PAYMENT-DIENSTLEISTER

Ist die DACH-Region bereit für Omnichannel?

Michael Santner, Foto: Nets/Concardis

Der Omnikanal-Handel ist gegenüber dem Multikanalansatz die nächste Evolutionsstufe. Er ermöglicht ganz neue Reaktionszeiten auf Kundenwünsche und macht aus Big Data im Payment nutzbare Smart Data. Was in manchen Bereichen, wie etwa der Hotellerie, bereits gelebte Praxis ist, ist im Einzelhandel nicht ganz so einfach zu realisieren, weiß Michael Santner. Dafür müssen Prozesse neu gedacht werden, anstatt einfach nur analoge Prozesse zu digitalisieren. Wer diese Entwicklung nicht mitgeht, wird abgehängt. Durch das Denken vom Kunden her sind beispielsweise Abomodelle mit einfacher Handhabung und monatlichen Kündigungsfristen wieder salonfähig geworden. Red.

Eine hybride Vertriebsstrategie ist spätestens seit der Pandemie für fast alle Händler und Dienstleister eine gute Entscheidung - darin sind sich Payment-Fachleute und Marketingexperten einig. Aber ist der Markt in der DACH-Region so weit, Omnichannel-Handel auch umzusetzen oder bleibt es bei bekannten Multichannel-Lösungen? Tatsächlich sind Vision und Realität manchmal nur eine Hausnummer voneinander entfernt.

Technisch möglich ist heute nahezu alles: Mehrere Gesellschaften einer Gruppe, verteilt auf europäische Länder, Vertrieb über den Webshop, im Laden, via Apps und Social Media - mit ebenso vielen Geschäftsmodellen von Abos über Einmalkäufe und Buchungen - all das über eine Schnittstelle in einem System vereint.

Omnichannel-Handel - im Vergleich zum bislang etablierten Multichannel - bringt für Händler und ganze Konzerne nicht nur die nächste Evolutionsstufe des Verkaufens über verschiedene Kanäle und Plattformen, es bringt zugleich eine neue Grundlage der Unternehmenssteuerung anhand von Echtzeitdaten.

"Game Changer" in der Unternehmensführung

Dadurch, dass alle Zahlungsströme und Kaufdaten unabhängig von der Geschäftseinheit, der Gesellschaftsform oder dem Geschäftsmodell über eine Schnittstelle in Echtzeit zusammenlaufen, können sie auch zentral ausgewertet werden. Das ist für die strategische Unternehmensführung ein Game Changer. Wo und was kaufen die Kunden - zu welchen Zeiten und über welchen Vertriebsweg, mit welchen Zahlungsmitteln? Daraus lassen sich wertvolle Rückschlüsse ableiten: Passen die Öffnungszeiten? Wie muss die Marketingkampagne angepasst werden, damit sie die Kunden passgenau abholt? Die gemeinsame Schnittstelle und die Erfassung in einem zentralen System ermöglicht einen viel schnelleren Ein- und Überblick und damit auch völlig neue Reaktionszeiten auf Marktveränderungen und Kundenwünsche.

Wer dieses Wissen nutzt, kann die Kundenbindung durch personalisierte Empfehlungen und individuelle Angebote deutlich stärken. Aber auch das Warenmanagement, die Neukundengewinnung oder der Personaleinsatz können passgenau geplant und gesteuert werden, dank der Echtzeitdaten und Auswertungen. Omnichannel macht aus Big Data im Payment nutzbare Smart Data.

Vollautomatisierte Reportings

Aber nicht nur für das Controlling und die Unternehmenssteuerung bietet Omnichannel neue Chancen. Die Konsumenten sehen und spüren keine Brüche mehr in ihrem Einkaufserlebnis. Unabhängig vom Kanal oder der vorher gewählten Zahlungsart können damit beispielsweise Erstattungen so gutgeschrieben werden, wie der Kunde es wünscht. Das Einkaufserlebnis für Kunden bei einer Marke ist nahtlos - wobei die Marke keine Grenze bildet.

Bei echtem Omnichannel lassen sich auch unterschiedliche Unternehmen und Gesellschaftsformen innerhalb eines Konzerns oder einer Gruppe in einem System zusammenführen - selbst über Ländergrenzen hinweg.

Ob jemand in Österreich mit Kreditkarte Laufschuhe kauft, sie in Deutschland im Webshop bestellt oder in der Schweiz die Premiumversion der dazugehörigen Trainings-App bucht: Alles läuft in dasselbe System und kann über ein vollautomatisiertes Reporting ausgewertet werden.

In der Hotellerie bereits gelebte Praxis

Was noch ein bisschen nach Payment-Science-Fiction klingt, wird heute bereits in einigen Branchen alltäglich genutzt - in der Hotellerie beispielsweise. Vollintegrierte und vollautomatische Lösungen über Property-Management-Systeme (PMS) mit angeschlossenem Payment nutzen die Tokenisierung, um Omnichannel-Commerce zu realisieren.

Ein Beispiel: In der Buchungs-App einer Plattform reserviert ein Gast ein Hotelzimmer mit seiner Kreditkarte. Die Kreditkartendaten werden über den Paymentanbieter tokenisiert - und nur der Token wird an das Hotel weitergegeben. Der Gast nutzt während seines Aufenthaltes die Minibar und bucht im Online-System den Bügelservice des Hotels, geht zum Frühstück und trinkt mit einem Geschäftspartner abends etwas an der Hotelbar. Das Hotel braucht zu keinem Zeitpunkt die Kreditkarte. Am Ende des Aufenthalts prüft der Gast die Leistungen und den Betrag und gibt ihn frei.

Dank des Tokens läuft die Abrechnung komplett über die bei der Reservierung in der Buchungs-App hinterlegte Kreditkarte. Mehrfache Autorisierung und die Dateneingabe in unterschiedlichen Systemen entfallen für den Gast. Der manuelle - und damit zeitaufwendige und fehleranfällige - Abgleich von Zahlungen des Hoteliers ist nicht mehr notwendig.

Nicht nur für große Konzerne ein Thema

Als geschlossenes, vollintegriertes System läuft der Kassenschnitt automatisiert. Der Unternehmer hat jederzeit in Echtzeit alle Zahlungsströme im Blick. Nachfolgende Prozesse, wie die Finanzbuchhaltung, sind nahtlos angeschlossen. Es gibt schlicht keine Lücken und Brüche mehr und damit ein Höchstmaß an Sicherheit.

Das Beispiel zeigt auch: Omnichannel ist auch für kleinere - in dem Fall - Hotels relevant und keineswegs nur für große Konzerne ein Thema. Es verschlankt Prozesse, reduziert damit Aufwand, nimmt Risiken und stärkt die Kundenbindung. In der Hotelbranche ist Omnichannel also längst gelebte Praxis - auch wenn es vielleicht bei den Hotelinhabern nicht unter diesem Begriff firmiert.

Andere Herausforderungen im Retail-Segment

Warum ist das Retail-Segment hier noch nicht so weit? Es gibt die Unternehmen, die bereits heute Omnichannel als Chance erkannt haben und nutzen - noch ist es im Handel aber eher die Ausnahme als die Regel. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Herausforderungen andere sind, weil die Produkte und Abläufe sich fundamental von der Hotellerie unterscheiden.

Das gerne beim Stichwort Omnichannel-Handel genannte Beispiel der Jacke, die online gekauft wird, nicht passt und im Laden der entsprechenden Marke umgetauscht werden soll, ist griffig, hat aber auch Tücken im Detail. Selbst wenn das dahinterliegende Omnichannel-System tadellos funktioniert, der Kunde also beispielsweise auch im Laden eine Erstattung auf seine Online-Zahlungsart erhält, ist das positive Einkaufserlebnis nicht garantiert - Logistik und Warenmanagement spielen eine entscheidende Rolle. Der Kunde will die Jacke vor Ort vielleicht in einer anderen Größe anprobieren, die auch hier nicht vorrätig ist - und ist enttäuscht. Der Händler verspricht, die Jacke sofort zu ordern, sie ist am nächsten Tag da. Der Kunde hat allerdings inzwischen im nächsten Laden gekauft. Aufwand und Kosten blieben dann beim Unternehmen, die Kundenbindung hätte dennoch gelitten.

Unified Commerce verlangt Neudenken von Prozessen

Diese Fragen sind lösbar und im Sinne der Kundenzentrierung müssen sie ohnehin schleunigst beantwortet werden - ganz unabhängig von der Frage des Omnichannel-Handels. Aber das Beispiel macht deutlich, dass der vollintegrierte Handel, der Unified Commerce, an vielen Stellen ein Neudenken der Prozesse voraussetzt - Prozesse, die aber in jedem Fall in Zeiten verschwimmender Grenzen von Online- und Offline-Welt anders aufgesetzt werden müssen, um Kunden und Umsätze zu halten.

Analoge Vorgänge einfach nur zu digitalisieren, wird deshalb für keine Branche ausreichen, um den Herausforderungen von Markt und Kundenbedürfnissen zu begegnen und die Chancen zu nutzen. Fest steht: Cross-Channel-Tokenisierung ist kein Selbstzweck. Die Konsumenten lassen sich heute auf Facebook inspirieren, per Whatsapp beraten und kaufen letztlich vielleicht im Laden vor Ort. Sie nutzen selbstverständlich das, was ihrem Bedarf an Komfort entgegenkommt oder was bisherige Probleme auflöst.

Diese Entwicklung ist für bestimmte Segmente gnadenlos. Videotheken sind komplett verschwunden, seit es Streaming-Anbieter gibt, die ohne die Gefahr von Verzugsstrafen riesige Mengen an Filmmaterial zum Komplettpreis im Monat vom Sofa aus anbieten. Monatliche Kündigungsfristen und einfaches Handling haben dabei das in Verruf geratene Abomodell wieder salonfähig gemacht.

Mit dem Prinzip der wiederkehrenden Zahlung und der automatisierten Lieferung werden heute selbst hochwertige Biolebensmittel als Box verschickt. Das dahinterstehende Prinzip ist bei näherer Betrachtung ebenso radikal wie konsequent und wird in Zukunft alle Händler und Dienstleister betreffen - unabhängig vom angebotenen Produkt oder Service.

Die Lösung liegt in der Omnipräsenz des Angebots

Der Kunde hat die Wahl und er nutzt sie. Die Lösung liegt in der Omnipräsenz des Angebots. Das ist allerdings nur dann für Konsumenten auch attraktiv und für Unternehmen beherrschbar, wenn die dahinterliegenden Prozesse umso stärker zentralisiert sind.

Allen Abgesängen zum Trotz: Auch in Zukunft wird der stationäre Handel nicht durch Online-Angebote ersetzt. In hybriden Modellen wird sich das durchsetzen, was entweder im Virtuellen oder im Realen besser passt. Für Unternehmer bedeutet das: Sie sollten sich weder auf das eine noch auf das andere fokussieren, sondern ihr Geschäft aus der Kundenperspektive denken und alle Prozesse daraus entwickeln. Mit den Omnichannel-Lösungen ist es dann möglich, die verschiedenen Kontakt- und Kaufpunkte nahtlos zu verzahnen.

Auf den Punkt gebracht, sind die Kunden längst für Omnichannel-Handel bereit. Sie setzen ihn schlicht voraus. Und sie werden sich an die Marken und Unternehmen binden, die diesen Anspruch erfüllen. Die Chancen, die das für Händler im Umsatz, in der Kundenbindung und für die Steuerung bietet, sind enorm - sie müssen nur genutzt werden.

Michael Santner , Head of PSP DACH, Nets/Concardis, Eschborn

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