Bewertungsfragen

Schönheit als Attraktivitätskriterium für Wohnimmobilien

Kapitalanleger, aber auch Eigennutzer stellen sich die Frage, welche Wohnquartiere allgemein als schön empfunden werden und inwiefern Schönheit einen Absatz fördernden und damit Wert erhöhenden Faktor darstellt. Zur Beantwortung dieser Frage wird in die Schönheit verschiedener Gebäudeensembles bestimmt. Um zu überprüfen, ob Schönheit individuell wahrgenommen wird oder vielmehr allgemeiner Konsens herrscht, werden darüber hinaus die Korrelationen zwischen dem Schönheitsempfinden verschiedener Bevölkerungsgruppen

ermittelt. Die Untersuchung erfolgte durch die Befragung von insgesamt 150 Probanden, die die Schönheit von insgesamt 54 in Deutschland typischerweise vorzufindender Wohnquartiere in ein fünfstufiges Semantisches Differenzial eingetragen haben. Anhand der Differenzen zwischen den jeweiligen ästhetischen Urteilen wird deutlich, ob beziehungsweise inwieweit das Erscheinungsbild des gesamten Wohnquartiers von der Entscheidung eines Anbieters tangiert wird.

Ein Beispiel für ein typisches Wohnquartier stellt eine dreigeschossige Häuserzeile bestehend aus Altbauten im klassischen Stil dar, die zu einem homogenen Ensemble miteinander kombiniert werden (Abbildung 1). Diese Häuserzeile wird variiert, indem drei Neubauten (ein Bau im klassischen Stil und zwei Bauten im avantgardistischen Stil) sowie drei Bestandsbauten aus der Nachkriegszeit (ein Gebäude aus den sechziger Jahren im klassischen Stil sowie zwei Betongebäude aus den siebziger Jahren) nachträglich eingefügt werden (Abbildung 2). Der ästhetische und der ökonomische Effekt der Einfügung von Neu- und Nachkriegsgebäuden werden mittels einer Gegenüberstellung der dreigeschossigen Häuserzeile als Ursprungsvariante mit den jeweils modifizierten Varianten ermittelt.

Ästhetische Beeinträchtigung

Sowohl die Einfügung von Neu- als auch von Nachkriegsbauten bedeutet jeweils eine negative prozentuale Veränderung des Schönheitsempfindens der Betrachter für das jeweilige Wohnquartier (Abbildung 3). Durch den modernen Neubau im klassischen Stil wird die Schönheit der Häuserzeile um 20,0 Prozent gemindert. Dies lässt darauf schließen, dass die Sanierung eines verwahrlosten Altbaus das günstigere ästhetische Mittel darstellt als dessen Abriss und Ersatz durch einen Neubau.

Noch höher fällt der durch die Einfügung avantgardistischer Neubauten verursachte ästhetische Schaden aus: Während mit dem organisch gestalteten Mehrfamilienhaus ein optisches Minus in Höhe von 34,4 Prozent einhergeht, beträgt der Vergleichswert für das skulptural gestaltete Gebäude sogar 39 Prozent.

Das Gebäude aus den sechziger Jahren mit Fassade in Fliesenoptik bedeutet eine ästhetische Beeinträchtigung um 31,0 Prozent. Noch stärker ist dieser Negativeffekt bei Bauten aus den siebziger Jahren. Das Gebäude mit Betonfassade mindert die Schönheit des Ensembles um 44,6 Prozent, das Apartmenthaus mit orangefarbener Fassade sogar um 48,2 Prozent.

Sämtliche der genannten Beeinträchtigungen sind statistisch hoch signifikant. Auffällig ist die besonders negative Beurteilung der Optik der beiden Häuserzeilen mit den besonders stark kontrastierenden Gebäuden aus den siebziger Jahren. Diese Gebäude entsprechen damit nicht mehr dem heutigen ästhetischen Zeitgeist.

Die Frage nach der Allgemeinverbindlichkeit des Schönheitsideals wird beantwortet durch die Kategorisierung der 150 überwiegend aus München stammenden Probanden auf Basis der Quotenmerkmale Geschlecht, Altersrange, Bildungsgrad sowie Einkommensrange. Darüber hinaus erfolgt eine Aufteilung der Stichprobe nach dem beruflichen Status der Probanden (Immobilienexperte oder Laie) sowie nach der Dauer ihrer Präsenz am Wohnort München (langjähriger Münchener oder innerhalb der letzten zwei Jahre zugezogen). Der Untersuchung zugrunde liegt die in der Tabelle 1 enthaltene Segmentierung nach Persönlichkeitsmerkmalen.

Es wurden 77 männliche und 73 weibliche Probanden befragt. Der Anteil der 26 bis 40 jährigen Probanden beträgt 38,0 Prozent, derjenige der 41 bis 74 jährigen Befragten 62,0 Prozent. Im Hinblick auf den Bildungsgrad wurden einerseits Personen mit Haupt- beziehungsweise Realschulabschluss und Abitur sowie andererseits Personen mit Fachhochschul- sowie Universitätsabschluss zusammengefasst. Die Abgrenzung hinsichtlich des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens erfolgt durch die Einkommenskategorien von weniger als 1 280 Euro pro Person, von 1 280 Euro bis weniger als 1 880 Euro pro Person sowie von mindestens 1 880 Euro pro Person.

Beruflich tätig in der Immobilienbranche sind mit einer Architektin, einer Fachjournalistin, einem Hausverwalter und drei Immobilienmakler insgesamt sechs Personen. Bei den restlichen 144 Probanden handelt es sich um Laien. Darüber hinaus wird die Stichprobe in 120 langjährige Münchner sowie 30 innerhalb der letzten zwei Jahre nach München zugezogene Personen unterteilt.

Wie die Tabelle 2 zeigt, sind die Unterschiede zwischen den Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihres Schönheitsempfindens sehr gering. Die Maximalabweichung - bestehend aus den Inhabern unterschiedlicher Bildungsgrade - beträgt lediglich 0,12 Punkte oder 2,4 Prozent.

Im Einzelnen zeigen sich folgende Unterschiede im Hinblick auf das Schönheitsempfinden:

- Mit einem Durchschnittswert von 3,73 beurteilen Frauen die präsentierten wohn-baulichen Situationen etwas besser als Männer (Wert von 3,83).

- Jüngere Personen empfinden die Wohnsituationen als genauso schön wie ältere Personen (Werte von 3,77).

- Personen mit einem niedrigeren Bildungsgrad fällen ein leicht positiveres Schönheitsurteil als die Vergleichsgruppe mit höherem Bildungsgrad (Werte von 3,73 versus 3,84).

- Bezieher niedrigerer Einkommen geben mit einem Durchschnittswert von 3,78 ein etwas negativeres Urteil über die wohnbaulichen Situationen ab als die Bezieher höherer Einkommen (Wert von 3,79).

- Langjährige Münchner beurteilen die Schönheit leicht kritischer als kürzlich hinzugezogene Personen (Werte von 3,79 versus 3,75).

- Experten haben mit einem Wert von 3,69 ein etwas positiveres Bild als Laien (Wert von 3,79).

Dass die in der Tabelle 2 gezeigten Unterschiede sämtlich statistischer Signifikanz entbehren, lässt darauf schließen, dass zwischen den Angehörigen verschiedener Bevölkerungsgruppen ein hohes Maß an Übereinstimmung im Hinblick auf das Schönheitsempfinden besteht. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung können insofern die These bestätigen, dass Schönheit kaum im Auge des Betrachters liegt beziehungsweise individuell wahrgenommen wird, sondern vornehmlich im Objekt begründet ist.

Handlungsempfehlungen für Stadtplaner

Aus den Resultaten dieser Untersuchung ergeben sich Handlungsempfehlungen für Bauträger und Stadtplaner. Erstens: Die Sanierung eines verwahrlosten Altbaus führt zu einem besseren ästhetischen Resultat als dessen Abriss und Wiederaufbau. Selbst ein Quartier mit klassisch gestaltetem Neubau ist etwas weniger attraktiv. Losgelöst von der aktuell dominierenden Debatte um Energieeffizienz sollte der Erhalt der innerstädtischen Altbau-Gebäudesubstanz daher als ästhetischer Wert an sich in den Fokus rücken und beispielsweise durch Zurückhaltung bei der Ausweisung von Neubaugebieten gefördert werden.

Zweitens: Avantgardistische Neubauten, insbesondere aber in den siebziger Jahren errichtete Nachkriegsgebäude werden ebenfalls als deutlich weniger attraktiv wahrgenommen als der klassische Altbau. Eine modische Gestaltung erweist sich im Langfristtrend somit als nicht wertstabil. Vor dem Hintergrund einer absehbaren Verschlechterung der Optik im Zeitablauf sollten avantgardistische Bauten daher nur zurückhaltend genehmigt werden.

Dass im Hinblick auf das Schönheitsempfinden ein hohes Maß an Übereinstimmung besteht und sich der Markt insofern im Wesentlichen selbst reguliert, lässt zudem darauf schließen, dass staatlicherseits nur maßvolles Eingreifen erforderlich ist.

Prof. Dr. Friedrich Thießen , Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, Technische Universität Chemnitz
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