EUROPÄISCHES PAYMENT-SCHEME

Auf dem Weg zu einem europäischen Zahlungssystem

Cristina Astore, Foto: SIA

Im Vergleich zum Innovationstempo der Zahlungsverkehrsmärkte in anderen Regionen der Welt hinkt Europa deutlich hinterher - nicht zuletzt, weil es bislang an einem europäischen Selbstverständnis fehlt. Doch noch ist nicht alles verloren, meint Cristina Astore - die Perspektiven für ein paneuropäisches Zahlungssystem werden konkreter. PSD2 und Open Banking und die Einführung von Instant Payments könnten ein Grundbaustein sein, um Consumer-to-Business-Payments zu einer Alternative zur Debitkarte zu machen Red.

Die europäische und insbesondere die deutsche Zahlungsverkehrslandschaft, haben uns in jüngster Zeit überrascht. Deutsche gelten oft als abgeneigt gegenüber Neuem und Andersartigem, vor allem wenn es um die Veränderung des Zahlungsverhaltens geht. Doch laut dem EHI Retail Institute erlebt Deutschland gerade, dass Kartenzahlungen den Bargeldverkehr überholen. Laut der Studie machten Kartenzahlungen der Verbraucher im Jahr 2018 48,6 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsatzes aus. Somit übertrafen sie erstmals in der Geschichte die Barzahlungen am PoS.

Trotz einer schwierigen Diskussion über die "Abschaffung des Bargelds" zeigen langfristig anhaltende Trends Ergebnisse und konkrete Maßnahmen tragen dazu bei: die Investitionen in die digitale Zahlungsinfrastruktur, die erfolgreiche Einführung von kontaktlosen Karten (die hauptsächlich Kleinbetragszahlungen auslösen), die wachsende Bereitschaft großer Einzelhändler, den Trend hin zur Bequemlichkeit zu unterstützen und zu guter Letzt ein gesunder Wettbewerb zwischen Banken und Issuern, die besten Lösungen zu bieten einschließlich der deutschen Debitkarten.

Deutschland und Europa hinken hinterher

Daher stellt sich die Frage: Sind wir dort angelangt, wo wir hinwollen? Nicht wirklich. Im Vergleich zu dem Tempo des Wandels, das wir in anderen Regionen wie China und Ostasien beobachten, sehen wir große Unterschiede in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union einschließlich Deutschlands. Und nicht zu vergessen die Initiativen und möglicherweise disruptiven neuen Angebote der sogenannten Bigtechs und aufstrebenden Fintechs. Apple Pay und Samsung Pay - und dergleichen - wurden vor kurzem auf dem deutschen Markt eingeführt und müssen noch konkrete Ergebnisse liefern und Akzeptanz finden. Dennoch scheint die "natürliche" Kompetenz dieser Akteure im Anbieten von "mobilen" und "intelligenten" Lösungen und ihre starken Marken und Marketingkampagnen der perfekte Ausgangspunkt zu sein, um gerade dieses Feld zu besetzen, zumindest in der jüngeren Generation, die offen für neue Dinge ist. Dies gilt insbesondere für den E-Commerce-Bereich: Die Studie des EHI Retail Institute zeigt auch, dass deutsche Verbraucher beim Online-Kauf in nur rund 20 bis 25 Prozent aller Fälle von Banken bereitgestellte Zahlungsmittel verwenden.

Mangel an europäischem Selbstverständnis

In der Vergangenheit haben wir sehr wohl ein mangelndes Verständnis dafür festgestellt, dass einerseits das Zahlungsverkehrs-"Geschäft" der Anker und die Grundlage für den Schutz der Kundenbeziehung sein kann und andererseits in der Lage ist, ein europäisches Selbstverständnis zu schaffen, um nicht in einem Spiel zu verlieren, das immer mehr zu einem globalen wird. Angesichts der atemberaubenden Entwicklung und des Erfolgs der chinesischen Lösungen von Alipay und Wechat Pay zeigt sich, dass die gesunde Kombination eines großen Inlandsmarktes - gekennzeichnet durch starke Skaleneffekte - mit dem Gespür für die Schaffung attraktiver und komfortabler Ökosysteme für den Nutzer für eine schnelle Entwicklung steht, die in der Paymentbranche zuvor noch nie gesehen wurde. Und diese wird als Bedrohung für den Aufbau eines europäischen Zahlungsökosystems angesehen, da wir möglicherweise nicht in der Lage sind, das Entwicklungstempo zu halten.

Paneuropäisches Zahlungssystem wird konkreter

Daher ist es nicht überraschend, dass der Vorstand der Deutschen Bundesbank, Burkhard Balz, und die EZB zum Handeln aufrufen. Es wurden Bedenken geäußert, dass Europa im globalen Wettbewerb und Rennen um die "Vorherrschaft" im Zahlungsverkehr verlieren könnte.

Dank der Entwicklung und Innovation einiger nationaler Systeme wird die Perspektive eines paneuropäischen Zahlungssystems, das dem wachsenden internationalen Wettbewerb gewachsen ist, immer konkreter. Doch welche sind "unsere" Lösungen, worin liegen der "europäische" Touch und die gemeinsamen Anstrengungen?

Es versteht sich von selbst, dass die etablierten Standards im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, im Kartengeschäft und E-Commerce ihren Fortbestand haben werden und nicht durch "Willenskraft" ersetzt werden können. Die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren - mit einer langen Tradition in den meisten Ländern unserer Region - und ein besseres Verständnis für die Bedeutung des Schutzes der Beziehungen zu den Kunden sollten jedoch die Grundlage für ein anderes Handeln in der Zukunft bilden.

Noch nicht alles verloren

Ist alles verloren? Keinesfalls: Europa und insbesondere Deutschland verfügen über Aktiva und eine Ausgangslage, die viele Vorteile im Wettbewerb bietet.

- Erstens gibt es innovative Finanzinstitute und in den meisten Ländern eine gute Durchdringung mit Kontoinhaberschaft und Zugang zu Finanzdienstleistungen.

- Darüber hinaus kann Europa auf eine anerkannte und in vielen Fällen hochmoderne Zahlungsinfrastruktur zurückgreifen, die mit einer Reihe erfahrener und etablierter Akteure, wie etwa Sia verbunden ist, um die notwendige Infrastruktur bereitzustellen.

- Zu guter Letzt teilen wir eine gemeinsame Währung, die stark genug ist, um mit allen anderen weltweit akzeptierten Währungen zu konkurrieren, kombiniert mit wirtschaftlicher Stabilität und Stärke.

PSD2 und Open Banking als Grundstein

Deutschland und seine fragmentierte Landschaft an Lösungen können ein guter Ausgangspunkt sein, da es den größten Debitmarkt in Europa nach Anzahl der ausgegebenen Karten darstellt und eine starke historische "Giro-Orientierung" aufweist. Insbesondere Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, hat um mehr Initiative gebeten, um auf den Wettbewerb dieser "unkonventionellen" Akteure bei der Entwicklung und Erbringung von Zahlungsdiensten zu reagieren.

Und ein wesentlicher Grundstein dafür könnte bereits vorhanden sein: PSD2 und Open Banking können den Wettbewerb fördern und die Schaffung und Einführung neuer E-Payment-Lösungen auf Grundlage des Zugangs zum Girokonto des Kontoinhabers unterstützen. In diesem Szenario ist es wichtig, dass das europäische Bankensystem mit einer ökosystemorientierten Logik reagiert und die Entwicklung eines grenzüberschreitenden Massenzahlungsverkehrs im Euroraum steuert und fördert. Und dies könnte die Grundlage für eine Entwicklung sein, um die uns andere Regionen in der Welt in Zukunft vielleicht beneiden.

Neben den Standardzahlungen auf Kartenbasis tauchten auf dem Markt jüngst alternative Zahlungsmethoden auf, von denen einige die in vielen europäischen Ländern eingeführte Instant-Payment-Infrastruktur nutzen. Der lokale und globale Markt für alternative P2P/P2B-Zahlungssysteme - im Zusammenhang mit dem Geldtransfer zwischen Verbrauchern oder Zahlungen an Händler - ist derzeit stark fragmentiert. Betrachtet man nur den europäischen Markt und das Implementierungsmodell, so haben sich zwei Gruppen durchgesetzt.

Interbankenlösung bei Instant Payments

Die erste bezieht sich auf eine Lösung, die von einer Wallet angeboten wird. Hierbei ist es nötig, dass der Endbenutzer ein Vertragsverhältnis hiermit hat; in diesem Fall ist der Geldtransfer nur innerhalb des spezifischen Kundenstamms des Wallet-Anbieters erlaubt und die Gelder werden in Echtzeit zwischen den Stored Value Accounts der Wallet transferiert. Die Abrechnung über das Bankkonto des Kunden kann hingegen mehr Zeit in Anspruch nehmen, manchmal sogar Tage.

Die andere Lösung wird von verschiedenen Banken ihren Kunden angeboten: Dies stellt die eigentliche Interbankenlösung dar und der Geldtransfer erfolgt in Echtzeit zwischen den Bankkonten der verschiedenen teilnehmenden Banken.

Sia konzentriert sich auf kooperationsbasierte Lösungen und gemeinsame Initiativen zwischen verschiedenen Banken, die Teil derselben Gemeinschaft sind. Die Implementierung einer Instant-Payment-Infrastruktur in einem europäischen Land ist daher eine großartige Gelegenheit, einen P2P/P2B-Massenzahlungsdienst auf Girokontobasis einzuführen, der es den Banken ermöglicht, ihre Schlüsselrolle in der Zahlungsbranche beizubehalten und die Beziehung zu ihren Kunden zu bewahren.

C2B statt Debitkarte?

Vergleicht man Debitkarten mit "reinem" Instant Payment, wird sehr deutlich, dass Letzteres im Vergleich zu Karten nicht so nutzerfreundlich ist für Massenzahlungen: Bei einer Echtzeitüberweisung muss der Absender tatsächlich auf das Bankkonto des Begünstigten einzahlen. Darüber hinaus ist das Geschäftsmodell für die Bank des Auftraggebers möglicherweise nicht so attraktiv wie die Debitkarte. Schlussendlich müssen das Akzeptanznetzwerk und die Infrastruktur noch entwickelt werden.

Die Lösung könnte die Einführung eines neuen Systems namens "Consumer to Business Instant Payment" (C2B) sein, das alle offenen Fragen der reinen Instant Payments lösen kann und dank geringer Kosten im Zusammenhang mit einer kürzeren Wertschöpfungskette und dem Fehlen internationaler Systemgebühren wettbewerbsfähiger ist als Karten.

Beispiel Jiffy

In diesem Zusammenhang, mit dem Ziel, die Lösungen für den Massenzahlungsverkehr zu unterstützen und zu erleichtern, führte Sia im Jahr 2014 Jiffy in Italien ein. Ursprünglich als P2P-Lösung entwickelt, wurde dieser Service zur Unterstützung einer großen Vielfalt von Person-to-Business-Zahlungsszenarien erweitert. Mittlerweile haben sich mehr als 150 Banken, darunter Intesa Sanpaolo, Unicredit und UBI Banca, mit einem Marktanteil von 80 Prozent bei den Girokonten und mehr als 5,5 Millionen registrierten Kunden, für die Lösung entschieden. Jiffy ist auch in über 2 000 Geschäften verfügbar, hauptsächlich bei größeren Handelsketten.

Die Registrierung der Kunden erfolgt durch Banken, die für die Unterstützung des KYC-Prozesses zuständig sind, und alle Kundendaten werden durch eine Proxy-Datenbank verwaltet, die für jeden Kunden die Telefonnummer, das Bankkonto und auch alle zusätzlichen Alias enthält, die zur Unterstützung verschiedener Zahlungsszenarien verwendet werden können.

Zu den Möglichkeiten gehören neben dem einfachen "P2P-Geld senden und anfordern" zum Beispiel Electronic oder Mobile Commerce mit der Telefonnummer als Proxy, Parken mit automatischer Erfassung des Autokennzeichens, große Einzelhändler, die die Kundenkarte zur Identifizierung des Zahlers nutzen, wiederkehrende Zahlungen mit Benachrichtigung auf Basis der Telefonnummer oder auch lokale Steuerzahlungen, bei denen die Tax ID als Proxy mit der Steuernummer verknüpft ist.

Andere Zahlungsszenarien können unter Verwendung der gleichen oder zusätzlicher Proxies hinzugefügt werden: Das Nutzererlebnis ist immer das gleiche, mit einer "Zahlungsaufforderung" und der Bestätigung im Mobilteil mit einer starken Kundenauthentifizierung, die auf dem Gerät und der biometrischen Verifizierung beruht. Zudem werden Vor-Ort-Zahlungen unterstützt: Der dynamische, vom Händler präsentierte QR-Code wird mit der App des Zahlers oder direkt aus der nativen Applikation des Mobilteils mit dem lokalen Push gescannt, um die App des Zahlers automatisch zu öffnen und die Transaktion zu bestätigen.

Der Zahler kann die Zahlung über seine Mobile Banking App oder eine White Label App aktivieren: Letztere ist im App Store verfügbar und wird beim ersten Login automatisch mit Logo und Farben der Bank des Kunden konfiguriert. Es ist ein Schlüsselelement, um die Markenbekanntheit zu verbessern und die Entwicklungskosten für das gesamte Ökosystem zu senken. Darüber hinaus verkürzt sich die Time-to-Market für die neuen Funktionalitäten, die implementiert und allen Kunden sofort und ohne Auswirkungen auf der Bankenseite zur Verfügung stehen.

Die Anzahl der an das Ökosystem angeschlossenen Finanzinstitute und die Anzahl der registrierten Kunden bestätigten, dass Jiffy in Italien ein echter Erfolg und derzeit eine der beliebtesten P2X-Lösungen im Sepa-Raum ist. Die Fusion mit dem italienischen einheimischen Kartensystem bot jedoch eine große Chance für ein weiteres Wachstum der Lösung.

Tatsächlich haben Bancomat und Sia vereinbart, Jiffy in das Bancomat-System zu integrieren, und seit Anfang 2019 ist eine neue Marke Bancomat Pay auf dem italienischen Markt vertreten. Die Lösung basiert vollständig auf der Jiffy-Technologie und ist mit der sehr bekannten Marke Bancomat angereichert, um das Volumen zu steigern.

Über Instant Payments zur Erneuerung nationaler Systeme

Diese Fusion zwischen Jiffy und Bancomat in Italien hat Ähnlichkeit mit dem, was in Belgien mit Payconiq und Bankcontact und in Norwegen mit Bankaxept und Vipps passierte. Die Einführung von Sofortzahlungen kann in der Tat eine Gelegenheit sein, die nationalen Systeme, die der Innovation der internationalen Zahlungssysteme hinterherlaufen, zu erneuern.

Die Verfügbarkeit verschiedener nationaler P2X-Lösungen mit oder ohne Beteiligung nationaler heimischer Kartensysteme erhöht die Notwendigkeit der Interoperabilität, um ein echtes paneuropäisches Massenzahlungssystem zu schaffen.

Interoperabilität auf drei Ebenen berücksichtigen

Das Thema Interoperabilität muss auf drei verschiedenen Ebenen berücksichtigt werden. Die erste Ebene ist die Clearing- und Abrechnungsphase, in der es möglich ist, die bestehende Sepa-Infrastruktur und die Instant-Payment-Plattform optimal zu nutzen. Die zweite ist die Anwendungsebene, wo es notwendig ist, die verschiedenen Erfahrungen zu standardisieren. Die dritte Ebene ist, wie Zahler und Zahlungsempfänger miteinander interagieren können. Hierbei unterscheidet sich, ob sie aus der Nähe oder aus der Ferne interagieren.

Die letzte Ebene ist schließlich, wie unter Berücksichtigung der beiden beteiligten Ökosysteme die relevanten Daten ausgetauscht werden können, um einen Zahlungsvorgang abzuschließen.

Die erste Ebene ist bereits mit der Sepa-Schicht über das bestehende Sepa Credit Transfer Inst (SCT Inst) abgedeckt, während sich die EPC-Arbeitsgruppe mit der zweiten Ebene befasst und in Kürze ein Dokument veröffentlichen wird, das alle verschiedenen Anwendungsfälle beschreibt, die bei der Interoperabilität unterstützt werden sollen.

Das dritte Szenario könnte mit der Sepa Proxy-Lookup-Initiative des European Payments Council abgedeckt werden, das sich im Moment nur auf P2P konzentriert.

Ein alternativer Ansatz könnte die Verwendung der Blockchain-Technologie sein, um die Proxydaten auf sichere Weise an das gesamte teilnehmende Ökosystem weiterzugeben. Die zu diesem Zweck verwendete Blockchain-Infrastruktur muss ein sehr hohes Maß an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Leistung sowie ein klares Governance-Modell aufweisen, das den Anforderungen einer Finanzmarktinfrastruktur gerecht wird. Das ist es, was Sia mit der strategischen Initiative Siachain verfolgt: das größte private (nur für Zugelassene) Multi-Protokoll-Blockchain-Netzwerk, das auf europäischer Ebene geografisch verteilt ist.

Des Weiteren muss ein Standardmechanismus zur Unterstützung des "Request to Pay" definiert werden, um es den unterschiedlichen Ökosystemen zu ermöglichen, den größten Teil des P2B-Zahlungsszenarios, so wie es gegenwärtig in den meisten bestehenden nationalen P2X-Lösungen zur Verfügung steht, zu unterstützen.

Cristina Astore, Director, North Western Europe Region Sia Group, Mailand
Cristina Astore , Director, North Western Europe Region, Sia Group, Mailand

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