Proportionalität in Regulierung und Aufsicht am Beispiel des Schweizer Kleinbankensystems

Prof. Dr. Christiane Weiland, Foto: Ch. Weiland

Nicht nur in Deutschland wird der Ruf lauter, kleinere Banken nicht ganz so streng zu regulieren. In Europa wurde mit CRR2 dieses Jahr die Grundlage für mehr Proportionalität in der Regulierung geschaffen, indem eine kleine und nicht komplexe Bank definiert wurde. Um beurteilen zu können, ob dieser maßgeblich größenbezogene Ansatz hinreichend ist und welche Entlastungen für kleinere Banken daran anknüpfen können, hat die Autorin das Schweizer Kleinbankenregime analysiert, das zusätzlich unter anderem eine starke Kapitalisierung fordert. Aus Risikosicht erscheint der Autorin das Schweizer Kleinbankensystem unkritisch, allerdings kommt sie zu dem Schluss, dass die Erleichterungen materiell nicht vollständig greifen. (Red.)

Der Ruf nach einer Verstärkung der Proportionalität in der Bankenregulierung ertönt zurzeit nicht nur aus deutscher, sondern auch aus internationaler Perspektive.1) Auf europäischer Ebene wurde 2019 mit der Verabschiedung der CRR2 nun die Grundlage für eine weitergehende Ausgestaltung proportionaler Regulierungsanforderungen geschaffen. Es erfolgte die Definition einer kleinen und nicht komplexen Bank. Neben weiteren Kriterien darf deren Bilanzsumme eine Schwelle von 5 Milliarden Euro nicht übersteigen. Der Zeitpunkt vor Umsetzung der finalisierten Basel-III-Regelungen ist günstig, denn dadurch könnte für kleinere Banken eventuell die Umsetzung von neuen, komplexen Anforderungen vermieden werden.

Die Frage ist, ob diese maßgeblich größenbezogene Schwelle als Ansatzpunkt für die risikosensitive Schaffung von Erleichterungen ausreichend ist und welche konkreten Regelungen für nachhaltige Entlastung hieran anknüpfen können. Welche Inputs können andere Regulierungssysteme außerhalb der EU bieten? Das Schweizer Kleinbankenregime geht hinsichtlich der Eintrittskriterien deutlich weiter, indem es zusätzlich zum reinen Größenbezug eine starke Kapitalisierung und Liquidität der Institute fordert. Beim Erfüllen der Voraussetzungen können Banken bis zu einer Bilanzsumme von 15 Milliarden Schweizer Franken dafür optieren. Im Folgenden sollen insbesondere die Eintrittsvoraussetzungen des Schweizer Kleinbankenregimes und daran ansetzende Entlastungen für kleine Banken dargestellt werden. Eine mögliche Anwendbarkeit in Deutschland wurde für eine Auswahl von regionalen Kreditinstituten unter Berücksichtigung der Leverage Ratio untersucht.

Verstärkte Bedeutung der Proportionalität

Bereits seit der Verabschiedung von Basel I im Jahr 1988, aber insbesondere in den vergangenen zehn Jahren, wurde die Regulierung und Aufsicht über Kreditinstitute intensiviert und international vereinheitlicht. Die Intention, das Finanzsystem stabiler zu machen, findet ihren Niederschlag unter anderem in einer insgesamt deutlich gestiegenen Eigenmittelausstattung der Institute. So liegen die Kernkapitalquoten der deutschen Banken per 30. Juni 2018 im Mittel bei 15,6 Prozent.2) Neben gestiegenen Kapital- und neuen Liquiditätsanforderungen werden Banken und Sparkassen auch im Bereich Meldewesen durch veränderte Anforderungen im Bereich Risikomanagement und durch eine veränderte Aufsichtspraxis gefordert. Vor allem die gestiegene Komplexität der Regulierung hat zu einer deutlichen Zunahme der Kosten geführt. Studien beziffern die jährlichen direkten Regulierungskosten für deutsche Banken auf 2 bis 3 Milliarden Euro.3)

Die gestiegenen Kosten der Regulierung verschärfen ein Spannungsfeld, das durch die auf verschiedenen Ebenen ansetzende Intention der Wettbewerbsgerechtigkeit entsteht: Basel fordert gleiche Standards für große, international tätige Institute, die miteinander im Wettbewerb stehen.4) Diese Standards werden auf europäischer Ebene im Rahmen des Single Rule Book für alle in Europa ansässigen Banken umgesetzt. Hierbei müssen sowohl gerechte Wettbewerbsbedingungen für die europäischen Kreditinstitute hergestellt werden als auch eine Differenzierung der Regulierung und Aufsicht nach dem Grundsatz der Proportionalität erfolgen.

Reduzierung von Komplexität als sinnvoller Ansatz

Das Gebot der Verhältnismäßigkeit gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz und ist in Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU verankert. Der juristische Imperativ der Verhältnismäßigkeit wird über die ökonomische Begründung für die Regulierung des Finanzwesens komplementiert. Letztere setzt unter anderem an der Internalisierung externer Kosten an, die durch Bankinsolvenzen oder Probleme des gesamten Bankensystems entstehen. Da die Externalitäten in Abhängigkeit des Risikoprofils der Bank variieren, ergibt sich für Regulierung und Aufsicht der Auftrag der proportionalen Ausgestaltung: Das Regime muss so ausgestaltet sein, dass verschiedene Risikoprofile, die sich in Abhängigkeit der Geschäftsmodelle ergeben, wie auch eine unterschiedliche systemische Bedeutung, entsprechend berücksichtigt werden.5)

Obwohl die Begründung und Intention für eine entsprechende Vorgehensweise wenig umstritten ist, gestaltet sich die Umsetzung nicht ganz einfach. Es geht darum, konkrete, nachhaltige Erleichterungen für kleinere Institute zu schaffen, die weder die Finanzstabilität noch die Wettbewerbsgerechtigkeit beeinträchtigen. Für die Umsetzung von Proportionalität müssen daher zwei Fragen beantwortet werden: Wie ist der Kreis der Institute zu definieren, die Entlastungen in Anspruch nehmen können? Und welche konkreten, unter dem Blickwinkel der Proportionalität differenzierenden Maßnahmen sollen implementiert werden?

Proportionale Ansätze im internationalen Vergleich

Ansatzpunkte für die zweite Fragestellung ergeben sich vor allem dort, wo internationale Standards eine hohe Komplexität aufweisen. Kleinere Institute müssen hier durch fehlende Skaleneffekte überproportional hohe Compliance-Kosten tragen, die häufig nicht im Verhältnis zum entsprechenden Risiko stehen.

In Deutschland wird das Proportionalitätsprinzip maßgeblich in Säule II im Supervisory Review and Evaluation Process (SREP) umgesetzt. Durch dessen proportionale Ausgestaltung wird der Prozess für kleinere Institute beispielsweise nur alle zwei bis drei Jahre durchgeführt. Verhältnismäßigkeit wird auch in den anderen beiden Säulen adressiert: Beispiele finden sich im Bereich Meldewesen durch größenbezogene Abstufungen in der CRR, bei der Unterscheidung von Handelsbuch- und Nichthandelsbuch-Instituten für die Eigenmittelunterlegung von Marktpreisrisiken und durch die bestehende Möglichkeit, Standardansätze für beispielsweise die Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken zu nutzen.6)

International ergibt sich ein differenziertes Bild. In Studien des Financial Stability Board und des Basel Committee on Banking Supervision BCBS wurde die Anwendung proportionaler Regulierungs- und Aufsichtsansätze sowohl innerhalb der Jurisdiktionen, die die Baseler Standards implementiert haben, als auch außerhalb erhoben.7) Von den BCBS-Jurisdiktionen geben fast 90 Prozent der Teilnehmer an, Proportionalität in der Ausgestaltung zu berücksichtigen. Das heißt beispielsweise, dass nur ein Teil der Banken dem vollen Umfang der Baseler Standards unterstellt wird, während andere einem modifizierten Rahmenwerk oder nationalen Regimes unterliegen.8)

Aktuell werden vor allem im Bereich der Aufsicht differenzierende Ansätze verfolgt. 88 Prozent der BCBS-Jurisdiktionen geben an, in diesem Bereich - vor allem bei der Intensität bankgeschäftlicher Prüfungen (83 Prozent) - am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientiert vorzugehen. Bei der Gestaltung regulatorischer Anforderungen wird in 80 Prozent der Jurisdiktionen das Proportionalitätsprinzip berücksichtigt. Der Schwerpunkt liegt hier im Bereich Offenlegung und Meldewesen. Von diesen Prozentsätzen darf sicherlich nicht auf eine entsprechend umfassende proportionale Ausgestaltung der Aufsichtsregime geschlossen werden. Das Ausmaß, in dem das Verhältnismäßigkeitsprinzip in den jeweiligen Anforderungen berücksichtigt wird, ist in diesen Angaben nicht berücksichtigt.

Vor Festlegung konkreter Erleichterungen müssen in einem ersten Schritt Anwendungsbereiche für proportional differenzierende Anforderungen bestimmt werden. In der Regel werden (absolute und relative) Bilanzgrößen, das Geschäftsmodell und weitere Parameter als Kriterien verwendet, die um eine Einschätzung vonseiten der Aufsicht ergänzt werden.9) Abbildung 1 zeigt die Verwendung der verschiedenen Kriterien durch die in der Umfrage teilnehmenden Jurisdiktionen.

Basierend auf diesen Kriterien können (idealtypisch) grundsätzlich zwei verschiedene Ansätze verfolgt werden.10) Zum einen können Bereichsausnahmen geschaffen werden, indem jeweils Voraussetzungen für Ausnahmen von der Anwendung spezifischer Regelungen definiert werden. Beispiele dafür finden sich in europäischen Regelungen wie auch in den USA und Hongkong. Kleinere Institute können davon profitieren, von bestimmten komplexen Standards ausgenommen zu werden, die mit dem Blickwinkel auf große Institute und deren entsprechendem Risikoprofil auf internationaler Ebene entwickelt wurden. Aus Sicht der Aufsicht kann Proportionalität dadurch sehr individuell und differenziert adressiert werden. Es verbleibt jedoch ein komplexes Regelungswerk, mit dem sich auch kleinere Institute grundsätzlich auseinandersetzen müssen, um die Notwendigkeit der Compliance mit einzelnen Regelungen zu beurteilen.

Proportionalität 2.0 im Schweizer Kleinbankenregime

Alternativ können bestimmte Segmentierungen innerhalb des Bankensystems vorgenommen werden, die dazu dienen, bestimmte Kategorien von Kreditinstituten einem separaten Regime zu unter stellen. Entsprechende Ansätze bestehen in der Schweiz und in Brasilien (mit einer Klassifizierung der Institute in jeweils fünf Kategorien) sowie in Japan, wo zwei Kategorien definiert sind. Eine eventuell entstehende Komplexität der Klassifizierung bietet in der Regulierungspraxis den Vorteil, dass kleinere Institute sich nur auf das Erfüllen der Anforderungen aus einem für sie geschaffenen, wenig komplexen Regime konzentrieren müssen. Der Ansatz des Schweizer Kleinbankenregimes kann als ein Prototyp für diese Vorgehensweise betrachtet werden und soll im Folgenden näher betrachtet werden.

Bereits seit 2011 werden die Schweizer Kreditinstitute, Vermögensverwalter und Versicherungen hinsichtlich ihres Risikoprofils in fünf aufsichtliche Kategorien eingeteilt.11) Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht Finma orientiert sich hierbei an vier Kennzahlen: Bilanzsumme, Volumen des verwalteten Vermögens, privilegierte Einlagen (das heißt Einlagen, die bis zu einer Höhe von 100 000 Schweizer Franken der Einlagensicherung unterliegen), Höhe der Eigenmittelanforderung und ergänzt diese durch eine qualitative Einschätzung vonseiten der Aufsicht, das sogenannte "Institutsrating". Von den 300 Schweizer Banken und Effektenhändlern fallen über 85 Prozent in die Kategorien 4 und 5.12) Im Juli 2018 wurde eine Pilotphase zum Test eines von den Banken freiwillig zu wählenden Kleinbankenregimes begonnen. Ziel ist, stark kapitalisierte und liquide Kleinbanken weitreichend von der Erfüllung bestimmter Kennzahlen aus internationalen Standards zu befreien beziehungsweise deren vereinfachte Berechnung zu ermöglichen. Für das Kleinbankenregime können Banken der Kategorie 4 und 5 optieren, bei denen einfache Kapital- und Liquiditätserfordernisse (stark) übererfüllt werden. Umgesetzt werden soll das Regime durch Novellierungen der Eigenmittelverordnung und verschiedener Rundschreiben der Finma.

Um Risiken für die Finanzstabilität auszuschließen, können nur solche Banken der Kategorie vier und fünf für das Kleinbankenregime optieren, die bestimmte Eintrittskriterien hinsichtlich Kapitalisierung und Liquidität erfüllen. Abbildung 3 zeigt die einzuhaltenden Kriterien in der bis Juli dieses Jahres konsultierten Novelle der Schweizer Eigenmittelverordnung, die zum 1. Januar 2020 in Kraft treten soll.

Ein maßgebliches Eintrittskriterium ist eine vereinfacht berechnete Leverage Ratio. Diese muss bei Kategorie-5-Instituten über 8 Prozent liegen. Für Kategorie-4-Institute wurde sie im Laufe der Pilotierung auf 9 Prozent angehoben. Weiterhin wird hinsichtlich der Liquiditätsanforderungen die dauerhafte Einhaltung einer Liquidity Coverage Ratio LCR von über 120 Prozent gefordert. Statt einer NSFR (Net Stable Funding Ratio) ist ein sogenannter einfacher Refinanzierungsgrad zu berechnen, der über 100 Prozent liegen muss. Hierbei wird die Summe aus Verbindlichkeiten gegenüber Kunden, Kassenobligationen, Anleihen und Pfandbriefdarlehen mit einer Restlaufzeit über 1 Jahr sowie Eigenmitteln in Relation zu den Forderungen gegenüber Kunden gesetzt. Neben diesen drei quantitativen Kriterien soll ein Vetorecht seitens der Aufsicht bei konkreten Anhaltspunkten für erhöhte Verhaltens- oder Zinsrisiken bestehen.13)

Die kleineren Banken der Kategorien 4 und 5 profitieren bereits von Erleichterungen beispielsweise in den Bereichen Eigenmittelunterlegung von Marktrisiken, Liquiditätskennzahlen und Offenlegungspflichten. 14) Für am Kleinbankensystem teilnehmende Institute soll es darüber hinausgehende Erleichterungen geben, die ebenfalls in Abbildung 3 ersichtlich sind. Ein Beispiel ist der komplette Entfall der RWA-Ermittlung seitens der Institute. Die Aufsicht ermittelt aus den ohnehin zu übermittelnden Bilanzwerten eine vereinfachte Kapitalquote, die sich nur aus aggregierten Unterpositionen zusammensetzt. Hierfür werden Angaben aus dem von den Instituten einzureichenden Aufsichtsreporting verwendet. Weiterhin erfolgt nur noch eine vereinfachte Ermittlung der Leverage Ratio und anstelle der ist ein einfacher Refinanzierungsgrad zu berechnen.

Zum anderen greifen verschiedene qualitative Erleichterungen wie vereinfachte Anforderungen hinsichtlich Kapital- und Liquiditätsplanung und bei der Ausgestaltung der Corporate Governance sowie dem Risikomanagement von operationellen Risiken und Outsourcing. Die Offenlegung der Institute wird auf Key Metrics beschränkt.

Und wenn wir Schweizer wären?

Die Frage ist, ob das Schweizer Kleinbankenregime eine für einen greifbaren Anteil der europäischen Institute darstellbare Anforderung wäre. Betrachtet man die Kapitalisierung als maßgebliches Kriterium, so wäre eine anfänglich im Pilot geforderte Leverage Ratio von 8 Prozent für rund ein Viertel der Banken darstellbar: Gemäß einer Erhebung der EBA unter 190 europäischen Instituten unterscheiden sich die Mittelwerte der Verschuldungsquoten in den verschiedenen Ländern deutlich. Insgesamt lag der Median der Leverage Ratio Ende 2018 bei 5,5 Prozent. 25 Prozent der Institute wiesen eine Leverage Ratio von 7,8 Prozent oder höher auf.15) Unabhängig von weiteren Differenzierungen wie der Institutsgröße könnte somit knapp ein Viertel der Institute eine geforderte Höhe von 8 Prozent erfüllen. Differenziert man nach Größen, so weisen europäische kleinere (Gruppe 2) Institute im Mittelwert eine höhere Leverage Ratio als Gruppe-1-Institute auf.16)

Diese Relation gilt auch für Deutschland. Im Mittel weisen deutsche Banken nach Vollumsetzung von Basel III eine Leverage Ratio von 4,5 Prozent, Gruppe-2-Institute von 6,2 Prozent auf.17) 25 Prozent der deutschen Gruppe-2-Institute weisen eine Leverage Ratio von über 8 Prozent auf.18) Die im Rahmen der Pilotierung vorgenommene Anhebung der Leverage-Ratio-Anforderung auf 9 Prozent für Banken der Kategorie 4 mit einer Bilanzsumme von über 1 Milliarde Schweizer Franken reduziert den Anwendungsbereich.

Für eine Auswahl aus regionalen Banken in Deutschland wurden das Erfüllen der Leverage-Anforderung und die Auswirkungen der vereinfachten Ermittlung untersucht. In der nicht repräsentativen Auswahl wurden 29 genossenschaftliche Institute, Sparkassen und eine private Bank auf Basis der Offenlegungsberichte nach CRR per 31. Dezember 2017 berücksichtigt. Abbildung 4 zeigt auf der linken Seite, dass alle 29 Institute auf Grundlage der Bilanzsumme den Schweizer Aufsichtskategorien 4 und 5 zuzuordnen wären. 24 Institute mit einer Bilanzsumme von maximal 5 Milliarden Euro würden im neu geschaffenen potenziellen Anwendungsbereich der "kleinen und nicht komplexen Bank" der CRR2 liegen. Die rechte Seite von Abbildung 4 zeigt die zusätzliche Berücksichtigung der Kapitalisierungsanforderung. Kategorie-5-Institute müssen eine Leverage Ratio von über 8 Prozent aufweisen. Für Kategorie-4-Institute wurde die Anforderung im Rahmen des Pilots auf über 9 Prozent angehoben. Bei klassischer Berechnung der Leverage Ratio würden somit 5 von 29 Instituten (17,2 Prozent) das entsprechende Eintrittskriterium erfüllen.

Freud und Leid der vereinfachten Ermittlung von Kennzahlen

Die Leverage Ratio wurde in BCBS 189 ursprünglich als ungewichtete Eigenmittelanforderung entwickelt. Abbildung 5 zeigt links, wie durch Novellierungen der Basler Standards in den Jahren 2014 und 2017 die Komplexität der Berechnung gestiegen ist. Das Schweizer Kleinbankenregime legt daher bewusst eine vereinfachte Ermittlung der Leverage Ratio zugrunde. Der Zähler ist identisch mit der klassischen Ermittlung, im Nenner ergeben sich Unterschiede vor allem hinsichtlich der Anrechnung von außerbilanziellen Aktiva. Letztere werden bei der klassischen Berechnung der Leverage Ratio aktuell mit den Konversionsfaktoren des KSA (Kreditrisikostandardansatz) angerechnet. (Die Basel-III-Finalisierung sieht zukünftig eine teilweise davon abweichende Anrechnung vor.) In der vereinfachten Leverage Ratio erfolgt die Berücksichtigung der außerbilanziellen Aktiva hingegen zum Nominalwert.

In der Konsequenz führt die vereinfachte Berechnung durch die höhere Anrechnung der außerbilanziellen Aktiva allerdings zu einem geringeren Ausweis. Die rechte Seite von Abbildung 5 zeigt die durchschnittliche Struktur der Gesamtrisikomesspositionsgröße der in der Auswahl berücksichtigten Institute in der Bruttobetrachtung. Die Anpassung für außerbilanzielle Positionen, die in der klassischen Berechnung die Gesamtrisikomesspositionsgröße reduziert, beträgt im Mittel 10,39 Prozent. Diese entfällt in der vereinfachten Berechnung. Bei den in der Untersuchung berücksichtigten Instituten sinkt die Leverage Ratio daher im Mittel um 0,7 Prozentpunkte.

Ähnliche Auswirkungen ergeben sich für die vereinfachte Kapitalquote, die durch die Aufsicht nach Entfall der RWA-Ermittlung berechnet wird. Im aktuellen Schweizer Entwurf werden alle außerbilanziellen Aktiva pauschal zu 100 Prozent gewichtet, Kundenforderungen pauschal ebenfalls zu 100 Prozent.19) Hierdurch könnte sich wie bei der vereinfachten Leverage Ratio ein geringerer Ausweis der Kapitalquote ergeben.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese - nur im internen Aufsichtskontext verwendete - Kapitalquote eine Relevanz aufweist. Bei Instituten ohne Kapitalmarktaktivitäten könnte der Effekt überwiegen, dass die Zugehörigkeit zum "exklusiven Club" der stark kapitalisierten und liquiden Banken des Schweizer Kleinbankenregimes eine positive Außenwirkung entfaltet.

Die Erleichterungen im Bereich Kapitalquote stiften jedoch nur den Instituten einen Nutzen, die die klassische Kapitalquote nicht aus eigenem Interesse weiter berechnen möchten. Und die materielle Bedeutung dieser Erleichterung ist auch deshalb zu relativieren, weil die Systeme - zumindest in der aktuellen Umsetzung - hierfür bereits ausgelegt sind. Der Verzicht auf eine RWA-Ermittlung hätte daher vor Umsetzung der aktuellen Basel-III-Regelungen eine stärkere Wirkung entfaltet.

Anwendbarkeit und Nutzen

Legt man eine klassische Leverage Ratio von 8 Prozent zugrunde, wären für knapp ein Viertel der Banken die Eintrittskriterien darstellbar; 9 Prozent reduzieren den Umfang der möglichen Teilnehmer deutlich. Darüber hinaus erschwert eine vereinfachte Berechnung der Kennzahlen wie im Schweizer Modell das Erreichen der Eintrittsschwellen und zeigt im Abbild ungünstigere Kennzahlen.

Aus Risikosicht erscheint das Kleinbankensystem aufgrund hoher Anforderungen in Kombination mit der aufsichtsrechtlichen Beurteilung des Risikoprofils und dem damit verbundenen Vetorecht unkritisch. Betrachtet man den potenziellen Nutzen, dann wird deutlich, dass formale Vereinfachungen nicht immer ihre Wirkung entfalten. Ab einer bestimmten Größe (und damit einhergehenden Komplexität des Geschäftsmodells) ist ein differenziertes Risikomanagement alleine aus interner Sicht notwendig. Es ist zu vermuten, dass die im Schweizer Kleinbankenregime nutzbaren Erleichterungen bei den größeren teilnahmeberechtigten Instituten nicht vollständig materiell greifen.

Vor diesem Hintergrund - und aufgrund der Tatsache, dass die überwiegende Anzahl der aktuellen Anforderungen bereits umgesetzt wurde, könnte eine materielle Erleichterung für kleine Institute in einem Verzicht auf die Umsetzung der Basel-III-Finalisierung für diesen Kreis bestehen.

Fußnoten

1) Vgl. beispielsweise Basel Committee on Banking Supervision (2019), Proportionality in bank regulation and supervision. A survey on current practices; Financial Stability Institute (2017), Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, Bank for International Settlements; De Nederlandsche Bank (2018), Proportional and effective supervision; Mielk, H./Pallmer, J./et al. (2019), Proportionality in EU banking regulation: the case for a step-change to accompany the introduction of 'Basel 4'. A position paper from the cooperative and mutual banking associations of Germany, Austria, Italy, Spain, Poland, Luxembourg and the UK.

2) Nach aktuellem Regelwerk vor Vollumsetzung der Novellierungen; vgl. Deutsche Bundesbank (2019), Ergebnisse des Basel III-Monitoring für deutsche Institute per 30.06.2018, S. 8.

3) Vgl. Haselmann, R./Krahnen, J./Wahrenburg, M. (2019), Evaluierung gesamt und finanzwirtschaftlicher Effekte der Reformen europäischer Finanzmarktregulierung im deutschen Finanzsektor seit der Krise. SAFE Policy Report No. 1, S. 238; vgl. Hackethal, A./Inderst, R. (2015), Auswirkungen der Regulatorik auf kleinere und mittlere Banken am Beispiel der deutschen Genossenschaften. Gutachten im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken BVR und KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2013); KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2013), Impact of regulatory requirements. Studie in Zusammenarbeit mit Bankenverband und VÖB.

4) Vgl. Financial Stability Institute (2017), Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, Bank for International Settlements, S. 3.

5) Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (2019), Proportionality in bank regulation and supervision. A survey on current practices, S. 2.

6) Vgl. Deutsche Bundesbank (2018), Der aufsichtliche Überprüfungs- und Bewertungsprozess für kleinere Institute und Überlegungen zur Proportionalität, S. 56.

7) Vgl. Financial Stability Institute (2017), Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, Bank for International Settlements sowie Basel Committee on Banking Supervision (2019), Proportionality in bank regulation and supervision. A survey on current practices.

8) Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (2019), Proportionality in bank regulation and supervision. A survey on current practices, S. 2-4.

9) Vgl. Basel Committee on Banking Supervision (2019), Proportionality in bank regulation and supervision. A survey on current practices, S. 5.

10) In der Regulierungspraxis bestehen häufig auch Mischformen, eine Zuordnung der Jurisdiktionen in Abbildung 2 erfolgt daher nach dem Schwerpunkt des gewählten Ansatzes. Vgl. Financial Stability Institute (2017), Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, Bank for International Settlements, S. 5-6.

11) Insgesamt gibt es sechs aufsichtliche Kategorien, die Kategorie-6-Institute unterliegen grundsätzlich jedoch keiner Aufsicht.

12) Vgl. Finma Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Jahresbericht 2018, 4. April 2019, S. 126.

13) Vgl. Finma Eidgenössische Finanzmarktaufsicht, Termsheet Kleinbankenregime, 2018.

14) Vgl. Branson, M. (2017), Moderne Rahmenbedingungen für einen heterogenen Finanzplatz. Referat im Rahmen des Kleinbankensymposium, Bern, S. 4.

15) Diese Werte unterstellen eine Vollumsetzung der Definition nach der Finalisierung von Basel III. Berücksichtigt man den aktuellen Stand der Definition gemäß Übergangsregelungen in der CRR und CRD IV, liegt der Median bei 5,9 Prozent und die obere Quantilsgrenze bei 8,1 Prozent; vgl. EBA European Banking Authority, Risk Dashboard Q4 2018, EBA European Banking Authority, S. 22-23.

16) Der Mittelwert der Gruppe-2-Banken liegt per 30.06.2018 bei 5.6 Prozent, während der Mittelwert der Gruppe-1-Institute bei 5,0 Prozent liegt. EBA European Banking Authority (2019), Basel III Monitoring Exercise. Results based on data as of 30 June 2018, S. 15.

17) Vgl. Deutsche Bundesbank (2019), Ergebnisse des Basel III-Monitoring für deutsche Institute per 30.6.2018, S. 8.

18) Vgl. Deutsche Bundesbank (2019), Ergebnisse des Basel III-Monitoring für deutsche Institute per 30.6.2018, S. 10.

19) Vgl. Finma Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (2018), Termsheet Kleinbankenregime, Anhang 2.

Prof. Dr. Christiane Weiland Leiterin Studiengang BWL-Bank, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe
Prof. Dr. Christiane Weiland , Leiterin Studiengang BWL-Bank , Duale Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X