Bargeld

Ein Jahr runden in Kleve - eine Analyse

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Ein Jahr nach dem Start des Rundungsprojekts in Kleve, mit dem das Ziel verfolgt wird, den Anteil der Cent-Münzen zu verringern, hat die Hochschule Rhein-Waal die Erfahrungen analysiert. Die These, dass das Runden zu einer versteckten Preiserhöhung führt, hat sich demnach nicht bestätigt. Wohl auch deshalb ist die überwiegende Mehrheit der Kunden zufrieden. Bei den Händlern ist das Bild gemischt: Weder war der Einführungsaufwand so hoch wie befürchtet noch konnten die Hoffnungen auf eine Senkung der Bargeldkosten erfüllt werden. Red.

Der Umlauf deutscher Ein- und Zwei-Cent-Münzen (sogenannter Kleinmünzen) ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. 1) Bereits 2015 verfügten die Deutschen im Durchschnitt über mehr als 200 Ein- oder Zwei-Cent-Münzen. Inzwischen sind 48,1 Prozent aller in Umlauf gebrachten Euro-Münzen Kleinmünzen, nämlich 58,7 von insgesamt 122,3 Milliarden Münzen. 2) Dies ist insofern verwunderlich, als die Kleinmünzen wegen ihres geringen Nennwerts eigentlich kaum sinnvoll zur Wertaufbewahrung und auch nur in eingeschränktem Maße sinnvoll zur Zahlung verwendet werden können. Ein Großteil des "Klimpergelds" lagert wohl in Sparschweinen, Einweckgläsern oder auf dem Grund von Brunnen, statt wirklich für den täglichen Einkauf genutzt zu werden.

Dies ist umso bedauerlicher, als die Herstellung der Ein-Cent-Münze deutlich über einen Cent kostet. Dadurch entstand bereits ein wirtschaftlicher Schaden von mehr als einer Milliarde Euro. 3) Bereits in einer Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Ausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen vom 14. Mai 2013 war festgestellt worden, dass die kumulierten Nettogesamtkosten der Ausgabe von Ein- und Zwei-Cent-Münzen (die negative Seigniorage) 1,4 Milliarden Euro betragen hatte. 4)

Rundungspraxis in anderen europäischen Staaten

In einigen europäischen Staaten wird daher seit einiger Zeit versucht, durch Rundung die Verbreitung der Kleinmünzen einzudämmen, so

- in Finnland (seit 2002),

- in den Niederlanden (seit 2004),

- in Irland (seit 2015),

- teilweise in Belgien sowie

- perspektivisch auch in Italien.

Gerade die Nähe Kleves zur deutsch-niederländischen Grenze sowie die Tatsache, dass viele der an die Rundung von Kleinbeträgen gewöhnten Niederländer regelmäßig in Kleve einkaufen, führte Anfang des Jahres 2016 dazu, dass das Klever City Netzwerk e.V. eine Rundungspraxis auch in Kleve initiierte. Das Klever City Netzwerk e.V. ist ein Zusammenschluss von Händlern in Kleve und zielt auf die "Stärkung des Wirtschaftsstandortes Kleve, die einheitliche Darstellung und Kommunikation gemeinsamer Interessen seiner Mitglieder nach innen und außen, sowie die Unterstützung bei der Entwicklung von weiteren Marketinginstrumenten zur Förderung und Verbesserung der Attraktivität" der Stadt Kleve ab. 5)

In Kleve seit Februar 2016

Die Händlervereinigung schrieb über 800 Händler der Stadt Kleve mit der Bitte an, ab dem 1. Februar 2016 auf Ein- und Zwei-Cent-Münzen zu verzichten. Kleve war damit die erste Stadt in Deutschland mit einer entsprechenden Rundungspraxis.

Die Klever Rundungspraxis beruht auf dem Prinzip der Auf- beziehungsweise Abrundung des Endbetrags auf den nächsten Fünf-Cent-Betrag. Damit wurden Endbeträge, die auf die Ziffern 1, 2, 6 und 7 endeten, abgerundet, Endbeträge, die auf die Ziffern 3, 4, 8 und 9 endeten, aufgerundet und Endbeträge, die auf den Ziffern 0 und 5 endeten, nicht gerundet. Aus einem Endbetrag von 14,97 Euro wurde also ein gerundeter Endbetrag von 14,95 Euro, aus einem Endbetrag von 19,93 Euro wurde ein gerundeter Endbetrag von 19,95 Euro.

Schwerpunktmäßig bei inhabergeführten Geschäften

Die Teilnahme an diesem Verfahren war für die Händler freiwillig und auch die Rundung selbst ist für die Kunden der teilnehmenden Händler freiwillig.

Ein Teil der Klever Händler - schwerpunktmäßig kleine und mittelgroße inhabergeführte Geschäfte und regionale Ketten - nahm die Idee positiv auf und führte die Rundungsregel, teils mit Unterstützung von Hinweisschildern ("Geehrte Kunden, wir runden!"), ein. Überregional aktive Unternehmen waren dagegen aus unterschiedlichen Gründen eher zurückhaltend.

Von der Einführung der Rundungspraxis und dem damit einhergehenden Verzicht auf die Nutzung von Ein- und Zwei-Cent-Münzen versprachen sich die Initiatoren vier Vorteile:

- Die Senkung von Kosten für die Aufbewahrung von Münzen,

- die Senkung von Kosten für den Transport von Münzen,

- die Senkung von Kosten für die Einzahlung von Münzen auf Bankkonten und

- eine Beschleunigung des Verkaufsvorgangs durch einen schnelleren Bezahlvorgang.

Bereits die Ankündigung dieser Rundungspraxis in Kleve führte zu einem großen Medienecho bei regionalen, nationalen und auch internationalen Medienunternehmen. Teils waren die Berichte eingebettet in übergreifende Fragen zur Zukunft des Bargelds insgesamt, teils wurde auf die spezifische Lage Kleves an der deutsch-niederländischen Grenze Bezug genommen, gelegentlich wurden auch die gesamtwirtschaftlichen Fragen der Kosten für das Bargeldmanagement bei Händlern und Banken thematisiert - jedenfalls stieß die Klever Rundungspraxis weit über Kleve hinaus auf ein sehr großes Interesse. Bei einigen Akteuren knüpften sich daran auch Hoffnungen auf eine schnelle Verbreitung der Klever Rundungspraxis auf andere Städte und Regionen.

Nachdem die Klever Händler die Rundungspraxis ein Jahr lang angewendet hatten und Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung, mit den tatsächlichen Effekten auf das Management des Bargeldbestands und mit den Reaktionen der Kunden gesammelt hatten, beauftragte das Klever City Netzwerk e.V. die Hochschule Rhein-Waal mit einer Studie zur Evaluation des Klever Rundungsprojekts. 6) Insgesamt wurden dabei drei Fragestellungen untersucht:

1. Welche ökonomische Auswirkung hat die Rundungspraxis in einem beteiligten Unternehmen?

2. Wie zufrieden sind die teilnehmenden Einzelhändler mit der Rundungspraxis?

3. Wie zufrieden sind die Kunden mit der Rundungspraxis?

Diese Forschungsfragen wurden mit Hilfe einer Analyse sämtlicher Kassenbelege eines beteiligten Unternehmens aus dem Jahr 2016 ("Beleganalyse") sowie einer umfassenden Befragung der im Klever City Netzwerk e.V. zusammengeschlossenen Händler (webbasierte Händlerbefragung) und Kunden (mündliche Befragung von Kunden in der Fußgängerzone in Kleve) beantwortet.

Keine Preissteigerung durch die Hintertür

Zur Prüfung des Effekts der Rundung wurden bei einem ausgewählten Klever Händler alle Kassenbelege des Jahres 2016 analysiert. Interessant ist hier zunächst, dass entsprechend den in der Preisgestaltung weit verbreiteten Annahmen des psychologischen Preisens die Preise von 61 Prozent der Einzelpositionen auf der Ziffer 9 endeten. Es folgten die Endziffern 0 (15 Prozent), 8 (15 Prozent und 5 (8 Prozent).

Bei dem untersuchten Händler wurden durchschnittlich lediglich 1,9 Produkte pro Verkaufsvorgang gekauft. 7) Dadurch ergibt sich die in Abbildung 1 dargestellte Verteilung der Endziffern bei Kaufvorgängen.

Auch hier sind Endziffern, die zu Aufrundung führen, insgesamt deutlich häufiger (69 Prozent) als Endziffern, die zu Abrundung führen (13 Prozent). Diese deutliche Verteilung zugunsten der Endziffern 8 und 9 ergibt sich allerdings aus der Tatsache, dass es sich bei dem ausgewählten Händler um einen Händler mit durchschnittlich eher großen und teuren Produkten handelte. Die entsprechende Verteilung ist also nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Klever Einzelhändler.8)

Insgesamt wurde pro Verkaufsvorgang - sofern jeder Kaufvorgang auch in der Praxis zu einer freiwilligen Rundung geführt hat - ein Rundungsergebnis von 0,0072 Euro zugunsten des Händlers erreicht, ein Ergebnis, das also eher moderat ausfällt und die gelegentlich geäußerten Vermutung, bei der Klever Rundungspraxis handle es sich um eine erhebliche "Preissteigerung durch die Hintertür" nicht rechtfertigen kann.

Verwaltungskosten nur knapp bei jedem fünften Händler gesunken

Die Händlerbefragung, bei der insgesamt 45 Klever Händler mit Hilfe eines Online-Fragebogens im Herbst 2016 befragt wurden, zielte auf Klärung der Frage nach der Zufriedenheit der teilnehmenden Klever Händler mit der Rundungspraxis ab. 9) 57 Prozent der Befragten gaben an, dass sie damit sehr zufrieden oder zufrieden sind. Dem stehen lediglich 18 Prozent unzufriedene Händler entgegen.

Die mit der Einführung der Rundung gehegten Hoffnungen konnten jedoch nicht überall erfüllt werden. Lediglich 18 Prozent der befragten Händler gaben an, durch die Rundung die Verwaltungskosten für den Bargeldbestand gesenkt zu haben.

Ebenso wenig wurden allerdings auch die Befürchtungen wahr, die Einführung der Rundungspraxis im Unternehmen sei mit hohem Aufwand verbunden. Lediglich sechs Prozent der Händler gaben an, der Aufwand bei der Einführung der Rundungsregel sei groß oder sehr groß gewesen.

Damit erweisen sich die Befürchtungen der Gegner der Rundungspraxis als eher unbegründet. Diese gaben als Hauptgründe für ihre Ablehnung des Projekts an, die technische Umstellung sei zu schwierig (44 Prozent), der Kunde akzeptiere die Rundung nicht (33 Prozent) oder man sei generell nicht von der Rundung überzeugt (22 Prozent). 10)

Deutlich wurde dennoch, dass Händler, die zum Befragungszeitpunkt nicht gerundet hatten, sich mehrheitlich auch nicht vorstellen konnten, später auf Fünf-Cent-Beträge zu runden (50 Prozent). Lediglich 25 Prozent der nicht rundenden Händler konnte sich vorstellen, zukünftig an der Rundungspraxis zu partizipieren.

Hohe Zustimmung bei den Kunden

In drei Befragungswellen im November 2016 wurden insgesamt 376 Kunden befragt. Die Befragungen fanden im Nahfeld von Unternehmen statt, in denen die Klever Rundungspraxis umgesetzt wurde. Eindeutig ist, dass den Kunden in Kleve die Möglichkeit, an der Kasse die Endbeträge zu runden, bekannt ist (80 Prozent). Dass die Rundungsfrage aufgrund der sehr hohen Neigung, Einkäufe in bar zu bezahlen, nach wie vor höchst relevant ist, wird an folgenden Ergebnissen deutlich:

- 68 Prozent der Befragten hatten ihren Einkauf bar bezahlt,

- lediglich 26 Prozent hatten eine Girooder Kreditkarte verwendet.

- Zudem geben 63 Prozent der Befragten an, mindestens wöchentlich Einund Zwei-Cent-Münzen beim Bezahlen zu verwenden. Dabei gaben 30 Prozent der Befragten an, schon einmal Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Kleinmünzen loszuwerden (Abbildung 3).

Die Einstellung der befragten Kunden zu der Klever Rundungspraxis ist sehr positiv. 72 Prozent der Befragten gaben an, die Idee, Endbeträge an der Kasse zu runden, sehr gut oder gut zu finden. Lediglich 13 Prozent antworteten hier mit "schlecht" oder "sehr schlecht".

Deutlich ist auch, dass die Befragten nicht befürchten, durch ein übermäßiges Auf runden "über den Tisch gezogen zu werden". 76 Prozent erwarteten einen neutralen Effekt der Rundung. Trotz dieser grundsätzlich positiven Einstellung gegenüber dem Runden, fiel es vielen der Befragten schwer, die Klever Rundungspraxis konkret anzuwenden. Allen Befragten wurden dafür fünf Preise genannt (1,22 Euro 2,93 Euro 3,75 Euro 1,97 Euro und 3,78 Euro Lediglich 12 Prozent der Befragten konnten alle Preise regelgerecht runden (also auf 1,20 Euro, 2,95 Euro; 3,75 Euro; 1,95 Euro und 3,80 Euro).

Ein großer Teil der Händler immer noch nicht dabei

Insgesamt ist vor dem Hintergrund der deutlich positiven Gesamtbewertung der Klever Rundungspraxis eher überraschend, dass sich ein großer Teil der Händler in Kleve und im direkten regionalen Umfeld Kleves auch nach einem Jahr Erfahrung mit der Rundungspraxis dieser nicht anschlossen. Dies kann möglicherweise mit der Haltung vieler Akteure begründet werden, eine solche Rundungspraxis sei nur nachhaltig durchführbar, wenn - wie in den Niederlanden geschehen - eine landesweite Lösung gefunden würde und damit auch eine flächendeckende Gewöhnung der Kunden ans Runden gewährleistet sei.

Fußnoten

1) Deutsche Bundesbank, 2015, Monatsbericht April 2015, S. 62. Hieraus auch die im Folgenden genannten Zahlen zur Verbreitung von Kleinmünzen in Deutschland.

2) www.welt.de/finanzen/Basis einer Statistik der Europäischen Zentralbank.

3) www.tagesspiegel.de/wirtschaft/

4) COM/2013/0281 vom 14. Mai 2013.

5) Webauftritt des Klever City Netzwerks e.V.: www.kleve.de/

6) Die diesem Beitrag zugrunde liegende Studie wurde im Auftrag des Klever City Netzwerks e.V. von Prof. Dr. Jakob Lempp, Prof. Dr. Thomas Pitz und Prof. Dr. Jörn Sickmann durchgeführt.

7) Arithmetisches Mittel: 1,86; Median: 1,0

8) Die durchschnittliche Anzahl gekaufter Artikel pro Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland ist deutlich höher (2008 etwa durchschnittlich 8,34 Artikel; www.statista.com/statistik/daten/

9) Die Händler wurden als Mitgliedsorganisationen des Klever City Netzwerks durch per Email auf die Befragung aufmerksam gemacht. Alle Emailadressen wurden dem Autor über die Mitgliederdatenbank des Klever City Netzwerks zur Verfügung gestellt. Bei den nicht an der Rundungspraxis teilnehmenden Händlern lag die Zustimmung ("zufrieden" oder "sehr zufrieden") bei lediglich 16 Prozent. Allerdings zeigten sich hier auch lediglich 25 Prozent "unzufrieden" oder "sehr unzufrieden".

10) Insgesamt glauben 50 Prozent der befragten Händler, die Kunden seien mit der Rundungspraxis zufrieden oder sehr zufrieden, lediglich sechs Prozent der Händler glauben, die Kunden seien damit unzufrieden oder sehr unzufrieden.

Zum Autor

Prof. Dr. Jakob Lempp, Professor für Politikwissenschaft, Hochschule Rhein-Waal, Kleve

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