PRIVATE WOHNUNGSBAUFINANZIERUNG

PRO UND KONTRA: DER ANTIZYKLISCHE KAPITALPUFFER - DAS RICHTIGE INSTRUMENT ZUR RECHTEN ZEIT?

Jens Tolckmitt, Foto: vdp

Die Bankenaufseher haben in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von neuen Instrumenten an die Hand gereicht bekommen, um möglichst wirksam und präventiv auf potenzielle Krisensituationen reagieren zu können. Zu dem erweiterten Instrumentenkasten gehört der antizyklische Kapitalpuffer (Countercyclical Buffer, CCyB) der jüngst erstmals in Deutschland aktiviert worden ist: Mit Wirkung zum 1. Juli 2019 hat die BaFin auf Empfehlung des Ausschusses für Finanzstabilität (AFS) die Quote des antizyklischen Kapitalpuffers von bisher 0,00 auf 0,25 Prozent festgesetzt. Zur Begründung verwies der AFS unter anderem auf "Risiken, die sich aus der Immobilienfinanzierung ergeben". Die Institute sind verpflichtet, die Quote ab dem 1. Juli 2020 bei der Berechnung ihrer institutsspezifischen Pufferquote zu berücksichtigen. Schätzungen gehen davon aus, dass hiesige Banken dafür rund fünf Milliarden Euro an zusätzlichem Kernkapital bilden müssen. Deshalb, aber auch aufgrund des gewählten Timings - die immer fragilere Konjunktur erhöht die Gefahr einer prozyklischen Wirkung - stößt die Maßnahme auf breites Unverständnis in der Kreditwirtschaft. Die I & F-Redaktion hat aus diesem Anlass Vertreter beider Seiten eingeladen, ihre Standpunkte darzulegen. Red.

Pro

Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors wird gestärkt

Die deutsche Wirtschaft konnte in den vergangenen Jahren den längsten wirtschaftlichen Aufschwung seit der Wiedervereinigung verzeichnen. Die Zinsen sind auf einem historisch niedrigen Niveau. Gleichzeitig sind die Preise von Vermögenswerten und Immobilien überdurchschnittlich stark gestiegen. In diesem Umfeld ist das Finanzsystem verwundbarer geworden gegenüber unerwarteten negativen Entwicklungen. Zudem sehen wir derzeit eine Reihe von konjunkturellen Abwärtsrisiken, insbesondere die globalen Handelskonflikte und die politische Unsicherheit über den Brexit. Im Falle eines Konjunktureinbruchs insbesondere in Verbindung mit einem unerwartet starken Rückgang der Immobilienpreise könnten die Verwundbarkeiten offen zutage treten.

Gestiegene Verwundbarkeit

Diese Verwundbarkeiten im Finanzsystem liegen zum einen in möglicherweise unterzeichneten Kreditrisiken. Im Einklang mit dem günstigen makroökonomischen Umfeld ist bei vielen Banken die Risikovorsorge aus dem Kreditgeschäft stark gesunken. Ein starker Konjunktureinbruch würde dazu führen, dass Banken ihre Risikovorsorge erheblich steigern müssten (dieser Effekt könnte tendenziell durch IFRS 9 verstärkt werden), wodurch die Eigenkapitalquoten unter Druck geraten. Steigende Risikogewichte können dazu führen, dass die Eigenkapitalanforderungen für das Kreditrisiko stark steigen.

Zusätzliche Risiken können zudem aus möglicherweise überbewerteten Kreditsicherheiten entstehen. Seit dem Jahr 2010 sind Immobilienpreise für Wohnimmobilien in Deutschland insgesamt um rund 59 Prozent und in den sieben größten deutschen Städten um etwa 98 Prozent gestiegen. Laut Schätzungen der Deutschen Bundesbank lagen die Überbewertungen in den Städten in den Jahren 2018 und 2017 zwischen 15 Prozent und 30 Prozent. Durch die starken Preissteigerungen und die regionalen Überbewertungen insbesondere in städtischen Gebieten Deutschlands steigt die Wahrscheinlichkeit einer auch deutlich ausfallenden Preiskorrektur. Damit geht zunehmend die Gefahr einher, dass Banken die Werthaltigkeit von als Kreditsicherheit hinterlegten Immobilien überschätzen.

Konjunktureinbruch könnte Negativspirale in Gang setzen

Im Falle eines Konjunktureinbruchs könnten Kreditnehmer nicht mehr in der Lage sein, ihre Kredite zurückzuzahlen. Kommt es zu einem unerwartet starken Rückgang der Immobilienpreise könnte der Erlös aus einem Verkauf von Immobilien nicht ausreichen, um bei Kreditausfällen Verluste aufseiten der Kreditgeber zu vermeiden. Solche Verwerfungen könnten den Bankensektor in der Breite treffen.

Ob und wie stark negative konjunkturelle Entwicklungen durch das Finanzsystem verstärkt werden, hängt entscheidend von dessen Abwehrkräften ab. Nachdem die Banken in den vergangenen Jahren aufgrund der gestiegenen regulatorischen Anforderungen ihre Eigenkapitalausstattung deutlich verbessert haben, ist die Kernkapitalquote des Bankensektors zuletzt leicht gesunken. Es besteht daher die Gefahr, dass die bestehenden Puffer nicht ausreichen, wenn bei einem Abschwung die beschriebenen Risiken gleichzeitig eintreten würden. Diese Risiken könnten sich gegenseitig verstärken und dazu beitragen, dass die Kreditvergabe über mäßig eingeschränkt wird.

Präventive Stärkung der Verlusttragfähigkeit

Der Ausschuss für Finanzstabilität (AFS) ist für die makroprudenzielle Überwachung in Deutschland zuständig. Sein Auftrag ist es, etwaige Gefahren für die Finanzstabilität in Deutschland frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig davor zu warnen oder Gegenmaßnahmen zu empfehlen.

Nach langer und sorgfältiger Analyse und Bewertung der beschriebenen Risikolage für das deutsche Bankensystem ist der AFS zu dem Ergebnis gekommen, dass zyklische systemische Risiken bestehen, die die Finanzstabilität in Deutschland beeinträchtigen können und die Verlusttragfähigkeit des deutschen Bankensystems präventiv gestärkt werden muss.

Daher hat der Ausschuss in seiner Sitzung am 27. Mai 2019 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) empfohlen, den inländischen antizyklischen Kapitalpuffer (CCyB) ab dem dritten Quartal 2019 zu aktivieren und auf 0,25 Prozent anzuheben. Die BaFin hat die Empfehlung des AFS mit Wirkung zum 1. Juli 2019 umgesetzt.

Mittlerweile haben 14 Länder des europäischen Wirtschaftsraums derartige Puffer, auch gestützt auf eine Empfehlung des ESRB. Mit dem antizyklischen Kapitalpuffer wird in wirtschaftlich guten Zeiten ein Puffer im Bankensystem aufgebaut, der als zusätzliche Vorsorge zur Verfügung steht, um Verluste decken zu können. Die Widerstandskraft des Finanzsystems gegenüber zyklischen Systemrisiken wird gestärkt. Sofern diese zyklischen Systemrisiken zurückgehen oder aber sich realisieren, kann der Puffer wieder verringert werden. Insbesondere in Stressphasen kann er sofort herabgesetzt werden und Banken können Verluste dadurch abfedern. Damit wird die nachhaltige Kreditvergabe an die Realwirtschaft auch in Stressphasen unterstützt und eine übermäßige Einschränkung der Kreditvergabe weniger wahrscheinlich.

Der antizyklische Kapitalpuffer wirkt präventiv. Das makroökonomische Umfeld soll genutzt werden, um die entsprechenden Puffer aufzubauen und die Widerstandsfähigkeit zu stärken. Damit trägt der Puffer zur Wahrung der Finanzstabilität auch in Zukunft bei. Darunter verstehen wir einen Zustand, in dem das Finanzsystem jederzeit in der Lage ist, auch seine realwirtschaftlichen Funktionen zu erfüllen. Der AFS geht davon aus, dass der deutsche Bankensektor die zusätzlichen Kapitalanforderungen überwiegend aus vorhandenem Überschusseigenkapital erfüllen kann. Banken haben zudem zwölf Monate Zeit, um - falls erforderlich - den Puffer aufzubauen.

Ein sehr flexibles Instrument

Bei der Empfehlung wurde zudem berücksichtigt, dass die zukünftige Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen typischerweise mit Unsicherheit verbunden ist. Die BaFin überprüft deshalb vierteljährlich, ob die Höhe des antizyklischen Kapitalpuffers angemessen ist und passt diese gegebenenfalls an. Dies gilt auch während der zwölfmonatigen Einführungsphase. Anders als bei den meisten sonstigen Kapitalpuffern handelt es sich also um ein sehr flexibles Instrument, bei dem im Fall einer Krise auch schnell eine Freisetzung erfolgen kann.

DER AUTOR

DR. LEVIN HOLLE, Leiter der Finanzmarktabteilung, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Kontra

Eine unsachgemäße Belastung

Das Konzept des antizyklischen Kapitalpuffers wirkt auf den ersten Blick durchaus überzeugend. Schließlich zielt dieses in Europa bereits vor einigen Jahren im Rahmen von Basel III eingeführte makroprudenzielle Instrument der Bankenaufsicht darauf ab, systemische Risiken im Bankensektor abzufedern, die durch die Schwankungen im Laufe der Kreditzyklen entstehen.

Kein übermäßiges Kreditwachstum

Konkret geht es darum, dass Banken in Phasen des Kreditwachstums einen zusätzlichen Kapitalpuffer aufbauen, der im Falle eines Abschwungs zur Deckung von Verlusten genutzt werden kann, um dadurch eine zyklisch bedingte Verknappung des Kreditangebots abzumildern. So weit, so gut - zumindest in der Theorie.

Allerdings gibt es gute Gründe, die aktuell gegen den Aufbau eines solchen Kapitalpuffers sprechen: Zunächst ist eine Phase übermäßigen Kreditwachstums momentan nicht zu erkennen. Eine solche wird gemäß Baseler Vorgaben und Konkretisierung der Deutschen Bundesbank insbesondere am Verhältnis von Kreditvolumen zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) abgelesen, also daran, wie sich Kredite im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung eines Landes entwickeln.

Dabei zeigt sich, dass die Kennzahl für den langfristigen Trend in Deutschland seit Jahren rückläufig ist. Seit 2005 ging diese von 105 auf mittlerweile 83 Prozent zurück. Auch wenn die Quartalswerte seit Ende 2017 von 82 auf 83 Prozent leicht gestiegen sind, beträgt die Abweichung vom langfristigen Trend - die sogenannte Kredit/BIP-Lücke - derzeit null und liegt damit weiterhin deutlich unterhalb der für die Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers relevanten Schwelle von zwei Prozent.

Zudem ist von konjunktureller Seite derzeit nicht mit einer Fortsetzung der Boomphase zu rechnen, die für den Aufbau eines solchen Puffers genutzt werden könnte. Im Gegenteil haben sich die weltwirtschaftlichen Aussichten in den vergangenen Monaten zunehmend eingetrübt. Deutschland mit seiner vom weltweiten Handel in hohem Maße abhängigen Wirtschaftsstruktur ist in besonderer Weise von der durch Handelskonflikte, zunehmenden Protektionismus und Brexit ausgelösten erhöhten Unsicherheit betroffen. Es besteht deshalb die Gefahr, dass der Aufbau eines antizyklischen Kapitalpuffers zum jetzigen Zeitpunkt prozyklisch wirkt, also den möglichen Abschwung noch verstärken würde.

Vergessen werden darf auch nicht, dass mit der Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen auch die Eigenkapitalkosten der Institute steigen. Dies führt entweder zur Ermäßigung der Zinsmarge, die aufgrund des harten Wettbewerbs und des niedrigen Zinsniveaus ohnehin bereits vergleichsweise niedrig ist, oder zur Verteuerung der Kredite.

Dem Wohnungsbau dürfte Letzteres zusammen mit den aktuell hohen Bau- und Grunderwerbsnebenkosten einen politisch unerwünschten Dämpfer versetzen. Und das obwohl die Neubautätigkeit - insbesondere in den Ballungsgebieten - angesichts der demografischen Entwicklung schon seit Längerem unterhalb des Bedarfs liegt. Somit könnten sich die bereits bestehenden Verwerfungen an den Wohnungsmärkten weiter verschärfen.

Wohnimmobilienpreise bleiben unberührt

Illusorisch wäre es anzunehmen, dass der antizyklische Kapitalpuffer dazu beitragen wird, die derzeit hohen Wohnimmobilienpreise zu dämpfen. Schließlich macht das niedrige Zinsniveau andere konservative Anlagemöglichkeiten im Vergleich zu Wohnimmobilieninvestitionen derzeit vergleichsweise unattraktiv. Eigenkapital für Immobilieninvestitionen ist somit ausreichend vorhanden.

Dies spiegelt sich auch in der Fremdkapitalquote von zuletzt knapp 80 Prozent in der Wohnungsfinanzierung wider - und das bei deutlich gestiegenen Immobilienpreisen. Dabei ist der Immobilienpreisanstieg der vergangenen Jahre mitnichten auf ein überzogenes Kreditangebot zurückzuführen, das mithilfe des antizyklischen Kapitalpuffers zu begrenzen wäre. Vielmehr sind die wesentlichen Treiber der Preissteigerungen das niedrige Zinsniveau und die gesteigerte Nachfrage nach Wohnraum, die auf ein sehr begrenztes Immobilienangebot treffen.

Hohe Eigenkapitalanteile sprechen gegen systemische Risiken

Analysen der Deutschen Bundesbank sehen bei Wohnimmobilien in Deutschland und vor allem in den Großstädten eine Überbewertung von 15 bis 30 Prozent, die im Wesentlichen auf das niedrige Zinsniveau zurückzuführen ist. Aufgrund der für Deutschland typischen Finanzierungsstruktur von Wohnimmobilien liegt der Eigenkapitalanteil durchschnittlich bei knapp unter 25 Prozent. Daher besteht auch keine systemische Gefahr, dass selbst bei einer extremen Preiskorrektur in Höhe der von der Bundesbank geschätzten Überbewertung die Immobilienwerte als Kreditsicherheit nicht weiterhin den ausgereichten Kreditbetrag übersteigen und damit die finanzierenden Institute und die Finanzstabilität insgesamt gefährden könnten.

Schließlich bewirken die in den vergangenen Jahren vereinbarten hohen und weiter steigenden Tilgungsquoten eine im historischen Vergleich schnelle Rückführung der Kreditbeträge. Damit steigt der Sicherheitenwert relativ zum Restkreditbetrag. Wohnimmobilien in Deutschland werden außerdem seit jeher mit langfristigen Krediten finanziert. Folglich liegen bei den Immobilienfinanzierungsbeständen weit überwiegend Immobiliensicherheiten vor, deren ursprünglicher Wertansatz deutlich unter den heutigen Immobilienpreisen liegt, was im Zeitablauf die Sicherheitenposition der Banken stärkt.

Ausgehend von den heutigen Risikokosten, die praktisch nicht existent sind, ist angesichts der manifesten konjunkturellen Eintrübung und der erwähnten großen Herausforderungen für die deutsche Volkswirtschaft eine allgemeine Erhöhung der Risikovorsorge wahrscheinlich. Darüber hinaus bedarf es in einer Phase der wirtschaftlichen Abkühlung keiner aufsichtlichen Maßnahmen zur Marktberuhigung. Aus Sicht der Immobilienfinanzierer besteht daher keine Notwendigkeit, einen zusätzlichen Kapitalpuffer aufzubauen, um damit einen theoretisch möglichen Anstieg der Ausfälle bei Wohnimmobilienkrediten abzufedern.

Mehr Schaden als Nutzen

Tatsächlich ist auch nicht auszuschließen, dass die Pufferquote von 0,25 Prozent nur den Anfang und den Einstieg in eine Aufwärtsspirale markiert. So oder so werden deutsche Immobilienfinanzierer mit dem antizyklischen Kapitalpuffer ohne sachgemäßen Grund belastet, was dem System an sich am Ende mehr Schaden zufügen als nutzen dürfte. Und daran sollte eigentlich niemand ein Interesse haben.

DER AUTOR

JENS TOLCKMITT, Hauptgeschäftsführer, Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin

Dr. Levin Holle , Leiter der Finanzmarktabteilung, Bundesministerium der Finanzen, Berlin
Jens Tolckmitt , Hauptgeschäftsführer , Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) e.V., Berlin

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X