EUROPA

Zahlungsverkehr in Europa - Zeit für neue Ideen

Ulrich Binnebößel, Foto: col_Hoffotografen

Die Attraktivität der mit den Zahlungsströmen verbundenen Daten führt dazu, dass sich zunehmend Ökosysteme rund um das Bezahlen bilden. Damit steigt die Abhängigkeit von Bigtechs. Eine Konsolidierung nationaler Bezahlverfahren und eine anschließende Europäisierung, so Ulrich Binnebößel, könnte die letzte Chance der national Verantwortlichen sein, dem etwas entgegenzusetzen. Auch in Sachen Geschäftsmodell rät der Autor den Banken umzudenken und dem Vorbild der Bigtechs zu folgen: Um zumindest im Spiel zu bleiben, könnte es dabei ratsam sein, die Infrastruktur frei anzubieten und stattdessen über Mehrwerte für Verbraucher oder Händler Ertrag zu generieren. Red.

Die Welt der Zahlungssysteme befindet sich im Wandel. Nachdem die Kontaktlostechnologie Fahrt aufgenommen hat, kann nun der nächste Schritt erfolgen. Das Smartphone ermöglicht neue Produktangebote rund um das Bezahlen im Handel. Inzwischen werden Märkte von den Bigtechs besetzt, die erkannt haben, dass mit dem Zahlungsprozess wichtige Daten gewonnen werden, die es ermöglichen, den Kunden noch besser kennenzulernen. Klassische Zahlverfahren müssen sich in diesem Feld neu erfinden um mithalten zu können.

In Kürze werden beinahe alle Terminals im Einzelhandel NFC-fähig sein. Die kontaktlose Technologie der Near Field Communication NFC gilt auch bei den Händlern als eine der wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre. Doch die Entwicklung wird hier nicht stehen bleiben. Mit NFC sind die Grundlagen gelegt, auch andere Formfaktoren für das Bezahlen zu nutzen. Neben Uhren, Armbändern Schlüsselanhängern und so weiter ermöglicht insbesondere das Smartphone in Kombination mit der Nahfunktechnik den Einstieg in das mobile Bezahlen. Die Interaktion mit dem Zahler über das Display eröffnet neue Möglichkeiten der Ansprache und neue Lösungen im Checkoutprozess, unabhängig vom Einkaufskanal.

Ökosysteme rund um das Bezahlen

Schaut man auf die globalen Player, wird deutlich, welches Potenzial in Mobile Payment steckt. Asiatische Player wie Alipay zeigen, dass rund um das Bezahlen ganze Ökosysteme entstehen können, die dem Kunden wichtigen Zusatznutzen bieten. Auch Händler schätzen die Services dieser Plattformen als wichtigen Kommunikationskanal.

Google und Apple nutzen ihre Smartphone-Verbreitung und bieten Wallets an, in die klassische Kartenzahlverfahren integriert werden sollen. Die reichweitenstarken internationalen Kreditkartensysteme wiederum investieren in Start-ups oder entwickeln Systeme, die die neuen Möglichkeiten nutzen sollen.

Das Engagement der großen Spieler im Bereich Bezahlen hat seine Gründe. Zum einen stehen hier hoch skalierbare Massenprozesse im Fokus, für die jeweils ein Entgelt erhoben werden kann. Viel wichtiger aber: mit der Integration von Bezahlprozessen wird das eigene Produkt aufgewertet und noch tiefer in den Alltag der Nutzer integriert. Besonders aber dürften es die Unternehmen auf die Datensätze abgesehen haben, die mit jeder Transaktion einhergehen. Die Bezahlung eines Einkaufs oder einer Dienstleistung ist ein wichtiger Datenpunkt im täglichen Leben. Bereits wenige Informationen aus diesem Vorgang wie Einkaufsort und -zeit sowie die Betragshöhe können in der Kombination und mit entsprechender Häufigkeit ein umfassenden Bild des Alltages eines Menschen nachzeichnen. Gelingt es dann noch, Informationen über die erworbenen Produkte zu erhalten, ist das Bild vollständig. Grund genug also, in das Thema Bezahlen zu investieren.

Die Gefahr der Abhängigkeit von globalen Playern

Den Kunden einen besonderen Nutzen zu bieten, gehört zur DNA der Bigtechs. Sie gehen in Vorleistung, setzen immer neue Services und Angebote auf bestehenden Grundlagen auf und nutzen ihre Reichweite, um schnell neue Märkte zu entwickeln. Speziell für Services an der Schnittstelle Kunde/Handel ist das Potenzial noch groß. Händler wiederum sind im starken Wettbewerb untereinander "leichte Beute" und integrieren neue Dienste schnell, sobald eine kritische Nachfrage erreicht wird und eine Möglichkeit besteht, sich von Mitbewerbern zu differenzieren.

Ein zweiseitiger Markt mit großer Verbraucherreichweite auf der einen Seite und stark wettbewerbsintensive Anbieterstrukturen auf der anderen Seite sind gute Voraussetzungen, um an der Schnittstelle erfolgreich zu sein. Die entstehenden Plattformen können dann eine Marktmacht entwickeln, an der kein Weg vorbei geht. Mit zunehmender Nutzung und Ausbau des Angebotes werden potenzielle Abhängigkeiten geschaffen, die wiederum ausgenutzt werden können. Die Entwicklung wird durch die einsetzenden Netzwerkeffekte verstärkt, sodass neue Anbieter kaum noch eine Chance haben, mit eigenen Angeboten Alternativen zu schaffen.

Man muss sich also mit der Frage befassen, wie einer marktbeherrschenden Position derartiger Systeme vorgebeugt werden kann. Politisch motivierte Fragen spielen dabei selbstverständlich auch eine Rolle, denn es geht um die Steuerung von Zahlungsverkehrsströmen, die in einer unabhängigen Volkswirtschaft notwendig sind. Jedoch soll hier auf wirtschaftliche Abhängigkeiten fokussiert werden.

Ein europäisches Zahlungssystem als Lösung?

Um einer Abhängigkeit von amerikanischen und auch asiatischen Zahlungssystemen entgegenzuwirken, wird häufig der Ruf nach einer europäischen Alternative laut. Sicher spielt dabei auch der Blick auf Krisenzeiten und politischen Abhängigkeiten eine Rolle, wenn Forderungen in dieser Hinsicht aufgebracht werden. Aus wirtschaftlicher Sicht muss jedoch hinterfragt werden, warum ein Zahlungssystem mit europäischen Wurzeln besser sein sollte als etwa eines mit amerikanischen Eigentümern. Marktdominanz und -Kontrolle wären durch dieses System mit gleichartiger Unternehmensstruktur ebenfalls kritisch zu sehen - wenn auch vermeintlich leichter zu regulieren als außereuropäische Systeme.

Will man eine echte Alternative schaffen, muss daher die Forderung weitergehen als zu einer europäischen Kopie der globalen Verfahren. Es müssen neutrale und offene Transaktionsabwicklungssysteme geschaffen werden, die auf beiden Seiten des Marktes akzeptiert werden und die Gefahr einer Schnittstellendominanz ausschließen.

Zunächst müssen die grundlegenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es ist Aufgabe der Politik, hier die richtigen Impulse zu setzen. Allerdings kann dies nur den Auftakt bieten, um letztlich für Verbraucher attraktive Mehr werte zu schaffen und auch die Akzeptanzseite zu überzeugen. Am Ende sind die betroffenen Akteure gefragt, Angebote zu schaffen, die auf Augenhöhe mit internationalen Brands stehen. Neue Denkweisen sind hier notwendig.

Konsolidierung nationaler Verfahren und "Europäisierung"

Es zeigt sich durchaus, dass Optionen bestehen. So besteht die Möglichkeit, vorhandene Zahlungssysteme so zu kombinieren, dass Kunden sie als echte Alternative zu globalen Angeboten wahrnehmen. Dies wird inzwischen auch von Banken aufgenommen. Derzeit diskutieren Bankenkreise die Zusammenlegung von Produkten, um eine "Plattform für alle Zwecke" zu schaffen. Kartenzahlungen am PoS, Fernzahlungen im Internet und Zahlungen zwischen Privatpersonen könnten zusammengefasst und in verbraucherfreundliche Frontends gebracht werden.

Wird in einer zweiten Stufe dann noch die europaweite Kompatibilität mit weiteren bestehenden nationalen Verfahren realisiert, wäre dies ein guter Schritt in Richtung eines europäischen Zahlverfahrens auf Augenhöhe. Vorteil wäre, dass mit den bekannten Marken der einzelnen nationalen Verfahren die Regionalität und die Bekanntheit genutzt werden kann, um den Kunden Gewohntes zu erhalten und die Reichweite zu erhöhen.

Allerdings gilt es auch, die Befindlichkeiten der verschiedenen Systemanbieter zu berücksichtigen und eine Vielzahl an Entscheidern unter einen Hut zu bringen. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass dies eine große Hürde ist, die kaum überwunden werden kann. Auf die Zukunft gerichtet kann es jedoch auch als die letzte Chance der nationalen Anbieter wahrgenommen werden, den globalen Marktentwicklungen etwas entgegenzusetzen. Stand heute ist der Ausgang offen, es bleibt zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen einigen können.

Sepa weiterdenken, Infrastrukturen schaffen

Einen anderen Ansatz dagegen kann Sepa bieten. Der gemeinsame europäische Zahlungsverkehrsraum wurde geschaffen, um grenzüberschreitende Standards zu setzen und damit die Grundlage für instituts- beziehungsweise unternehmensübergreifende europaweite Transaktionsabwicklungen zu schaffen. Ziel war und ist die Schaffung einer gemeinsamen Infrastruktur, auf der Zahlungen abgewickelt werden können, ohne dass ein "zentraler Organisator" die Bedingungen bestimmen kann. Die Sepa-Überweisung und die Sepa-Lastschrift sind gute Beispiele für eine gelungene Umsetzung.

Mit dem neu geschaffenen Sepa-Standard SCT Inst (Sepa Instant Credit Transfer) gibt es jetzt erstmals die Chance, eine Zahlungsabwicklung europaweit zu schaffen, die auch den Ansprüchen einer Zahlungssituation im Handel genügt. In Verbindung mit einer Banking-App auf dem Smartphone ist es grundsätzlich möglich, an jedem Ort in wenigen Sekunden eine Überweisung zu tätigen, die auf dem Empfängerkonto verfügbar ist.

Wie ein Zahlungsprozess praktisch abgewickelt werden kann, hat das Denkmodell Hippos (Händlerinitiiertes Instant Payment am PoS) von GS1 Germany und HDE gezeigt (vergleiche Karten 01/2019, Seite 22 ff). Im Unterschied zu den Bemühungen der Banken zur Gleichschaltung vorhandener Verfahren ist hier der Sepa-Standard der Ausgangspunkt und ermöglicht ein Zahlverfahren weitgehend ohne weitere Organisationsstruktur. Die Transaktionsabwicklung erfolgt denkbar einfach: Der Händler übergibt an der Kasse via QR-Code oder NFC die notwendigen Zahlungsdaten auf das Smartphone des Kunden. Dieser autorisiert die Zahlung mittels des Bankenverfahrens zur starken Kundenauthentifizierung zum Beispiel über den Fingerabdruck. Die Zahlung wird anschließend über SCT Inst in Sekunden abgewickelt und auf dem Händlerkonto gutgeschrieben. Der Händler bekommt eine Nachricht auf sein Kassensystem und kann den Einkauf abschließen.

Der Prozess ähnelt einer klassischen Überweisung und kann somit ohne entsprechendes Markenbild auskommen. Händler signalisieren die Akzeptanz von SCT Inst über ein Symbol, Akzeptanzverträge sind nicht notwendig. Genau hier liegt allerdings auch die Problematik: Banken erkennen kein Geschäftsmodell in Hippos, da ohne Akzeptanzverträge auch keine Entgeltmodelle mit dem Handel verknüpft werden können.

Das erforderliche Umdenken der Banken

Banken sollten sich allerdings darüber im Klaren sein, dass sie in den Überlegungen der global denkenden Wettbewerber verzichtbar sind. Bereits heute zeigen sich Tendenzen, dass das klassische Kontomodell bei den Entwicklungen der Bigtechs keine Rolle spielt. Im nächsten Schritt können Zahlungen innerhalb der Systeme an den Banken vorbei abgewickelt werden. Es sollte daher im Interesse der Banken liegen, bei jeder Transaktion involviert zu bleiben. Bei den genannten alternativen Beispielen wäre dies der Fall.

"There ain't no such thing as a free lunch" ist oft zu hören wenn es darum geht, wer eine Infrastruktur zur Verfügung stellt und finanziert. Im Hinblick auf Open Banking bekommt die Frage eine neue Bedeutung, da - politisch gewollt - auch dritte Akteure den Zugang zu den Systemen der Banken erhalten sollen. Zwar können diese weiter darauf hinwirken, Entgelte aus der Nutzung von Zahlungsverkehrsinfrastrukturen zu erwirken. Bigtechs können jedoch wie oben beschrieben sehr schnell eigene Prozesse installieren, die das Girokonto und damit die klassischen Strukturen ersetzen. Statt Girokonto gibt es dann ein geschlossenes System.

Daher stellt sich die Frage: warum nicht die Infrastruktur frei (gegebenenfalls zu Selbstkosten) verfügbar machen und damit die Chance bewahren "im Spiel zu bleiben"? Geschäftsmodelle und Refinanzierung müssen sich dann durch Mehrwerte ergeben. Möglichkeiten hierzu gibt es sicherlich viele.

Den Verbraucher mitnehmen durch Mehrwerte

Beiden oben erwähnten Ansätzen - sowohl der Zusammenschuss nationaler Verfahren als auch der Hippos-Ansatz - ist gemein, dass allein die Schaffung einer Zahlungsinfrastruktur voraussichtlich nicht ausreicht, um Verbraucher zur Nutzung der Verfahren zu bewegen. Daher müssen Mehrwerte her, die eine Monetarisierung ermöglichen.

- Banken könnten die Strategien der Bigtechs adaptieren und aufgrund der vorliegenden Daten im eigenen System dem Kunden Vorschläge zur Organisation seines Lebens zu machen.

- Sie könnten auch Kooperationen mit der Akzeptanzseite eingehen, die ebenfalls von den globalen Entwicklungen und dem drohenden Verlust des Kundenzuganges betroffen sind. Gemeinsam könnten sie die Diffusion der Daten in dritte Hände vermeiden.

Ein Beispiel ist die Entwicklung eines digitalen Kassenbeleges in gesicherter Umgebung. Vorteil einer Kooperationslösung ist die Schaffung von Mehrwerten auch auf Handelsseite, die wiederum monetarisierbar ist. Dies gilt übrigens auch für die Überlegungen auf Basis der Echtzeitüberweisung. Hier könnten zusätzliche Mehrwerte für den Handel zum Beispiel in der Informationsübermittlung der Zahlungsauslösung liegen, um dem Händler den Umweg des Abrufes seines Kontoeinganges zu ersparen. Verluste durch entgangene Autorisierungsentgelte könnten zumindest teilweise aufgefangen werden.

Es wird sich etwas ändern (müssen)

Die Möglichkeiten der Digitalisierung und das Interesse der Internet-Giganten an Zahlungsverkehrsdaten sorgen dafür, dass sich Banken neu orientieren müssen. Wollen sie auch in Zukunft eine Rolle im täglichen Zahlungsverkehr der Verbraucher einnehmen? Oder werden sie reduziert auf regulatorisch notwendige Instanzen im Hintergrund? Zudem wünscht sich die Politik ein europäisches Zahlungssystem und macht zusätzlich Druck, dass Echtzeitzahlungen bald zum "neuen Normal" werden.

Banken müssen entscheiden, ob sie sich diesem Wunsch anschließen wollen oder Echtzeitüberweisungen in einer Nische sehen. Ähnlich wie bei der Einführung früherer Sepa-Produkte könnte der politische Wille auch durch Vorgaben umgesetzt werden, wie der verpflichtenden aktiven Teilnahme an SCT Inst und einem Verbot der unterschiedlichen Bepreisung von Normal- und Echtzeitüberweisungen.

Das Hippos-Model - gegebenenfalls ergänzt durch ein Entgeltmodell und weitere Mehrwertservices - bietet eine Chance, losgelöst von Altlasten ein europaweites digitales Zahlverfahren zu etablieren, das Kunden zeitgemäße Mehrwerte bietet und im Handel Akzeptanz findet. Basierend auf einer europäischen Standardisierung besteht Unabhängigkeit von globalen Systemen. Dennoch werden diese Akteure nicht ausgeschlossen und können ebenfalls auf das System aufsetzen. Die Bank des Zahlers und des Zahlungsempfängers bleiben aber in jedem Fall involviert. Überbordende Entgeltforderungen wären ausgeschlossen.

Auch der Weg nationaler Konsolidierung und Herstellung europäischer Kompatibilität ist ein Schritt in die richtige Richtung. Werden nun noch die Anforderungen der Akzeptanzseite berücksichtigt und Organisationsstrukturen geschaffen, die Entgeltmodelle auf fairer und wettbewerbsorientierter Basis gewährleisten, könnte eine Alternative zu globalen Systemen geschaffen werden, die bei Verbrauchern bereits bekannt ist auf Vertrauen stößt.

Ulrich Binnebößel, Referent, Handelsverband Deutschland - HDE e. V., Berlin
 
Ulrich Binnebößel , Referent , Handelsverband Deutschland - HDE e. V., Berlin
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