Leitartikel

Brüsseler Unwägbarkeiten

sb - Interchange-Gebühren sind nach der jüngsten Bekundung der EU-Kommission nur dann akzeptabel, wenn sie zum Wohl aller Nutzer eindeutig zur Innovation beitragen. Den entsprechenden Nachweis hierfür sieht man durch Mastercard nicht er bracht, weshalb die Interchange nun bis zur Jahresmitte abgeschafft werden soll. Mit dieser Begründung hat die Kommission der Kartenbranche insgesamt eine Last aufgebürdet. Denn ein solcher Beweis wird nur schwer zu liefern sein - schon allein deshalb, weil Neelie Kroes einer Konkretisierung dessen, was unter Innovation zum Wohl aller Nutzer zu verstehen sei, bislang ausweicht und hier die Initiative der Kartengesellschaften fordert. Das Beispiel Australiens, wo die Nutzung von Zahlungskarten durch ähnliche regulatorische Eingriffe wie den jüngsten aus Brüssel für die Verbraucher spürbar teurer geworden ist, hat die Kommission offenbar nicht überzeugt. Gänzlich tot ist die Interchange damit sicher noch nicht. Mastercard hat angekündigt, den Weg der Klage zu beschreiten. Und Visa hat einstweilen noch die Chance, mit der Kommission zu verhandeln, waren doch die Visa-Sätze bis zum Jahresende 2007 genehmigt. Schwierig sind die Gespräche aber allemal. Und ohne ein weiteres deutliches Absenken wird es sicher nicht abgehen. Der von Visa Europe erhoffte Wohl-wollens-Bonus durch die Aufstellung als europäisches Unternehmen (einer der Gründe für die Eigenständigkeit von Visa Europe) wird dabei - wenn überhaupt - gewiss nicht groß ausfallen.

Eine nennenswerte Wettbewerbsverschiebung zugunsten Visas wird sich durch die Entscheidung aus Brüssel vermutlich auch nicht ergeben. Denn es ist kaum anzunehmen, dass sich die Preise der beiden konkurrierenden internationalen Kartensysteme auf Dauer stark voneinander unterscheiden werden. Sollten die Regulierungsbehörden die Interchange tatsächlich grundsätzlich aushebeln, muss das für beide Systeme gelten. Wird aber für Visa erneut ein (niedrigerer) Satz genehmigt, kann es bei Mastecard ver mutlich kein Totalverbot geben, will die Kommission keine Verzerrung des Wettbewerbs bewirken. Emittenten können deshalb getrost - wenn auch mit berechtigter Skepsis hinsichtlich des Ausgangs - abwarten, wie es in der Auseinandersetzung weitergeht, bevor sie sich mit Blick auf Brüssel für die eine oder andere Kartenmarke entscheiden.

Preiswerter für den Handel wird es aus den genannten Gründen einstweilen ebenfalls nicht. Solange die Dinge noch in der Schwebe sind, ändert sich an den Händlerverträgen nichts. Die Erwartungen internationaler und nationaler Händlerverbände, dass die Disagien spürbar sinken werden, sind aber vermutlich berechtigt - und zwar nicht nur bei grenzüberschreitenden Transaktionen innerhalb der Euro-Zone. Nationale Kartenzahlungen sind zwar von der Brüsseler Entscheidung nicht betroffen. Eine gewisse Signalwirkung für die nationalen Wettbewerbsbehörden ist aber wahrscheinlich. Gut möglich, dass das Bundeskartellamt mit einer Stellungnahme zu der seit Anfang 2006 anhängigen Beschwerde bewusst die Entscheidung der Kommission abgewartet hat.

Ob die regulatorischen Eingriffe auch zu Preissenkungen für den Verbraucher führen, wie es die Kommission erwartet, ist indes mehr als ungewiss. Angesichts der schmalen Margen des Einzelhandels ist es wohl kaum zu erwarten, dass sinkende Disagien in Form von Preissenkungen an den Endkunden weitergegeben werden. Die Emittenten aber werden sinkende Einnahmen aus dem Interbankenentgelt neben einer stärkeren Vermarktung des Kartenkredits durch höhere Jahresgebühren zu kompensieren suchen (müssen). Denkbar wäre freilich auch, dass eine wachsende Zahl von Banken Interesse an einer Kooperation mit American Express zeigt. Mit wachsender Kartenbasis wüchse dann auch der Druck auf den Handel zur Amex-Akzeptanz. Und angesichts der vergleichsweise hohen Disagien hierfür wäre ein Teil der erhofften Ersparnis bei Zahlungen mit Karten der anderen Marken schnell wieder dahin.

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