Schwerpunkt Genossenschaften in der Immobilienwirtschaft

Die Bedeutung des Genossenschaftsgedanken in der Wohnungsbaufinanzierung

In Deutschland gibt es über 2 000 Wohnungsgenossenschaften mit mehr als drei Millionen Mitgliedern. Sie verfügen über einen Bestand von etwa 2,2 Millionen Wohnungen, in denen rund fünf Millionen Menschen leben - also etwas mehr als sechs Prozent der Bevölkerung. In Berlin sind mit 180 000 Wohnungen sogar über zehn Prozent des Wohnungsbestandes im Besitz der mehr als 80 dort ansässigen Wohnungsgenossenschaften. Die Unternehmensform Genossenschaft hat in der Wohnungswirtschaft eine sehr lange Tradition - Deutschlands älteste Wohnungsgenossenschaft wurde 1871 in München gegründet - und erweist sich als sehr dauerhaft: Viele heute noch bestehende Genossenschaften blicken auf eine über 130-jährige Geschichte zurück.

Gefragte Wohnungsanbieter

Die Vorteile des genossenschaftlichen Wohnens haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren: Lebenslanges Wohnrecht, aktive Mitbestimmungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Sicherheit, Schutz vor Ausverkauf und Eigenbedarfskündigung und gelebte Nachbarschaft sind Werte, die auf große Bevölkerungsgruppen mehr Anziehungskraft denn je ausüben. Das zeigen auch die vielen Neugründungen gerade bei alternativen Wohnprojekten, die vorwiegend in der Unternehmensform "Genossenschaft" erfolgen und als solche offenbar besonders gute Überlebenschancen haben.

Doch die meisten Wohnungsgenossenschaften gibt es bereits länger als 50 Jahre. Entsprechend alt sind ihre Wohnungsbestände, die oft sogar noch aus den jeweiligen Gründungszeiten stammen. Der überwiegende Teil der Wohnungen stammt aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, wenngleich selbstverständlich auch Genossenschaften immer Neubauten errichtet haben und dies gerade in der heutigen Marktsituation vermehrt tun. Nach eigenen Angaben sind große Teile des genossenschaftlichen Wohnungsbestandes saniert und modernisiert. Der Finanzierungsbedarf der Wohnungsgenossenschaften unterscheidet sich daher nicht grundsätzlich von dem anderer Wohnungsunternehmen. Das trifft auch auf die nachgefragten Produkte zu, wie eine Kundenbefragung der WL Bank aus dem Jahr 2006 und deren Wiederholung von 2010 zeigte. Wesentlich für eine Wohnungsbaugenossenschaft ist ihre Ausrichtung am genossenschaftlichen Werte kanon, das heißt die Förderung der Mitglieder, also der Anteilseigner der Genossenschaft. Die genossenschaftlichen Grundprinzipien der Hilfe zur Selbsthilfe, der wechselseitigen Unterstützung und des Gemeinwohls dürfen hier als bekannt vorausgesetzt werden. Ihnen allen gemeinsam ist eine grundlegende Nachhaltigkeitsorientierung. Sie schlägt sich auch in den Finanzierungsbedürfnissen der Genossenschaft nieder. Wo statt eines Shareholder Values der "Member Value" gesucht und gepflegt wird, sind kurzfristige Konditionsvorteile etwa durch wiederholte Wechsel des Finanzierungspartners eher unüblich. Der langfristige Gewinn, den eine auf Respekt und Vertrauen gebaute Kundenbeziehung "abwirft", hat für eine Genossenschaft weit höhere Bedeutung. Nur so lässt sich die Brücke schlagen zwischen dem Mieter, dem Mitglied und dem Anteilseigner, die in der Genossenschaft zumeist ein und dieselbe Person sind.

Bonitätsvorteile

Darum sind für Wohnungsbaugenossenschaften feste Ansprechpartner, kompetente und zuverlässige Berater mit einer inneren Nähe zur Wohnungswirtschaft und zum Genossenschaftswesen besonders wichtig. Daher bieten sich Kreditinstitute aus der genossenschaftlichen Familie als quasi "geborene" Finanzierungspartner natürlich an. Zum einen, weil ihnen Denkund Funktionsweise des genossenschaftlichen Unternehmens vertraut sind, zum anderen aufgrund der guten Kenntnis der lokalen und regionalen Verhältnisse. Das wechselseitige Verständnis für das Geschäftsmodell des Partners bildet eine stabile Basis für gute Kundenbeziehungen in der Immobilienfinanzierung.

Welche Bedeutung aber haben umgekehrt die Wohnungsbaugenossenschaften für die Immobilienfinanzierer? Im Vergleich zu anderen wohnungswirtschaftlichen Unternehmen sind relativ viele Wohnungsgenossenschaften - gemessen an der Zahl der Wohneinheiten - verhältnismäßig klein. Unter Bonitätsgesichtspunkten sind Genossenschaften jedoch für die Finanzierer sehr attraktiv, weil sich die genossenschaftliche Struktur positiv auf die Bewertung des Unternehmens auswirken kann. Zu diesen möglichen Bonitätsvorteilen gehören:

- die konsequente Umsetzung des genossenschaftlichen Leitmotivs, stets den Nutzen für das Mitglied zu mehren, - die langfristige Bindung des Mitglieds an das materielle Gut "Wohnung" durch eine eigentümernahe Stellung,

- das geringe Streben nach Gewinnmaximierung zugunsten einer Stärkung der genossenschaftlichen Ertragskraft,

- die auf den genossenschaftlichen Mitbestimmungsrechten aller Mitglieder basierende Kontinuität in der Geschäftspolitik,

- die gute Eigenkapitalausstattung durch nicht auszahlbare Rücklagen (Auszahlung bleibt auf Höhe der Geschäftsguthaben begrenzt) und

- Aufbau von hohen stillen Reserven, da die erwirtschafteten Mittel mit Ausnahme von Dividende (in aller Regel maximal vier Prozent) und Verwaltungskosten in die Genossenschaft zurückfließen.

Hinzu kommt die im Allgemeinen sehr gute Wettbewerbsfähigkeit genossenschaftlicher Wohnungsunternehmen. Die Ausfallwahrscheinlich für gewährte Kredite an Wohnungsbaugenossenschaften beläuft sich seit Jahrzehnten bei nahe Null. Hier schlagen unter anderem die langen Unternehmenstraditionen und -erfahrungen positiv zu Buche. Ebenso wesentlich ist dafür aber auch die starke Kundenorientierung von Wohnungsgenossenschaften, die sich häufig in marktgerechten Angeboten ausdrückt. Im Gegenzug bewirkt sie eine besonders enge Kundenbindung und damit einhergehend einen hohen Identifikationsgrad der Mitglieder und Mieter mit der Genossenschaft und eine entsprechend enge wirtschaftliche Selbstkontrolle der Mitglieder. All diese Qualitäten machen Wohnungsgenossenschaften interessant für Immobilienfinanzierer. Allerdings spielt die juristische Rechtsform in vielen bestehenden Rating-Modellen der Kreditinstitute für ihre Kreditnehmer keine relevante Rolle.Umso wichtiger ist es, dass Banken für Ratings wohnungswirtschaftlicher Unternehmen eigene, maßgeschneiderte Ansätze nutzen. Denn je intensiver neben den klassischen Informationsquellen (Jahresabschluss, Bilanz, Planrechnungen) auch komplexere Sachverhalte berücksichtigt werden, umso individueller, genauer und aussagekräftiger wird das Rating. Bei der WL Bank, die einen auf die Wohnungswirtschaft spezialisierten Ratingansatz für die Genossenschaftliche Finanzgruppe entwickelt hat, werden neben quantitativen Angaben auch qualitative Größen wie Managementqualität, Unternehmensstrategie oder Marketingansätze erfasst.

In diesem Ansatz spielen Markt-, Objekt- und Bonitätsfaktoren eine entscheidende Rolle. Sie fließen in ein Gesamtscore des Unternehmens ein, das sich aus der Aggregation mehrerer Einzelscores zu Objekten, aus dem Bilanz-Score, dem Kreditnehmer-Score und einem Risikoaufschlag Kredit zusammensetzt. Daraus werden - anstelle von aufsichtlichen Standardwerten - eigene Werte für Ausfallwahrscheinlichkeiten des Schuldners, für den möglichen Verlust bei Schuldnerausfall und weitere Größen abgeleitet. Dieses Rating-Verfahren hat die WL Bank bereits 2005 eingeführt und seither laufend verfeinert. Weil es nicht allein die quantitative Bonität eines Unternehmens, sondern auch den (möglichen) Erfolg des jeweiligen Geschäftsmodells bewertet, ist es deutlich aufwendiger als bestehende Standardansätze. Doch die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass sich dieser Aufwand lohnt - für beide Seiten.

Wechselseitige Kontrolle

Man kann ihn auch als eine Umsetzung des genossenschaftlichen "Hilfe zur Selbsthilfe"-Prinzips verstehen. Denn die Auseinandersetzung mit den für das Rating benötigten Angaben schärft innerhalb des Unternehmens den Blick für kritische oder auch für besonders positive Eigenheiten und lässt beide Parteien zu vertrauensvollen Partner wachsen.

Wichtig ist dabei jedoch, dass das Rating nicht als "Urteil", sondern als Kommunikationsanlass verstanden wird. Denn erst dann können sich auch die bereits genannten Bonitätsvorteile von Wohnungsgenossenschaften im Rating niederschlagen beziehungsweise optimierend auswirken.

Für die WL Bank ist das Rating jedoch kein einseitiges Verfahren. Darum werden Ratingansätze von Genossenschaften wie der Gewoba Nord sehr begrüßt. Diese führt ihrerseits regelmäßig Ratings ihrer Bankpartner durch, die - im Zuge eines bilateralen Austausches der Bilanzzahlen sowie von Geschäfts- und Hintergrundinformationen in Verbindung mit dem Prüfungsbericht analog dem Verfahren der Banken zu ihrem Kunden - offengelegt und besprochen werden. Damit werden Verständnis für Marktsituationen, Unternehmensentwicklungen und Bedürfnisse des Partners geweckt sowie Verbesserungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit aufgezeigt.

Gleichzeitig ist mit dieser Transparenz für die Bank auch die Möglichkeit verbunden, die eigenen Wert- und Kundenansätze zu verifizieren, gegebenenfalls maßgeschneiderte Produkte anzubieten und die Partnerschaft für eine langfristige Beziehung zu festigen. Am Ende des Tages basiert die Kreditvergabe auf Vertrauen. Das wächst mit der Langjährigkeit und die Kommunikation ist unerlässlich, um erfolgreich die jeweiligen Risiken des wirtschaftlichen Handeln zu umschiffen.

Frank M. Mühlbauer , Vorsitzender des Vorstands, TeamBank AG, Nürnberg
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