STANDARDISIERUNG

ISO 20022 - Weltsprache der Banken für den Zahlungsverkehr

Joachim Lauterbach, Foto: valanti;

Die Umsetzung des ISO-20022-Standards für den Datenaustausch in der Finanzbranche ist kein Selbstläufer, so Dietmar Jakal und Dirk Vesper. Sondern der Anstoß kommt überall von den Regulatoren. Dabei lassen sich damit bisherige Automatisierungslücken schließen. Im Zahlungsverkehr kommt der Standard vor allem bei Instant-Payments-Lösungen zum Einsatz, wie sie auch die EU mit Nachdruck vorantreibt. Die Investition wird sich für die Banken auszahlen, sind sich die Autoren sicher. Denn mit dem neuen Standard wird der Zahlungsverkehr zugleich sicherer und effizienter - und damit wirtschaftlicher. Red.

Im deutschen Einzelhandel stirbt Bargeld als wichtigstes Zahlungsmittel langsam aus, das klassische Dreitage-Modell für Überweisungen wurde längst zum "Eintages-Modell" und wird mittlerweile weiter von Instant Payments abgelöst. Das Smartphone bekommt mit Apple Pay und Google Pay ebenso eine wachsende Rolle im Zahlungsverkehr. Was dabei schnell verloren geht, ist das technische Rüstwerk, das bei länderübergreifenden Prozessen nötig ist. Die ISO 20022 hat dabei die Aufgabe, eine weltweit einheitliche Sprache für Finanztransaktionen zu schaffen. Veröffentlicht wurden die ersten Versionen der Norm zwar schon 2003, nun aber steht die Norm vor dem globalen Durchbruch im Zahlungsverkehr. Um die Relevanz richtig einschätzen zu können: Aus Sicht der Banken geht es um eine Reform, welche in ihrem Ausmaß sogar größer als die damalige Sepa-Einführung werden wird.

Hinter der ISO 20022 steht das Bestreben, die Kommunikation der Banken- und Finanzbranche mit einem gemeinsamen Standard zu vereinfachen. Länderübergreifend wurde daher die Norm ISO 20022 geschaffen. Die weitere Harmonisierung im Zahlungsverkehr soll für alle Beteiligten zu größerer Sicherheit, verbesserter Datenqualität, geringeren Fehlerquoten und vor allem zu mehr Geschwindigkeit bei der Verarbeitung von Zahlungen führen. Es folgen mit der Target2-Migration Ende 2022 und dem Start der Swift-Migration Ende 2022 weitere wichtige Meilensteine zur Vereinheitlichung des gesamten Nachrichtenaustauschs im Zahlungsverkehr. Hinter der ISO 20022-Norm steht ein UNIFI-Standard (UNIversal Financial Industry message scheme), der eine weltweite Konvergenz von existierenden und neuen Nachrichtenstandards aus verschiedenen Bereichen des Finanzwesens anstrebt.

Vereinheitlichung des Nachrichtenaustauschs

In der heutigen Bestandswelt der Banken und Finanzinstitute gibt es eine Vielzahl von grenzübergreifenden und nationalen Standards unterschiedlichster Ausprägungen. Neben der lange bekannten Swift ISO 15022 beziehungsweise den MT-Standards gibt es auch völlig proprietäre Nachrichtenformate. Eine Interoperabilität zwischen den Marktinfrastrukturen ist daher kostenintensiv und fehleranfällig und darüber hinaus technisch in manchen Fällen kaum möglich.

Der internationale Zahlungsverkehr in Fremdwährungen wird bisher nahezu vollständig in Swift-MT-Formaten abgewickelt, während in Europa bereits einige Abwicklungssysteme auf der Basis der ISO 20022 existieren und genutzt werden - in erster Linie für Sepa-Zahlungen oder Instant Payments. Neue Clearingsysteme, insbesondere Abwickler von Instant-Payment-Diensten, basieren heute nahezu ausschließlich auf den ISO-Standards.

Hinter der ISO 20022-Norm steht ein moderner, XML-basierter Standard zum Austausch von Finanztransaktionsdaten unterschiedlicher Geschäftsbereiche in Finanzinstituten. Die Norm wurde bereits zu Beginn dieses Jahrtausends entwickelt und fand erstmals Eingang in die Praxis durch den Einsatz in der Abwicklung von Investmentfondsanteilen (Swift Net Funds) im Jahr 2003. Die ISO-Standards zeichnen sich durch granulare Datenstrukturen aus, die Geschäftsinformationen mit hohem Detailgrad transportieren können. Der Standard für den Zahlungsverkehr bezieht sich dabei vorrangig auf die Prozesse im Bereich Payment Initiation (Pain-Nachrichten zwischen Kunde und Bank) sowie Payments Clearing & Settlement (Pacs-Nachrichten zwischen Banken). Daneben bietet die ISO 20022 auch eine umfangreiche Sammlung von Nachrichten für Bankto-Customer Cash Management (Camt-Nachrichten), ein neuer Standard zum Beispiel für elektronische Kontoinformationen.

Reifestand ISO 20022 Quelle: Valantic

 

Automatisierungslücken geschlossen

Generell werden durch den neuen Standard zahlreiche Automationslücken geschlossen, die bei älteren Standards häufiger auftraten. Die ISO 20022- Nachrichten wurden für den elektronischen Datenaustausch entwickelt und eignen sich nicht für die manuelle Verarbeitung.

In zahlreichen Branchen wird die Digitalisierung vorangetrieben - mit immer gleichem Ergebnis: Die Prozesse werden einfacher und automatisierter. Der Druck durch regulatorische Anforderungen kommt hinzu sowie ein steigender Kostendruck aufgrund sinkender Margen und Globalisierung der Märkte. Eine weiter fortschreitende Digitalisierung der Prozesse ist nötig - mit dem Ziel, eine echte End-to-End-Verarbeitung in der Prozesskette zu erreichen. Die Vereinfachung der vorgelagerten Prozesse im Zahlungsverkehr führt zur Vereinfachung von nachgelagerten Schritten. Da sich mit ISO 20022 die Geschäftsdaten wesentlich präziser und umfangreicher übertragen lassen, werden nicht nur die Abwicklungsprozesse, sondern auch Prozesse wie Betrugs- oder Embargoprüfung, Reklamationen und Gebührenmanagement einfacher und kostengünstiger.

Diese Prozesse integrieren sich somit leichter als Module in die elektronische Verarbeitungskette. Da der Datenaustausch zwischen den Systemen innerhalb der Institute sowie auch institutsübergreifend essenziell für eine schnelle und fehlerfreie Abwicklung ist, leisten ISO-Standards einen grundlegenden Beitrag zur optimalen elektronischen Verarbeitung und damit zur Kostenreduktion und Verbesserung des Serviceangebots. Auch der Kunde profitiert davon: Über die ISO-Standards lassen sich die Prozesse End-to-End und unter Einbeziehung des Kunden verbessern. Dazu gehören beispielsweise die Einbindung von Portalen sowie die Abwicklung von Transaktionen via Online-Banking.

Der Großteil der Swift-MT-Standards hingegen stammt aus den siebziger Jahren und kann den Anforderungen eines modernen und vollautomatisierten Zahlungsverkehrs nicht mehr vollumfänglich gerecht werden. In den Großbetrags-Zahlungssystemen von Japan, China und der Schweiz hat sich die ISO 20022 bereits durchgesetzt, und auch bei bisherigen Instant-Payment-Implementierungen in den USA, Kanada, Singapur und Australien kommt die ISO 20022 als Defacto-Norm zur Anwendung.

Herausforderungen bei der Migration

Die Vorteile der neuen Standards können sich nur dann entfalten, wenn auch alle Stakeholder in den Prozessen sie vollumfänglich nutzen können. Die oftmals als Mittel zum Zweck gepriesenen "Konvertierungslösungen" zu Altformaten - also eine mehrfach nötige Übersetzung zwischen alt und neu und umgekehrt - scheiden explizit aus. Die Datenqualität würde verwässern und die Fehleranfälligkeit dadurch eher zu- als abnehmen. Die nun deutlich detaillierteren Informationen der ISO 20022-Norm lassen sich für eine elektronische Weiterverarbeitung nicht sinnvoll in Altformaten abbilden. Hinzu kommt eine unzureichende Abdeckung der erforderlichen Geschäftsvorfälle, darunter Statusinformationen oder Exceptions.

Die hohe Granularität der Daten bringt allerdings gleichzeitig deutlich gestiegene Anforderungen an die Verarbeitung und die dazu genutzten Systeme mit sich. Dies betrifft nicht nur die Datenprüfung und Steuerung der erforderlichen Workflows, sondern auch die Präsentation und Aufbereitung der Daten zum Anwender und auch zum Kunden. Die Komplexität im Backend soll also mit einem einfach zu bedienenden Frontend versehen sein, das logisch und intuitiv in die Bestandsprozesse integrierbar ist.

Echtzeitfähige Schnittstellen gefragt

Die Prozesse müssen überwacht und gesteuert werden. Während vormals die Steuerung der Prozesse oft dem Fachanwender überlassen wurde, erfordern die ISO-basierten Prozesse die Einhaltung von Regelwerken, sogenannten Rulebooks, die weit über die Befüllung der ISO-Instrumente hinausgehen und die einzuhaltenden Prozessschritte vorgeben. Obwohl zwar ein bestimmter Geschäftsprozess mittels der einheitlichen ISO-Instrumente standardisiert ist, unterscheiden sich die einzelnen Rulebooks in Details, die von erheblicher Bedeutung sein können. So gibt es unterschiedliche Varianten und Versionen der einzelnen ISO-Instrumente sowie Varianten der Prozessverarbeitung wie beispielsweise Bulking, zentrales Clearing und Korrespondenzbanken-Clearing.

Hinzu kommt, dass die bestehenden Systeme in den Banken zu weiten Teilen bereits älter und nicht auf Schnittstellen zum Datenaustausch in Echtzeit ausgelegt sind. Für eine End-to-End-Digitalisierung allerdings sind leistungsfähige Anwendungen und eine zentrale Schnittstellenarchitektur, beispielweise über APIs und die Bereitstellung von Microservices, essenziell. Dies betrifft die interne Kommunikation ebenso wie die Kommunikation mit Geschäfts- und Outsourcing-Partnern. Der Datenaustausch in der modernen Welt muss zudem echtzeitfähig sein, damit Prozesse wie Instant Payments auch mit Sicherheit instant verarbeitet werden können.

Impulse vom Regulator

Die Umsetzung der ISO 20022 erfolgte bislang in der Banken- und Finanzindustrie nicht als selbstregulierender Prozess. Es war immer ein Regulator, der die entscheidenden Impulse setzte - wie auch die flächendeckende Sepa-Einführung im Jahr 2014 beweist, die erst durch eine Vorgabe der Europäischen Kommission in die Breite gehen konnte. Im Jahr 2022 werden das Großbetrags-Zahlungssystem Target2 der EZB und der Swift-Zahlungsverkehr (Nachrichtenkategorien 1, 2 und 9) auf die Instrumente unter ISO 20022 umgestellt. Während Target2 in einem Big Bang auf ISO 20022 migriert, ist für Swift eine Migrationsphase von drei Jahren vorgesehen, in der die Altformate weitergenutzt werden können.

Swift bietet zudem einen Migrationsservice zwischen ISO und den alten MT-Formaten an. Allerdings liegt die Verantwortung für die Ergebnisse dieser Konvertierung einzig bei den Banken selbst: Ein Argument dafür, diesen kostenpflichtigen Dienst seitens Swift nicht überzustrapazieren. Daher wird auch in der Branche erwartet, dass die Großbanken sowie die als Intermediäre auftretenden Banken alle Swift-basierten Zahlungsprozesse bereits ab 2022 gemäß ISO 20022 abwickeln werden. Es ist zudem möglich, dass die Banken während der Übergangsphase bereits keine MT-Nachrichten mehr annehmen oder bei Annahme Gebühren verlangen werden.

Investitionen werden sich auszahlen

Die tatsächliche Ausnutzung der Möglichkeiten, die durch die ISO 20022 geboten werden könnten, ist heute noch begrenzt. Die zukünftigen Chancen in Bezug auf Interoperabilität, Echtzeitverarbeitung und Fehlervermeidung sowie besseren Services zu geringen Kosten, sind allerdings deutlich größer. Die globalen Vorgaben in der Finanzbranche setzen dem zunächst Grenzen:

- Während die Verwendung der IBAN im Sepa-Umfeld Pflicht ist, kann dies im internationalen Zahlungsverkehr nicht zwingend vorausgesetzt werden.

- Anderseits kann angenommen werden, dass beispielsweise die Verwendung von unstrukturierten Daten, die im ISO-Regelwerk vorgesehen sind, mit der Zeit äquivalenten strukturierten Daten weichen werden (Beispiel: Verwendungszweck einer Zahlung). Dies könnte zeitnah durch Vorgaben von Institutionen wie der Europäischen Zentralbank, der EBA oder durch Swift vorangetrieben werden.

Die Prozessabdeckung durch ISO-Standards wird sich deutlich verbreitern und die Prozesse werden noch an Effizienz zunehmen. Die Finanzinstitute erhalten dabei mehr als nur technische Hilfe durch Softwarehersteller. Im Rahmen der ISO-Umstellung bietet sich die Möglichkeit, eine umfassende Digitalisierungsstrategie auf- und auch erfolgreich umzusetzen. Banking of the Future - verbunden mit einem neuen Level an Kundenservice - steht dabei im Vordergrund, insbesondere die Optimierung der Prozesse und die Vereinfachung der Anwendungslandschaft. Veraltete Lösungen, ineffiziente Zwischenlösungen und andere Probleme können in diesem Atemzug mit modernen Tools adressiert werden.

Was jedem Institut in der Zwischenzeit klar sein muss: Die Umstellung auf die ISO 20022-Zukunft erfordert Ressourcen. Die Investitionen werden sich jedoch auszahlen, denn mit einem weltweit anerkannten Standard können die Banken den Zahlungsverkehr ihrer Kunden deutlich automatisierter und sicherer und damit auch wirtschaftlicher durchführen als das bislang der Fall ist. Zahlungsinformationen werden mit der ISO 20022 künftig digital, strukturiert, vollständig und ohne Brüche vom Zahler zum Empfänger fließen - egal, wo auf dem Planeten die beiden Parteien sitzen. Damit entsteht eine verlässliche technische Basis für weitere Innovationen im internationalen Zahlungsverkehr: Banking of the Future.

Joachim Lauterbach , CEO, valantic Financial Services Automation, Frankfurt am Main
Dirk Vesper , VP, Product Management, valantic Financial Services Automation, Frankfurt am Main

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X