BARGELD

Bargeld im Wandel der Zeit - eine längst noch nicht beendete Geschichte

Dr. Dr. Edoardo Beretta, Foto: privat

Mehr und mehr wird Bargeld von staatlichen Entscheidungsträgern mit Steuerhinterziehung oder Terrorismusfinanzierung in Verbindung gebracht. Diese Mär ist schwer zu widerlegen, so Edoardo Beretta, obwohl auch solche Geschäfte heutzutage häufig über elektronische Zahlungsströme abgewickelt werden. Der deutliche Anstieg der Nachfrage nach Bargeld bei gleichzeitiger Zunahme der Kartenzahlung zeigt jedoch: Im 21. Jahrhundert verliert Bargeld seine Rolle als Zahlungsmittel. Dafür wird es als Geldaufbewahrungsmittel, quasi als "Gold des 21. Jahrhunderts" immer wichtiger. Im Zahlungsverkehr bleibt es eine freiheitsrechtliche Bastion, die Verbraucher davor schütz, völlig gläsern zu werden. Red.

Bis noch vor einem bis zwei Jahrzehnten hätte die Infragestellung der Rolle von Bargeld als Legal Tender - wohl auch aus Mangel an ebenbürtigen Alternativen - einen ungehörigen Tabubruch bedeutet. Dass es im Zuge der Finanzialisierung des Banken- und Finanzsektors weltweit zu zunehmendem Gebrauch digitaler Zahlungsmedien gekommen wäre, hätte man sich leicht vorstellen können. Ein derartiger Digitalisierungstrend bei Transaktionsabwicklungen ist also nichts Neuartiges, obwohl zwischen Nationen desselben Kontinents der Beliebtheitsgrad digitaler Zahlungsmittel auch weit auseinandergehen kann. Beispielsweise wurden im Jahre 2018 Zahlungen in Spanien immer noch zu 87 Prozent in bar abgewickelt, wobei dieser Anteil in Deutschland knapp unterhalb bei 80, im Vereinigten Königreich aber bei 42 und in Schweden sogar bei 20 Prozent1) lag.

Tabelle 1: Bargeldobergrenzen in europäischen Ländern Quelle: Edoardo Beretta

Ein Mittel der Steuerhinterziehung?

Banknoten und Münzen sind in letzter Zeit zudem ins Visier staatlicher Entscheidungsträger gerückt, indem sich die (angebliche) Assoziation zwischen "physischen Zahlungsmitteln" und "Steuerhinterziehung" oder gar "Terrorfinanzierung" zunehmend etabliert hat. Was den letzten Punkt angeht, haben von der Europäischen Kommission beauftragte Studien ihn nicht widerlegt, aber zumindest die Effektivität von Bargeldobergrenzen - dazu im Folgenden mehr - beanstandet: "restrictions on cash payments would have little positive impact on terrorism financing or tax fraud. However, (...) restrictions on payments in cash were useful in combatting money laundering, and (...) the existence of diverging restrictions at national level had a noticeable negative impact on the internal market by distorting competition and creating an uneven playing field among some businesses". 2)

Schwieriger gestaltet es sich hingegen die Mär abzutun, nach der Bargeld ein angebrachtes Mittel zur Steuerhinterziehung sei. Die verlagsoffizielle Zusammenfassung von Starökonom Kenneth S. Rogoffs "The curse of cash: how large-denomination bills aid crime and tax evasion and constrain monetary policy" (2017) ist allerdings nicht gerade neutral, wenn sie statutiert: "(c)ash is becoming increasingly marginalized in the legal economy, but there is a record amount of it in circulation (...) and most of it is used to finance tax evasion, corruption, terrorism, the drug trade, human trafficking, and the rest of a massive global underground economy".3)

Es stimmt natürlich: Illegale Transaktionen dürfen so wenig nachweisbar und/oder rückverfolgbar wie möglich sein. Allerdings gibt es ein weiteres Element, das allzu selten thematisiert wird, obgleich es über die Wirksamkeit von Bargeld als angeblich "intransparentem Zahlungsmittel" maßgeblich entscheidet: dessen (begrenzte) Praktikabilität. Anderweitig formuliert gestaltet es sich besonders heikel, illegale Zahlungsströme (nur) über schwer zu verfrachtendes und aufzubewahrendes Bargeld zu nähren.

Steuerhinterziehung und gesetzeswidrige Geschäfte werden heutzutage nämlich häufig über elektronische und dennoch: genauso wenig zurückzuverfolgende Zahlungsströme angetrieben. Subprime-Kredite sind nicht etwa aufgrund des Bargeldgebrauchs, sondern durch die real ungedeckte Wertschöpfung seitens des amerikanischen Banken- und Finanzsystems (das heißt auf Giralebene) vergeben worden.

Gesetzlichen Bargeldobergrenzen sind paradox

Trotz solcher Erkenntnisse bleibt Bargeld und Co im Fokus harter Kritik. Dass verschiedene europäische Länder begonnen haben, gesetzliche Obergrenzen einzuführen, um den Bargeldgebrauch im Alltag einzuschränken, und somit einen regelrechten Flickenteppich aus teils widersprüchlichen Regelungen veranlasst haben, ist einerseits paradox, zumal die Vereinigten Staaten von Amerika, nämlich zwischen 1888 und 1894 die Geburtsstätte erster Kreditkartenformen, sich bislang nicht zu einem derartigen Schritt getraut haben.

Andererseits sind solche Eingriffe selbst in wirtschaftspolitischer Hinsicht zu hinterfragen. Schließlich geht es um die partielle Entmachtung des einzigen in Verfassungen und/oder Notenbankgesetzen verankerten Zahlungsmittels. Unter § 14 des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank liest man beispielsweise, dass "(a)uf Euro lautende Banknoten (...) das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel (sind)". 4)

Dass Krisen finanziellen Ursprungs sich zumeist mithilfe äußerst volatiler oder real ungedeckter Zahlungsinstrumente sowie auf Bankenebene zugetragen haben, scheint Entscheidungsträger jedoch wenig zu kümmern. Gleiches gilt auch dafür, dass Bargeld das einzig von Privatkunden besitzbare Notenbankgeld darstellt ("Der Notenbank (Zentralbank) obliegt die Schaffung des Zentralbankgeldes; dazu rechnen das Bargeld und die Sichtguthaben bei der Notenbank").5)

Bargeldumlauf in der Pandemie deutlich gestiegen

Es ist wie bereits angedeutet unwiderlegbar, dass digitale Zahlungstrends mit modernen Zahlungssystemen besonders kompatibel sind. Eine derartige Vereinbarkeit darf allerdings keinen Substitutionsdrang hervorrufen, zumal Bargeld immer wieder beweist, unverzichtbar zu sein. Ein jüngstes Beispiel liefert die Covid-19-Pandemie mit den Mitte März des Jahres 2020 erstmalig beschlossenen Lockdowns. Trotz Bewegungseinschränkungen - nebenbei bemerkt: "Corona-Leine" oder offiziell die "Einschränkung des Bewegungsradius" ist nicht nur ein Unwort, zumal die Bewegungsfreiheit der Bürger in Hotspots damit sprachlich einem angeleinten Tier gleichgestellt wird, sondern ist in Sachen Infektionsschutz fragwürdig, wo im stark betroffenen Italien schon seit März 2020 noch striktere Bewegungseinschränkungen zusammen mit einer schriftlichen Eigenerklärungspflicht herrschen -, trotz Ausgangssperren, Homeoffice oder Quarantänepflichten hat der Bargeldumlauf in verschiedenen Ländern deutlich zugenommen.

In der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion ist von Januar bis Dezember 2020 der Gesamtwert aller umlaufenden Banknoten um 160,64 Milliarden Euro (das heißt um 12,61 Prozent) gestiegen, was im Vergleich zum Vorjahr (84,08 Milliarden Euro und plus 6,96 Prozent) einen markanten Zuwachs bedeutet.6)

Gleiches gilt auch für die Vereinigten Staaten von Amerika: Der im Jahr 2020 verzeichnete Anstieg lag bei 271,60 Milliarden US-Dollar (das heißt plus 15,10 Prozent), wo er 2019 noch bei 84,53 Milliarden US Dollar (das heißt plus 4, 94 Prozent) verharrt hat.7)

Im 21. Jahrhundert vor allem ein Wertaufbewahrungsmittel

Sicherlich ließe sich ein Anteil dieses Trends auf die Zentralbanken zurückführen, die Liquidität (auch in Form physischer Zahlungsmittel) antizyklisch auszustellen vermögen. Aber selbst eine derartige Annahme würde de facto bestätigen, dass Bargeld im 21. Jahrhundert vor allem als Wertaufbewahrungsmittel zu betrachten ist. Trotz der Unmöglichkeit, inmitten der Lockdowns von Banknoten und Münzen (einen erheblichen) Gebrauch zu machen, wird bei Wirtschaftskrisen immer noch auf ebendieses Zahlungsmittel zurückgegriffen, selbst um es (keynesianisch ausgedrückt) zu "horten".

Ein Blick auf den umlaufenden Banknoten- und Münzwert pro Bürger (in US-Dollar berechnet) genügt außerdem, um - bis auf die Ausnahme Schwedens, das unter den skandinavischen Regierungen als besonders bargeldfeindlich gilt - zu zeigen, dass die Bargeldausgabe alles andere als abgenommen hat.

Tabelle 2: Umlaufender Banknoten- und Münzwert pro Bürger in US-Dollar Quelle: Edoardo Beretta

Die Aufgabe von Edelmetallen übernommen

Während ihre Zahlungsmittelfunktion aufgrund des Aufstiegs modernster Technologien rückgängig sein mag, bleiben Banknoten und Münzgeld unerlässliche "Stabilitätsanker" in einem von jeglicher Golddeckung losgelösten internationalen Zahlungssystem. Es lässt sich sogar behaupten, dass in goldabhängigen Zahlungssystemen (zum Beispiel im Goldstandard von 1870 bis 1914 und von 1918 bis 1939, aber auch im Gold-Devisen-Standard von 1944 bis 1973) Papiergeld das "Problem" darstellte, zumal es sich im Vergleich zu Sachwerten wie Edelmetallen besonders leicht (über)ausstellen ließ.

In Fiatgeldsystemen (wo Gold keine Rolle mehr spielt) hat Bargeld die Aufgabe von Edelmetallen übernommen und stellt sozusagen die "Wertdeckung" digitaler Zahlungsmedien dar. Dass inmitten der zypriotischen (2012 bis 2013), griechischen (2015), aber auch britischen (2007) Finanz- und Schuldenkrise Bankschalter gestürmt worden sind (obwohl Bankanstürme bis dato als Relikt der Vergangenheit galten), zeigt, wie Bargeld heutzutage mehr denn je als Wertaufbewahrungsmittel fungiert.

Bankkunden fordern zumeist in Krisenzeiten nicht, ihre Ersparnisse auf ein anderes Bankkonto zu transferieren, sondern sie in bar zurückzubekommen. Der Unterschied könnte nicht substanzieller sein. Bis 1971 konnten Zentralbanken im Gegenzug zu 35 US-Dollar noch eine Goldunze erhalten, aber auch der auf britischen Banknoten lesbare Hinweis "I promise to pay the bearer on demand the sum of ..." ist als Hinweis zu deuten, dass Geldscheine als praktischere "Alter Egos" von Edelmetallen konzipiert worden sind. Da nunmehr seit Dekaden kein derartiges Umtauschbarkeitsprinzip gilt, ist Bargeld zum "Gold des 21. Jahrhunderts" geworden.

Eine "freiheitsrechtliche Bastion"

Jegliche Einschränkung bei dessen Gebrauch - egal, ob Bargeldobergrenzen es eher auf die Rolle des Bargelds als Zahlungsmittel absehen - sprengt das allgemeine Vertrauen in die Geldstabilität, die (schon aus psychologischer Perspektive) der Greifbarkeit bedarf.

Zu E Cash, das die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zusammen mit anderen Notenbanken seit 2020 testet, ließe sich viel schreiben. Auch dass es keine ebenbürtige Alternative zu Bargeld darstellt, das beispielsweise stromunabhängig funktioniert. Jedweder ausgeprägte Rückgriff auf digitale Zahlungsmedien, die sich - wohlgemerkt - zu noch geringeren Kosten als Papiergeld (vergleiche von 0,077 bis 0,196 US-Dollar pro amerikanischer Banknote)8) ausstellen lassen, fördert nicht zuletzt die so genannte "Geld presse" der Notenbanken.

Bargeld bleibt nicht zuletzt eine "freiheitsrechtliche Bastion", kein "gläserner Kunde" zu werden. Denn zu den öffentlichen Gütern, die im 21. Jahrhundert vor potenziellem Datenmissbrauch geschützt werden müssen, gehört nicht zuletzt die Privatsphäre. Dass ihr Schutz nicht im Widerspruch zu Legalität steht, ist selbstredend. Aber selbst digitale Zahlungsmedien können neben Bargeld weiterbestehen, einem schrumpfenden Zahlungs-, aber umso strategischen Wertaufbewahrungsmittel.

Fußnoten

1) http://www.statista.com/chart/19868/shareof-cash-payments-in-different-countries.

2) Aus S. 3 vom Report from the Commission to the European Parliament and the Council on restrictions on payments in cash der Europäischen Kommission (2018).

3) http://press.princeton.edu/books/hardcover/9780691172132/the-curse-of-cash.

4) http://www.gesetze-im-internet.de/bbankg_14.html.

5) Aus S. 53 von Einführung in die Geldtheorie (von Otmar Issing, 2014, Verlag Franz Vahlen, München).

6) Eigene Berechnung auf Grundlage von: http://www.ecb.europa.eu/stats/policy_and_exchange_rates/banknotespluscoins/circulation/html/index.en.html.

7) Eigene Berechnung auf Grundlage von: http://fred.stlouisfed.org/series/CURRCIR#0.

8) http://www.federalreserve.gov/faqs/currency_12771.htm

Dr. Dr. Edoardo Beretta , Università della Svizzera italiana (USI), Lugano (Schweiz)

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