Leitartikel

Deutsche Skrupel

sb - Nicht umsonst hat der deutsche Begriff "Angst" es geschafft, sich im angelsächsischen Sprachraum Bekanntheit zu verschaffen. Dass die Deutschen in vielerlei Hinsicht vorsichtiger sind als Menschen in anderen Ländern, hat durchaus seine guten Seiten, auch im Kartengeschäft. Als etwa US-amerikanische Kartenemittenten unter der Last ausstehender Kartenkredite stöhnten, die die Karteninhaber nicht mehr zurückzahlen konnten, durfte sich die deutsche Kreditwirtschaft zu dem geringen Erfolg des Revolving Credit beglückwünschen. Und massive technische Pannen sind der deutschen Gründlichkeit wegen auch die Ausnahme. Die Skrupel, die wir Deutschen in besonderem Maße hegen, haben freilich auch ihren Preis. Innovationen - seien es nun die Selbstwahl-PIN, biometrische Authentifikationsverfahren oder das kontaktlose oder mobile Bezahlen - setzen sich hierzulande vergleichsweise schleppend durch.

Beim kontaktlosen Zahlen, das muss man zugestehen, fehlt in Deutschland ein ganz wichtiger Einsatzbereich, in dem sich den Kunden der Vorteil unvermittelt erschließt. Wer, wie in anderen Metropolen üblich, in der Eile, seinen Zug zu erreichen, erst seine Fahrkarte in einen Leseschlitz stecken muss, um durch die Zugangssperre der Station zu kommen, der weiß die Vorteile des kontaktlosen Verfahrens zu schätzen, das ihm dieses Gefummel erspart. Über die mögliche Erstellung von Bewegungsprofilen wird da weniger nachgedacht. Dieses Einsatzgebiet, das dem E-Ticket und damit auch dem kontaktlosen Bezahlen anderswo zum Durchbruch verholfen hat, gibt es in Deutschland so nicht. Und so ist der Bedarf schlicht weniger groß. Auch bei McDonalds, an der Tankstelle, im Süßwarengeschäft, der Buchhandlung oder der Parfümerie mag der Kunde es zwar schätzen, wenn der Kassiervorgang schneller geht. Der Vorteil gegenüber dem herkömmlichen Verfahren ist aber längst nicht so groß. Und so muss es nicht erstaunen, dass in der Pilotregion der "Big Bang" beim Wechsel von Bargeld zu Girogo ausgeblieben ist. Zahlen zu den Transaktionen weist Euro Kartensysteme bisher ganz bewusst nicht aus, weil Promotion-Aktionen diese doch nur verfälschen würden.

Dass die Medienberichterstattung über vermeintliche Sicherheitslücken des Systems die Nutzung nicht negativ beeinflusst hat, wie es der DSGV berichtet, kann durchaus damit zu tun haben, dass das neue Produkt noch gar nicht recht im Bewusstsein der meisten Verbraucher angekommen ist. Ob das ein Vorteil ist, muss wohl offen bleiben. Denn die Botschaft "unsicher" mag durchaus haften bleiben, auch wenn das Produkt dem Adressaten dieser Botschaft bestenfalls vage bekannt ist. Man sollte sich wohl auch keine Illusionen machen. Die Schlagzeilen mögen diesmal auf nicht allzu fruchtbaren Boden gefallen sind - aber sie werden wiederkommen. Sicherheitslücken bei Zahlungssystemen sind bekanntlich nicht nur in nachrichtenarmer Zeit immer ein beliebtes Thema (siehe Blickpunkt). Und die Angst, dass kontaktlose Trägermedien gleich welcher Art quasi im Vorbeigehen ausgelesen und die Daten missbraucht wer den könnten, die gab es in Deutschland schon lange, bevor die Kreditwirtschaft konkrete kontaktlose Produkte überhaupt vorzuweisen hatte.

Dass man absolute Sicherheit im Zahlungsverkehr (wie in anderen Lebensbereichen auch) niemals haben wird, ist zwar eine Binsenweisheit. Dass der Kunde sie wider besseres Wissen dennoch verlangt, versteht sich aber auch von selbst. Wie beispielsweise beim Geo-Blocking von Debit- oder Kreditkarten müsste man den Kunden deshalb vielleicht stärker mit in die Verantwortung nehmen: Wer sich etwa mit Hilfe einer App am Handy die letzten Lade- und Bezahltransaktionen anzeigen lassen möchte, der muss auch damit leben, dass ein eventueller Hacker aus diesen Daten theoretisch eine Art Bewegungsprofil erstellen könnte. Ob diese Daten auf dem Chip gespeichert werden (wie bei den Sparkassen) oder nicht (wie bei den Genossenschaftsbanken ), sollte man deshalb vielleicht den Kunden entscheiden lassen.

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