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"Der Digitalisierungsgrad ist eine wichtige Vergleichsgröße" / Interview mit Torsten Hagen Jørgensen

Torsten Hagen Jørgensen, Foto: Nets

Die Herkunft aus den in Sachen Digitalisierung weit vorangeschrittenen nordischen Ländern ist für Nets bei der internationalen Expansion hilfreich, sagt Torsten Hagen Jørgensen. Das gilt gerade in der Corona-Krise, die den Trend zur Digitalisierung auch in der DACH-Region stark beschleunigt - und damit verbunden auch die Offenheit der Emittenten für Dienstleisterwechsel erhöht hat. Deutschland, so Jørgensen, ist für Nets einer der wichtigsten Märkte und die Übernahme von Concardis eine wichtige Basis für weiteres Wachstum. Im Zuge der Ausweitung des Geschäfts will das Unternehmen in der DACH-Region weiterhin kräftig investieren. Red.

Im Dezember 2019 haben Sie die Position des CEO des Geschäftsbereichs Issuer & eSecurity Services bei der Nets Group übernommen. Was hat Sie als Senior Executive mit langjähriger Erfahrung im Bankensektor, zuletzt bei Nordea, dazu bewogen, zu Nets zu wechseln?

Während meiner Tätigkeit für eine Bank in den nordischen Ländern war die digitale Transformation über viele Jahre ein wichtiges Thema. Ich habe die Dynamik innerhalb der Paymentbranche aufmerksam verfolgt und dabei die Entwicklung neuer starker Trends, Veränderungen im Verhalten der Konsumenten und das Entstehen neuer Fintech-Unternehmen beobachtet. Diese Entwicklungen haben die Banken gezwungen, ihre eigene Rolle zu überdenken und ihre Wandlungsfähigkeit zu verbessern, um von ihren Kunden weiterhin als relevanter Anbieter wahrgenommen zu werden. Daraus werden sich in den kommenden Jahren auch vielfältige gesellschaftliche Veränderungen ergeben.

Als langjähriger Kunde von Nets habe ich die Entwicklung des Unternehmens verfolgt, von einem innovativen regionalen Zahlungsdienstleister, der die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in den nordischen Ländern vorantreibt, zu einem der führenden europäischen Issuing- und Acquiring-Anbieter in einer zunehmenden Zahl europäischer Märkte. Ich bin überzeugt, dass das Unternehmen in den kommenden Jahren weiterhin eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung des Zahlungsverkehrs in Europa spielen wird. An der Verwirklichung dieses ambitionierten Ziels in einer führenden Position mitzuwirken, ist natürlich eine sehr spannende und motivierende Aufgabe für mich.

Nets ist in den nordischen Ländern gut aufgestellt und kann dort auf eine lange Tradition zurückblicken. Warum ist es so wichtig für Sie, eine Präsenz auf dem europäischen Zahlungsverkehrsmarkt aufzubauen?

Der europäische Paymentmarkt befindet sich derzeit in einer Konsolidierungsphase. Die Fähigkeit, europaweit operieren zu können, wird der neue Standard. Damit sich Nets weiterentwickeln kann, muss das Unternehmen seine geografische Präsenz ebenso ausweiten wie seine Wettbewerber und ein gesamteuropäischer Zahlungsdienstleister werden.

Der nordische Hintergrund bedeutet zudem, dass das Unternehmen über ein stark digitalisiertes Angebot im Payment verfügt. Dieses kann als solide und zukunftssichere Plattform auch für Kunden außerhalb der bisherigen Heimatregion dienen, die zunehmend versuchen, Zahlungsdienstleistungen an externe internationale Anbieter auszulagern, während sie sich zunehmend auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.

Ein dritter wichtiger Grund ist die Tatsache, dass viele Kunden europaweit expandieren wollen. Als zuverlässiger Partner müssen wir für diese Kunden da sein und ihnen die Dienstleistungen anbieten, die sie in ihren neuen Märkten benötigen. Nets möchte sowohl für seine bestehenden Kunden als auch für Neukunden der Partner der Wahl sein, unabhängig davon, wo sie geschäftlich tätig sind.

Wie würden Sie die aktuelle Situation und die Aussichten für die europäische Paymentbranche beschreiben? Glauben Sie, dass die Corona-Krise die Entwicklung verändert oder vielleicht sogar beschleunigt hat?

Die Corona-Krise hat das Leben in vielen Bereichen unbestreitbar verändert. Was den Zahlungsverkehr betrifft, so fördert die aktuelle Situation ganz klar die Nachfrage nach kontaktfreiem Handel - ob es sich nun um eine Zunahme des Online-Handels handelt oder die verstärkte Nutzung mobiler Zahlungsmethoden wie Apple Pay oder Google Pay. Die Zahlungslandschaft verändert sich derzeit tatsächlich sehr schnell.

Einen stetigen Trend hin zu digitalen Zahlungsmethoden gibt es ja schon recht lange. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung - insbesondere in der DACH-Region - aber noch einmal deutlich beschleunigt.

In den nordischen Ländern ist die Digitalisierung des Alltags bereits weit fortgeschritten. Für Nets bedeutet dies, dass die anderen europäischen Länder von einem bewährten Modell profitieren können. Wir können unseren Kunden helfen, jetzt ihre eigenen Digitalstrategien zu verwirklichen und damit die derzeit steigende Nachfrage der Konsumenten nach digitalen Dienstleistungen zu erfüllen.

Es heißt, die nordischen Länder hätten einen höheren Digitalisierungsgrad als die meisten anderen Länder in Kontinentaleuropa. Welche Bedeutung hat Nets' umfassende Erfahrung mit dem digitalisierten Alltag aus Ihrer Sicht für Banken und Konsumenten in den übrigen Teilen Europas? Beeinflusst diese Erfahrung den Ansatz, den Sie auf dem europäischen Paymentmarkt verfolgen?

Sämtliche Analysen der Paymentbranche zeigen eindeutig, dass die Digitalisierung des Alltags in den nordischen Ländern schneller voranschreitet als in vielen anderen Staaten Europas. Wir nutzen die Chancen der Digitalisierung in einem solchen Ausmaß, dass es für uns bereits zur Normalität geworden ist. Ebenso klar ist, dass noch nicht alle Länder einen ähnlichen Digitalisierungsgrad erreicht haben, aber viele bewegen sich durchaus in diese Richtung, auch mit zunehmendem Tempo.

Unsere Erfahrung mit einem digitalisierten Alltag spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Kunden in ganz Europa, die einen Anstieg der Konsumentennachfrage nach digitalen Dienstleistungen erleben. Dennoch hat Nets wesentlich mehr zu bieten als Digitalisierungserfahrung. Wir verfügen über ein breites Spektrum an Produkten und Dienstleistungen, von denen Kunden profitieren und die ihnen helfen, sich weiter zu entwickeln. Der Digitalisierungsgrad ist eine wichtige Vergleichsgröße. Ebenso wichtig ist jedoch, wie wir mit unseren Kunden generell zusammenarbeiten und wie sich diese Beziehungen überall in Europa entfalten können.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den deutschen Paymentmarkt? Welches sind die wichtigsten Chancen und Risiken für die deutschen Kartenherausgeber?

Ebenso wie in vielen anderen europäischen Ländern erleben wir in Deutschland eine zunehmende Veränderung der Zahlungslandschaft. Das zeigt sich durch das Entstehen und den Erfolg von Neobanken und neuen Zahlungsinstrumenten. Beispiele sind die Standardisierung von Online-Zahlungsoptionen wie Ratenzahlung, der allgemeine Trend zum kontaktlosen Bezahlen, der sich während der Corona-Krise weiter verstärkt hat und die Herausbildung bekannter Marken unter den Zahlungsdienstleistern, von denen vor zwei oder drei Jahren kaum jemand gehört hatte. Das belegt, wie schnell sich Dinge in der Paymentbranche verändern können. Und Deutschland befindet sich mitten in dieser beschleunigten Entwicklung.

Für uns ist ganz entscheidend, Kunden bei der kosteneffizienten und schnellen Bereitstellung der von den Konsumenten gewünschten Produkte und Dienstleistungen zu helfen. Das Unternehmen muss natürlich ein sehr hohes Dienstleistungsniveau erbringen und dabei alle Vorteile hinsichtlich Sicherheit und Skalierbarkeit bieten.

Zudem muss jeder Zahlungsabwickler aber auch offen und agil Entwicklungen ermöglichen. Wir müssen einfach in der Umsetzung für unsere Kunden schnell, entschlossen und innovativ vorgehen. Je mehr wir unsere Beziehungen zu unseren Kunden in Deutschland vertiefen, desto sicherer werden wir uns, dass das die Anforderungen sind, die Kunden und die Konsumenten an uns stellen.

Gibt es unter deutschen Kartenherausgebern verbreitete Vorbehalte gegen Outsourcing, einen Wechsel des Zahlungsabwicklers und die damit verbundene Portfoliomigration?

Veränderungen sind immer mit Risiken verbunden. Offen gesagt erleben wir jedoch ein überwältigendes Interesse seitens der Kartenherausgeber, bei der Betreuung ihrer Kunden neue Maßstäbe zu setzen. Tatsächlich bin ich der Ansicht, dass das Festhalten an Technologien aus dem letzten Jahrhundert keine tragfähige Lösung für Kartenherausgeber ist, die ihren Kunden den bestmöglichen Service bieten möchten.

Darüber hinaus sind die mit einem Wechsel des Zahlungsabwicklers und der Portfoliomigration verbundenen Risiken aufgrund der in den vergangenen 15 Jahren gewonnenen Kompetenzen und Erfahrungen deutlich gesunken. Wenn ich mit unseren Kunden spreche, die vor kurzem ihre Portfoliomigration abgeschlossen haben, bringen sie das Gespräch sehr schnell auf neue Entwicklungsmöglichkeiten. Die Themen, die sie interessieren, sind Innovationen, ein Verständnis für stetig steigende und veränderliche Anforderungen der Konsumenten und eine offene Infrastruktur, die eine unkomplizierte und schnelle Integration ermöglicht. Das heißt nicht, dass Migrationen oder ein Wechsel des Zahlungsabwicklers einfach wären, aber die Risiken sind bekannt, vorhersehbar und lassen sich häufig auf ein Minimum reduzieren, sodass der Geschäftsbetrieb schnell wieder wie gewohnt weiterlaufen kann.

Wie weit sind Sie beim Aufbau lokaler Strukturen und welche nächsten Schritte planen Sie?

Nets ist mit Concardis in Deutschland und der gesamten DACH-Region bereits stark vertreten. Wir betrachten die Entwicklung unseres Issuing-Geschäfts als zusätzliches Standbein zu unserem bereits etablierten und erfolgreichen Acquiring-Geschäft - das hier auch weiterhin im Vordergrund steht.

Dennoch erwarte ich, dass wir unsere Kapazitäten und Fähigkeiten im Zuge der Entwicklung unseres Issuing-Geschäfts weiter ausbauen, das heißt, mehr Mitarbeiter, mehr Möglichkeiten, mehr Autonomie auf dem Markt. Deutschland ist eines der wichtigsten Länder für Nets, sowohl in Bezug auf das Issuing- als auch auf das Acquiring-Geschäft. Deshalb werden wir hier im Zuge der Ausweitung unserer Präsenz weiterhin in erheblichem Umfang investieren.

Als Nets Concardis übernommen hat, sagten Sie, die beiden Unternehmen würden sich sehr gut ergänzen. Welche Synergieeffekte haben Sie bislang erzielt und welche Vorteile ergeben sich daraus für Sie in der Positionierung gegenüber Kartenherausgebern auf dem deutschen Markt?

Das ist eine gute Frage. Der erste und naheliegendste Synergieeffekt ist der Zugang zu Erfahrungen und Kenntnissen über den lokalen Markt - ein entscheidendes Element für den Erfolg jedes Unternehmens. Die Fähigkeit zum detaillierten und sachkundigen Austausch mit den Kunden ist für unser Selbstverständnis als echter Geschäftspartner entscheidend. Dabei geht es nicht nur um lokale Branchenkenntnisse, sondern auch um die Anforderungen und den Bedarf der Kundenunternehmen. Wir wollen von unseren Kunden als vertrauenswürdiger Berater wahrgenommen werden. Dies ist ein wichtiger Eckpfeiler der Zusammenarbeit. Dass Concardis jetzt zu Nets gehört, ist eine ausgezeichnete Basis dafür und ein klarer Vorteil.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass europäische Banken derzeit Möglichkeiten für die Entwicklung eines europäischen Zahlungssystems (PEPSI/EPI) ausloten. Welche Chancen sehen Sie für ein einheitliches Zahlungssystem und wie würde sich Nets darin positionieren?

Mit der Entwicklung des einheitlichen Europäischen Zahlungsraums (Sepa) wurden durch die Definition einheitlicher Rahmenbedingungen und Regeln gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen. Allerdings ist der Markt in Europa aufgrund der anhaltenden Nutzung älterer Plattformen immer noch sehr stark fragmentiert. Vor drei Jahren begann Nets mit dem Aufbau einer neuen, zukunftssicheren Processing-Plattform, die von den ersten Kunden bereits genutzt wird. Zudem ermöglicht sie uns über zahlreiche Plattformen und schließlich auch über die europäischen Länder hinweg zu konsolidieren.

Immer mehr Banken in Europa, auch in Deutschland, erwägen aus strategischen Gründen, auf die potenziellen Vorteile einer Konzentration auf ihr Kerngeschäft zu setzen und ihre Issuing-Dienstleistungen an einen externen Partner auszulagern, wenn sie ihre alte Plattformumgebung aufgeben.

Ich bin überzeugt, dass jede Initiative, die europäische Banken enger zusammenbringt, wie zum Beispiel ein gemeinsames Zahlungssystem, zur Entwicklung einer europäischen Marktperspektive beiträgt und eine stärker international ausgerichtete Betrachtung des Zahlungsverkehrs unterstützt, wodurch sich - in der Tat - der Trend zum Outsourcing von Issuing-Dienstleistungen verstärken wird.

Im Mai haben Sie die European Digital Payments Industry Alliance (EDPIA) mitgegründet, einen neuen europäischen Branchenverband, dem neben Nets auch Ingenico, Nexi und Worldline angehören. Warum haben Sie sich zur Beteiligung an dieser Initiative entschlossen und was versprechen Sie sich davon?

Unter dem Dach der EDPIA haben sich die größten unabhängigen europäischen Zahlungsdienstleister zusammengeschlossen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen: die Förderung eines einheitlichen digitalen Binnenmarkts in Europa - eines Marktes, in dem jede Person zu jeder Zeit digitale Zahlungen schnell, sicher und kosteneffizient ausführen kann. Letztlich profitieren davon alle Ebenen der europäischen Gemeinschaft - die Bürgerinnen und Bürger, die Institutionen und die Unternehmen ebenso wie die Banken und Kartenherausgeber.

Die EDPIA wird aktiv das Gespräch mit allen relevanten Interessengruppen suchen und die Perspektive der Paymentbranche zu Regulierungsfragen vertreten. Dadurch wird der Verband, so unsere Hoffnung, zur Schaffung eines erstklassigen Payment-Ökosystems in Europa beitragen.

Torsten Hagen Jørgensen, CEO, Nets Issuer & eSecurity Services, Nets Group, Kopenhagen
 

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