Schwerpunkt: Genossenschaften in der Immobilienwirtschaft

Demografische Herausforderungen der Wohnungswirtschaft aus Bankensicht

Deutschlands Gegenwart ist Europas Zukunft - zumindest, soweit es den demografischen Wandel betrifft. Denn was hierzulande bereits als Realität erlebt wird, das steht manchem Nachbarstaat erst noch bevor: Eine schrumpfende und dabei im Durchschnitt schnell alternde Bevölkerung erwartet die meisten europäischen Länder. Für Deutschland ist der in den vergangenen Jahren vielbeschriebene Trend zur sinkenden Bevölkerung keine Zukunftsvision mehr, sondern beschreibt die gelebte Wirklichkeit in unseren Kommunen und Kreisen. Seit ihrem bisherigen Höchststand im Jahr 2002 ist die Einwohnerzahl in Deutschland bereits um eine knappe Million gesunken, wenn sich auch 2011 ein geringfügiger Zuwachs in den Statistiken abbildete. Der Anteil der über 50-Jährigen stieg von 20 auf 25 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

Der bundesweite Abwärtstrend zeigt lokal jedoch sehr unterschiedliche Ausprägungen. Wer sich das einmal bildhaft vor Augen führen möchte, dem sei ein Blick auf die Internetseite www.wegweiserkommune.de der Bertelsmann-Stiftung empfohlen. Unter dem Reiter "Daten und Prognose" wird dort für jede Kommune mit mehr als 5 000 Einwohnern eine "Bevölkerungs-Pyramide" von heute bis ins Jahr 2030 animiert. Eine Pyramide freilich, die längst keine mehr ist, weil sie bereits seit ein, zwei Jahrzehnten auf einem deutlich schmaleren Sockel balanciert. Bei vielen Städten schrumpfen die oben noch ausladenden Zweige des "Demografie-Tannenbaums" im Lauf von nur 20 Jahren zu einer bauchigen Spindel zusammen.

Es gibt aber auch ganz andere Darstellungen: Viele Großstädte, vorzugsweise jene in den südlichen Bundesländern, magern nicht etwa ab, sondern legen im Gegenteil an der Bevölkerungstaille immer neue Speckringe an. Wie von Zauberhand schwellen die auch hier ursprünglich schwach nachkommenden Geburtenjahrgänge an, sobald sie das Erwachsenen-Alter erreichen.

Bevölkerungstrends

Denn der zunehmende Anteil älterer Bevölkerungsschichten an einer sinkenden Grundgesamtheit stellt nur einen, wenn auch den bekanntesten, Demografie-Trend dar. Hinzu kommen weitere soziodemografische Entwicklungen, die sich in den letzten Jahren ebenfalls manifestiert haben.

Bildungs-Migration: Etwas euphemistisch wird damit die zunehmende Mobilität vor allem junger Menschen beschrieben, die wegen besserer Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten umziehen (müssen). Dieser Trend überlagert alle anderen Motive für Wohnortpräferenzen und erklärt größtenteils das oben beschriebene Jahrgangswachstum süddeutscher Großstädte.

Spätere Familiengründung: Junge Menschen gründen ihren ersten eigenen Haushalt viel später als früher (rund ein Drittel der 25-jährigen Männer lebt noch im Haushalt der Eltern). Weil Ausbildung und Berufseinstieg mehr Zeit in Anspruch nehmen, dauert der Lebensabschnitt "Jugend" entsprechend länger, oft bis zum Alter von 35 Jahren.

Männerüberhang: Der Frauenüberschuss bei den jetzt 70- bis 90-Jährigen wird in 20 Jahren durch einen schmalen, aber durchgängigen Männerüberschuss abgelöst, der bereits jetzt alle Jahrgänge bis zu den heute 50-Jährigen prägt. Zukünftig werden also tendenziell mehr ältere Paare und allein lebende Männer Wohnungen nachfragen - mit entsprechenden Folgen für das gewünschte Wohnangebot.

Kleinere Haushalte: Der Durchschnittshaushalt wird, gemessen an der Zahl der zugehörigen Personen, immer kleiner. Das liegt zum einen an den verlängerten Single-Phasen der Jungen und der längeren postfamiliären Lebensphase der Alten, aber vor allem an der sinkenden Kinderzahl. Fast die Hälfte aller erwachsenen Deutschen lebt heute in kinderlosen Einoder Zwei-Personen-Haushalten, nur in einem Fünftel der Privathaushalte leben minderjährige Kinder. Die klassische Großfamilie ist nur noch ein Minderheitenphänomen: Nur noch ein Prozent der deutschen Haushalte vereint drei oder mehr Generationen unter einem Dach.

Zunehmender Wohnflächenbedarf: Der Pro-Kopf-Bedarf an Wohnfläche nimmt weiter zu - rein statistisch als Folgeeffekt aus dem Trend zu kleineren Haushalten, weil dadurch automatisch der absolute Flächenanteil der gemeinschaftlich genutzten Räumlichkeiten (Küche, Bäder, Flur) steigt. Hinzu kommen allerdings ein eher modisch geprägter Trend zu größeren Räumen, Nachholbedürfnisse der Bevölkerung in den neuen Bundesländern und der so genannte Remanenz-Effekt. Letzterer beschreibt, dass ältere Menschen dazu neigen, ihre viel zu großen Wohnungen oder Häuser aus der Familienphase zu behalten, statt in kleinere Wohneinheiten zu ziehen. Die Gründe dafür reichen von der hohen emotionalen Bindung an das gewohnte Zuhause bis zu befürchteten finanziellen Verlusten beim Verkauf durch Maklercourtagen und Steuerforderungen. Insgesamt hat sich die Pro-Kopf-Wohnfläche von 35,9 Quadratmeter 1995 auf 42,1 Quadratmeter 2011 erhöht.

Landflucht: Wohnen in der Stadt liegt bei Familien und auch bei älteren Menschen stärker denn je im Trend. Für viele Menschen ist das nicht nur eine Frage des Lifestyles, sondern pure Notwendigkeit aufgrund der Erwerbstätigkeit beider Elternteile, des mangelhaften Betreuungs- oder Bildungsangebots im Umland oder aus Mobilitätsgründen.

Stärkere Überschneidung der Lebensbereiche: Mit zunehmender Digitalisierung der Kommunikationswege werden die Grenzen zwischen den Lebensbereichen Wohnen und Arbeiten aufgeweicht. Menschen arbeiten vermehrt in den gleichen Räumen, in denen sie sich auch privat aufhalten. Das erhöht die Anforderungen an die technische Wohnausstattung und flexible Raumnutzungs-Möglichkeiten.

Die Folgen dieser Trends und des demografischen Wandels können sich wechselseitig verstärken oder sogar aufheben. Zwar gilt grundsätzlich: Immer mehr ältere Menschen brauchen adäquaten Wohnraum, mehr Familien wollen oder müssen in der Stadt wohnen, mehr Menschen nutzen ihre Wohnung nur für einen begrenzten Zeitraum oder Lebensabschnitt beziehungsweise brauchen anpassungsfähige Wohnkonzepte.

Doch die regionalen und sogar lokalen Ausprägungen erfordern eine sehr spezifische Betrachtung der Verhältnisse vor Ort, um aus den bereits beobachteten Entwicklungen die richtigen Rückschlüsse auf die zukünftig noch zu erwartenden ziehen zu können.

Zukünftiges Wohnen

Welcher Wohnraum wird also tatsächlich gebraucht? Die "technische" Seite des zukünftigen Wohnens ist relativ leicht beschrieben, da sie sich vor allem an den zunehmenden Assistenz-Bedürfnissen der älter werdenden Wohngenerationen orientiert. Sicherheitstechnik, Überwachungs- und Kommunikationsinstrumente, Service- und Pflegeoptionen sind die Stichworte, um die sich mittlerweile zahlreiche Publikationen, Messen und Kongresse kümmern.

Aber längst nicht alles, was machbar ist und hilfreich wäre, kann und muss auch umgesetzt werden. Denn nicht nur die Investoren- und Anbieterseite gerät dabei an ihre finanziellen Grenzen. Wie die aktuelle, durch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen angestoßene Debatte über Altersarmut zeigt, wird die Nachfrage nach erstklassig angepasstem Wohnraum nicht so hoch sein wie demografisch indiziert. Denn auf Seiten der Nutzer/Mieter wird ebenfalls weniger finanzieller Spielraum bestehen als zu wünschen wäre. Daher muss davon ausgegangen werden, dass weniger der hochpreisig angesiedelte und entsprechend hochwertig ausgestattete Wohnraum benötigt wird als vor allem preiswerte und barrierefrei zugängliche Wohnungen.

Davon abgesehen ist die Frage nach der zukünftigen Wohnform jedoch mit der technischen Ausstattung ohnehin nicht ausreichend beantwortet. Es geht dabei auch und vor allem um die Konzeption des Wohnens und um eine zukunftsfähige Organisationsform. Im Vordergrund steht dabei der Wunsch nach gemeinschaftlichen Lebensformen - vom Beginenhof bis zur autofreien Familiensiedlung, von der Demenz-WG bis zum Mehrgenerationen-Haus.

Neue Wohnprojekte sind in den vergangenen Jahren in kaum noch überschaubarer Zahl entstanden - und nicht alle haben ihre Gründungsphase überlebt. Viele scheiterten in dem Moment, als aus den Wohnträumen Realität werden sollte, weil die Planungen nicht umsetzbar oder nicht finanzierbar waren und weil den Teilnehmern unterwegs die Puste ausging. Eine Vorbereitungsphase von durchschnittlich fünf bis zehn Jahren übersteigt in den meisten Fällen den Zeithorizont, den sich ein privater Interessent für die Umsetzung seiner Wohnpläne vornimmt.

Von den "überlebenden" Projekten sind auffällig viele genossenschaftlich strukturiert. Überraschend ist das freilich nicht, denn die Rechtsform Genossenschaft eignet sich wie keine andere dazu, dem Wunsch nach einer gemeinsamen und zugleich selbstbestimmten Wohnform konkrete Gestalt zu geben. Schon seit 130 Jahren bewähren sich Wohnungsgenossenschaften in Deutschland. Heute gibt es rund 2 000 von ihnen, sie haben zirka drei Millionen Mitglieder und verfügen über einen Bestand von 2,2 Millionen Wohnungen. Rund fünf Millionen Menschen leben darin - im Schnitt also etwas mehr als zwei Personen pro Wohneinheit. Das Potenzial für innovative Wohnformen im genossenschaftlichen Kleid ist offensichtlich vorhanden. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat im Juli 2012 eine breiter angelegte Studie über "Mehrgenerationenwohnprojekte in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft" abgeschlossen. Nach deren Ergebnissen ist die absolute Zahl der neuen Wohnprojekte zwar nicht hoch: Die Studie berichtet in der Zeit von 2000 bis 2011 von 41 Neugründungen und 65 weiteren, unter dem Dach bestehender Genossenschaften organisierten Wohnprojekten. Doch der Multiplikator-Effekt der sozialen und medialen Aufmerksamkeit ist immens.

Vorteile und Probleme der Genossenschaften

Dieser Trend könnte daher durchaus ein Weg sein, jüngere Menschen für den genossenschaftlichen Gedanken zu gewinnen. Denn die Rückbesinnung auf die genossenschaftlichen Grundprinzipien Solidarität und Mitbestimmung sowie die konkrete Erfahrung von gegenseitiger Verantwortung sprechen besonders die Partizipationsbedürfnisse jüngerer Generationen an. Ebenso hat das dem Genossenschaftswesen inhärente Nachhaltigkeitsprinzip hohe Bedeutung für die Mitgliederwerbung und -bindung.

Die erwähnte Studie spricht allerdings auch Probleme an, die trotz der Novelle des Genossenschaftsrechts von 2006 und der damit verbundenen Erleichterungen bei der Gründung von Genossenschaften besonders für interessierte Laien bestehen. Sie erhofft sich daher von den wohnungswirtschaftlichen Verbänden eine "Katalysatorwirkung", indem Erfahrungen gesammelt und wirksam weitergegeben werden.

Auch die Finanzierungspartner der Wohnwirtschaft können hier eine "Vermittlerfunktion" wahrnehmen. Gerade die in der genossenschaftlichen Finanzgruppe angesiedelten Banken haben reiche Erfahrung mit den finanziellen und organisatorischen Herausforderungen, die die Gründung einer Genossenschaft bedeuten kann. Das Konzept Genossenschaft ist zwar nicht die einzige, aber sicher eine richtige Antwort auf die wohnwirtschaftlichen Herausforderungen des demografischen Wandels.

Frank M. Mühlbauer , Vorsitzender des Vorstands, TeamBank AG, Nürnberg
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