Frage an Anne Luise Müller

WELCHE CHANCEN HAT DIE NEUE GEBIETSKATEGORIE "URBANE GEBIETE" DEN GEMEINDEN GEBRACHT ?

Anne Luise Müller, Foto: glasgow, fotografie erlangen

Mit der Novellierung des Baugesetzbuches im Jahr 2017 wurde die Umsetzung der EU-Richtlinie im Städtebaurecht vollzogen; dies beinhaltet auch die Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt.

Soziale Gerechtigkeit und Teilhabe ist in Städten und Gemeinden eine Voraussetzung, um ein intaktes Zusammenleben zu sichern. Das Bild der europäischen Stadt als Stadt der kurzen Wege, dicht und nutzungsgemischt, in der Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung zur Verfügung steht und in der gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse vorherrschen, ist das Motiv der Bauleitplanung und der Novellierung des Baugesetzbuches (BauGB) im Jahr 2017.

Dabei wurden die bisherigen Ziele der Bauleitplanung, die eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen in Einklang bringen sollen, nochmals geschärft. Seit gut einem Jahr haben die Gemeinden die Möglichkeit, mit der Einführung der Gebietskategorie Ur bane Gebiete § 6a BauNVO ein breiteres Spektrum für die gemischt genutzte urbane Stadt anzuwenden. Urbane Gebiete dienen dem Wohnen, sowie gewerblichen, dienstleistungsorientierten, sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, sofern diese das Wohnen nicht wesentlich stören. Im Gegensatz zur Gebietskategorie Mischgebiet muss die Nutzung nicht gleichgewichtig sein. Jedoch muss erkennbar sein, dass ein deut licher Anteil anderer Nutzungen in das Quartier integriert ist. Anderenfalls besteht die Gefahr des Abgleitens in die Kategorie allgemeines Wohngebiet mit den erheblich höheren Anforderungen an den Schutz von Wohnen gegenüber Immissionen.

Zu einem lebendigen vielfältigen Quartier gehören Handel, Gastronomie und kulturelle Einrichtungen. Ein urbanes Quartier darf dicht sein wie in einem Kerngebiet mit einer Geschossflächenzahl von GFZ 3,0 und einer Grundflächennutzung eines Gewerbe-, oder Industriegebietes mit GRZ 0,8; damit wird die Dichte eines Mischgebietes mit GFZ 1,2 und GRZ 0,6 deutlich überschritten. Störenden Nutzungen wie Vergnügungsstätten sollten nur mit begründeter Ausnahme zugelassen werden; auch der Handel soll in einer angemessenen Körnigkeit kleinteilig sein.

Um den Quartierscharakter mit der urbanen Vielfalt zu stärken, ist der öffentliche Raum mit Nutzungen entlang der Straßen und Plätze zu beleben. Der Ausschluss von Wohnnutzungen im Erdgeschoss zugunsten von Ladengeschäften und Gastronomie wird dann das Mittel der Wahl sein. Zur Sicherung des Wohnraums können die Festsetzungen oberhalb eines definierten Geschosses nur für Wohnungen oder die anteilige Festsetzungen der Geschossfläche für Wohnen oder gewerbliche Nutzung gelten.

Die Möglichkeiten der Gebietskategorie Urbanes Gebiet zeigt auf, dass es zu den anderen Gebietskategorien der BauNVO wie dem Kerngebiet, dem Mischgebiet, dem Gewerbegebiet oder dem allgemeinen Wohngebiet Überschneidungen gibt, also Schnittmengen, die das Ziel der vielfältig genutzten Stadt erleichtern sollen.

Wie sind die Spielräume nun zu bewerten? Die Stadt Köln hat selbst an dem Planspiel zur Gesetzesnovelle neben fünf großen, mittleren und kleinen Gemeinden mitgewirkt. Dabei waren weit umfangreichere Änderungen im BauGB die Folge, die die Gemeinden unterschiedlich betroffen haben. Die Ergänzung der BauNVO durch die Gebietskategorie Urbanes Gebiet war allerdings für jede Gemeinde von Interesse. Die Stadt Köln befürwortet die Erleichterung durch die neue Gebietskategorie, da diese in der Planrechtschaffung ein Zeichen setzt für die soziale, ökonomische und kulturelle Vielfalt im Zusammenführen der Nutzungen, wie sie bereits in der Leipzig-Charta im Jahr 2007 deutlich formuliert wurde.

Große Städte und Ballungsräume haben allerdings bislang auch ohne die Gebietskategorie Urbanes Gebiet den rechtlich möglichen Rahmen des Baugesetzbuches ausgeschöpft und urbane vielfältige Quartiere in der Bauleitplanung gesichert. In Bestandsquartieren mit einem hohen Anteil von Wohnbebauung war das besondere Wohngebiet zur Erhaltung und Entwicklung der Wohnnutzung der geeignete Festsetzungskatalog. Sowohl horizontale Nutzungsfestsetzungen mit Wohnen über einer bestimmten Geschosszahl als auch Ladennutzung, Gastronomie, Dienstleistung und andere ausnahmsweise zulässige Nutzungen konnten ausgewiesen werden.

In den Innenentwicklungen, die zu einem Großteil die Transformationen von aufgelassenen gewerblichen Flächen betreffen, hat sich die Stadtplanung der besonderen städtebaulichen Begründung bedient, um mit der Kategorie des Mischgebietes die urbane und dichte Vielfalt zu erreichen. Die neuen Quartiere sollten sich in den Kontext der bestehenden Stadt und des näheren Umfeldes morphologisch, stadträumlich und nutzungsstrukturell einfügen. Der Stadt Köln ist es immer wieder gelungen, mit den sorgfältig hergeleiteten Strukturdaten und städtebaulichen Zielen diese dichten neuen Quartiere zu entwickeln, der Rheinauhafen, der Mülheimer Süden sind Beispiele innerstädtischer Transformationen.

Auch wenn die neue Gebietskategorie Urbanes Gebiet Vereinfachungen ermöglicht, leidet diese unter einem erheblichen "Schönheitsfehler". Dies betrifft den Immissionsschutz. Um recht verstanden zu werden: Gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse sind zu sichern und stehen keinesfalls zur Disposition. Dennoch liefert die neue Gebietskategorie keine Hilfestellung und belässt es bei den widersprüchlichen Immissionsschutzregelungen für den Lärm im Rahmen von gewerblichen Nutzungen und im Rahmen des Verkehrslärms. Während die TA Lärm mit Immissionsrichtwerten von tagsüber 63 dB(A) und nachts 45 dB(A) die Werte tagsüber um 3 dB(A) über die Mischgebiets- und Kerngebietswerten übersteigt, bleiben die nächtlichen Werte unverändert. Zum Schutz des Wohnens ist dies nachvollziehbar, ist jedoch weiterhin wie bisher eine bedeutende Hürde. In großen Städten und Ballungsräumen sind die Vorbelastungen durch die unterschiedlichen Immissionsquellen deutlich höher, sodass die neue Gebietskategorie mit den Lärmrichtwerten den Zweck verfehlen muss.

Um für den Wohnraum geschützte Bedingungen herbeizuführen, müsste im Urbanen Gebiet, das in seinen Anforderungen zwischen einem Misch- und Kerngebiet liegt, ein Abstellen auf den Innenraumpegel zulässig sein. Demgegenüber ist jedoch am maßgeblichen Immissionsort von einem halben Meter vor dem Fenster schutzwürdiger Räume festgehalten worden. Passive Schallschutzmaßnahmen wie bei Verkehrslärm sind nicht zulässig.

Durch diese Widersprüchlichkeit bleibt die Verheissung der neuen Gebietskategorie Urbanes Gebiet eine Chimäre. Es ist festzuhalten, dass die Verhältnisse in den großen Kommunen und Ballungsräumen andere sind als in den mittelgroßen und kleineren Gemeinden. Es ist nachvollziehbar, dass sich Widerstand regen muss: Nicht alle Gemeinden sind den gleichen Vorbelastungen ausgesetzt. Insofern bedarf es der sorgsamen Ergänzung zu den widersprüchlichen Lärmbewertungen, damit jede Gemeinde die Herausforderungen in ihren Stadtgrenzen bewältigen kann.

Das Ziel der Gesetzgebung war schließlich, das neue Zusammenleben in der Stadt zu stärken. Dies kann und muss auf vielfältige Art geschehen, die neue Gebietskategorie kann dazu Hilfestellung leisten.

DIE AUTORIN

ANNE LUISE MÜLLER Dipl.-Ing. Arch., Leiterin Stadtplanungsamt Köln

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