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"In diesem Jahr muss sehr viel erreicht werden" / Interview mit Martina Weimert

Martina Weimert, Foto: EPI

Für das europäische Payment Scheme, das die European Payment Initiative EPI entwickelt, wird es in diesem Jahr Ernst: Im Herbst werden die Aktionäre darüber entscheiden müssen, ob sie den Marktstart wollen und dafür noch einmal tief in die Tasche greifen. Martina Weimert ist jedoch zuversichtlich, dass der Marktstart mit einem P2P-Produkt im kommenden Jahr kommt - schließlich seien die Rahmenbedingungen heute ganz anders als etwa bei Monnet. Fünf Jahre könnte es dann mindestens dauern, bis die EPI-Zahlungslösungen auch außerhalb Europas akzeptiert werden, so Weimert. Anfragen unter anderem aus den USA und China gebe es jedoch bereits heute. Red.

Ist die European Payment Initiative zum Erfolg verdammt?

Für den europäischen Zahlungsverkehr wäre es dringend notwendig, dass EPI gelingt und Europa wieder Fuß fasst. Denn während die Konkurrenz bereits sehr weit fortgeschritten ist, haben wir bis heute, was die Zahlungen im Handel angeht, auf europäischer Ebene nichts Eigenes vorzuweisen.

So geraten wir jedes Jahr mehr in die Abhängigkeit von anderen Lösungen. Waren es zunächst nur die Karten, sind es jetzt auch die Wallets und andere Zahlungsdienstleistungen wie Finanzierung. Weil dieser Prozess immer weiter voranschreitet, wäre es schon wichtig, dass die European Payment Initiative ein Erfolg wird.

EPI ist nicht der erste Versuch, ein europäisches Payment Scheme zu etablieren. Was ist heute anders als bei früheren Versuchen wie Monnet und berechtigt zur Hoffnung auf mehr Erfolg?

Das Bewusstsein aller Marktbeteiligten ist heute viel größer, weil die Konkurrenz viel schärfer geworden ist. Die Banken spüren inzwischen sehr deutlich, was es heißt, den Zahlungsverkehr nicht mehr in der Hand zu haben. Deshalb sind die Rahmenbedingungen heute ganz anders.

Der Regulator ist bereit, auf gewisse Notwendigkeiten - vor allem, was das Geschäftsmodell betrifft - einzugehen, anstatt Dogmen zu definieren, die wirtschaftlich schlicht nicht tragbar sind. Das ist ein großer Paradigmenwechsel. Die Banken haben verstanden: jetzt oder nie und bringen eine größere Bereitschaft mit, sich mit dem restlichen Ökosystem zu einigen.

So haben wir derzeit einen intensiven Austausch mit dem Handel und haben auch die beiden größten europäischen Acquirer als Aktionäre mit an Bord. Das gab es bei Monnet alles nicht.

Und nicht zuletzt gibt es heute viel mehr Opportunitäten. Beispielsweise sehe ich Instant Payments als eine große Chance. Wir haben inzwischen auch viel mehr neue Technologien zur Verfügung und das Bewusstsein der Bevölkerung für digitale Lösungen ist sehr viel ausgeprägter. Das heißt: Man hat heute viel mehr Möglichkeiten, etwas Neues im Markt zu positionieren.

Insofern gibt es einige Faktoren, die heute anders sind als bei Monnet. Das hat auch dazu geführt, dass wir diesmal andere Banken dabei haben. Bei Monnet waren zum Beispiel die deutschen Sparkassen und die niederländischen Banken nicht dabei. Insofern ist die Ausgangssituation heute schon eine andere.

Reicht die Anzahl und Marktmacht der Banken und Bankengruppen, die jetzt dabei sind, aus, um EPI zu einem echten europäischen Scheme zu machen?

Ich würde sagen, ja. Die Beteiligten stellen schon eine kritische Masse dar. Es sind Mitglieder der großen nationalen Schemes mit dabei. Das Volumen, das hinter den beteiligten Banken und Acquirern steht, ermöglicht Zugang zu mehr als 60 Prozent der Kartentransaktionen, die im Moment in Europa durchgeführt werden. Das ist eine wichtige Ausgangsbasis dafür, dem Rest des Marktes mit einer gewichtigen Position gegenüberzutreten und Händler von einer neuen Lösung überzeugen zu können. Denn Händler fragen zunächst immer, wie viele potenzielle Kunden hinter einer solchen neuen Lösung stehen. Deshalb ist es wichtig, dass EPI hohe Volumina mit sich bringt. Nur so können wir schnell gegenüber dem Wettbewerb aufholen.

Kann die Beteiligung der großen Payment-Dienstleister dabei helfen, schnell zur nötigen Akzeptanz im Handel zu kommen?

Absolut. Die Acquirer können Input dazu liefern, was der Handel braucht und wie die Lösung am besten aufgesetzt werden sollte. Und schließlich können sie die Lösung auf der Handelsseite unterstützen und anbieten.

Ein neues Scheme nur von der Emittentenseite zu sehen, wäre sicher ein grober Fehler. Deshalb sind wir sehr froh darüber, dass wir nicht nur die Bank-Acquirer, die es in Europa ja durchaus noch gibt, sondern auch die beiden größten Dienstleister am Markt mit an Bord haben. Das bringt eine weitere, gewichtige Erfolgskomponente mit hinein. Denn so können wir das gesamte Zahlungsverkehrs-Ökosystem besser abdecken.

Warum haben Sie eine Art Aufnahmestopp verkündet?

Im Juli 2020 haben wir publik gemacht, dass wir für neue Partner offen sind. Daraufhin hat sich auch eine ganze Reihe von Interessenten gemeldet und wir haben einige aufgenommen. Diesen Prozess, der jedes Mal sehr langwierig ist, können wir jedoch im Moment nicht unendlich fortsetzen. Schließlich ist jeder Partner anders im Blick auf seine spezifische Situation und mögliche Volumina. Auch muss immer geprüft werden, ob die potenziellen Kandidaten Einzelaktionäre werden wollen oder - wie die kleinen spanischen Banken - als Konsortium auftreten. All diese Fragestellungen bringen es mit sich, dass man viel Zeit mit den neuen Aktionären verbringt, um sie auf das gleiche Niveau mit den anderen zu bringen.

Anstatt diese Integrationsarbeiten weiter fortzuführen, brauchen wir jetzt mehr Fokus auf die Implementierung. Schließlich müssen wir liefern. Deshalb haben wir jetzt erst einmal eine Aufnahmepause angesetzt. Wir haben jetzt auch eine repräsentative Gruppe von Aktionären, mit großen und kleinen Banken aus Euro-Ländern und Nicht-Euro-Märkten. Deshalb können wir auch auf die Belange anderer Märkte leichter eingehen, wollen uns aber erst einmal auf die Lösung selbst fokussieren.

Wenn wir hier Ende des Jahres weit genug fortgeschritten sind, kann man - bevor wir an den Markt gehen - wieder andere Partner aufnehmen. Insofern handelt es sich nur um eine Pause, bevor wir dann Ende des Jahres wieder weitere Aktionäre oder auch ein fache Mitglieder aufnehmen werden.

Inwieweit können Sie auf bereits Erreichtes im Bereich Standardisierung aufbauen? Und wo müssen Sie echtes Neuland betreten?

Wir haben bereits die wahrscheinliche Wahl unseres europäischen Standards bekanntgegeben, aber wir müssen diesen in Zukunft weiterentwickeln. Des Weiteren bauen wir auf das Rulebook SCT Inst. auf. Doch auch das reicht bei Weitem nicht aus, um die Lösung in den Handel zu bringen.

Im Grunde müssen wir ein ergänzendes Rulebook oben drauf setzen und es mit dem bestehenden kombinieren, um funktionierende Transaktionen im Handel zu haben. Denn das bestehende Rulebook regelt nur den Interbankenverkehr, bezieht aber nicht den Handel oder dessen Kunden ein. Hier besteht einiges an Regelungsbedarf. Das heißt: Wir können einiges im Markt nutzen, müssen aber auch viel neu dazu bauen.

In Deutschland treibt die Deutsche Kreditwirtschaft die Zusammenführung der Bezahlverfahren kräftig voran. Inwieweit ist das mit EPI abgestimmt?

Beide Entwicklungen sind nicht inkompatibel. Die Vereinfachung und Zusammenführung bestehender deutscher Assets wird der Migration zu EPI sicherlich zunutze kommen. Falls es - entgegen jeder Annahme - dazu kommen sollte, dass EPI kein Erfolg wird oder letztlich nicht an den Start geht, hat die deutsche Kreditwirtschaft doch Schritte nach vorn getan und sich im Wettbewerb besser positioniert. Insofern kann man das sicher als komplementäre Arbeiten sehen.

Mit Ihnen und Herrn Schmalzl vom DSGV sind gleich zwei Führungspositionen mit Deutschen besetzt. Inwieweit hat das Auswirkungen auf die Entwicklung des neuen Schemes - sei es, dass deutsche Standards zur Basis werden oder umgekehrt gerade keine Rolle spielen, damit es letztlich nicht heißt, die deutsche Seite hätte ihre Interessen durchgedrückt?

Ich bin zwar Deutsche, lebe aber schon seit langem in Frankreich und verstehe mich im Grunde als Europäerin. Ich bin teilweise in Spanien aufgewachsen und habe in London, Rom und Brüssel gelebt. Deshalb habe ich nicht das Gefühl, nur eine Vertreterin des deutschen Marktes zu sein. Dann wäre ich sicher auch nicht gewählt worden, weil in der Tat zwei Deutsche zu viel für eine europäische Lösung wären. Insofern ist es zwar richtig, dass mit Herrn Schmalzl und mir zwei Deutsche in Führungspositionen sind; es wäre aber falsch zu sagen, dass es sich um zwei deutsche Marktvertreter handelt.

Was soll EPI in diesem Jahr noch erreichen?

In diesem Jahr muss sehr viel erreicht werden. 2021 muss alles für den Marktlaunch vorbereitet werden. Das bedeutet, dass wir eine ganze Liste von Arbeiten vorlegen müssen. Auf der technischen Seite geht es dabei um Teile des Systems und die Plattform, auf der anderen Seite sind sowohl die Produkte als auch die Prozesse, Customer Experience und das Scheme Rulebook. Insofern läuft eine Menge von Arbeiten parallel, um diese den Aktionären zur Entscheidung vorzustellen.

Im Herbst steht dann die definitive Entscheidung der Aktionäre darüber an, ob sie mit EPI an den Markt gehen wollen oder nicht. Dann muss noch einmal viel Geld in die Hand genommen werden, um das Scheme in den Markt zu bringen. Deshalb müssen wir alles vorlegen, damit die Aktionäre sicher sein können, dass der Marktstart Sinn macht.

Welche Investitionen wird der Marktstart im kommenden Jahr in etwa erfordern?

Das kommunizieren wir nicht. Es geht jedoch um mehrere Milliarden Euro.

Ist es angesichts des Handlungsdrucks und der geleisteten Vorarbeiten überhaupt ein realistisches Szenario, dass die Aktionäre im Herbst die Reißleine ziehen und EPI stoppen?

So etwas könnte immer passieren. Natürlich haben sich die Aktionäre bei den Schritten, bei denen wir bereits vorangekommen sind, auch dazu positioniert, zu was sie bereit sind. Aber die letztendliche Entscheidung darüber, an den Markt zu gehen und dafür noch einmal tief in die Tasche zu greifen, steht noch aus.

Nicht umsonst besteht bisher erst eine Interim Company und noch nicht das, was wir die Target Holding Company nennen, nämlich die, die dann die endliche Lösung an den Markt bringen soll. Insofern steht tatsächlich noch ein offizieller Schritt aus. Und da es verschiedene Befindlichkeiten der verschiedenen Märkte gibt, könnte es dazu kommen, dass letztendlich die Entscheidung nicht zugunsten eines Marktstarts gefällt wird. Natürlich halte ich das nicht für wahrscheinlich, aber ganz ausschließen kann man es nicht.

Warum soll gerade eine P2P-Anwendung das erste Produkt sein, mit dem EPI an den Markt gehen will? P2P-Transaktionen machen ja nicht die große Masse aller Zahlungen aus.

Das ist vollkommen richtig. Allerdings hat sich bei anderen Lösungen gezeigt, dass P2P eine gute Art ist, um in den Markt einzutreten und die Kunden in breiter Masse angenehm zu überzeugen. Sie können kleine Transaktionen tätigen und diese direkt sehen und so Erfahrungen mit der Lösung sammeln, ohne sich dazu im Handel exponieren zu müssen. Kunden wollen die Sicherheit haben, dass eine Lösung funktioniert. Erst dann werden sie bereit sein, auch für ihre Zahlungen im Handel auf diese Lösung umzuschwenken. Das gelingt nicht von heute auf morgen, sondern muss sukzessive erreicht werden. Hier ist P2P als erster Schritt ein sehr erfolgreicher.

Ein Beispiel ist Swish in Schweden. Das System kam überhaupt nur deshalb in den Handel, weil es im P2P-Bereich so erfolgreich war und deshalb Nachfrage im Handel entstand. Das ist eine ganz andere Position, als wenn man vom Stand weg den Handel von einer neuen Lösung überzeugen will und den Erfolg nur versprechen kann. Insofern spricht vieles dafür, mit P2P anzufangen.

Wie schnell müssen oder dürfen nach dem Start im P2P-Bereich weitere Anwendungen folgen?

Sehr theoretisch könnte man sich mehr Zeit lassen. Wir haben jedoch vor, erst P2P an den Markt zu bringen und dann, etwa sechs Monate später, die Bezahllösungen für den stationären Handel und den E-Commerce. Die Lösung wird dann sukzessive ausgebaut werden und stetig sollen neue Dienstleistungen hinzugefügt werden.

Wichtig ist, dass ein europäischer Kunde, der reist, mit seiner Lösung überall bezahlen kann, wo EPI akzeptiert wird und keine anderen Funktionsweisen oder Prozesse vorfindet als diejenigen, aus seinem Heimatmarkt kennt.

Wird zum Marktstart auch die neue Marke stehen?

Ja, absolut. Die Visibilität ist enorm wichtig. Denn wir verstehen EPI eben nicht nur als Koordination von bestehenden Assets und Marken, sondern als neuen Marktansatz und eigenes Produkt, das sich von allen bisherigen unterscheidet, weil es unter einer Marke zwei ganz unterschiedliche Produkte vereint (einerseits die Karte, andererseits SCT Inst.) und in allen Use Cases - P2P, E- und M-Commerce, stationärer PoS und Bargeldabhebungen - zum Einsatz kommen soll. Dieses neue Universum wollen wir am Markt positionieren und verständlich machen. Deshalb ist es wichtig, dies direkt mit einer neuen Marke zu verbinden. Für die Positionierung im Markt und das Verständnis beim Kunden ist die neue Marke extrem wichtig.

Die Idee der European Payment Initiative ist es ja, den Bigtechs und anderen neuen Wettbewerbern ein europäisches Konzept entgegenzusetzen, das den Wettbewerb auf Augenhöhe aufnehmen kann. Wird EPI in fünf Jahren so weit sein, dass man auch außerhalb Europas nicht mehr daran vorbei kommt?

Ich denke schon. Wenn der europäische Markt mit den großen teilnehmenden Ländern damit ausgestattet sein wird, kann man sich auch auf die internationale Akzeptanz konzentrieren. Schon jetzt sehen wir viele Anfragen großer internationaler Händler, aber auch von anderen internationalen Lösungen, die gern mit EPI zusammenarbeiten würden, um gegenseitige Akzeptanz darzustellen. Solche Anfragen kommen sowohl aus den USA als auch von chinesischen, indischen, australischen, kanadischen Playern.

Von daher könnten wir von vornherein auf internationale Akzeptanz setzen. Zunächst ist es jedoch erst einmal notwendig zu beweisen, dass wir in Europa Fuß fassen und uns etablieren. Danach ist es sinnvoll, sich auf die internationale Seite zu fokussieren. Im Payment sind zehn Jahre ein realistischer Zeitraum zur echten Etablierung einer Marke, wenn man beispielsweise Paypal oder kontaktloses Bezahlen anschaut, auch wenn man im digitalen Zeitalter darauf hoffen kann, dass es schneller gehen wird, wie Apple Pay zeigt.

Zehn Jahre haben Sie aber sicher nicht mehr?

Das ist absolut richtig. Dadurch, dass EPI potenziell mit einer sehr großen Masse an Transaktionen auftreten kann, könnte es tatsächlich schneller gehen. Fünf Jahre werden aber sicher erforderlich sein, um auf die internationale Ebene überzugehen.

Das funktioniert aber auch nur, wenn zumindest alle beteiligten Märkte komplett auf EPI migrieren?

Das muss jede Bank, die heute an einer nationalen Lösung beteiligt ist, selbst entscheiden. Wir als Unternehmen von EPI können und wollen das nicht entscheiden. Natürlich macht es ökonomisch gesehen keinen Sinn für die teilnehmenden Akteure, zwei verschiedene Lösungen, nämlich eine nationale und eine europäische, parallel laufen zu lassen. Es wäre dem Kunden sicher auch schwer verständlich zu machen.

Für einen gewissen Zeitraum werden wir jedoch sicher zwei Lösungen brauchen. Da wir nicht mit dem Zauberstab auf EPI umstellen können, wird eine Migrationsphase erforderlich sein, in der man beide Marken und beide Systeme hat, um dann sicher überzuwechseln. Realistischerweise sollte man einen sukzessiven Transfer ansteuern. Wie stark die Aktionäre die Migration forcieren wollen und wie viel Zeit sie dafür brauchen, wird sicher ein Stück weit marktabhängig sein. Niemand will ja heutige Kunden verlieren.

Deshalb ist es wichtig, dass sich jeder Markt seine eigenen Migrationsphasen und -pfade zurechtlegt. Wir unterstützen das. Letztlich hängt es jedoch von den Trägern der jeweiligen nationalen Lösungen ab, wie sie die Migration durchführen wollen.

Martina Weimert, CEO, EPI interim company SE, Brüssel
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