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Nahtlose Kundenerfahrung im Payment - mehr als "Tap and Go"

Johannes Eckart, Foto: Severin Jakob

Kontaktloses Bezahlen ohne PIN-Eingabe macht das Bezahlen zwar einfacher. Es ist jedoch noch nicht der Gipfel des Nutzerkomforts. Hier lässt sich durch nachtlose Integration des Bezahlprozesses in den Alltage noch manches verbessern, so die Autoren. Die Nutzung biometrischer Daten für solche Anwendungen wie in den stationären Geschäften von Amazon oder der Metro im chinesischen Zhengzhou hat dabei den Vorteil, auch für weniger technik-affine Kunden interessant zu sein. Doch vor allem bei wiederkehrenden Zahlungen können auch händlerinitiierte Transaktionen nahtlose Kundenerlebnisse ermöglichen Red.

Noch nie wurde bargeldloses und kontaktloses Bezahlen am PoS so sehr genutzt wie in Zeiten der jetzigen Pandemie. "Tap and Go" heißt das neue Stichwort. Für das Bezahlen an der Kasse kann die Kreditkarte einfach ans NFC- Terminal gehalten werden und wenn der Wert unter einem definierten Betrag liegt, wird die Zahlung direkt freigegeben, ohne zusätzliche PIN-Eingabe. Doch ist das schon das beste User- Erlebnis, das Payment zu bieten hat?

Beispiel Amazon Go

Ein Blick außerhalb von Europa zeigt, dass dies erst die Vorstufe einer nahtlosen Kundenerfahrung ist. Seamless Payment geht noch einen Schritt weiter, indem die Zahlung in den Hintergrund rückt oder sich nahtlos in die Customer Journey einfügt. Der Kunde muss keine Karte, Smartphone oder ähnliches zücken, sondern die Bezahlung läuft automatisch ab. Das hört sich utopisch an, doch erste Unternehmen zeigen bereits, dass es möglich ist.

Ein fast schon klassisches Beispiel ist "Amazon Go", die stationäre Handelskette des US-Konzerns. Beim Betreten des Geschäfts müssen die Kunden einen QR-Code vorzeigen, der mittels Amazon-Go-App generiert wird. Danach können sie im Laden einkaufen und die gewünschten Artikel direkt einpacken. Dank der "Just walk out"- Technologie, die Amazon selbst entwickelt hat, können die Kunden das Geschäft verlassen, ohne an einer Kasse anstehen zu müssen. Der Betrag des Einkaufs wird beim Verlassen des Geschäfts automatisch mit dem Amazon-Konto des Käufers abgerechnet. Dies ist dank unzähliger Sensoren und Kameras möglich, die die ausgewählten Artikel erfassen.

Seit Kurzem gibt es nun auch "Amazon Fresh Grocery". Damit möchte Amazon neben den bisherigen Convenient Stores nun auch das Einkaufserlebnis eines vollwertigen Supermarkts mit vielen frischen Produkten revolutionieren. Das Herzstück der neuen Supermarktkette ist der Amazon Dash Cart. Auch hier arbeitet der US-Konzern wieder mit Sensoren. Diese erkennen direkt, welche Produkte in den Einkaufswagen gelegt werden und in welcher Menge. Wie auch im Convenient Store muss der Kunde am Anfang des Einkaufs den QR-Code des Einkaufswagens scannen. Während des Einkaufs hält er dank des Touchscreens auf dem Wagen den Einkauf und die Kosten gut im Blick. Auch bei Amazon Go Grocery entfällt das zeitaufwendige Anstehen an der Kasse. Beim Zurückgeben des Einkaufswagens wird die Bezahlung automatisch abgerechnet und der Beleg via E-Mail verschickt.

Mit ihren stationären Läden beweist Amazon, dass sich hohe Nutzerfreundlichkeit auch im stationären Handel umsetzen lässt. Dabei nutzt das Unternehmen verschiedene Technologien wie Computer Vision, Sensor Fusion und Deep Learning. Das zeitraubende Anstehen an der Kasse oder das eigenständige mühsame Einscannen an der Self-Checkout-Kasse entfällt, und somit einer der größten Pain Points der Kunden. Sie können sich nun vollkommen auf das Einkaufen konzentrieren. Der Bezahlvorgang rückt in den Hintergrund und stört somit das Kundenerlebnis nicht mehr. Damit zeigt Amazon, dass Seamless Payment auch offline möglich ist.

Face-ID auf dem Vormarsch

Schon seit 2014 kann die Fahrt mit der Tube in London unkompliziert mittels Kreditkarte abgerechnet werden. Die Karte wird dabei beim Ein- und Austreten einfach an das Terminal gehalten und die gefahrene Strecke wird automatisch verrechnet. Insgesamt werden 55 Prozent aller Fahrten mit der Tube so bezahlt. Auch weitere Städte wie New York City oder Singapur nutzen das "Tap and Go"-Prinzip. Der Vorteil ist, dass die Kunden sich den Gang zu einem Fahrkartenautomaten sparen. Auch der Kauf einer aufladbaren Karte entfällt. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Kunde so viel flexibler die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann, ohne sich Gedanken zu machen, ob er auch das richtige Ticket gekauft hat, denn am Schluss wird nur die gefahrene Strecke abgerechnet. Zusätzlich können durch "Tap and Go" die Betriebskosten für das Collecting um 15 Prozent gesenkt und der Prozess vereinfacht werden.

Das ist schon sehr benutzerfreundlich, doch ein Beispiel aus China zeigt, dass es für den Fahrgast noch unkomplizierter geht. In der Stadt Zhengzhou kann man mit Face-ID bezahlen: Die Nutzer der dortigen öffentlichen Verkehrsmittel können ihre Bezahlmethode einfach online hinterlegen - zusammen mit ihrer Face ID. Bei der Ein- und Austrittsschleuse wird das Gesicht des Fahrgastes gescannt und die gefahrene Strecke wird automatisch verbucht. Der Fahrer kann so die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, ohne ein Zahlungsmittel zücken zu müssen. Bereits über 10 000 Reisende nutzen Face-ID täglich in Zhengzhou. Dieses Prinzip wird nun auf weitere chinesische Städte ausgeweitet. Auch Moskau plant ein Angebot in diese Richtung. Doch die Nutzung von Face-ID ist nicht auf Mobilitäts-Anwendungen beschränkt, viele weitere Bezahlungen können auf diese Weise effizienter und kundenfreundlicher gestaltet werden. Alipay bietet zum Beispiel Verkaufsautomaten zum Self Checkout in Supermärkten an, bei denen die Zahlung mittels Gesichtsscans abgeschlossen werden kann. Bereits über 1,2 Milliarden Nutzer profitieren von diesem Angebot.

Auch für weniger technikaffine Kunden attraktiv

Die Autorisierung von Zahlungen mittels biometrischer Daten hebt das Kundenerlebnis auf eine neue Stufe. Ein Vorteil ist die oftmals reibungslosere und effizientere Bezahlung als bei herkömmlichen Zahlungsarten. Der Nutzer kann jederzeit bezahlen, ganz ohne Bargeld, Karte oder Smartphone. Diese Art der Zahlungsautorisierung ist auch für nicht-technikaffine Nutzer attraktiv. Zudem verkürzt sich durch die effiziente Abwicklung der Bezahlung die Wartezeit beim Checkout.

Händler profitieren ebenfalls von diesem Angebot. Arbeitskräfte, die sonst an der Kasse sitzen, können sich auf stärker wertstiftende Aktivitäten, wie zum Beispiel die Bedienung der Kunden, konzentrieren. Diese Seamless Payment Experience führt zudem dazu, dass sich der Kunde an den Komfort gewöhnt. Solange Face-ID noch kein Standard ist, führt dies zu einer starken Kundenbindung.

Ladung von Elektroautos wird kundenfreundlicher

Dass Tesla vieles anders macht, ist schon lange bekannt - das Bezahlen nach dem Aufladen macht hier keine Ausnahme: Der Fahrer fährt einfach zu der nächsten Supercharger-Ladestation von Tesla, lädt das Auto auf und fährt dann einfach weiter. Um die Bezahlung muss er sich nicht kümmern. Die Ladestation erkennt die ID des Autos automatisch und verrechnet den Strom direkt mit der Bezahlmethode, die der Fahrer in seinem Tesla-Konto hinterlegt hat.

Damit hebt sich der Elektroautohersteller massiv von der Konkurrenz ab. Bei vielen Ladestationen ist es noch so, dass eine Kundenkarte oder eine App benötigt wird, um zu bezahlen. Ein Open-Loop-Payment-System, indem gängige verbreitete Zahlungsarten wie Debit- oder Kreditkarten akzeptiert werden, hat sich noch nicht durchgesetzt. Wenn ein Fahrer eines Elektroautos verschiedene Ladesäulen nutzen möchte, bedeutet dies oft, dass zig Apps und Karten benötigt werden.

Auch Europäische Autohersteller möchten das Aufladen der Elektroautos kundenfreundlicher gestalten. Seit kurzem bietet Mercedes einen neuen Dienst namens "Fuel & Pay" an. Dadurch wird das Bezahlen an der Zapfsäule ohne Gang in die Tankstelle oder zum Automaten möglich. Mittels Geofencing wird die Tankstelle automatisch erkannt und der Fahrer kann über die Mercedes-me-App oder über das Infotainment-System im Auto die Zapfsäule auswählen. Nach dem Laden wird die entsprechende Spritmenge automatisch mit der im Konto hinterlegten Zahlart abgerechnet. Die Bestätigung der Zahlung erhält der Kunde in der App oder auf dem Infotainment Display und der Beleg wird zusätzlich via E-Mail oder als Nachricht in der App versendet. "Fuel & Pay" ist zur Zeit bei 900 Tankstellen in Deutschland nutzbar, weitere Länder wie Österreich oder die Schweiz sollen bis zum Ende des Jahres dazukommen.

Händlerinitiierte Transaktionen verbessern das Nutzererlebnis

Die Beispiele zeigen, dass Seamless Payment die User Experience positiv beeinflusst. Das Bezahlen fügt sich nahtlos in das Kauferlebnis ein oder rückt ganz in den Hintergrund. Dies kann auf zwei verschiedene Arten geschehen.

- Einerseits durch eine nahtlose Autorisierung der Bezahlung. Dabei helfen biometirische Daten wie Fingerabdruck, Face ID, Stimm- und Iriserkennung. Diese Merkmale sind auch durch die Strong Customer Authentication (SCA) zulässig. Die Authentifizierung muss sich aber gut in die Customer Journey einfügen. Wenn ein Kunde zum Beispiel beim Tanken dennoch sein Mobiltelefon hervorkramen muss, um die Transaktion via Face ID freizugeben, dann ergibt sich ein Bruch im Kundenerlebnis. Viel besser ist zum Beispiel die Integration einer Gesichtserkennung im Rückspiegel des Autos, so reicht ein Blick in die richtige Richtung. Dies lässt sich nahtlos in die Customer Journey einfügen.

- Eine weitere Möglichkeit ergibt sich durch eine vom Händler im Hintergrund veranlasste Transaktion (merchant initiated transactions). Diese werden von den SCA-Anforderungen ausgenommen und können daher ohne zusätzliche Autorisierung durch den Kunden erfolgen. Dadurch verläuft die Zahlung im Hintergrund und die durch den ansonsten zusätzlichen Autorisierungsprozess verursachte Friktion wird minimiert.

Stärkere Kundenbindung durch Seamless Payment

Händlerinitiierte Transaktionen können unter anderem für wiederkehrende Kartentransaktionen verwendet werden. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Transkation, wie der Name schon sagt, vom Händler initiiert wird, der die Zahlung entgegennimmt. Die Zustimmung des Zahlers sowie die Erfassung der notwendigen Daten erfolgt in der Regel zu einem früheren Zeitpunkt. Eine einmalige SCA muss in der Regel jedoch für die erste Zahlung angewendet werden.

Die Beispiele zeigen deutlich, dass auch schon heute offline nahtlose Payment-Erlebnisse möglich sind. Entweder indem sich die Autorisierung der Zahlung nahtlos in die Customer Journey einfügt. Aber auch von Händlern veranlasste Transaktionen ermöglichen, dass die Zahlung in den Hintergrund rückt und dadurch Friktionen minimiert. Beide Wege führen dazu, dass der Kunde das gesamte Erlebnis positiver bewertet, was wiederum zu einer starken Kundenbindung führt. Es spricht vieles dafür, dass Seamless Payment sich in vielen Anwendungsfällen als Standard durchsetzen wird. Da die Technologie bereits vorhanden ist, sollten Unternehmen die Chance nutzen, ihr Payment-Erlebnis jetzt zu verbessern, um sich von der Konkurrenz abzuheben und einen Vorsprung zu schaffen.

Johannes Eckart , Managing Direktor, mm1 Schweiz AG, Zürich
Maureen Deppler , Consultant, mm1 Schweiz AG, Zürich

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