Strategien für Europa

Weckruf für den europäischen Debitkartenmarkt

Wir befinden uns derzeit in einer überaus interessanten und spannenden Situation im zusammenwachsenden Europa selbst wenn dies angesichts der aktuellen Turbulenzen an den internationalen Kapitalmärkten ein wenig in den Hintergrund zu treten scheint. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass gegenwärtig die Weichen für die Zukunft des europäischen Zahlungsverkehrs und insbesondere auch des kartengestützten bargeldlosen Zahlungsverkehrs gestellt werden.

Wer glaubt, dass in einem sich harmonisierenden Europa die alten Bankstrukturen und die alten Konditionsstrukturen, basierend auf den bisherigen Skaleneffekten, konserviert werden können, der irrt meiner Meinung nach. Dieses gerade entstehende Gebilde mit über 500 Millionen Bürgern und über 9 000 Banken wird auf Generationen hinaus ein fundamentales Skalenspiel sein - dessen Konturen wir zum Teil erst schemenhaft erkennen. Die heute 52 Milliarden elektronischen Transaktionen, die im "Europa der 31" etwa 73 Milliarden entsprechen und zu einem signifikanten Teil kartenbasiert sind, warten förmlich darauf, ökonomisch sinnvoll verarbeitet zu werden.

Deutschland - ein Entwicklungsland?

Im Debitgeschäft haben wir im Grunde exzellente Voraussetzungen: In Europa sind 496 Millionen Debit- und Kreditkarten emittiert, davon allein 106 Millionen in Deutschland. Im Schnitt verfügt jeder Deutsche über etwa 1,2 Karten; dieses scheint auch die Saturierungsgrenze auf der Emissionsseite zu sein. Und was machen wir damit? Wir öffnen Türen! Ja, im wahrsten Sinne des Wortes sind die Karten für die Mehrheit der Deutschen der physische Schlüssel zu den Selbstbedienungszonen der Banken mit ihren Geldausgabeautomaten und Kontoauszugsdruckern. Dann holen wir das Bargeld mittels Karte aus dem Automaten und tragen es zum nahe gelegenen Händler, der es dann wieder auf sein Bankkonto einzahlt. Dann wird es "geprüft, sortiert, gezählt, gerollt, wieder ausgezahlt, erneut eingezahlt" - und das Ganze quasi in einer Endlosschleife.

Die volkswirtschaftlichen Kosten für diese logistische "Meisterleistung" werden auf 0,5 Prozent des BIP, für Europa also auf etwa 60 Milliarden Euro geschätzt. Davon entfallen schätzungsweise fünf Milliarden Euro auf die Zentralbanken, 43 Milliarden Euro auf den Handel und neun Milliarden Euro auf die Banken.

Hinzu kommen hin und wieder ungeplante Kosten, wie sie etwa durch den Heros-Fall zu beklagen waren; auch Betrug und Falschgeld sind bargeldimmanente Kostenpunkte. Im Übrigen hat uns der Heros-Vorfall auch gezeigt, dass es in dieser Republik keine Bank gibt, die in der Lage ist, kurzfristig die Infrastruktur zur Bargeldversorgung in einem eigenen Netz ohne fremde Hilfe zu organisieren. Auch das sollte uns zu denken geben und Ansporn

sein, die Bargeld-Lastigkeit zu verringern und die Kunden stärker auf die Nutzung von Karten einzustimmen.

Wie stellt sich unsere Situation im Ver gleich zu unseren europäischen Nachbarn dar? In den Kategorien "Transaktionen mit Karte" beziehungsweise "Anteil der Kar tenzahlungen am nationalen Zahlungsverkehr" rangieren wir nicht nur weit hinter Frankreich und Großbritannien, sondern auch hinter Italien und Polen. Und das liegt ja nicht daran, dass die Deutschen keine Karten hätten - sie nutzen sie nur nicht konsequent für ihre Zahlungen. Über ein Viertel aller Bankkunden zahlt nie oder höchst selten mit diesem Instrument.

Kundenverhalten ändern

Das kann sich in Zukunft als sehr gefähr lich für die deutschen Banken erweisen. Auf Basis des weiterentwickelten Kundenverhaltens in anderen Ländern Europas bauten und bauen die dortigen Finanzdienstleister Infrastrukturen auf, die sich in einem zusammenwachsenden Europa - Stichwort: Sepa - als Wettbewerbsvorteil herausstellen werden. Aufgrund ihrer bereits erworbenen Erfahrungen verfügen diese Institute über Infrastruktur-, Produkt- und Marketingvorteile, die sie auf europäischer Ebene ausspielen werden. Dieses führt zu steigendem Wettbewerbsdruck, vor allem auch auf Spätentwickler wie uns!

Wir können uns auf den Standpunkt stellen, dass wir den Kunden nicht zu einer Verhaltensänderung bewegen können. Doch ich denke, wir können und wir sollten daran arbeiten. Die Notwendigkeit zur Verhaltensänderung wird kommen, so oder so. Denn zum einen werden die großen Händler mit europäischem Fokus ihre Prozesse weiter integrieren.

Die Metros und Carrefours dieser Welt, die großen Tankstellennetze fokussieren sich nicht mehr auf einzelne nationale Märkte, sie bauen eine Infrastruktur für ihr europaweites Geschäft auf.

Zum anderen werden die großen Telekommunikationsunternehmen, nachdem sie ihre Infrastruktur "auf Vordermann gebracht" haben, sich darauf besinnen, dass sie über ungeheuer viele Kundenverbindungen verfügen. Sie werden sich auch darauf besinnen, dass sie ihren Kunden den Einsatz dieser Technik vermitteln können - auch für Bezahlvorgänge. Dann werden sich die Händler und Telecoms "kurzschließen" und Finanzdienstleistungen auch ohne die Banken erbringen.

Ein Schreckensszenario? Gewiss! Ausgeschlossen? Auf keinen Fall! Wer die Diskussion um Sepa und die Payments Ser vice Directive (PSD) miterlebt hat, weiß, dass das Ecofin und der EU-Binnenmarktkommissar McCreevy großen Wert darauf gelegt haben, dass Non-Banks im Zahlungsverkehr der Zukunft eine Rolle spielen. Die Banklizenz wird nicht mehr vor Wettbewerb schützen; die Geschäftsmodelle der Banken werden unter Druck geraten.

Datensicherheit im Fokus

Uns allen ist ferner bekannt, dass für die EU auch die Datensicherheitsthematik im Fokus steht: Wer autorisiert Zahlungen wo, wer unterhält welche Datenbestände wo, zu welchen Zwecken lassen sich diese Datenbestände auswerten... Dass hier ein nicht zu unterschätzendes "politisches Potenzial" schlummert, ist uns allen spätestens seit den Vorfällen im Kontext der US-Terrorfahndung im Bewusstsein. Wir wollen, dass die Daten von EU-Bürgern auch in Europa bleiben. Datensicherheit, Datenintegrität und Datenhoheit zählen zu den grundsätzlichen Themen in Gesprächen mit Regulatoren. Wer beispielsweise in Asien geschäftlich unterwegs ist, weiß, das spätestens die zweite Frage der dortigen Bankaufseher lautet: "Wo und wie betreiben Sie Ihre Infrastruktur und wie stellt sich das Datenschutzthema inner halb unserer Landesgrenzen dar?".

Apropos Asien: Eine der Prioritäten Chinas im Finanzdienstleistungssektor war die Entwicklung eines nationalen Debitkartensystems - und zwar mit der klaren Zielsetzung, eine Abhängigkeit von den beiden großen amerikanischen Brands zu vermeiden.

Partnerschaft auf Augenhöhe

Nur zur Klarstellung: Ich bin in keinster Weise gegen Visa oder Mastercard. Beide sind hervorragende Anbieter, wir sind überzeugte Anhänger des Co-Branding - und wir arbeiten gut und gerne mit ihnen zusammen. Aber ich glaube auch, dass eine Partnerschaft auf Augenhöhe eine andere Qualität hat als ein Abhängigkeitsverhältnis.

Wenn es uns nicht gelingt, nach dem chinesischen Vorbild ein eigenes, europäisches Debitkartensystem aufzubauen und dies auf Augenhöhe mit den großen inter nationalen Kartensystemen zu positionieren, wird sich Europa mit 500 Millionen Konsumenten in eine Abhängigkeit manövrieren, aus der wir uns kaum wieder wer den befreien können - allen Lippenbekenntnissen der beiden großen Brands zum Trotz. Auf Dauer wird dies auch unsere heutigen Geschäftsbeziehungen zu unseren Privatkunden im klassischen Retail Banking nicht unberührt lassen.

Sicht der Händler und Konsumenten beachten

Was erwartet der Händler? An vorderster Stelle stehen die Themen Schnelligkeit, Kosteneffizienz sowie Preistransparenz und Sicherheit der Zahlungen. Ferner ist die Sicherheit der Infrastrukturinvestitionen, gewährleistet durch ein paneuropäisches, einheitlich erlebbares Kartensystem im Interesse des Handels. Hieraus ergeben sich geschäftliche Ansatzpunkte für die Banken auf der Acquiringseite, im Trans-aktions-Handling und im Cash Management. Das Transaction Banking war in den letzten Jahren in vielen Häusern eines der erfolgreichsten Geschäftsfelder mit stabilen Ergebnisbeiträgen und kann von dieser Entwicklung nur profitieren.

Der Konsument erwartet in erster Linie Zahlungssicherheit, eine weitreichende Akzeptanz seiner Karte sowie eine einfache und schnelle Abwicklung am Point of Sale. Es ist schwer zu vermitteln, warum wir zwar Kapitalmarkttransaktionen im Gegenwert von dreistelligen Millionenbeträgen in sechs Millisekunden über die Börse abwickeln können, aber 30 bis 40 Sekunden benötigen, um am PoS eine Kartenzahlung über 50 Euro durchzuführen.

EAPS ist keine Antwort

Wer weiß, dass wir uns den Luxus leisten, eine Autorisierung über verschiedene Netzwerke und Verteilerknoten zu senden, ist der Antwort schon näher gekommen. Effizienz sieht anders aus. Auch kostenmäßig ist hier ein großer Raum für Ver besserungen in einem "Biotop", in dem bislang Verbände und verbandsnahe Unternehmen quasi-unternehmerisch auf eigene Rechnung agieren. Auch wenn dies in der Vergangenheit eine Berechtigung gehabt haben mag - die Welt hat sich geändert, und wir müssen diese Ineffizienzen in der deutschen Kreditwirtschaft beseitigen.

Die EU-Kommission hat mit ihrem Ruling im Mastercard-Fall demonstriert, dass sie willens und in der Lage ist, dieses Modell anzugreifen. Ich persönlich bin der Auffassung, dass es eine Illusion ist zu glauben, wir könnten im nationalen Kontext die Interchange Fee oder eine deutsche "Ersatzlösung" verteidigen. Es mag uns vielleicht noch zwei bis drei Jahre gelingen, und dann steht diese wichtige Komponente unseres heutigen Debitkartengeschäfts endgültig zur Disposition.

Deshalb betone ich an dieser Stelle auch: EAPS ist keine Antwort. Dieser Ansatz ist nichts anderes als der Versuch, das nationale deutsche System zu retten und dafür zu sorgen, dass die grenzüber schreitenden Transaktionen innerhalb der Sepa - wir reden hier über weniger als 0,1 Prozent aller relevanten Transaktionen technisch abgewickelt werden können.

Monnet als echte Alternative europäischer Provenienz

Dieses ist aber nicht die zentrale Fragestellung. Diese lautet vielmehr: Wie reagiere ich auf die Potenziale der Zukunft, eines zusammenwachsenden Europas und wie stelle ich mich den Anforderungen der Konsumenten und Händler in einer Umgebung, die nicht mehr durch monopolartige Strukturen in den einzelnen nationalen Märkten geschützt ist? Um diese Frage langfristig und strategisch adäquat zu beantworten, haben deutsche und französische Banken das Projekt "Monnet" gestartet, um im Idealfall eine echte Alter native europäischer Provenienz zu den beiden internationalen Kartensystemen und zu den nicht zukunftssicheren, heutigen nationalen Angeboten zu schaffen.

In Deutschland haben wir aus dem Debitkartengeschäft eine "profit contribution" von etwa 26 Millionen Euro für die Issu-ing-Seite im Jahr 2006 ermittelt - über alle Banken hinweg, die sich am Monnet-Projekt beteiligen. Für die Zukunft erwarten wir auch bei uns deutlich steigende kar tenbasierte Zahlungsverkehrs-Transaktionszahlen, allerdings bei einer massiven Erosion der Interchange Fee beziehungsweise des Händlerentgelts. Im Ergebnis führt dies zu einem Einbruch auf der Erlösseite und infolge der von den Banken zu zahlenden Stückpreise auf ein steigendes Transaktionsvolumen zu deutlich erhöhten Kosten - und damit zu einer absehbaren Verlustsituation.

Natürlich könnten wir uns auf den Standpunkt stellen, diese Entwicklung laufen zu lassen und uns irgendwann aus diesem Geschäft zurückziehen. Diese Haltung mag ein "default" sein, aber mehr auch nicht. Unsere französischen Gesprächspartner bringen es deutlich auf den Punkt: Wenn es nicht gelingt, ein paneuropäisches Kartensystem zu bauen, weil wir von den Regulatoren keine adäquate Ver gütung unserer Funktionen, sei es als Lizenznehmer auf der Issuing- beziehungsweise Acquiringseite, sei es als Shareholder eines Kartensystems zugestanden bekommen, dann wird der gesamte Markt Frankreich zu einem der beiden internationalen Brands gehen. Das bedeutet auch einen Rückzug aus "trusted bank transactions" und ist natürlich eine deutliche Ansage in Richtung der Europapolitiker, die vor dem Hintergrund der bisherigen großen französischen Erfolge im kartengestützten Zahlungsverkehr zu sehen ist.

Hinsichtlich der Erschließung des Kartenmarktes, aber auch bezüglich der Konsolidierung im Processing sind uns die Franzosen deutlich voraus. Somit kann es auch nicht verwundern, dass das geschäftliche Verständnis dort weiter entwickelt ist als bei uns.

Neue Ertragspotenziale durch Monnet

Ursprünglich waren wir davon ausgegangen, dass Monnet ein reiner "cost case" ist und sich durch die Integration der Kopfstellen Kosteneinsparungen und durch die Zusammenarbeit mit anderen Märkten Skaleneffekte realisieren lassen. Das wer den wir sowieso tun müssen, denke ich.

Aber wir sehen auch die Möglichkeit, neue Ertragspotenziale zu erschließen, die einerseits auf Value Added Services, und zum anderen auf einer deutlich stärkeren Nutzung der Karte bei Bezahlvorgängen fußen. Ich fasse kurz zusammen:

Monnet erlaubt es uns, eine Abhängigkeit von Visa und Mastercard zu ver meiden und uns im Co -Branding auf gleicher Augenhöhe zu positionieren,

durch Konsolidierungsmaßnahmen Kosten einzusparen

und durch innovative Angebote für Händler und Konsumenten neue Ertragsquellen zu erschließen.

Europa der 31 als Anspruch

Soll Monnet auf Frankreich und Deutschland begrenzt bleiben? Nein, auf keinen Fall! Der Anspruch muss sein, dass die Verbreitung des Kartensystems am Ende des Tages das bereits angesprochene "Europa der 31" umfasst. Uns erreichen in letzter Zeit eine Reihe von Gesprächswünschen aus Spanien und Italien sowie aus Holland und Belgien. Ich bin über zeugt, dass wir

bei einer rechtlichen Absicherung der Monnet-Area, auch hinsichtlich der Frage, was in diesem Kontext unter Sepa -Konformität zu verstehen ist,

bei einer Klärung der Kompensationsfrage mit der EU -Kommission,

und bei einer Klärung der grundlegenden Infrastrukturfragen

die wesentliche Basis haben, um in Beitrittsgespräche mit Interessenten aus anderen Ländern einzutreten.

Wenn Sie mich fragen, wie dies auf der Zeitachse aussehen könnte - nun, ich denke, dass das "Window of Opportunities" in den nächsten sechs bis acht Monaten geöffnet ist. Danach, so ist zu befürchten, werden viele Länder ihren eigenen Weg gehen, so wie sie dies teilweise auch schon angekündigt haben. Aber noch kann es uns gelingen, eine nachhaltige, europäische Lösung zu schaffen.

Wenn wir Rechtssicherheit haben, dann steht die Blaupause: ein Vier -Parteien-Modell, in dem die Banken Value Added Services für Händler und Konsumenten, (auch für den E -Commerce) anbieten und Trusted Bank Services durch Autorisierung und Disposition am Kundenkonto erbringen. Das sind die Eckpunkte von Monnet: pan-europäisch, effizient, innovativ, sicher und nutzerorientiert.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors auf dem Bankkarten-Forum 2008.

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