EUROPA

Eine Alternative zu EPI?

Steven Jacob, Foto: Arkwright Consulting

Was wäre, wenn das europäische Payment Scheme EPI keinen Erfolg haben sollte? Für diesen Fall skizziert Steven Jacob einen "Plan B" für die deutsche Kreditwirtschaft. Ausgangspunkt dafür könnten ein "Bottom-up-Ansatz" basierend auf Mobile-Payment-Verfahren in einigen Ländern sein, die bereits im jeweiligen Markt etabliert sind. Dafür nennt der Autor eine Reihe von Beispielen. Die DK könnte dann zum Beispiel Giropay/Kwitt unter Berücksichtigung der Interoperabilität zu relevanten Verfahren in den Nachbarländern weiterentwickeln - oder ein neues Verfahren entwickeln, das auf einem davon aufsetzt. Red.

Das Momentum und die Euphorie um das EPI-Projekt mit der Zielsetzung, ein europäisches Zahlungsverfahren zu etablieren, das auf Augenhöhe mit den internationalen Schemes und GAFAs agiert, die Kundenbeziehung für die Bankwirtschaft sichert und sowohl kartenbasierte als auch digitale und P2P-Zahlungen ermöglicht, sind mittlerweile verflogen. Nach umfangreichen konzeptionellen Vorarbeiten ab 2019, dem Launch der Interim Company ("EPI IC") Ende 2020 und mehreren Entscheidungsterminen zwischen den Gesellschaftern im vergangenen Halbjahr, sind erste realisierbare Ergebnisse weiterhin offen. Zudem haben einige Gründungsmitglieder ihren Rückzug verkündet. In der Summe erscheinen damit vorrangig die folgenden beiden Szenarien als realistische Möglichkeiten:

1. Einstellung der Initiative oder

2. Minimalkonsens der beteiligten belgischen, deutschen und französischen Banken. Dies würde im Kern die gemeinsame Weiterentwicklung der lokalen Schemes Bancontact, Girocard und Cartes Bancaires bedeuten.

Das ursprünglich geplante Zielszenario scheint damit lediglich als langfristige Ausbaustufe zur zweiten Option denkbar. Damit bleibt EPI hinter den definierten Ambitionen zurück und es droht ein ähnliches Schicksal wie das der Vorgängerinitiativen wie EAPS und Monnet.

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob die europäische Bankwirtschaft die Ziele von EPI nicht auf einem alternativen Weg erreichen kann. Neben der "Top-down"-Etablierung eines neuen europaweiten Zahlverfahrens à la EPI, mit dem entsprechenden Investitionsbedarf und den operativen Risiken (wie etwa der Entwicklung eines echten "Customer Values", der Etablierung der Marke und der kritischen Massen in einem zweiseitigen Markt) ist in einem "Bottom-up"-Ansatz auch die Option der Interoperabilität beziehungsweise Konvergenz bereits erfolgreicher, innovativer, mobiler Zahlverfahren auf europäischer Ebene denkbar.

Europäische Mobile-Payment-Landschaft fragmentiert

Bemerkenswerterweise ist es den Banken in vielen unserer Nachbarländer mittlerweile gelungen, mobile Zahlverfahren so erfolgreich zu etablieren, dass sie exponentielles Wachstum aufweisen können und Bestandteil des täglichen Lebens der Verbraucher geworden sind. Entsprechend werden nachfolgend - nach einem generellen Überblick über die Mobile-Payment-Landschaft in Europa - diejenigen Verfahren vertieft dargestellt, die vonseiten der jeweiligen Bankwirtschaften erfolgreich etabliert werden konnten und besonders relevant für den beschriebenen "Bottom-up"-Ansatz wären.

Abbildung 1: Die europäische Mobile-Payment-Landschaft ist vielfältig Quelle: Arkwright

Aus der Vogelperspektive betrachtet erscheint die europäische Mobile-Payment-Landschaft weiterhin fragmentiert und von einer geringen industriepolitischen Reife. Allein eine Auswahl der offenen nationalen Verfahren, die eine gewisse Relevanzschwelle überschritten haben, umfasst 41 verschiedene Initiativen (ohne Berücksichtigung der internationalen Lösungen,1) Closed-Loop-Wallets und etlicher Verfahren im Start-up-Bereich). Bei einer näheren Betrachtung dieser 41 Verfahren sind die folgenden gemeinsamen Merkmale und Evolutionsmuster zu erkennen:

  • Die Mehrheit der Verfahren basiert auf bereits bestehenden Zahlungslösungen und -prozessen, also internationalen oder nationalen Schemes oder Account-to-Account-Payments (A2A).
  • Mit P2P-Payments, PoS-Payments sowie Online-Payments werden verschiedene Use Cases bedient. Ihren
  • Den mobilen Verfahren gelingt es häufig die Kundenschnittstelle zu "besetzen". Sie stellen damit die präsente "Brand" aus der Perspektive ihrer Nutzer dar.
  • Etliche Verfahren weisen ein exponentielles Wachstum auf. Die erforderliche Marktpenetration wurde häufig durch den Fokus auf spitze Use Cases und eine schrittweise Verbreiterung erst im Nachgang erreicht.
Abbildung 2: Relevante Mobile-Payment-Verfahren der europäischen Bankwirtschaft Quelle: Arkwright

Erste Tendenzen zur Europäisierung

Neben dem exponentiellen Wachstum einzelner Verfahren sind erste Tendenzen zur Europäisierung zu beobachten. Dies ist ebenfalls ein Indikator für eine zunehmende Reife des Segments.

Ansatz Nummer eins ist die Interoperabilität: Hier gibt es einen Zusammenschluss von 14 Anbietern2) zur European Mobile Payment Systems Association (EMPSA), deren Ziel es ist, "ein nahtloses mobiles Bezahlen in ganz Europa zu schaffen". Kumuliert kommen die EMPSA-Verfahren nach eigener Aussage auf über 70 Millionen Nutzer.

Daneben gibt es in Skandinavien eine Konsolidierung: 2021 hat die Betreibergesellschaft des norwegischen Verfahrens Vipps den Zusammenschluss mit den skandinavischen Verfahren Mobile Pay (Dänemark) und Pivo (Finnland) angekündigt. Zielsetzung ist die Entwicklung einer länderübergreifend einheitlichen Lösung in den Nordics.

Auch Bankenverfahren auf Wachstumskurs

Mittlerweile gehören zu den wachstumsstärksten Lösungen nicht mehr nur die üblichen "Best Practices" aus den Nordics (Mobile Pay, Swish und Vipps). Etliche Verfahren der kontinentaleuropäischen Banken beschreiten mittlerweile einen ähnlichen Wachstumspfad und können hohe Transaktionszahlen und eine hohe Marktpenetration vorweisen.

Die relevantesten mobilen Verfahren der Bankwirtschaften in Europa sind Blik (Polen), Bizum (Spanien), MB Way (Portugal), Mobile Pay (Dänemark), Payconiq (Belgien), Paylib (Frankreich), Swish (Schweden), Twint (Schweiz) sowie Vipps (Norwegen) und somit besonders relevant für den "Bottom-up"-Ansatz. Kumuliert wurden über diese Verfahren im Jahr 2020 2,3 Milliarden Transaktionen abgewickelt. Zudem entwickelt sich das Wachstum exponentiell, weshalb in vielen Fällen ein relevanter Kundennutzen unterstellt werden kann.

Abbildung 3: Penetrationsraten und Nutzungshäufigkeit europäischer Mobile-Payment-Lösungen Quelle: Arkwright

Dieser Wachstumstrend bestätigt sich auch hinsichtlich der Penetrationsrate der einzelnen Verfahren. Über die vergangenen Jahre hat sich bei den dargestellten kontinentaleuropäischen Verfahren ein Wachstumspfad herausgebildet, der in den nächsten vier bis fünf Jahren eine ähnliche Durchdringung erreichen kann, wie sie die "Best Practices" in den Nordics aktuell aufweisen.

Bei der Nutzungsquote bietet sich ein heterogeneres Bild - sowohl bei den Transaktionen pro Nutzer als auch bei der Wachstumsgeschwindigkeit. Unter den kontinentaleuropäischen Verfahren wachsen Blik (Polen), MB Way (Portugal) und Twint (Schweiz) am schnellsten. In diesen Ländern werden die Verfahren mit großer Konsequenz und vonseiten der gesamten nationalen Bankwirtschaft vorangetrieben. In Frankreich ziehen hingegen nicht alle großen Retailbanken an einem Strang, entsprechend wenig überraschend ist das langsamere Wachstum von Paylib. Kwitt aus Deutschland wurde in dieser Analyse nicht aufgenommen, da es sich in einem Rebranding zu Giropay befindet.

Auf erfolgreiche Verfahren aufsetzen?

In Europa gibt es mittlerweile etliche "Success Stories" im Bereich mobiler Zahlverfahren, die von den lokalen Bankwirtschaften getrieben werden. Aufgrund der beginnenden Europäisierung sollte die deutsche Bankwirtschaft diese Entwicklungen nicht nur beobachten, sondern gegebenenfalls aktiv mitgestalten. Über eine europäische Interoperabilität oder sogar Konvergenz bietet sich zudem die Chance, die Ziele von EPI über einen "Bottom-up"-Ansatz zu erreichen und die Kundenschnittstelle im Payment zu sichern.

Die Herausforderungen sind auch in einem solchen Szenario enorm. Neben der erforderlichen technischen, rechtlichen und finanziellen Interoperabilität gibt es wie bei EPI verschiedene substanzielle Hürden, die zu lösen sind. Dazu gehören zum Beispiel die langfristige Absicherung der Erträge für die Bankwirtschaft, die Entwicklung von Use Cases auf Augenhöhe mit dem internationalen Wettbewerb, effiziente Governance über Gesellschafterkreise und Ländergrenzen hinweg sowie die Schaffung einer globalen Akzeptanz - beispielsweise. durch ein intelligentes Co-Badging. Im Gegensatz zu EPI hätte der "Bottom-up"-Ansatz allerdings den Vorteil, dass auf innovative und wachsende Zahlverfahren aufgesetzt werden kann, die ihren "Proof-of-concept" bereits erbracht und in vielen europäischen Ländern die kritische Masse im Handel und bei den Nutzern erreicht haben. Der Investitionsbedarf und insbesondere das Investitionsrisiko wären somit deutlich geringer.

Plan B für die deutschen Banken

Von außen betrachtet sind für eine aktive Mitgestaltung dieser Entwicklung durch die deutsche Bankwirtschaft die folgenden Optionen zu benennen:

1. Fortführung von EPI und dabei Orientierung an den Erfolgsfaktoren und Vertriebsstrategien der "Best Practices" sowie Prüfung einer schrittweisen Konvergenz mit einzelnen mobilen Verfahren (Kombination des "Top-down-" und "Bottom-up"-Ansatzes).

2. Fortführung des Rebrandings von Giropay und Kwitt unter Berücksichtigung der Schaffung einer Interoperabilität zu den relevanten mobilen Zahlverfahren in den Nachbarländern.

3. Einführung eines gemeinsamen neuen mobilen Zahlverfahrens in Deutschland, das sich bereits an den europäischen "Best Practices" orientiert, eine Interoperabilität vorwegnimmt oder sogar in einer Partnerschaft/einem White-Label-Ansatz aufgesetzt wird.

Die Relevanz der Optionen zwei und insbesondere drei hängt von der weiteren Entwicklung des EPI-Projekts ab, dessen Erfolg aus einem europäischen und industriepolitischen Gedanken heraus weiterhin sehr sinnvoll und wünschenswert wäre. Die dargestellte Überlegung ist als ein "Plan B" zu verstehen, über den die initiale Zielsetzung auf einem alternativen Weg zu erreichen wäre.

Fußnoten

1) Zum Beispiel "OEM Pays" wie Apple/Samsung/Google Pay oder digitale Wallets wie Paypal, Alipay

2) EMPSA-Mitglieder: Bamcard (Bosnien Herzegowina), Bancomat Pay (Italien), Bancontact Payconiq (Belgien), Bankart (Slowenien), Blik (Polen), Bluecode (Deutschland und Österreich), Borica (Bulgarien), Ideal (Niederlande), Mobile Pay (Dänemark und Finnland), Pick by Paydo (Italien), SIBS (Portugal), Swish (Schweden), Twint (Schweiz), Vipps (Norwegen), [Website EMPSA, Stand: 22.01.2022, https://empsa.org/#members?

Steven Jacob , Partner, Arkwright Consulting, Hamburg

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