Karten-Blickpunkte

Visa enthüllt seine Niederlassung in der virtuellen Welt

Visa ist drin - in der Online-Welt Second Life. Die Kartenorganisation hat dort im Mai 2007 eine sogenannte Insel gekauft, ein Schild daraufgestellt und die Second-Life-Nutzer aufgefordert, sich mit Vorschlägen an der Gestaltung des noch reichlich trostlos aussehenden Fleckchen Landes zu beteiligen. Fünf Monate später wird nun das Visa-Gebäude enthüllt. Dort können Besucher Produkte ausprobieren und Erfahrungen austauschen. Dieses Feedback soll dann für die reale Produktgestaltung genutzt werden.

Wirecard Bank mit virtueller Filiale

Mit solchen Überlegungen ist Visa aber nicht allein: Die Münchener Wirecard Bank beispielsweise ist der großen Kartengesellschaft schon einen Schritt voraus. Das Unternehmen, das elektronische Zahlungssysteme anbietet, betreibt in der realen Welt keine Geschäftsstelle. In Second Life hingegen ist seine Filiale schon seit Mai dieses Jahres in Betrieb.

Betritt ein Avatar die virtuelle Insel der Bank, dann geht im Call-Center des Kreditinstituts auf dem Bildschirm eines speziell geschulten Mitarbeiters ein Fenster auf. Er loggt sich ebenfalls ein und interagiert mit dem Besucher. Echte Beratungsgespräche finden so online statt. Für den Avatar ist die Beratung in der Online-Welt kostenlos, im Call-Center zahlt der Kunde 14 Cent pro Minute. Produktabschlüsse sind auf diesem Wege jedoch nicht möglich, vor allem deshalb, weil in Second Life die sichere Übertragung von Daten nicht im Vordergrund steht. Will der Kunde einen Vertrag abschließen oder eine Transaktion anweisen, dann klickt er auf einen der Geldautomaten in der Filiale und wird auf die Internetseite der Wirecard Bank geleitet. Insbesondere von internationalen Kunden werde das Angebot rege angenommen, so verlautet es aus dem Kreditinstitut. Die Second-Life-Repräsentanz soll daher ausgebaut werden. Eine zweite Bankniederlassung ist beispielsweise innerhalb eines Projektes angedacht, in dem die Stadt München nachgebaut wird.

Virtuelles Foto auf realer Karte

Seit Juli 2007 ist auch die Deutsche Bank mit ihrer "Zukunftsfiliale Q110" in Second Life dabei. Auf der IBM-Insel ist die Berliner Niederlassung realitätsgetreu abgebildet worden. In der Online-Filiale können Besucher einmalige Ereignisse oder Lebensphasen (und deren Finanzierung) durchspielen, zum Beispiel Hochzeit oder Hausbau. Sie können ein Treffen mit einem Banker arrangieren, online oder real. Einfache Fragen werden von den Bank-Avataren beantwortet, wenn es komplizierter wird oder gar ein Vertrag abgeschlossen werden soll, bleibt der Weg in eine echte Filiale unumgänglich.

Reale und virtuelle Welt werden in der Produktgestaltung geschickt verknüpft: Wer viel Arbeit in die Bearbeitung seines Avatars gesteckt hat, kann sich in Q 110 fotografieren lassen und das Bild als Motiv auf seiner Deutsche-Bank-Kreditkarte verwenden. Mit der Verlängerung der Versuchsfiliale in Second Life handelt die Großbank konsequent. Hier will sie die Wünsche der Kunden analysieren (ebenso wie in der echten Q 110) und erforschen, wie virtuelle Räume funktionieren. Ein wenig Zweifel an der Sinnhaftigkeit solcher Aktionen ist dennoch durchaus angebracht. Denn wie gut oder wie schlecht sogenannte Marken-Inseln in Second Life tatsächlich besucht sind, hat im Juni dieses Jahres die Münchener Aquarius Consulting untersucht: Selbst Spitzenreiter wie die Residenz des Autobauers Nissan würden nur von etwa sechs Gästen pro Stunde betreten. Die beste deutsche Marke Adidas bringe es gerade einmal auf 36 Besucher pro Tag.

Die Hamburger Marktforscher Fittkau und Maaß befragten im April und Mai dieses Jahres 100 000 Internet-Nutzer nach ihren Erfahrungen. 70 Prozent hatten schon von Second Life gehört, knapp acht Prozent sich einmal eingeloggt, doch nur 0,8 Prozent nutzen Second Life mindestens einmal pro Woche. Bei jenen, die die virtuelle Welt schon einmal besucht haben, geben 65 Prozent an, dass sie sie nur ein einziges Mal ausprobiert haben. Doch auch den aktiven Nutzern dient die Plattform hauptsächlich der Kommunikation, dem Spielen und der Unterhaltung: Nur zwölf Prozent sind dort schon auf Produkte aufmerksam geworden.

Immerhin: Die Wachstumsraten sind vielversprechend. Second Life ist seit dem Jahr 2004 online, bisher haben sich rund 7,8 Millionen Benutzer angemeldet, etwa 1,8 Millionen waren in den vergangenen 60 Tagen eingeloggt. Beobachter erwarten, dass sich virtuelle Welten zukünftig noch weiter differenzieren werden, so wie das bereits heute in asiatischen Ländern der Fall ist. Dann gäbe es Plattformen für bestimmte Berufsgruppen, für Sportarten, Hobbies, und so weiter. Zielgruppen könnten dann immer exakter ausgemacht und angesprochen werden.

Skepsis überwiegt

Lohnt es sich also, im Second Life präsent zu sein? Der Großteil (90 Prozent) aller Marketingchefs, so ergab es eine Umfrage der Zeitschrift W & V, steht dem Web 2.0 generell eher vorsichtig gegenüber und hält den Hype um Second Life für überzogen. Dennoch denken 55 Prozent, dass die Internetplattform zeigt, wo die Zukunft hingeht. Etwa 24 Prozent sehen es als spannende Marketingplattform, 40 Prozent geben an, dass sich ihr Unternehmen intensiv mit einer Präsenz auseinandersetzt.

Die Beschäftigung mit dem Thema tut tatsächlich not: Wer nur mitmacht, um den Trend nicht zu verpassen, für den lohnt sich der Aufwand nicht. Die Anonymität der Nutzer und Anbieter führt zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit. Zum Beispiel im Umgang mit Produktfälschungen oder mit Besuchern, deren Volljährigkeit nicht geprüft wurde und von denen zudem nicht bekannt ist, welcher Nationalität sie sind. Und der Avatar ist anspruchsvoll: Er will einen Mehrwert erzielen, wenn er seinen künstlichen Fuß in die Niederlassung eines Unternehmens setzt. Wer das nicht bieten kann, der bleibt besser draußen. bs

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