Perspektiven im Zahlungsverkehr

Liquiditätsdisposition imEchtzeit-Zeitalter

Liquidität ist heute knapp und kostbar und muss optimal genutzt werden; hierbei liefert die Disposition, heute auch Nostro und Cash Management genannt, die notwendigen Daten für Treasury und Geldhandel. Neben der wirtschaftlichen Bedeutung der bestmöglichen Anlage der flüssigen Mittel sorgen auch stetig steigende regulatorische Vorschriften für erhöhte Anforderungen an diese Aufgabe. Die WestLB hat hier mit einer IT-Lösung, die global die Zahlungsströme disponiert, ein neues Zeitalter eröffnet.

"Das Institut hat, soweit erforderlich, auch die Liquidität im Tagesverlauf sicherzustellen", so steht es in der Neuformulierung der MaRisk (Kapitel BTR 4 Liquiditätsrisiken). In einem früheren Entwurf war hier noch davon die Rede, dass "... die Liquidität im Tagesverlauf zu überwachen" sei. Dieses ist ein fundamentaler Unterschied, und die Banken müssten eigentlich er leichtert sein, dass ihnen die Pflicht einer untertägigen Überwachung genommen worden ist, was für alle Banken einen riesigen IT-Aufwand bedeutet hätte.

Dieses um so mehr, als sich diese Anfor derung nicht auf den Euro beschränkt, das heißt ein Institut, das über wesentliche Liquiditätspositionen in unterschiedlichen Währungen verfügt, hat natürlich zur Sicherstellung seiner Zahlungsverpflichtungen auch angemessene Verfahren zur Steuerung der Fremdwährungsliquidität in den wesentlichen Währungen zu implementieren.

Die weichere Formulierung der MaRisk trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht alle Institute maßgebliche Liquiditätspositionen im Markt verantworten, sodass ein kontinuierliches Monitoring im Verlauf eines Tages notwendig würde. Andere sind in Konzern- oder Verbundstrukturen integriert, bei denen es zentrale Lösungen gibt, wie zum Beispiel bei den Sparkassen mit ihren Zentralinstituten.

Größere Häuser müssen sich allerdings durchaus fragen, ob sie im Lichte dieses Verständnisses und der Bedeutung für ihre Zahlungsfähigkeit die Liquidität auf den Nostrokonten bei ihren Korrespondenzbanken nicht fortlaufend überwachen müssen, das heißt ob hier nicht eine Echtzeit-Steuerung der Nostrokonten erforderlich ist.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat hierzu im Jahr 2008 ihre neuen Grundsätze für das Liquiditätsrisikomanagement veröffentlicht, und da heißt es unter Principle 8: "A bank should actively manage its intraday liquidity positions ..." Was das bedeutet, wird von der BIZ an sechs Punkten erklärt, von denen bereits der zweite sagt "... a bank should have the capacity to monitor intraday liquidity against expected activities and available ressources (balances, remaining intraday credit capacity, available collateral)".

Die BIZ empfiehlt also schlicht und ergreifend den untertägigen Abgleich der effektiven Zahlungen auf den Nostrokonten einer Bank mit den erwarteten, also intern disponierten Umsätzen für diese Konten. Das ist es im Wesentlichen, was wir heute unter dem Begriff "Real Time Nostro Management" (RTNM) verstehen.

Die Forderung derjenigen, die in einer Bank die tägliche Liquidität steuern, das heißt der Geldhändler, ist relativ einfach: "Sage mir rechtzeitig, mit welcher Liquiditätsänderung ich rechnen muss, dann sorge ich für die ausreichende Kontodeckung." Wie so oft steckt natürlich auch hier der Teufel im Detail: Auf welchem Konto benötigt man welchen Teil der Gesamtliquidität? Woraus ergibt sich die "Liquiditätsänderung" im Einzelnen? Was bedeutet "rechtzeitig"?

Pflicht: Klassische Disposition

Eine Antwort auf diese Fragen muss der Dispositionsprozess in einer Bank liefern, andernfalls kann die tägliche Liquidität nicht sinnvoll gesteuert werden. Insbesondere müssen die zu erwartenden Umsätze natürlich kontenbezogen disponiert werden, sofern denn für eine Währung mehrere Nostrokonten geführt werden. Vor allem werden Informationen über alle zu erwartenden Geldflüsse benötigt.

Schließlich ist das Timing der Disposition von zentraler Bedeutung. Für viele Währungen, deren Zahlungsverkehrssysteme in Zeitzonen vor der unsrigen geöffnet sind, muss bereits am Vortag der Bedarf bekannt sein, wenn man sich zu den europäischen Arbeitszeiten noch refinanzieren möchte. Vor allem aber spielt die Rechtzeitigkeit bei Geschäften mit gleichtägiger Zahlung eine wesentliche Rolle. Hier stellen insbesondere die Kundenzahlungen eine unberechenbare Größe dar, von denen vor allem die Disposition derjenigen Banken betroffen ist, welche eine Clearing-Funktion für ihre Kunden ausüben.

Da es am Ende um den Gesamtsaldo der Liquiditätsveränderung geht, so kann dieser nur ermittelt werden, wenn alle dazu beitragenden Umsätze bekannt sind, das heißt alle Zahlungsströme aus allen Geschäften der Bank. Wie aber kann sicher gestellt werden, dass für die Disposition auch wirklich alle Zahlungsinformationen vorliegen?

Zum einen müssen alle Geschäftsbereiche die von ihnen veranlassten Zahlungen in die Disposition einbringen. Diese Forderung ist so schön allgemeingültig, dass sie sich im Handbuch einer jeden Bank wiederfinden könnte. Aus Sicht der Disposition hieße es dann aber, darauf zu ver trauen, dass diese Daten auch geliefert werden. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser! Darum sollte (und wird vermutlich auch in den meisten Banken) ein Abgleich der Dispositionsdaten mit den Einträgen im Nebenbuch (Nostrokonten) oder aber direkt mit den Kontoauszügen der entsprechenden Korrespondenzbank vorgenommen.

Die Vollständigkeit der Dispositionsdaten wird zu einer richtigen Herausforderung, wenn die Anzahl der täglichen Umsätze steigt. Wenn bei der WestLB pro Tag mehrere tausende Zahlungsströme in Fremdwährung und zigtausende in Euro disponiert werden und danach wiederum noch abgestimmt werden, dann kann das nicht mehr manuell funktionieren.

Bereits vor 25 Jahren hat daher die West-LB eine IT-Lösung entwickelt, die seither kontinuierlich weiterentwickelt wurde und heute einen umfassenden globalen Dispositionsprozess über alle Währungen in einer Client-Server-Welt ermöglicht. Alle zu erwartenden Cash-Flows aus den Abwicklungs- und Zahlungsverkehrssystemen werden dabei durch das Dispositionssystem gesammelt und aufbereitet. Die IT-Lösung zwingt dabei zu einer Strukturierung des Dispositionsprozesses und verlagert gleichzeitig das Problem der Vollständigkeit der zu erfassenden Zahlungsströme auf die Frage nach der kor rekten Anbindung der Zuliefersysteme.

Der Abgleich von Disposition und beispielsweise Nebenbuch zeigt dann nicht mehr auf, ob typische operationale Risiken (falsche manuelle Erfassung von Zahlen, schlichtes Vergessen) zu Dispositionsfehlern geführt haben. Jetzt werden vielmehr systematische Fehler erkennbar, zum Beispiel

fehlerhafte Behandlung spezieller Produkte,

kleinste Abweichungen (beispielsweise Abzug von Gebühren).

Kurzprogramm: Klassische Disposition eines Euro-Clearers

Für jede Bank, die bei ihrer Nationalbank ein Konto für das Clearing der Heimatwährung unterhält, ist das Thema Real Time Nostro Management sattsam bekannt. Schon immer achtete hier am späten Nachmittag (und der beginnt so gegen 16.00 Uhr) der Geldhändler nicht mehr auf die internen Dispositionsdaten, sondern richtete sich in seinen Entscheidungen nach den Echtdaten des jeweiligen RTGS-Systems. Nur auf diese Art und Weise kann gewährleistet werden, dass am Ende des Tages das Notenbankkonto nicht überzogen ist beziehungsweise adäquate Guthaben für die vorgeschriebene Mindestreserve gehalten werden.

Allein auf dieser Überwachung des RTGS-Kontos kann jedoch keine Steuerung der Liquidität basieren im Sinne einer optimalen Ausnutzung der Liquidität. Dazu fehlen einfach die entsprechenden Planungsdaten, die zu erwartenden Cash-Flows. Und damit wären wir wieder bei der Disposition.

Der Liquiditätsmanager der WestLB in der Mitte der neunziger Jahre wird noch heute mit den Worten zitiert: "Die Disposition mache ich auf der Manschette." Gemeint ist hier die Verwendung der Tools "Papier und Bleistift", um die relevanten Zahlungsdaten zu erfassen und zu aggregieren. Es zeugt wohl auch von der damals noch vorhandenen Skepsis gegenüber IT-Lösungen. Es zeigt insbesondere, dass Dispositionsdaten für die wichtigste Währung unserer Häuser bis noch vor wenigen Jahren manuell zugeliefert und er fasst worden sind. Die oben bereits als Pflichtübung erwähnte Sorge um Vollständigkeit der Dispositionsdaten kann im Rahmen eines solchen Prozesses aller dings nur ein Lippenbekenntnis bleiben. Vielmehr zeigt sich täglich ab 16.00 Uhr wie gut (oder wie schlecht) die Zulieferung erfolgt ist, und zwar allein in der Differenz zwischen disponiertem Saldo und dem auf dem RTGS-Konto effektiv vorhandenen Saldo.

Kür: Disposition mit Echtzeit-Daten

Der Königsweg liegt nun ganz offensichtlich in einer Verknüpfung der beiden oben beschriebenen Ansätze der klassischen Disposition. Es gilt hier - wie in vielen anderen Fällen - das Beste aus beiden Welten nutzbar zu machen. Auf diese Weise erhält man einen strukturierten Prozess für die Liquiditätssteuerung in unseren Häusern, der einer optimalen Nutzung der Liquidität entspricht und gleichzeitig den gestiegenen regulatorischen Anforderungen gerecht werden kann. Zunächst geht es darum, der Forderung nach Rechtzeitigkeit der Dispositionsdaten nachzukommen, und zwar für alle Währungen (auch und insbesondere für den Euro) und für alle Zahlungen, seien diese intern oder im Kundenauftrag.

Die WestLB hat erreicht, dass die bereits vorhandene automatisierte Belieferung des Dispositionssystems aus den Abwicklungs- und Zuliefersystemen weiter beschleunigt wurde und alle noch fehlenden Schnittstellen ergänzt wurden. Im Ergebnis konnte der durchschnittliche Guthabensaldo auf den Nostrokonten um zirka 50 Prozent reduziert werden, was sich wirtschaftlich durchaus sehr positiv bemerkbar macht. Das weitere Ziel ist nun intern und extern eine Echtzeit-Belieferung: Wenn eine Zahlung dem Zuliefersystem "bekannt" ist, muss sie disponiert werden! Noch steht die Bank vor der Herausforderung, dass dies nicht immer und überall erreichbar ist, da es in den IT-Systemen Verarbeitungszyklen gibt, periodische Batch-Läufe und Tagesendverarbeitungen. Immer mehr dieser Systeme ermöglichen aber heute eine Real-Time-Zulieferung. In vielen Fällen lassen sich die Frequenzen der Batch-Prozesse vielleicht erhöhen, sodass man zumindest zu einer Near-Time-Belieferung gelangen kann. Mit der fortschreitenden Weiterentwicklung der IT-Landschaft werden aber diese Einschränkungen ver schwinden und lässt sich die Genauigkeit der Disposition erhöhen.

In einem zweiten Schritt galt es für die WestLB, auch die realen externen Zahlungsvorgänge über die Kontoauszüge der Korrespondenzbanken untertägig und zwar möglichst ebenso "Real-Time" wie die Dispositionsdaten zu erhalten. Hierbei mussten wir feststellen, dass nicht alle Nostro-Korrespondenzbanken untertägig Kontoauszüge liefern können und der technische Weg nicht einfach und standardisiert ist.

Der Standard für Kontoauszüge unter Banken ist die Verwendung einer Swift-Nachricht des Typs MT95x oder MT94x. Für die untertägige Versendung von Einzelumsätzen und Kontensalden ist dabei die Nachrichtenart MT941 oder 942 vorgesehen, sollte also den meisten Korrespondenten keine Schwierigkeiten bereiten. Zu klären war dann noch die Frequenz, mit welcher die Kontoauszüge verschickt werden können, und zum anderen der Auftraggeber: Erfolgt der Versand automatisch durch den Clearer (Push-Modus) oder erst auf Anfrage des Kunden (Pull-Modus)? Seit einigen Jahren arbeitet Swift an einem neuen Standard (Camt.052, auf der Basis von xml-Formaten), der genau den Anforderungen an ein Real-Time Nostro Management entsprechen soll. Dieses Format wird aber nur von wenigen Banken unterstützt. Dabei muss natürlich nicht nur der Sender eine solche Nachricht erzeugen, der Empfänger muss sie auch verarbeiten können.

Der weitere Gang der Dinge liegt dann wieder in Hand der eigenen IT: Die Cash-Flows aus beiden Datenströmen (Dispositionen und Kontoauszüge) müssen pro Konto auf Ebene der Einzelumsätze abgeglichen werden. Die üblichen Abgleiche in den Banken basieren auf Batch-Prozessen, die in einer Real-Time-Welt nicht weiterhelfen. Es muss also auch hier ein Abgleich her, der in Echtzeit funktioniert: Sobald eine Zahlungsinformation eintrifft, muss geprüft werden, ob die jeweilige Dispositionsmeldung vorhanden ist. Wenn das technisch geschafft ist, kann man leider nicht davon ausgehen, dass der Idealfall eintritt und alle Positionen über einstimmen. Der Abgleich wird vielmehr offene Posten auswerfen: Dispositionen ohne effektive Zahlung und auch Zahlungen, die nicht disponiert wurden.

Real-Time Nostro Management: vier Meilensteine zu passieren

Schließlich darf man sich auch nicht der Hoffnung hingeben, dass ein solcher Real-Time-Abgleich auch für die Cash-Flows des eigenen Clearing-Geschäftes so ohne weiteres möglich sei, wenn deren Anzahl groß wird: Zum einen ist es in technischer Hinsicht eine Performance-Frage, ob die Datenmengen schnell genug verarbeitet werden können. Zum anderen legen hohe Umsatzzahlen auch eine hohe Anzahl an offenen Abgleichposten nahe, deren Entstehen fortlaufend überwacht, die analysiert und intern reklamiert werden müssen.

Es scheint also noch ein langer Weg zu sein, bis ein optimiertes Real-Time Nostro Management in der Bankenlandschaft etabliert sein wird. Aus den Erfahrungen in der WestLB kann abgeleitet werden, dass wer immer den Weg in Richtung eines Real Time Nostro Management geht, nicht umhinkommen wird, folgende vier Meilensteine zu passieren: Verständnis interner Prozesse (Buchungen, Zahlungen, alle Produkte, die Zahlungen verursachen), IT-Management (Datenlieferung, Schnittstellen, Datenverwaltung), Lieferfähigkeit der Korrespondenzbanken (Real-Time Nostro Statements) und umfassendes Gesamtbankdenken (Kooperation von IT, Operations, Treasury, Handel).

Bereits beim Aufbau der IT-Umgebung eines Dispositionssystems muss klar sein, welche Produkte zu berücksichtigen sind, welche Zahlungen diese bedingen und wo sie verbucht werden. Erst wenn dieses in seiner ganzen Umfänglichkeit klar ist, kann man daran gehen, die entsprechenden Dispositionsdaten aufzubereiten.

Das Dispositionssystem einer Bank ist wie ein Krake, dessen Arme sich an den Abwicklungs- und Zahlungssystemen festsaugen, und dieser Krake wird viele Arme haben müssen (bei der WestLB sind es mehr als zwei Dutzend). Dieses Bild könnte und soll durchaus Angst bereiten, denn es ist keine leichte IT-Aufgabe, die hier gefordert ist, vor allem im Bereich des Datentransfers. Für den Abgleich der inter nen Dispositionsdaten mit den Kontoauszügen der Korrespondenzbanken ist man - wie erwähnt - auf deren Lieferfähigkeit angewiesen. Und hier scheint es noch erheblichen Nachholbedarf zu geben. Schließlich wird ein solches Dispositionssystem und die darauf beruhenden Prozesse nur dann erfolgreich sein, wenn alle beteiligten und betroffenen Bereiche zusammenarbeiten:

die IT, welche das System und die Schnittstellen implementieren und warten muss,

die Abwicklungsbereiche, welche die Zulieferung zu verantworten haben,

das Treasury (beziehungsweise das Liquiditätsrisikomanagement) der Bank, welche für die optimale Nutzung der Liquidität verantwortlich ist und

der Handel, der am Ende des Tages die Refinanzierung am Markt und damit den Kontenausgleich herbeiführen muss und auf optimale Dispositionsdaten angewiesen ist.

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