Branchentrends 2015

Interchange-Regulierung: Rezepte für Emittenten?

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Mehr als 250 Millionen Euro Umsatz gehen den allein den deutschen Kartenemittenten durch den vor Weihnachten gefundenen Kompromiss in Sachen Interchange-Regulierung verloren, hat die PPI AG, Hamburg, errechnet. Kompensieren lassen sich solche Ausfälle durch Erträge aus dem Kartenkredit, der freilich in Deutschland kein echtes Erfolgsmodell ist. Als Alternative schlägt das Processing-Unternehmen Tsys das Partnership-Marketing vor. Vielleicht werden Karteninhaber also künftig wählen können, ob sie eine teurere, dafür werbefreie Karte nutzen oder weniger zahlen, sich aber dafür mit Werbung bombardieren lassen möchten.

Deutsche Kartenemittenten sind von der geplanten Interchange-Regulierung im internationalen Vergleich mit am stärksten betroffen. Laut einer Einschätzung von PSE Consulting vom Dezember 2013, müssen sie einen Rückgang der Interbankenentgelte um rund 80 Prozent erwarten, während es in Großbritannien etwa 60 Prozent sind. Zudem sind insbesondere britische Emittenten in weitaus geringerem Maße von den Interchange-Erträgen abhängig als die deutschen.

Ob die Senkung der Interbankenentgelte die Kartenakzeptanz seitens der Händler tatsächlich positiv beeinflussen wird und dadurch die Kartennutzung durch die Kunden steigt, wie es die Europäische Kommission voraussetzt, ist noch nicht erwiesen. Und angesichts der Tatsache, dass auch nationale Debitsysteme bei 0,2 Prozent gedeckelt werden sollen, tut die Suche nach alternativen Ertragsquellen bitter not, selbst wenn man unterstellt, dass der deutsche Gesetzgeber sich nicht auf die noch rigidere Höchstgrenze von fünf Cent je Transaktion festlegen wird.

Mögliche Rezepte für deutsche Kartenemittenten, die wegfallenden Interchange-Erträge durch andere Ertragsquellen zu kompensieren, hat das Processsing-Unternehmen Total Systems (Tsys) in einem im November 2014 veröffentlichten Whitepaper unter der Autorenschaft von Tom Stankiewicz untersucht.

Revolving Credit kein echter Trost

Zunächst analysiert der Autor, wie sich die Änderungsvorschläge zur Interchange auf verschiedene Kartenportfolien auswirken werden. Und hier sind Portfolios ohne Kreditfunktionalität, mit und erst recht ohne Jahresgebühr, mithin die Mehrheit der Portfolios in Deutschland, naturgemäß am stärksten betroffen. Im Vorteil sind dagegen solche Emittenten, deren Portfolios in starkem Maße auf "echten" Kreditkarten mit Jahresgebühr und Revolving Credit basieren. Bei ihnen werden die Auswirkungen am wenigsten zu spüren sein. Da solche Karten in Deutschland jedoch "kaum wahrnehmbar" sind (das Whitepaper beziffert die Zahl auf rund drei Millionen und damit weniger als 15 Prozent der Karten), ist dieser Aspekt für die meisten Emittenten hierzulande vermutlich kein echter Trost.

Schon vor der Finanzkrise hatten Kartenemittenten insbesondere aus angelsächsischen Märkten die deutschen Kollegen dafür belächelt, dass es ihnen nicht gelingt, diese Ertragsquelle auszuschöpfen. In der Finanzkrise, als immer mehr Kartenkunden die ausstehenden Kredite nicht zurückzahlen konnten, wurde die geringe Penetrationsrate der Kartenkredite in Deutschland als Segen empfunden. Nun scheint das Pendel beim Revolving Credit einmal mehr in Richtung Nachteil für den deutschen Markt auszuschwingen.

Natürlich könnten Banken versuchen, hier die Penetrationsrate in ihren Portfolien zu erhöhen - und vielleicht sind die Erfolgsaussichten angesichts des niedrigen Zinsniveaus dafür sogar etwas günstiger als noch vor einigen Jahren. Ob der Kartenkredit in Deutschland mit der Möglichkeit der Kontoüberziehung (und neuerdings sogar einem Trend zur Abschaffung der Überziehungszinsen bei überzogenem Limit) wirklich zum "Renner" werden kann, darf immerhin bezweifelt werden. Allzu große Hoffnungen wird sich die Branche an dieser Stelle also nicht machen.

Zwei Lösungsansätze allerdings hält der Autor der Studie bereit: Zum einen die Einführung revolvierender Angebote mit einem zeitlich begrenzten niedrigem effektivem Eingangsjahreszins oder sogar dem zeitlich begrenzten Verzicht darauf. Im Grunde wären solche Angebote eine Analogie zu der im Markt verbreiteten Gebührenfreiheit im ersten Jahr der Kartennutzung. Von den Verbraucherschützern, die in der Vergangenheit bereits immer wieder vor Karten mit Revolving Credit gewarnt haben, würden solche Angebote aber vermutlich alsbald erst recht als Lockangebote identifiziert werden, die die Kunden in der Angebotsphase in die Verschuldung locken, um dann, nach dem Auslaufen der befristeten Sonderkonditionen kräftig "abkassieren" zu können. Das Marktpotenzial solcher Angebote dürfte insofern möglicherweise geringer sein als der drohende Imageschaden. Diese Gefahr wird durchaus gesehen. Sie sinkt dem Papier zufolge jedoch dann, wenn die Kreditfunktionalität als Ratenkredit und nicht als revolvierender Kredit angeboten wird.

Dynamische Kreditangebote

Eine zweite Möglichkeit wäre die Einführung dynamischer Kreditangebote während des Einkaufs. Am stationären PoS wäre das vermutlich schwierig. Denn zum einen haben die infrage kommenden Händler meist bereits einen Partner für Finanzierungsangebote; zum anderen verlängert jede zusätzliche Option am Zahlterminal den Kassendurchsatz, was vom Händler mit wenig Begeisterung gesehen wird. Im E- oder M-Commerce wäre es aber durchaus denkbar bei Einkäufen über höhere Beträge eine Bezahlung in regelmäßigen Raten gegen einen gewissen Preisaufschlag anzubieten.

Auch mit diesen Möglichkeiten wird es freilich nicht gelingen, die Kreditpenetration über ein bestimmtes Maß hinaus zu steigern. Deshalb muss die Branche auch an anderen Stellschrauben drehen.

Eine pauschale Erhöhung der Jahresgebühren ist hier vermutlich der schlechteste Weg. Im günstigsten Fall wird der Kunde zwar verstehen, weshalb eine solche Maßnahme nötig ist. Selbst dann aber wird er hinterfragen, ob sein persönliches Nutzungsverhalten den Kartenpreis wirklich rechtfertigt. Insbesondere bei Wenignutzern drohen damit Vertragskündigungen. Und die Zahl neuer Kartenanträge dürfte ebenfalls zurückgehen.

Zauberwort Individualisierung

Das neue Zauberwort lautet deshalb Individualisierung. Nur wenn Kartenprodukte ganz auf die individuellen Bedürfnisse des einzelnen Kunden zugeschnitten sind, wird er den Nutzen des Produkts wertschätzen und dafür auch eine höhere Zahlungsbereitschaft zeigen. Dazu gehören mehr Kontrollmöglichkeiten für den Karteninhaber in Form neuer Steuerungs- und Benachrichtigungsfunktionen, mit denen er zum Beispiel

- Benachrichtigungsdienste konfigurieren kann (beispielsweise Kontoaktivität, Ausgabenkontrolle oder verdächtige Transaktionen),

- Kanäle auswählen kann, über die er Benachrichtigungen erhalten möchte,

- spezielle Funktionen ab- und zuschalten kann (beispielsweise Geo-Blocking),

- bestimmen kann, welche Einkäufe sofort vollständig und welche in Raten beglichen werden

- oder auch seine PIN verwalten kann.

Potenziale durch Partnership Marketing?

Stärker dazu beitragen, die Zahlungsbereitschaft zu steigern, kann aber vielleicht der Ansatz des Partnership Marketing. Per E-Mail, SMS oder auch auf Kontoauszügen werden den Kunden dabei von Händlern gesponserte Angebote zugestellt, die - auf Basis einer Analyse des Kaufverhaltens - möglichst passgenau auf den Kunden zugeschnitten sind. Die Einnahmen von Banken aus solchen händlerfinanzierten Treueprogrammen sollen einer Studie der Aite Group zufolge weltweit massiv steigen und 2015 1,22 Milliarden Euro erreichen. In Deutschland werden sie dem Tsys-Whitepaper zufolge jedoch nur unzureichend genutzt. Banken, die frühzeitig solche Partnerschaften mit Händlern vereinbaren, so die Schlussfolgerung, können deshalb am meisten profitieren.

Auch an dieser Stelle ist die Übertragbarkeit von Erfahrungen aus dem britischen Markt aber möglicherweise begrenzt. Partnerschaften mit Kartenakzeptanten sind zwar ohne Zweifel ein wichtiger Ansatz, um für den Karteninhaber Mehrwerte zu schaffen, die eine Jahresgebühr rechtfertigen und die Nutzungshäufigkeit der Karte steigern. Ob der durchschnittliche deutsche Karteninhaber von seinem kartenausgebenden Institut aber wirklich auf sein Kaufverhalten hin durchleuchtet werden möchte, sollte erst einmal gründlich untersucht werden. Dass viele Menschen gegen eine entsprechende Praxis bei Online-Händlern wie Amazon nichts einzuwenden haben, heißt nicht zwangsläufig, dass sie ein vergleichbares Vorgehen auch seitens ihrer Bank zu schätzen wüssten. Das Stichwort "Profilbildung" ist schließlich in Deutschland in der Datenschutzdiskussion ein Schreckgespenst.

Auf der sicheren Seite sind Emittenten bei Co-Brandings: Hier ist der Partner bekannt, von dem der Kunde Werbung erhält und akzeptiert - sonst hätte er die entsprechende Karte wohl nicht gewählt. Für alles andere sind deutsche Banken vermutlich gut beraten, beim Partnership-Marketing Steuerungsfunktionen durch den Karteninhaber einzubauen. Damit freilich wären die Ertragspotenziale einmal mehr begrenzt. Denn wenn sich die Werbefunktion nach Belieben ausschalten lässt, reduziert das für die Händler zwar die Streuverluste, aber auch die Potenziale.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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