DIGITALWÄHRUNGEN

Warum wir digitales Geld haben sollten

Dr. Wolfram Seidemann, Foto: Giesecke & Devrient

Die Zeit ist reif für den digitalen Euro, meint Dr. Wolfram Seidemann. Denn weder der zunehmend bargeldlose Zahlungsverkehr noch Krypto-Assets oder Stablecoins wie Diem erfüllen alle Anforderungen an digitales Geld - von der staatlichen Legitimation und Stabilität über Kostenfreiheit bis hin zur Anonymität sowie der Kostenfreiheit beim Gebrauch. Das Bargeld braucht deshalb eine digitale Entsprechung - auch mit Blick auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Finanzwesens sowie des europäischen Wirtschaftsraums. Die immer wieder geäußerten Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes teilt der Autor übrigens nicht. Red.

Die Covid-19-Pandemie hat dem Trend zu digitalem Einkaufen und Bezahlen einen enormen zusätzlichen Schub verliehen. Dabei erfolgen bargeldlose Transaktionen bereits in einer Vielzahl an Bezahlarten. Keine der vorhandenen Formen kombiniert jedoch bislang die Vorteile von Bargeld mit dem Komfort und der Schnelligkeit elektronischen Bezahlens. Erst digitales Geld in Form einer echten digitalen Zentralbankwährung wird dies leisten können.

Das Anforderungsprofil für ein solches universelles digitales Zahlungsmittel ist anspruchsvoll: Es muss die gleichen Funktionen wie Bargeld besitzen, also sowohl als Tauschmittel, als Recheneinheit und als Wertaufbewahrung tauglich sein. Voraussetzung dafür ist die staatliche Legitimation über souveräne Währungsinstitutionen, die so ihre gesetzlich verankerte Verpflichtung zur Sicherung der Geldwertstabilität erfüllen können. Eine digitale Währung muss zudem jederzeit für jedermann zugänglich und anonym nutzbar sein und darf die Nutzer nicht mit zusätzlichen Gebühren für Zahlungstransaktionen belasten.

Sieht man sich den aktuellen bargeldlosen Zahlungsverkehr daraufhin einmal genauer an, dann wird schnell ersichtlich: Echtes digitales Geld, das man überall unabhängig von einem Konto einsetzen kann und das als gesetzliches Zahlungsmittel von Staaten garantiert wird, gibt es noch nicht. So ist beim Bezahlen über ein Smartphone, Tablet oder Notebook zwar das Endgerät digital. Die weiteren Aktionen danach stützen sich auf sogenannte Buchgeld-Transaktionen mit seit langem etablierten analogen Währungen und Infrastrukturen und teilweise digitalen Bearbeitungsschritten. Von durchgängig digitalen Transaktionen in der Zahlungskette sind wir dabei ebenso weit entfernt wie von einer echten digitalen Währung. Die dadurch verursachten systemimmanenten Medienbrüche mit ihren vielen beteiligten Akteuren erschweren und verteuern nicht zuletzt die Bearbeitung der Transaktionen und die notwendigen Sicherungsmaßnahmen zum Schutz vor Fälschung, Betrug oder Datendiebstahl.

Krypto-Assets oder Stablecoins sind keine Lösung

Krypto-Assets wie Bitcoin, Ethereum und Litecoin oder sogenannte Stablecoins wie das Diem-Projekt von Facebook sind zwar durchgängig digital, aber auch sie können die Kriterien einer digitalen Währung nicht erfüllen. Diese sogenannten Kryptowährungen sind erklärungsbedürftig, in vielen konkurrierenden Formaten auf dem Markt und vom Zugang zu Breitbandnetzen rund um die Uhr abhängig. Sie sind nicht gesetzlich legitimiert und bieten keinen durchgängig verfügbaren Zugang zum Zahlungsverkehr. Wie die jüngsten Ereignisse erneut zeigen, sind sie durch ihre hohe Volatilität weniger als Zahlungsmittel, denn als Spekulationsobjekt zu betrachten. Durch den hohen Energieverbrauch und die damit verbunden Umweltbelastungen beim Generieren der Coins sind sie zudem ökologisch fragwürdig und geraten deshalb immer stärker in die Kritik von Umweltschützern.

Private Digitalwährungen wie die Facebook-Initiative versprechen zwar eine geringere Volatilität als Kryptowährungen, aber auch sie stehen nicht für einen gesetzlich legitimierten, von einer Zentralbank abgesicherten monetären Wert. Die damit verbunden privatwirtschaftlichen Interessen führen zudem zwangsläufig dazu, dass Transaktionen kostenpflichtig gemacht werden, der Zahlungsverkehr also mit zusätzlichen Kosten belastet wird.

Voraussetzungen für die Akzeptanz von digitalen Währungen

Anonymität, staatliche Souveränität, Datenschutz und Kostenfreiheit für die Verbraucher müssen auch für Digitalwährungen gelten. Sie sind die Voraussetzung für die Akzeptanz in der Bevölkerung und den sicheren, inklusiven Zugang zu digitalen Zahlungstransaktionen. In der bisher gültigen Praxis digitaler Zahlungsmittel können diese unverzichtbaren Parameter nur unzureichend gewährleistet werden. Angesichts dieser Ausgangssituation ist die Zeit reif für eine fundamentale Innovation im Bereich digitaler Zahlungsmittel: die digitale Zentralbankwährung oder auch Central Bank Digital Currency (CBDC) als allgemeingültige und verfügbare öffentliche Digitalwährung.

Digitales Zentralbankgeld funktioniert wie Bargeld, nur in elektronischer Form. Aufgrund der Ausgabe durch die jeweilige Zentralbank besitzt eine CBDC eine hohe Legitimität und Vertrauenswürdigkeit in der Bevölkerung. Digitales Geld wird ausschließlich von souveränen Währungsinstitutionen erzeugt, in Umlauf gebracht und kontrolliert. Da es eine Forderung gegenüber der Zentralbank darstellt, ist es zudem risikofrei. Nicht zuletzt es ist unabhängig von den finanziellen Interessen privatwirtschaftlich organisierter Konzerne.

Sichere digitale Ergänzung zu Bargeld

Bargeld ist für den Nutzer kostenfrei, es besitzt globale Akzeptanz, seine Sicherheit wird kontrolliert, es schützt die Privatsphäre und kann von jedem genutzt werden - ganz unabhängig von digitalen Endgeräten und digitaler Infrastruktur. Mit der Umsetzung dieser Parameter ist eine CBDC die sichere digitale Ergänzung zu Bargeld, mit der Menschen überall untereinander bezahlen, Geld versenden und Einkäufe tätigen können. Mit ihr wird das Bezahlen einfach und für alle zugänglich, ohne versteckte Gebühren oder die Preisgabe von Daten.

Mit einer digitalen Zentralbankwährung könnten alle Bevölkerungsgruppen an digitalen Services teilnehmen, auch ohne Konto, Verträge oder Smartphones. Außerdem könnte sie - bis zu bestimmten Wertgrenzen - die Privatsphäre genauso schützen wie Bargeld: Man muss nicht im Rahmen eines Kundenvertrags persönliche Daten angeben und hinterlässt auch keine digitalen Spuren beim Einkaufen oder stellt nicht ungewollt Daten für andere Zwecke bereit. Die Nutzung ist damit datengeschützt und zugleich ausfall sicher möglich - auch offline.

Allerdings sollte und wird auch Digitalgeld Kontrollmechanismen zum Schutz vor Missbrauch enthalten, um so Straftaten wie Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Terrorismusfinanzierung oder illegalen Waffenhandel zu vermeiden.

Das Thema nimmt weltweit Fahrt auf

Weltweit nimmt das Thema an Fahrt auf. So forschen laut einer Studie der Bank for International Settlement aus dem Jahr 2020 knapp 80 Prozent der Zentralbanken an digitalen Zentralbankwährungen. Erste Pilotprojekte befinden sich bereits in der Testphase. Die Europäische Zentralbank (EZB) will bis Mitte 2021 eine Entscheidung zur Einführung eines Digitalen Euro fällen.

China hat zu den Olympischen Winterspielen 2022 bereits digitales Zentralbankgeld im Umlauf angekündigt. Viele weitere Staaten wie etwa Indien, Südafrika, Kanada und Japan arbeiten ebenso an Projekten und Einführungsstrategien.

Die Gründe für diese Entwicklung variieren in ihrer Gewichtung und reichen vom Wunsch nach höherer Effizienz und Sicherheit im digitalen Zahlungsverkehr bis hin zu mehr finanzieller Inklusion gerade für Menschen, die heute kein Bankkonto haben und nicht in der Lage sind, am digitalen Leben teilzunehmen.

Bankenwesen bleibt stabil

Bei der Einführung einer Central Bank Digital Currency muss das Verhältnis zwischen Zentral- und Geschäftsbanken dabei erhalten bleiben. Das mit Bedacht gestaltete und seit Jahrzehnten bewährte Gleichgewicht zwischen öffentlichen und privaten Institutionen soll und darf nicht destabilisiert werden.

Zentralbanken brauchen und wollen ihr Mandat auch im digitalen Bezahlen nicht verändern. Sie bleiben wie bisher im Hintergrund und treten selbst nicht in direkten Kontakt zum Kunden, und damit nicht in Konkurrenz zu Geschäftsbanken. Sie hätten mit einer allgemeinen digitalen Zentralbankwährung jedoch zusätzliche Möglichkeiten zur besseren und reaktionsschnelleren Steuerung der Geldmenge, was wiederum zur Stabilität des Finanzwesens und einer effizienteren Geldpolitik beiträgt. Die bewährte Rollen- und Aufgabenteilung zwischen Zentralbanken, Kundenbanken und Finanzdienstleistern, bei der die Konsumenten dezentral versorgt und betreut werden, kann also erhalten bleiben.

Die Einführung einer CBDC öffnet Geschäftsbanken darüber hinaus den Weg für neue digitale Geschäftsmodelle und zusätzliche Umsatz- und Wachstumschancen. Dies gilt insbesondere auch für das Bezahlen auf neuen Marktplätzen, die durch verknüpfte Werteketten und Smart Contracts entstehen, also elektronische Verträge, die hinterlegte Regeln automatisch überwachen und definierte Aktionen bei einem Trigger Event selbsttätig ausführen können.

Fragmentierung der Bezahlmärkte überwinden

Die Frage ist also mittlerweile nicht mehr, ob eine Central Bank Digital Currency eingeführt werden sollte oder nicht. Es geht darum, wann sie verfügbar ist und wer sie gestaltet. Der Einfluss von zentralbankgesteuerten Digitalwährungen auf die Zukunft des Finanz- und Bankenwesens, und darüber hinaus für die ökonomische Entwicklung insgesamt, kann kaum überschätzt werden. Nur Länder, die sich jetzt mit der Einführung einer digitalen Zentralbankwährung auseinandersetzen, haben die Chance, die Rahmenbedingungen und Spielregeln der digitalen Währungsordnung aktiv mitzugestalten.

Das wird auch Auswirkungen auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder eines Wirtschaftsraumes haben. Deshalb sind nicht nur die europäischen Institutionen zum Handeln aufgefordert. Auch die Finanzbranche selbst muss aktiv werden - und tut dies bereits. So haben sich zahlreiche europäische Geschäftsbanken zur European Payments Initiative (EPI) im Eurosystem zusammengeschlossen, um eine einheitliche europaweite Bezahllösung für Kunden und Händler zu schaffen. Sie wollen damit die Fragmentierung der europäischen Bezahlmärkte aufheben und ein Gegengewicht zu außereuropäischen Zahlungsverkehrs-Ökosystemen schaffen.

Eine Frage der europäischen Souveränität Gleichermaßen sollte die Einführung einer digitalen, öffentlichen Währung im Euroraum noch stärker auf die politische Agenda gehoben werden und zügig in ein konkretes Projekt der Währungshüter münden. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, hat mit ihrem Vorstoß im Sommer 2020 das richtige Signal dazu gegeben. Nun ist es essenziell, dass nach der bereits erfolgten Konsultationsphase der EZB zu einem digitalen Euro alle am Währungskreislauf Beteiligten an der Definition der Rahmenbedingungen und der Ausgestaltung eines digitalen Euros partizipieren und so gemeinsam an der Zukunft unseres digitalen Währungssystems mitwirken.

Es geht um nicht weniger als die Sicherung der finanz-, währungs- und wirtschaftspolitischen Souveränität der europäischen Staaten und ihrer Bürger, und darüber hinaus den Schutz europäischer Grundwerte insgesamt. Die ersten Schritte dazu sind gemacht, weitere Schritte müssen zügig folgen.

Dr. Wolfram Seidemann , CEO, G+D Currency Technology GmbH, München
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