Handel

Kontaktloses Zahlen: (R)Evolution auf beiden Seiten der Kasse?

Im Vorbeigehen schnell, bequem und sicher zahlen, ohne eine PIN eingeben oder eine Unterschrift leisten zu müssen: So lautet die verheißungsvolle Kurzbeschreibung kontaktloser Zahlverfahren. Doch wie steht es in Wirklichkeit um die Akzeptanz neuartiger Bezahlmethoden - und zwar auf beiden Seiten des Verkaufstresens? Ähneln sich die Einstellungen und Einschätzungen von Verbrauchern und Händlern? Profitiert der Handel vom "Contactless Payment" nur, weil er damit den Wünschen seiner Kunden entspricht? Oder gibt es für Unternehmen noch mehr Anreize zur Einführung von Kontaktlos-Terminals und zum Abschluss entsprechender

Akzeptanzverträge? Eine Verbraucher- und eine Händlerstudie gingen den Einstellungen und Beweggründen von Verbrauchern und Händlern zur Nutzung von "Contactless Payment" auf den Grund. Eine dritte Studie untersucht den Einfluss unterschiedlicher Zahlverfahren (Bargeld, Kreditkarte und Mobile Payment) auf das Kaufverhalten von Konsumenten anhand eines Laborexperimentes. Insgesamt lassen die Ergebnisse dieser Studien den Schluss zu, dass kontaktlose Zahlverfahren die Bezahlkultur in Deutschland nachhaltig verändern werden.

Konsumenten stehen in den Startlöchern

Letztlich entscheidet der Verbraucher über den Erfolg oder Misserfolg einer Innovation. In der ersten Studie wurde daher der Fokus auf Verbraucherakzeptanz kontaktloser Zahlverfahren gelegt. Das Ergebnis: Konsumenten stehen neuen Bezahlmethoden sehr offen gegenüber. Sie räumen kontaktlosen Zahlungen gute Chancen für die Zukunft ein. Über zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) befürworten kontaktloses Bezahlen. Sie sind grundsätzlich bereit, neue, innovative Bezahltechnologien zu nutzen. Die Kosten und Risiken wurden von den Befragten durchweg als gering eingeschätzt, der Nutzen überwiegt ganz klar.

Weitere Ergebnisse: Verbraucher, die überdurchschnittlich viel mit Kredit- und Debitkarte einkaufen, sind neuen Zahlverfahren gegenüber ganz besonders aufgeschlossen. Gleiches gilt für familien- und karriereorientierte, modebewusste und sportlichaktive Befragte.

Der Handel ist am Zug

Was bedeuten diese Ergebnisse? In erster Linie hat kontaktloses Bezahlen das Potenzial, die vorherrschende Dominanz des Bargeldes bei deutschen Konsumenten zu brechen. Voraussetzung, die prinzipielle Nutzungsbereitschaft in eine echte kontaktlose Zahlung münden zu lassen, ist jedoch das Kontaktlos-Lesegerät an der Kasse. Der Einzelhandel muss also tätig werden und eine flächendeckende Infrastruktur in Form entsprechender Kassenterminals und Akzeptanzstellen schaffen.

Befürchtungen, mit seinen Anstrengungen ins Leere zu laufen, müssen die Händler nach den vorliegenden Studienergebnissen nicht haben: Die Konsumenten warten jetzt schon auf mehr Möglichkeiten, kontaktlos zahlen zu können. Ist sich der Einzelhandel dessen bewusst?

Positive Einstellung auch beim Einzelhandel

Von Ende 2011 bis Mai 2012 wurde eine kombinierte On-/Offline-Befragung im deutschen Einzelhandel durchgeführt. 131 Händler nahmen an der Studie zur Gegenwart und Zukunft des kontaktlosen Bezahlens teil.

Die Einstellung der Befragungsteilnehmer ist grundsätzlich positiv: Kontaktloses Bezahlen erzielt insgesamt einen Zustimmungswert von 72,6 Prozent. Die Händler sind also in etwa genauso bereit, sich auf die neue Technologie einzulassen, wie ihre Kunden. Der Aspekt "Zukunftsfähigkeit" weist als sogenannter "Akzeptanzfaktor" den stärksten Zusammenhang mit der händlerseitigen Einstellung gegenüber kontaktloser Zahlung auf. Dieser Faktor betont insbesondere die Befürchtung der Befragten, einen wichtigen Trend zu verpassen und deswegen von der Konkurrenz überflügelt zu werden.

Demzufolge könnte ein großer Einzelhändler als Vorreiter in Sachen Kontaktloszahlung einen "Sog-Effekt" erzielen. Andere Händler fühlten sich "gezwungen", das System ebenfalls zu etablieren, was zu einer beschleunigten Durchdringung von kontaktlosem Bezahlen im deutschen Einzelhandel führen würde.

Jeder dritte Händler noch nicht interessiert

20,6 Prozent der befragten Händler bieten ihren Kunden bereits heute kontaktlose Zahlungen an, fast die Hälfte (45 Prozent) plant dies zu tun. Von diesen 45 Prozent schätzt die große Mehrheit (78 Prozent) die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ein, innerhalb der nächsten fünf Jahre kontaktloses Zahlen einzuführen. Dazu passt, dass 43,5 Prozent der Befragten eine flächendeckende Verbreitung des Zahlverfahrens für die kommenden fünf Jahre voraussagen.

Aber: Rund ein Drittel der Händler hat derzeit kein Interesse an einer Integration der neuen Bezahlmethode. Angesichts der hohen Zustimmungswerte von Seiten der Verbraucher könnten sicherlich schon mehr Händler guten Gewissens kontaktlose Zahlungen anbieten. Doch zeigt zumindest die hohe Zahl der Händler mit einer Absicht, kontaktlose Zahlungen einzuführen, dass ein grundsätzliches Bewusstsein für die Nachfrage nach innovativen Zahlverfahren besteht.

Händler schätzen Kunden falsch ein

Warum aber lehnt immerhin ein Drittel der Befragten die Einführung kontaktloser Zahlverfahren ab? Die betreffenden Händler geben vor allem Kundenablehnung (70 Prozent) und mangelnde Marktdiffusion (68,5 Prozent) als Gründe an.

Sie gehen also davon aus, dass Kunden kontaktlose Zahlungen gar nicht wollen und glauben auch nicht an eine flächendeckende Verbreitung in den nächsten Jahren. Eine völlig falsche Einschätzung, wie die Konsumentenbefragung gezeigt hat.

Und auch andere sogenannte "Resistenztreiber", also Gründe für die Ablehnung, entsprechen nicht ganz der Realität - angeblich mangelnde technische Reife und die Einführungskosten etwa gehören dazu.

Gesamtkosten und Entwicklungsstand als Hemmnisse

Die derzeit existierenden kontaktlosen Zahlverfahren basieren alle auf der seit Jahren erprobten NFC-Technologie (Near Field Communication), dies spricht für die technische Reife. Für die verschlüsselte Übertragung der Zahlungsdaten auf eine Entfernung von höchstens vier Zentimetern zum Lesegerät sorgt ein Funkchip. Der ist heutzutage zumeist Bestandteil von Kreditkarten, kommt aber in Zukunft auch vermehrt in Smartphones zur Anwendung. Laut Studie bevorzugen Händler momentan jedoch noch die klassischen Bezahlkarten als Träger für die kontaktlose Zahltechnologie - nur 19,8 Prozent würden das Handy vorziehen.

Zwar entstehen für die Integration kontaktloser Zahlverfahren, durch die Anschaffung neuer Terminals, zusätzliche Ausgaben. Gleichzeitig sinken jedoch mit dem zunehmenden Anteil bargeldloser Zahlungen auch die Gesamtkosten für das Bargeldhandling, für Fehlbeträge beim Kassieren und den allgemeinen Kassenaufwand. Das Kostensenkungspotenzial wird von einigen Händlerschichten dennoch als gering eingestuft. So erzielt dieser Akzeptanzfaktor lediglich einen Zustimmungswert von 58,6 Prozent.

Bringen kontaktlose Zahlverfahren mehr Umsätze?

Fassen wir zusammen: Händler stehen kontaktlosen Zahlverfahren grundsätzlich positiv gegenüber. Das entspricht der Grundeinstellung ihrer Kunden. Und dennoch: Rund ein Drittel der befragten Händler verkennt die Bereitschaft der Kundschaft zur Nutzung von Mastercard Paypass, Visa Paywave und Girogo.

Die Studie zeigt letztlich, dass Unternehmen nicht den Anschluss an die Konkurrenz verlieren wollen und vor allem deshalb kontaktlose Zahlungen befürworten. Doch ergeben sich auch konkrete Vorteile für Händler, wenn deren Kunden mit einer innovativen Bezahlmethode bezahlen? Vorteile von denen die Händler noch nichts wissen?

Unter Umständen bringen neuartige Verfahren wie kontaktlose oder mobile Zahlungen neben geringeren Kosten auch zusätzliche Umsätze mit sich. Anzunehmen wäre beispielsweise, dass die kürzeren Wartezeiten an der Kasse zu höheren Tagesumsätzen führen. Oder dass die komfortable und schnelle Form des Bezahlens Anreize für Impulskäufe schafft.

"Pain of Payment" sinkt beim bargeldlosen Zahlen

Ob die angebotenen Zahlverfahren Einfluss auf das Kundenverhalten und speziell auf die Zahlungsbereitschaft haben, ist Gegenstand des vorläufig letzten Teils der Studienreihe. Der Grund für die Untersuchung liegt auf der Hand: Eine Bezahlmethode kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie sowohl von Kunden akzeptiert als auch durchgängig im Handel verbreitet ist. Wenn der Handel einen direkten, umsatzbezogenen Vorteil in dem Einsatz einer neuen Bezahlmethode sieht, der über einen höheren Kundennutzen hinausgeht, hat er einen konkreten monetären Anreiz, den Einsatz dieser Bezahlmethoden zu forcieren.

Hinzu kommt: Eine wichtige Voraussetzung für den effektiven Einsatz von Preisstrategien und somit den wirtschaftlichen Erfolg im Einzelhandel ist die Kenntnis der kundenseitigen Zahlungsbereitschaft. Wenn diese nicht nur mit den angebotenen Produkten und Marken selbst, sondern auch mit der Zahlweise zusammenhängt, kann der Händler durch das Portfolio der angebotenen Zahlverfahren theoretisch Einfluss auf die Zahlbereitschaft seiner Kunden nehmen. Um diese theoretische Überlegung empirisch zu prüfen, fand im August dieses Jahres ein Laborexperiment mit 166 Teilnehmern statt. Dieses Experiment liefert die empirische Basis zur Analyse des Einflusses der Bezahlmethode auf die Zahlungsbereitschaft der Kunden. In einer Laborsituation wurde ein Einkauf in einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft nachgestellt. Die Probanden hatten dabei die Aufgabe, einen Warenkorb auf Basis einer Einkaufsliste zusammenzustellen. Eine Bargeldkasse für die Bargeldzahlung, ein Kartenterminal für Kartenzahlung und ein Smartphone für Mobile Payment "simulierten" den Kassenprozess.

Zwar liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine vollständigen Ergebnisse vor, jedoch zeichnet sich ein recht klares Bild ab: Die Probanden nahmen deutliche Unterschiede zwischen den Bezahlmethoden wahr. Unbare Bezahlmethoden - in diesem Fall Kreditkartenzahlung und Mobile Payment - erhöhen die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft signifikant. Im Klartext: Kunden sind im Rahmen bargeldloser Transaktionen bereit, für einen identischen Warenwert mehr zu bezahlen als im Falle einer Barzahlung. Gerade für Impulskäufe ist dieses Ergebnis wichtig.

Entsprechend der Theorie des "Pain of Payment" kann der deutlich höhere "Schmerz" der Barzahlung den benötigten Kaufimpuls wirkungsvoller unterdrücken, als dies beispielsweise Kartenzahlungen vermögen. Bargeldlose Zahlungsverfahren, darunter auch mobile und kontaktlose Zahlverfahren, können für Händler also durchaus höhere Umsätze bedeuten. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Sowohl Verbraucher als auch Händler sind kontaktlosen Zahlverfahren gegenüber sehr positiv eingestellt. Die meisten Händler haben laut Studie entsprechende Systeme bereits installiert oder planen dies zu tun.

Rund ein Drittel der Befragten möchte aber in absehbarer Zeit keine kontaktlosen Zahlungen einführen, weil sie davon ausgehen, dass ihre Kunden keinen Wert darauf legen, zukünftig keine lohnende Verbreitung vorherrschen wird, die Funktionalität nicht ausreichend ist oder die Kosten für eine Einführung zu hoch sind. Diese Annahmen sind angesichts der anderen Studienergebnisse und in anbetracht des allgemeinen Entwicklungsstands kontaktloser Zahlungen kritisch zu hinterfragen.

Verbraucher wollen kontaktlose Zahlungen. Und außerdem gilt: Kreditkarte & Co. können dem Einzelhandel zusätzliche Umsätze bringen. Denn Kunden erweisen sich bei bargeldlosen Zahlungen als deutlich kauffreudiger als bei der Zahlung mit barer Münze. Einzelhändler haben somit alle Gründe, mit der Einführung kontaktloser Zahlungen weiter voranzuschreiten.

Anmerkung zu Studiendesign und Methodik: Für die Studie "Innovation mit Substanz? - Das Stimmungsbild im deutschen Einzelhandel zur Zukunft des kontaktlosen Bezahlens" wurde vom Concardis Stiftungslehrstuhl für Konsumentenverhalten an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht , Wiesbaden, zwischen Ende 2011 und Mai 2012 eine quantitative Befragung zum Thema "Kontaktloses Bezahlen" mit 131 Teilnehmern aus dem deutschen Einzelhandel durchgeführt. In der Händlerbefragung wurde untersucht, wie diese Bezahlmethoden von Einzelhändlern wahrgenommen werden und wie die Akzeptanz und Implementierungsabsicht von kontaktlosem Bezahlen und Mobile (Proximity) Payment im Handel ist. In der ersten Stufe wurden im Herbst 2011 zehn qualitative Experteninterviews durchgeführt, die die Basis für die Konzeption des Fragebogens der quantitativen Erhebung bildeten, welche dann zwischen Dezember 2011 und Mai dieses Jahres durchgeführt wurde. Die teilnehmenden Firmen gehörten großteils dem Einzelhandelsverband HDE sowie dem EHI an oder stammten aus dem Kundenkreis von Concardis. Die Studie "Wahrnehmungs- und Verhaltensänderungen von Kunden durch Bargeld-, Karten- und Handyzahlungen im Einzelhandel" basiert auf einem Laborexperiment. Es wurde im August dieses Jahres mit 166 Teilnehmern durchgeführt. Das Durchschnittsalter betrug 33 Jahre, 51,8 Prozent der Teilnehmer waren weiblich. In den Räumlichkeiten der EBS wurde ein Einkauf in einem Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft simuliert. Die Versuchsteilnehmer hatten die Aufgabe, einen Warenkorb mit elf verschiedenen Produkten im Wert von 33 Euro auf Basis einer Einkaufsliste zusammenzustellen. Insgesamt waren über 60 verschiedene Produkte des täglichen Bedarfs verfügbar. Der Kassenprozess wurde mit einer Bargeldkasse für die Bargeldzahlung, einem Kartenterminal für Kartenzahlung und einem Mobiltelefon für Mobile Payment simuliert. Im Anschluss an den simulierten Einkauf füllten die Studienteilnehmer einen standardisierten Fragebogen zu ihrer Wahrnehmung des Einkaufs aus.

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