteil bedeuten, wenn sie ihren Kunden nicht die Möglichkeit zum kontaktlosen Bezahlen per Smartphone bietet.

Nochmals: Wenn Banken anderen Unter nehmen das Feld überlassen oder zu spät reagieren, wird dies dramatische Folgen haben. So steigen Guthaben bei Pay-ment-Anbietern wie Paypal seit Jahren stark an. Diese Gelder werden vom Kunden bereits außerhalb des klassischen Bankwesens gehalten und verstärkt für Bezahlvorgänge verwendet, je weiter die Akzeptanz der alternativen Systeme steigt.

Ein gangbarer Weg, in den Markt einzusteigen, ist die Erweiterung vorhandener Apps für Mobile Banking um eine Mobile-Payment-Funktion. Die Bankdaten der Kunden bleiben so in sicheren Händen und müssen nicht an eine weitere Institution herausgegeben werden. Zudem könnten Kunden sich nach jeder mobil getätigten Zahlung den Echtzeit-Kontostand anzeigen lassen und müssen nicht auf die monatliche Mo-bilfunk- und Kreditkartenrechnung warten.

Kunden, die kein Smartphone besitzen, sind nicht im Nachteil, sie erhalten mit NFC-Chips auf ec-Karten die Möglichkeit, kontaktlos zu bezahlen. So verdienen Banken auf beiden Wegen: Per Smartphone und per Debit-Karte sind sie so im wahrsten Sinne des Wortes immer griffbereit in der Hand des Kunden. Banken können diese Lösungen autark anbieten: Kooperationen, etwa mit einem Hersteller von Smartphones, bieten für Geldinstitute keine wirklichen Vorteile. Eine vorinstallierte Bank-App auf dem Gerät hat für Kunden anderer Institute keinen Nutzen. Vielmehr sollten Banken ihre neuen Dienste verstärkt weiterentwickeln und bewerben, um gegebenenfalls auch Kunden anderer Geldinstitute als Nutzer zu gewinnen.

Nicht zuletzt auf diesem Gebiet ist die Google Wallet richtungsweisend, denn der Dienst arbeitet daran, eine kombinierte Übersicht genutzter Kreditkarten von verschiedenen Unternehmen anzubieten.

These 6: Mehrwertdienste bringen Vorteile für Kunden und Einzelhändler.

Auch für Banken gilt: Ohne ein entsprechend breites Infrastrukturnetz beziehungsweise eine große Anzahl an Handelspartnern wird sich Mobile Payment nicht durchsetzen.

Neben dem reinen Bezahlvorgang lässt sich die Bezahlfunktion auf dem Smartphone für weitere Anwendungen nutzen. So könnte das Haushaltskonto etwa mit einer eigenen App verwaltet werden, die jede Zahlung einer bestimmten Rubrik wie etwa "Lebensmittel", "Haushaltswaren" oder "Sonderanschaffungen" zuordnet.

Eine besondere Marketing-Option für Einzelhändler ist die Möglichkeit, Kunden nach einer Zahlung Gutscheine oder Hinweise für Rabattaktionen auf das Handy zu schicken - solche Aktionen bieten auch Kunden einen Mehrwert, weil sie genau auf das individuelle Einkaufsverhalten abgestimmt werden können.

These 7: Kunden werden verschiedene Systeme nutzen.

Es zeichnet sich ab, dass Kunden verschiedene Varianten des mobilen Bezahlens nutzen werden. Hat ein Kunde beispielsweise gerade einen Geldbetrag durch einen Ebay-Verkauf auf seinem Paypal-Konto gutgeschrieben bekommen, kann er eine Zahlung über dieses Konto veranlassen, ohne eine vorherige Über weisung auf sein Girokonto vornehmen zu müssen. Beim nächsten Mal zahlt er vielleicht mit der Mobile-Payment-App seiner Bank und belastet damit sein Girokonto.

Der Markt ist groß und bietet zahlreiche Möglichkeiten für die unterschiedlichsten Unternehmen. Wer zu den Gewinnern und Verlieren zählt, wird sich in den kommenden eineinhalb Jahre zeigen. Wenn Kreditinstitute mit praktikablen Lösungen aufwarten, können sie sich einen Teil des Geschäfts sichern.

Spannend wird sein, zu beobachten, ob es Banken gelingt, für die aktuellen Entwicklungen Lösungen zu offerieren, die die wesentlichen Marktteilnehmer in einer echten digitalen Wallet vereint und abbildet - dies könnte ein hochattraktiver Markt sein.

Bernd Richter , SVP & Group Executive for Global Real Time Payments , FIS Fidelity Information Services GmbH, Frankfurt am Main
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