Mobile Payment und Mobile Ticketing

Touch & Travel auf dem Weg zum deutschen Standard?

Unter dem Namen Touch & Travel testet die Deutsche Bahn AG seit Februar 2008 das E-Ticketing per Mobiltelefon. Kunden melden sich vor Beginn ihrer Fahrt über einen im Handy integrierten Chip an einem Kontaktpunkt, dem sogenannten Touch- Point, auf dem Bahnsteig oder an der Haltestelle an und am Ziel auf dieselbe Weise wieder ab. Aus den An- und Abmeldedaten errechnet Touch & Travel die Fahrtstrecke und den Fahrpreis, der im Anschluss an die Fahrt auf dem Handy angezeigt wird. Die getätigten Fahrten werden dem Kunden monatlich in Rechnung gestellt und im Lastschriftverfahren eingezogen, für das der Konzern das Risiko als über schaubar einstuft. Zwischen den Abrechnungsterminen kann der Kunde sich im Internet über die gefahrenen Strecken und Tarife informieren.

Die Ziele, die die Bahn mit Touch & Travel verfolgt, sind ehrgeizig. Obwohl längst nicht das erste E-Ticketing-Konzept in Deutschland, soll es doch zum führenden Modell im öffentlichen Personenverkehr in Deutschland werden. Kernidee ist es, den Fernverkehr mit dem Nahverkehr zu ver binden und den Übergang auf andere Verkehrsmittel - etwa vom ICE auf den Bus oder umgekehrt - zu ermöglichen, wie es Bahncard-Inhaber in einer Reihe von Städten heute schon mit dem her kömmlichen Fahrschein gewohnt sind. Das erspart dem Kunden den Fahrscheinkauf beim Umsteigen und die Orientierung in fremden Tarifsystemen. Auf Basis der gefahrenen Strecken soll zudem stets der für den Kunden günstigste Tarif (beispielsweise Tages- oder Monatskarten) ermittelt werden. Auch Bahncard-Rabatte lassen sich selbstverständlich hinterlegen. Der Ehrgeiz geht aber noch darüber hinaus: Auch an die Ausweitung des Konzepts auf andere Branchen wie Kinos, Museen oder Schwimmbäder wird gedacht.

Noch im Pilotbetrieb

Bis es soweit ist, könnte es indessen noch geraume Zeit dauern. Denn noch befindet sich Touch & Travel in der Pilotphase.

Der erste technische Funktionstest lief von Februar bis August 2008 auf den DB-Verbindungen zwischen Berlin und Hannover sowie in einem Teilnetz der Berliner S-Bahn und im gesamten städtischen Nahverkehr der Landeshauptstadt Potsdam. 200 Testkunden benötigten in dieser ersten Projektstufe noch einen zusätzlichen regulären Fahrschein.

Im Dezember 2008 ist die zweite Pilotstufe angelaufen. Mittlerweile wurde zusätzlich das gesamte S-Bahn-Netz in Berlin sowie in Kooperation mit den Ber liner Verkehrsbetrieben auch das U-Bahn-Netz der Bundeshauptstadt integriert. Die ursprüngliche Testkundenzahl wurde um weitere 500 Kunden erweitert, die Touch & Travel nun unter realen Bedingungen testen - also als reines E-Ticketing-System ohne herkömmlichen Fahrschein.

Im März 2009 gestartet ist - nach dem Modell der Pilotstufe eins - ein Feldversuch in Schleswig-Holstein auf der Strecke zwischen Kiel und Lübeck sowie im Stadtgebiet von Eutin. Etwa 50 Kunden testen hier das System sechs Monate lang ohne reale Abrechnung und benötigen parallel einen herkömmlichen Fahrschein. Parallel zum Pilotgebiet Berlin/Hannover sollen hier verstärkt Erfahrungen im Nahverkehr gesammelt werden, um spezielle Bedürfnisse und Anforderungen in diesem Bereich aufzunehmen. Um die Basis der Auswertungen zu erweitern, soll im Sommer 2009 die Zahl der Testkunden im Pilotgebiet Berlin/Hannover nochmals um 2 000 neue Tester erweitert werden.

Die bisherigen Erfahrungen des Piloten sind positiv. Grundsätzliche Mängel des Systems sind bisher nicht zutage getreten.

In Maßen thematisiert wurde das Thema Akkuleistung. Denn bei leerem Akku kann der mobile Fahrschein nicht kontrolliert werden. Mit verbesserter Akkuleistung ver lor dieser Aspekt jedoch an Bedeutung zumal in den Zügen des Fernverkehrs die Aufladung jederzeit möglich ist.

Roll-Out noch nicht absehbar

Ein zweiter Punkt erwies sich ebenfalls als von eher untergeordneter Bedeutung. An stark frequentierten Stellen beklagten Tester eine zu geringe Anzahl der "Touchpoints", an denen sich die Nutzer des Systems vor Fahrtantritt anmelden beziehungsweise nach Fahrtende abmelden müssen. Angesichts der überschaubaren Kosten für die Kontaktpunkte mit rund acht bis zehn Euro pro Stück lässt sich diesem Mangel jedoch vergleichsweise einfach abhelfen. Auch die Signale im Hinblick auf die Akzeptanz beim Fahrgast sind positiv. So war die Anzahl der Interessenten für die Teilnahme am Piloten deutlich höher als die Zahl der gesuchten Tester.

Einen Termin für den deutschlandweiten Roll-Out will der Konzern gleichwohl noch nicht nennen. Im kommenden Jahr sollen zunächst einmal die Ergebnisse der Tests ausgewertet werden. Dass man sich mit der bundesweiten Einführung Zeit lässt, hat vor allem drei Gründe.

Zum einen müssten hierzu nach Möglichkeit alle Mobilfunkbetreiber im Boot sein. Bisher kooperiert die Bahn mit Vodafone und T-Mobile, weitere Partner sind eingeladen. Entsprechende Gespräche mit den Anbietern sind laut Konzernangaben am Laufen.

Daneben will man vor der bundesweiten Einführung erst noch mehr Erfahrungen sammeln - nicht zuletzt im Zusammenspiel mit den städtischen Verkehrsgesellschaften, um dann gleich mit einer größeren Zahl von Partnern an den Start gehen zu können. Bisher sind drei Ver kehrsbetriebe am Piloten beteiligt: die ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH, die BVG Berliner Verkehrsbetriebe AöR und die Autokraft GmbH, Kiel, mit ihrem Streckennetz im Stadtgebiet Eutin.

Nicht zuletzt mangelt es noch an einer Grundvoraussetzung: der Verbreitung geeigneter Handys. Denn Touch & Travel basiert auf der NFC-Technologie, bei der ein spezieller, in das Mobiltelefon integrierter Near-Field-Communication-Chip die kontaktlose Datenübertragung im Abstand von einigen Zentimetern ermöglicht. Noch ist diese Technologie nicht sehr verbreitet. Testkunden werden deshalb bislang von der Bahn mit entsprechenden Geräten ausgestattet. Im kommenden Jahr soll sich NFC jedoch durchsetzen. Für 2010 wird mit einer Ver breitung in rund der Hälfte aller Mobiltelefone gerechnet.

Geringe Infrastrukturkosten

Was momentan noch die Verbreitung des mobilen Fahrscheins hemmt, erweist sich in anderer Hinsicht als wesentlicher Vorteil des Systems: Die Infrastrukturkosten des NFC-basierten Modells sind gering. Im Gegensatz zu anderen E-Ticket-Lösungen muss nicht in eigene Chipkarten investiert werden. Auch für die Fahrscheinkontrolle werden keine speziellen Geräte benötigt. In den Zügen der Deutschen Bahn erfolgt sie mit Hilfe der normalen MT2-Terminals, mit denen etwa auch Fahr scheine verkauft oder die im Internet gebuchten Fahrkarten geprüft werden. Für die Kontrolle im ÖPNV genügt eine einfache Chipkarte.

Nötige Investitionen beschränken sich somit auf die Installation der Kontaktpunkte mit integriertem RFID-Chip für die An- und Abmeldung beim System. Diese benötigen keinen Stromanschluss und müssen nicht einmal angeschraubt werden, sondern können - beispielsweise an Fahrscheinautomaten oder Entwertern - einfach angeklebt werden. Damit halten sich auch die Schäden im Fall von Vandalismus in Grenzen, für den ersten Erfahrungen zufolge der Anreiz ohnehin gering ist.

Mit der VDV-Kernapplikation kompatibel

Auf die geringen Infrastrukturkosten gründen sich denn auch die Hoffnungen der Deutschen Bahn, dass sich das Konzept auch bei Verkehrsverbünden und Verkehrsbetrieben der Städte durchsetzt. Überdies ist das Konzept mit dem E-Ticketing-Standard VDV-Kernapplikation kompatibel, mit dem der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, Köln, die Landschaft des E-Ticketings in Deutschland vereinheitlichen will. Das bedeutet: Auch solche Verkehrsbetriebe, die beim elektronischen Fahrgeldmanagement auf chipkartenbasierte Lösungen setzen, können - soweit die Systeme ebenfalls VDV-kompatibel sind - ihren Fahrgästen den Umstieg in den Zug beziehungsweise umgekehrt er möglichen, ohne ihre eigene Infrastruktur umrüsten zu müssen.

Das Interesse der Betriebe im ÖPNV ist deshalb hoch, heißt es seitens der Deutschen Bahn. Beispielsweise habe man Touch & Travel auf der Tourismusbörse ITB in Berlin sehr erfolgreich präsentiert. Fürs kommende Jahr ist die Bahn Partner der Aktion "Ruhr 2010". Und auch davon verspricht man sich ein weiteres Vorankommen bei Touch & Travel.

Für eine Bewertung des Potenzials aus Kundenseite ist es nach Bahnangaben derzeit noch zu früh. In jedem Fall werde nicht die Schließung von Fahrkartenschaltern oder der Abbau von Automaten angestrebt. Der mobile Fahrschein solle vielmehr als zusätzlicher Vertriebsweg etabliert werden, mit dem man voraussichtlich eine ganz eigene Klientel erreicht. Auch Bedenken der Datenschützer im Hinblick auf die Erstellung von Bewegungsprofilen der Kunden wurden deshalb bislang nicht laut: Wer der Einhaltung der Datenschutzbestimmungen nicht traut, dem bleibt immer noch der herkömmliche Fahrschein als Alternative.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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