Konsultationspapier zum Kreditrisiko-Standardansatz: Abkehr von externen Ratings

Tabelle 1: Vergleich Risikogewichtung im aktuellen Rahmenwerk und Konsultationspapier (Dezember 2014)

Prof. Dr. Rainer Baule, FernUniversität in Hagen, und Prof. Dr. Christian Tallau, Fachhochschule Münster und Quantil Consulting, Göttingen Dass der Baseler Ausschuss mit der noch knapp zwei Monate laufenden Konsultation zum Kreditrisiko-Standardansatz von der zuweilen kritisierten Abhängigkeit von externen Ratings abrückt, wird von den Autoren grundsätzlich begrüßt. Einmal mehr sehen sie mit dem vorliegenden Papier allerdings die Banken gefordert, die regulatorischen Kapitalanforderungen zu überprüfen und gegebenenfalls mit neuem Implementierungsaufwand anzupassen. Die stärksten Auswirkungen erwarten sie für Forderungen außerhalb des Retail-Portfolios, die im deutschen Mittelstand typischerweise an Unternehmen ohne Rating vergeben werden. (Red.)

Im Dezember 2014 hat der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht das Konsultationspapier "Revisions to the Standardised Approach for credit risk" zur Überarbeitung des Kreditrisiko-Standardansatzes vorgelegt.1) Die Vorschläge bedeuten eine umwälzende Neuausrichtung der Risikogewichtung: Anstelle der Verwendung externer Ratings soll zur Differenzierung der Risikogewichte zukünftig auf spezifische Kennzahlen wie Kernkapitalquote, Verschuldungsgrad oder Umsatzerlöse abgestellt werden. Neben der Reduktion der mit Basel II eingeführten Abhängigkeit von externen Ratings ist damit gleichzeitig eine Erhöhung der Risikosensitivität beabsichtigt.

Als weitere Ziele verfolgt der Ausschuss die Stärkung der Kohärenz von Standard- und IRB-Ansatz sowie die Verbesserung der Vergleichbarkeit der Kapitalanforderungen zwischen Banken. Neben fundamentalen Änderungen der Risikogewichtung ist dazu auch eine Modifikation der Bestimmungen zu den Kreditrisikominderungstechniken beabsichtigt. Von der aktuellen Konsultation ausgenommen sind Forderungen an Staaten und Zentralbanken, die Gegenstand einer separaten Überarbeitung werden.

Risikogewichtung: Paradigmenwechsel für alle Banken relevant

Die vorgelegte Revision ist für praktisch alle Banken relevant - auch IRB-Banken sind betroffen, da auf Basis des neuen Standardansatzes eine Untergrenze für die Kapitalanforderung ermittelt werden soll.2) Damit stehen die Institute perspektivisch vor erheblichen Herausforderungen. Neben der operativen Umsetzung der Regelungen können sich für einzelne Banken die regulatorischen Kapitalanforderungen deutlich ändern - auch wenn es das erklärte Ziel des Ausschusses ist, die durchschnittliche Eigenkapitalanforderung nicht zu erhöhen. Damit einhergehend sind interne Prozesse und Steuerungsmechanismen an die neuen Regelungen anzupassen.

Marktteilnehmern wird bis zum 27. März 2015 die Möglichkeit zur Kommentierung gegeben. Die endgültige Kalibrierung der Risikogewichte wird wie üblich im Rahmen einer quantitativen Auswirkungsstudie erfolgen.

Mit der weitgehenden Abkehr von externen Ratings folgt der Ausschuss den Empfehlungen des Financial Stability Boards der G20 von 2010.3) Zukünftig soll auf möglichst einfach zu ermittelnde und dennoch trennscharfe Kennzahlen abgestellt werden. Auf diese Weise soll die Risikogewichtung zugleich granularer und der Standard risikosensitiver werden. Damit versucht der Ausschuss seinem 2013 formulierten Anspruch einer angemessenen Balance zwischen Risikosensitivität und Komplexität gerecht zu werden.4) Tabelle 1 stellt Differenzierungskriterien und Risikogewichte der wesentlichen Exposureklassen für das bestehende Rahmenwerk den neuen Vorschlägen gegenüber.

Forderungen an Banken

Risikogewichte für Forderungen an Banken und Wertpapierfirmen sollen zukünftig auf Basis von Kapitaladäquanz und Qualität der Aktiva des Schuldners bestimmt werden. Als Messgrößen nennt der Ausschuss die harte Kernkapitalquote (CET1-Ratio) sowie das Verhältnis notleidender Forderungen (korrigiert um Wertberichtigungen) zum Gesamt-Exposure (Net-NPA-Ratio). Tabelle 2 zeigt die vorläufigen Risikogewichte, welche auf Basis der IRB-Formel kalibriert wurden.5)

Ein Risikogewicht von 300 Prozent ist anzuwenden, wenn die Kennzahlen nicht gemäß Säule-III-Anforderungen zur Verfügung stehen. Banken außerhalb des Basel-Regimes müssten diese daher zusätzlich berechnen, um sich als Schuldner für ein geringeres Risikogewicht zu qualifizieren. Für kurzfristige Geschäfte im Interbankenmarkt ist weiterhin ein Vorzugs-Risikogewicht vorgesehen (Reduktion um 20 Prozentpunkte).

Die Verwendung der harten Kernkapitalquote zur Ermittlung von Risikogewichten erscheint zunächst als interessanter Ansatz. Banken hätten einen zusätzlichen Anreiz, hartes Kernkapital auch über der aufsichtsrechtlichen Mindestquote vorzuhalten, um im Interbankenmarkt mittels geringerer Risikogewichte von besseren Kreditkonditionen zu profitieren. So könnte durch gegenseitige Marktdisziplin die Eigenkapitalbasis im Bankensystem insgesamt gestärkt werden. Andererseits sind mehrere Probleme mit diesem Ansatz verbunden.

Ein gewisser Zirkelschluss

Durch die Berechnung von Risikogewichten auf Basis risikogewichteter Kapitalquoten entsteht ein gewisser Zirkelschluss. Ein stilisiertes Beispiel mag dies verdeutlichen: In einem Bankensystem haben alle Banken eine einfache Leverage-Ratio von 5 Prozent und eine Net-NPA-Ratio von 0 Prozent. Sie betreiben jeweils hälftig externes Geschäft mit einem Risikogewicht von 100 Prozent und vergeben untereinander Kredite. Aufgrund der identischen Struktur der Banken sind ihre Risikogewichte RW und auch die Kernkapitalquoten CET1 identisch. Letztere ergibt sich in diesem einfachen Beispiel zu

Formel 1

Setzt man RW = 100 Prozent an, erhält man CET1 = 5,0 Prozent, was nach dem Vorschlag (siehe Tabelle 2) konsistent wäre. Genauso gut kann man aber RW = 80 Prozent ansetzen: Dann ergibt sich CET1 = 5,55 Prozent, was ebenso konsistent wäre. Risikogewichte wären also - zumindest theoretisch - nicht mehr zwingend eindeutig bestimmbar.

Darüber hinaus stellt die für Banken außerhalb des Basel-Regimes notwendige Berechnung risikogewichteter Aktiva einen erheblichen Aufwand dar. Zugleich ist deren Verlässlichkeit fraglich, sofern die Berechnung keiner aufsichtlichen Prüfung unterliegt. Schließlich haben sich risikogewichete Kennzahlen in zahlreichen empirischen Studien nicht zwingend als besser geeignet erwiesen, um Bankausfälle zu erklären.6) Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund könnte die einfache Leverage-Ratio eine Alternative oder gegebenenfalls eine Ergänzung darstellen.7)

Zukünftig soll auch bei Forderungen an Unternehmen - wie aktuell bereits bei Forderungen an Banken - hinsichtlich der Seniorität unterschieden werden. Hierzu wird eine neue Exposureklasse "Nachrangverbindlichkeiten, Eigenkapital und andere Kapitalinstrumente" geschaffen, in die entsprechende Forderungen unabhängig vom Schuldnertyp fallen. Die Risikogewichtung soll dem IRB-Ansatz angeglichen werden. Konkret ist für nachrangige Forderungen ein pauschales Risikogewicht von 250 Prozent vorgesehen; für Eigenkapital bis zu 400 Prozent.

Forderungen an Unternehmen

Risikogewichte für vorrangige Forderungen an Unternehmen außerhalb des Retail-Portfolios sollen nach Unternehmensgröße, gemessen über den Umsatz, sowie nach Leverage als Verhältnis der Gesamtaktiva zum Eigenkapital differenziert werden. Die vorläufigen Risikogewichte sind in Tabelle 3 angegeben. Stehen die erforderlichen Daten nicht (rechtzeitig) zur Verfügung ist ein Risikogewicht von 300 Prozent anzuwenden (eine Ausnahme soll für Start-ups gelten).

Mit dieser Differenzierung reagiert der Baseler Ausschuss auf die Problematik, dass ein Großteil der Unternehmen kein externes Rating besitzt und somit bisher pauschal ein Risikogewicht von 100 Prozent erhält - unabhängig vom tatsächlichen Risiko. Grundsätzlich ist der Schritt zur Risikosensitivität zu begrüßen, welcher maßvoll unter Beachtung des Grundsatzes der Einfachheit vollzogen wird. In diesem Spannungsfeld sind Kompromisse unumgänglich, was die propagierten Ansätze immer auch anfällig für Kritik im Detail macht. So kann ein nur auf zwei Kennzahlen basierendes System nicht völlig trennscharf sein; Leverage hat branchenabhängig unterschiedliche Aussagekraft und eine genaue Definition steht noch aus (Welche hybriden Instrumente sind dem Eigenkapital hinzuzurechnen?).

Aspekte der Granularität inkonsistent berücksichtigt

Während solche Kritikpunkte in dem genannten Spannungsfeld hinnehmbar beziehungsweise lösbar erscheinen, ist ein weiterer Punkt problematischer zu sehen: Die über den Umsatz vorgenommene Größendifferenzierung lässt Aspekte der Granularität beziehungsweise Diversifikation nicht nur außen vor, sondern kehrt diese ins Gegenteil um. So wäre ein Großkredit an ein großes Unternehmen mit (deutlich) weniger Eigenkapital zu unterlegen als ein Portfolio (in gleicher Höhe) aus vielen Krediten an kleine und mittelständische Unternehmen außerhalb des Retail-Portfolios.

Es darf bezweifelt werden, ob dieses Portfolio gegenüber dem Großkredit tatsächlich risikoreicher ist. Darüber hinaus wird die Logik steigenden Risikos mit kleinerer Unternehmensgröße beim Übergang vom Retail-Portfolio durchbrochen: So entsteht ein Sprung von der Retail-Kategorie (pauschales Risikogewicht von 75 Prozent) in die Unternehmenskategorie (Risikogewichte von 100 Prozent bis 130 Prozent).

Schließlich erwägt der Ausschuss innerhalb der Forderungen an Unternehmen die Einführung einer Kategorie für riskantere "Spezialfinanzierungen", wobei in Anlehnung an den IRB-Ansatz fünf Unterklassen vorgesehen sind: Projekt- und Objektfinanzierungen, Rohstoffhandelsfinanzierung, Finanzierung von Mietimmobilien sowie Finanzierungen der Grunderwerbs-, Erschließungs- und Bauphase. Bei solchen Finanzierungen sind für die Risikogewichte Untergrenzen von 120 Prozent für die ersten vier sowie von 150 Prozent für letztere Kategorie vorgesehen.

Anstelle eines pauschalen Risikogewichts von 35 Prozent für durch Wohnimmobilien besicherte Forderungen sieht das Konsultationspapier eine Differenzierung der Risikogewichtung auf Basis des Verhältnisses von Forderungshöhe zum Sicherungswert (Loan-to-Value-Ratio - LTV) vor. Für Kredite an Privatpersonen soll darüber hinaus die Fähigkeit des Schuldners zur Leistung des Kapitaldienstes Berücksichtigung finden. Als Messgröße ist dazu das Verhältnis von Kapitaldienst zum verfügbaren Einkommen (nach Steuern) des Schuldners (Debt-Service-Cover-Ratio - DSC) vorgesehen. Tabelle 4 zeigt die geplanten Risikogewichte.

Änderungen bei Hypothekarkrediten

Auch hier erscheint die Differenzierung zur Erhöhung der Risikosensitivität grundsätzlich als zielführend und gleichzeitig maßvoll. Im Detail werden noch eine Reihe von Aspekten zu klären sein, insbesondere wie der Immobilienwert sowie das verfügbare Einkommen definiert beziehungsweise gemessen werden sollen. So erwägt der Ausschuss etwa, beide Größen im Zeitablauf unverändert zu halten, unter anderem um Problemen einer Prozyklizität zu begegnen.

Für mit gewerblichen Immobilien besicherte Kredite hat sich der Ausschuss bisher auf keinen endgültigen Vorschlag zur Risikogewichtung festlegen können. Zwei Varianten werden in Erwägung gezogen:

- Variante A: Gewerbliche Immobilienkredite werden als gewöhnliche Forderungen an Unternehmen behandelt (siehe Tabelle 3).

- Variante B: Ähnlich der Vorgehensweise für Wohnimmobilien erfolgt eine Differenzierung nach LTV-Ratio.

Retail-Portfolio: weiterhin ein pauschales Risikogewicht

Zumindest vorläufig ist für zum Retail-Portfolio qualifizierte Forderungen weiterhin ein pauschales Risikogewicht von 75 Prozent vorgesehen. Forderungen an Privatpersonen, welche nicht alle Anforderungen an das Retail-Portfolio erfüllen, sollen zukünftig der Kategorie "Sonstiges Retail" mit einem Risikogewicht von 100 Prozent zugeordnet werden. Die Beibehaltung der Pauschalierung lässt sich mit der Heterogenität der Kategorie erklären. Gleichwohl prüft der Ausschuss Kriterien für eine Differenzierung und nennt hierzu exemplarisch Debt-Service-Cover-Ratio und Laufzeit.

Für außerbilanzielle Positionen ist eine weitgehende Angleichung der Kreditumrechnungsfaktoren an den IRB-Ansatz vorgesehen. Bei Fremdwährungskrediten sollen zukünftig Zuschläge auf die Risikogewichte erfolgen. Schließlich sind auch bezüglich der Regelungen zu Kreditrisikominderungstechniken Änderungen vorgesehen. Die wesentlichen Vorschläge zielen auf eine Abschaffung interner Modelle im Rahmen des umfassenden Ansatzes - bei Rekalibrierung der Standard-Haircuts. Zudem sollen strengere Anforderungen für anerkennungsfähige Garantiegeber sowie für Kreditderivate gelten.

Risikodifferenzierung anhand einfacher Kennzahlen

Mit dem neuen Konsultationspapier werden die mit Basel II eingeführten Abhängigkeiten von externen Ratings für die Eigenkapitalunterlegung weitgehend abgeschafft. Stattdessen orientiert sich der Ausschuss an seinem Grundsatzpapier BCBS (2013) und schlägt ein System vor, das eine Risikodifferenzierung anhand einfach zu ermittelnder Kennzahlen vorsieht. Auch wenn noch einige Detailprobleme zu lösen sind, ist der eingeschlagene Weg der Aufseher grundsätzlich positiv zu beurteilen.

Für den Bankensektor bedeutet das Papier erneut eine umwälzende Neuerung im Aufsichtsrecht mit entsprechendem Implementierungssaufwand. Die größten Auswirkungen dürften für Forderungen außerhalb des Retail-Portfolios zu erwarten sein, die im deutschen Mittelstand typischerweise an Unternehmen ohne Rating vergeben werden. Während solchen Forderungen bisher ein pauschales Risikogewicht von 100 Prozent zugeordnet wurde, ist zukünftig eine Differenzierung in der Spanne von 80 Prozent bis 130 Prozent (beziehungsweise 300 Prozent) vorgesehen.

Quellen

BCBS (2014a), Revisions to the Standardised Approach for credit risk, Consultative document, Basel.

BCBS (2014b), Capital floors: the design of a framework based on standardised approaches, Consultative document, Basel.

BCBS (2013), The regulatory framework: balancing risk sensitivity, simplicity and comparability, Consultative document, Basel.

Chernykh, L./Cole, R. A. (2014), How Should We Measure Bank Capital Adequacy? A (Simple) Proposal. Working Paper, Driehaus College of Business at DePaul University.

Demirguc-Kunt, A./Detragiache, E./Merrouche, O. (2013), Bank capital: lessons from the financial crisis, Journal of Money, Credit and Banking 45, S. 1147-1164.

Estrella, A./ Park, S./Peristiani, S. (2000). Capital ratios as predictors of bank failures. Economic Review. Federal Reserve Bank of New York (Jul.), S. 33-52. Financial Stability Board (2010), Principles for Reducing Reliance on CRA Ratings, Oktober 2010.

Hau, H./Langfield, S./Marques-Ibanez, D. (2013), Bank ratings: What determines their quality?, Economic Policy 74, S. 289-333.

Tallau, C. (2013), Bankenregulierung im Spannungsfeld Komplexität, Risikosensitivität und Vergleichbarkeit. Risiko Manager 25-26/2013, S. 17-21.

Fußnoten

1) Vgl. BCBS (2014a).

2) Vgl. BCBS (2014b).

3) Vgl. Financial Stability Board (2010).

4) Vgl. BCBS (2013); Tallau (2013).

5) Dazu wurden für die Matrixfelder empirische Ausfallraten bestimmt und mit der IRB-Formel (LGD von 45 Prozent gemäß IRB-Basisansatz) in Risikogewichte transformiert.

6) Vgl. etwa Estrella et al. (2000); Hau et al. (2013); Demirguc-Kunt et al. (2013).

7) Eine weitere Alternative stellt die Kennzahl "Nonperforming Assets Coverage Ratio" (NPACR) dar. Diese wird berechnet als Verhältnis von bilanziellem Eigenkapital abzüglich notleidender Forderungen (korrigiert um Wertberichtigungen) zu den Gesamtaktiva. Die NPACR stellt damit eine um notleidende Forderungen adjustierte Leverage-Ratio dar und vereint somit Kapitaladäquanz und Qualität der Aktiva in einer einzigen einfachen Kennzahl. Chernykh/Cole (2014) zeigen für US-Banken, dass diese Kennzahl einen erheblich besseren Erklärungsgehalt für Bankausfälle als alle anderen gängigen Kapitalkennzahlen hat.

Prof. Dr. Rainer Baule , FernUniversität, Hagen
Prof. Dr. Christian Tallau , Direktor , Institut für ­Kreditanalyse, Münster

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