Regulierung

Anwenderauswahl: Handel zwischen Pest und Cholera

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Noch herrscht im Einzelhandel in Sachen Anwenderauswahl Unsicherheit. Ein Vorschlag zur praktischen Umsetzung liegt zwar seit Herbst 2015 vor. Ob dieser tatsächlich verordnungskonform ist, wird erst das Cards Volume zeigen, das bis zum Jahresende 2016 final vorliegen soll. Die Umsetzung benötigt deshalb Zeit, auch wenn die Terminalhersteller inzwischen an einem Softwareupdate für die Terminals arbeiten. Bis Ende 2017 werden wohl alle Terminals die Anwenderauswahl beherrschen. Bis dahin muss sich der Handel jedoch zwischen zwei Übeln entscheiden, so Ulrich Binnebößel, und entweder den Stichtag 9. Juni ignorieren oder komplexe Prozesse installieren, die zwangsläufig zu Diskussionen mit dem Kunden führen werden. Gegen eine Einmischung von Visa und Mastercard an dieser Stelle wehrt sich der Einzelhandel vehement. Red.

Als am 8. Juni 2015 die Verordnung 2015/ 751 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (MIF-VO) in Kraft trat, ahnte niemand, dass ein kleiner Absatz einmal solch intensive Diskussionen und Unsicherheiten in der Fachwelt auslösen würde. Dabei geht es um Co-Badging und die Wahl der Zahlungsmarke, genauer gesagt um Artikel 8 Absatz 6 der MIF-VO. Hier wird festgelegt, dass im Falle eines Zahlungsinstruments mit zwei oder mehr Zahlungsmarken der Zahler das letzte Wort haben soll, welche Marke er wählt, der Zahlungsempfänger aber vorab eine Vorauswahl anbieten darf.

Im Klartext und auf deutsche Verhältnisse übertragen bedeutet dies, dass bei Bezahlung mit einer normalen Debitkarte, auf der neben der Girocard-Funktion auch regelmäßig ein weiteres internationales Zahlverfahren installiert ist, dem Karteninhaber die Möglichkeit gegeben werden muss, zwischen den Verfahren auszuwählen, wenn der Händler beide Verfahren anbietet.

Unsicherheit für den Handel

Eigentlich sollte diese Vorgabe laut Verordnung ab dem 9. Juni 2016 umgesetzt sein. Aber lange gab es Unsicherheiten, ob eine praxistaugliche Lösung gefunden werden kann, sodass in der Folge die Umsetzung verzögert wurde. Hinzu kommt, dass Karteninhaber über ihre Kartenausstattungen kaum informiert sind. Eine Wahlmöglichkeit führt daher eher zur Verwirrung und wäre vom Handel kaum zu kommunizieren. Im Übrigen bringt sie derzeit keinen Mehrwert.

Vor diesem Hintergrund besteht für den kartenakzeptierenden Handel bis heute eine Unsicherheit:

- Verhält er sich verordnungskonform, installiert komplexe Terminalprozesse und geht in den Kampf der Kundenkommunikation ohne Aussicht auf Kundenverständnis beziehungsweise Nutzwert?

- Oder ignoriert er den Stichtag und setzt auf eine praxisorientierte Lösung, weil sich ohnehin kein Kunde beklagt?

Eine Empfehlung fällt hier schwer, da einerseits nur eine Verordnungskonformität infrage kommt, andererseits aber die reale Welt an der Kasse selbstverständlich berücksichtigt werden muss. Im Folgenden soll etwas detaillierter dargestellt werden, wie es zu der Lage kommen konnte, welche praktikablen Optionen sich derzeit ergeben und wie die künftige Bedeutung der Anwenderauswahl aussieht.

Praxisgerechte Prozesse finden

Um sowohl der Verordnung beziehungsweise der Forderung nach Anwenderauswahl entsprechen zu können und gleichzeitig die Checkout-Prozesse an der Kasse zu berücksichtigen, hat der Bundesverband der ec-Netzbetreiber (BecN) im Herbst 2015 einen Vorschlag zur technischen Umsetzung vorgelegt. Dieser sieht vor, dass dem Kunden vor der Initiierung des Zahlungsvorganges eine Auswahltaste angezeigt wird, mittels der er seinen Wunsch nach Auswahl mitteilen kann. Wird die Taste gedrückt, erfolgt nach Einschub oder Tap der Karte eine Listenanzeige mit den möglichen Verfahren. Hier kann der Zahler seine Auswahl vornehmen. Wird die Taste nicht gedrückt und der Zahlvorgang durch Einschub oder Tap der Karte gestartet, erfolgt die Abwicklung nach der Voreinstellung des Händlers. Im Vorfeld wird der Kunde mittels Kundenhinweis über die Voreinstellung informiert und kann seine Entscheidung treffen, ob er die Auswahltaste drückt.

Verbandsvorschlag wohl verordnungskonform

Der Vorschlag wurde mit dem Handelsverband Deutschland sowie wesentlichen Marktakteuren abgestimmt und dem Bundesfinanzministerium (BMF) sowie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit der Bitte um Kommentierung vorgelegt. Leider konnten beide Institutionen mit dem Verweis auf die Auslegungshoheit der EU-Kommission als Urheber der Verordnung keine abschließende Beurteilung vornehmen. Immerhin gab es auf Nachfrage eine inoffizielle Bestätigung aus der EU-Kommission, die den deutschen Vorschlag zur Umsetzung für verordnungskonform hält. Für eine endgültige Beurteilung sieht sie allerdings die europäischen Gerichte zuständig, die im Falle einer Klage entscheiden müssten.

Erwähnenswert ist zudem, dass zwischenzeitlich auf europäischer Ebene die Diskussion zur Integration der Anwenderauswahl im Rahmen des sogenannten Card Volumes erfolgt ist. Das Cards Volume ist ein europäisches Regelwerk zur Kartenzahlung, ähnlich den Sepa-Rulebooks für Lastschrift und Überweisung. Inzwischen steht ein Entwurf zur Verfügung, der bis zum 12. August 2016 zur Konsultation veröffentlicht wurde und bis zum Jahresende finalisiert werden soll. In den Entwurf wurde der BecN-Vorschlag als Beispiel zur technischen Umsetzung aufgenommen.

Im Ergebnis zeichnet sich inzwischen ab, dass der BecN-Vorschlag zur Umsetzung einer praxisgerechten Umsetzung der Anwenderauswahl mehrheitlich als verordnungskonform betrachtet wird.

Umsetzungsprozess benötigt Zeit

In der Folge des lange andauernden Abstimmungs- beziehungsweise Evaluierungsprozesses konnte eine flächendeckende Umsetzung der Branchenlösung zum Stichtag nicht erfolgen. Jedoch stehen die Zeichen für eine schnelle Umsetzung recht gut. Inzwischen ist nach Aussage der Netzbetreiber eine Beauftragung und Umsetzung der notwendigen Terminalsoftware durch die Terminalhersteller erfolgt. Eine Phase der Qualitätssicherung durch notwendige Netzbetreibertests schließt sich aktuell an.

Es kann also damit gerechnet werden, dass erste Angebote zu Softwareupdates in den nächsten Wochen vorliegen werden. Allerdings ist der Rollout in den Markt ebenfalls noch eine Herausforderung. Immerhin kann derzeit davon ausgegangen werden, dass bis Ende 2017 alle Terminals die Anwenderauswahl beherrschen.

Optionen für den Moment

Es stellt sich dabei die Frage, welche Optionen in der Zwischenzeit bestehen, in der ein Softwareupdate der Terminals noch nicht erfolgen kann.

- Zunächst könnte die sogenannte EMV-Funktion freigeschaltet werden, die in vielen Terminals schlummert. Dabei wird allerdings bei jeder Transaktion eine Auswahlliste angezeigt, die der Kunde nochmals bestätigen muss. Dabei entsteht in der Regel erheblicher Kommunikationsaufwand, da die meisten Karteninhaber über die Optionen ihrer Karte nicht aufgeklärt sind. Außerdem ist fraglich, ob diese Funktion mit der Systemlandschaft des Händlers harmoniert. Zudem kann weder ELV vernünftig integriert noch eine Vorauswahl des Händlers realisiert werden.

- Eine zweite Möglichkeit, verordnungskonform zu handeln, besteht in der Option, nur ein Zahlverfahren zu akzeptieren. Denn wo nur eines akzeptiert wird, muss keine Auswahl angeboten werden. Nachteilig ist diese Lösung allerdings dann, wenn beispielsweise Touristen zu den Kunden gehören, deren Karten ein internationales Brand tragen.

- Eine weitere, auch dem Bundesfinanzministerium vorgelegte und abgestimmte Möglichkeit, eine Nichtkonformität des Terminals zu überbrücken, kann in einer Kundeninformation bestehen. Dabei wird der Kunde mittels Aushang oder anderer geeigneter Mittel darüber aufgeklärt, welcher Prozess an der Kasse stattfindet, zum Beispiel dass eine Auswahl der Zahlungsmarke derzeit nicht möglich ist und die Zahlung nach dem Altverfahren wie bisher gewohnt abgewickelt wird. Entsprechende beispielhafte Hinweistexte halten HDE sowie die Netzbetreiber zur Verfügung (siehe Abbildung).

Kein Mehrwert für den Kunden

In der Praxis bringt die Möglichkeit zur Auswahl der Zahlungsmarke für den Kunden derzeit keine Vor- oder Nachteile. Heutige ec-Karten sind neben der Girocard-Funktion meist mit einer Maestro- oder V-Pay-Funktion ausgestattet, die für Einkäufe im Ausland vorgesehen ist. Für den Zahler besteht im Inland kein Unterschied, ob er nun mit der einen oder anderen Art bezahlt. Eine Möglichkeit der Auswahl zwischen beiden Funktionen macht daher aus praktischer Kundensicht keinen Sinn.

Das elektronische Lastschriftverfahren ELV ist im Übrigen von der Anwendung der Verordnung ausgenommen, es gilt nicht als Kartenzahlverfahren. Der Händler hat also nach wie vor die Möglichkeit, vor einer Kartenzahlung festzulegen, dass auf die Ausführung einer Lastschrift geprüft wird. Erst im Ablehnungsfall würde dann die Verordnung zum Zuge kommen und gegebenenfalls eine Anwenderauswahl berücksichtigt werden müssen.

Der Kunde hat also mit der Umsetzung der Verordnung aus heutiger Sicht keinen Mehrwert, es bleibt bei dem bisherigen Ablauf und den Eigenschaften der Systeme. Erst in Zukunft ist damit zu rechnen, dass Karten mit unterschiedlichen Zahlungsmitteln herausgegeben werden könnten, die bei dem Kunden eine Präferenz für die eine oder andere Zahlungsmarke auslösen. Dann wird der Handel im eigenen Interesse dem Kunden diese Auswahloptionen anbieten wollen.

Kartenorganisationen intervenieren

Wie bereits angeführt, bestehen derzeit Unsicherheiten auf dem Weg zu einer verordnungskonformen und zudem praktikablen Ausgestaltung der Anwenderauswahl. Dabei fällt auf, dass insbesondere internationale Kartenorganisationen gegen den Branchenvorschlag arbeiten und ihre eigenen Interpretationen der Verordnung kommunizieren.

Im Gegensatz zu der branchenübergreifend abgestimmten und oben beschriebenen Lösung wollen die Karten-Schemes, dass bei jeder Transaktion unabhängig vom Kundenwunsch die Liste auf dem Terminal angezeigt werden und der Kunde so die Auswahl nochmals bestätigen muss. Anstatt also den Abwicklungsprozess weiterhin so schlank wie möglich zu halten und nur für den Fall eines Kundenwunsches zu erweitern, soll also nach Ansicht der Schemes der Prozess für alle Kunden verlängert werden.

Keine Einmischung in Prozesse auf Handelsseite

Der Hintergrund für dieses Vorgehen liegt auf der Hand: Durch die Anzeige ihres Logos bei jeder Transaktion erhoffen sich die Schemes mehr Aufmerksamkeit und wahrscheinlich auch mehr Transaktionen, die unbedarfte oder gleichgültige Zahler auslösen. Inzwischen sollen Vorgaben der Schemes vorliegen, die sich an Acquirer richten. Darin werden diese angewiesen, die technischen Umstellungen auf der Akzeptanzseite im Sinne der Schemes durchzusetzen.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) wendet sich strikt gegen derartige Einmischungen in die Prozesse auf Handelsseite. Sie sind weder sicherheitsrelevant noch bringen sie dem Karteninhaber Vorteile. Zudem sind sie nicht auf die Verordnung zurückzuführen. Diese schreibt keine technischen Umsetzungen vor, insofern können sie nur beispielhaft genannt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Vorgaben nicht umgesetzt werden und die Schemes die Bedürfnisse und Anforderungen der Akzeptanzseite begreifen und berücksichtigen.

Die Vorlage einer verordnungskonformen und praxistauglichen Umsetzung einer Anwenderauswahl liegt auf dem Tisch. Nun kommt es darauf an, dass alle Parteien die Lösung selbst und die Notwendigkeit einer sorgfältigen Migrationsphase akzeptieren. Kartenausgebende und -akzeptierende Wirtschaft haben ihre Bereitschaft signalisiert, Aufsichtsbehörden und Gesetzgeber zeigen weitgehendes Verständnis. Wenn nun auch noch die Kartenorganisationen auf ihre starre Haltung verzichten, kann eine ausgewogene und kundenfreundliche Gestaltung der Prozesse am Zahlungsterminal ausgerollt werden, die zudem noch zukunftssicher ist.

Zum Autor

Ulrich Binnebößel, Referent Zahlungsverkehr, Handelsverband Deutschland e.V. (HDE), Berlin

Ulrich Binnebößel , Referent , Handelsverband Deutschland - HDE e. V., Berlin

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