Leitartikel

Wer hat versagt?

sb - Was ist "Marktversagen"? Das hat sich zur zentralen Frage in Sachen Interchange-Regulierung herausgebildet. Die Kartenbranche verweist auf den scharfen Wettbewerb der Zahlungssysteme, der durch die im Juli vorgelegten Regulierungspläne nur behindert werden könne. Auf dem diesjährigen Bankkarten-Forum sprach Bernd Fieseler in diesem Kontext unter kräftigem Applaus der Anwesenden von einem "Regulierungsversagen". Für die EU-Kommission aber ist klar: Eben der von der Kreditwirtschaft angeführte Wettbewerb der Systeme führt zu einer Steigerung der vom Händler zu tragenden Gebühren. Denn zumindest die internationalen Kartensysteme wetteiferten mit möglichst hohen Interchange-Sätzen um die Gunst der Emittenten. Weil der Wettbewerb also zu höheren statt zu niedrigeren Preise führe, sei dies ein Marktversagen. Hier müsse die Regulierung mit einer Festlegung von Höchstsätzen eingreifen. Und das (zugegebenermaßen überholte) statistische Material zeige, dass es durchaus Märkte gebe, in denen Kartenemittenten offenbar auch mit niedrigen Interchange-Sätzen auskommen. Eine Korrelation zwischen der Höhe der Interchange und dem, was Verbraucher insgesamt für den Zahlungsverkehr zahlen, um etwa festzustellen, ob niedrigere Interchangesätze durch höhere Girokontopreise erkauft werden, wird dabei nicht hergestellt.

Überhaupt die Datenbasis: Hier stellt sich die Frage, weshalb sich die Kommission auf konkrete Interchange-Sätze festlegt, ehe noch die Ergebnisse ihrer eigenen Studie zu den Kosten von Bargeld beziehungsweise Karten vorliegen, die sich nach Angaben von Rita Wezenbeek von der Generaldirektion Wettbewerb in der "finalen Phase" befindet. Die Frage ist auch durchaus berechtigt, räumt sie ein. Nur könne eine Regulierung eben nicht ewig auf den Ergebnissen von Studien aus dem Jahr 2007 basieren.

Noch liegt der Regulierungsentwurf beim EU-Parlament. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als würden die Parlamentarier ihn so schnell durchwinken und das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Europawahl im kommenden Mai abschließen. Dann hat das Parlament möglicherweise doch noch die Gelegenheit, die dem Entwurf zugrunde liegenden Annahmen mit den aktuellen Studienergebnissen abzugleichen. Auch Rita Wezenbeek hat den Kartenemittenten auf dem Bankkarten-Forum einen Trost mit auf den Weg gegeben: Der Regulierungsentwurf der Kommission sieht nach vier Jahren eine Überprüfung der Ergebnisse vor. Danach werde man wieder über eine Anpassung der Sätze sprechen - nach unten oder auch nach oben. Aber kann man sich wirklich einen Regulator vorstellen, der - im Falle, dass es doch so kommt, wie es die Kassandra-Rufe der Kartenbranche prognostizieren - zugibt: "Asche auf mein Haupt, unsere Annahmen waren falsch, also Interchange wieder rauf?" Ganz abgesehen davon sind vier Jahre eine lange Zeit. Strukturen, die bis dahin zerstört beziehungsweise zulasten des Verbrauchers verändert wurden, ließen sich selbst bei einem Einsehen des Regulators nicht ohne Weiteres zurückdrehen. Wenn etwa - wie kaum anders zu erwarten - die Kreditkarten-Jahresgebühren kräftig angehoben werden und immer mehr Kunden auf die Karte verzichten, wird dies nicht ohne Weiteres wieder umzukehren sein. Und Anbieter, deren Geschäftsmodell unter den Rahmenbedingungen der Regulierung nicht trägt (genannt werden hier vor allem Charge-Card-Angebote ohne Jahresgebühr), würden auch nach deren Korrektur wie der Phönix aus der Asche zurückkehren.

Bleibt also zunächst einmal die Hoffnung auf die Einsicht der Parlamentarier, die sich unter anderem mit der grundsätzlichen Frage nach der Vereinbarkeit von Wettbewerb und Regulierung, mit den mittlerweile aufgekommenen Bedenken der Verbraucherschützer hinsichtlich der Folgen einer Interchange-Regulierung oder mit den Details der Rolle von Drittanbietern befassen müssen. Im Frühjahr 2014 wird darüber hinaus das letztinstanzliche Urteil in der Sache Mastercard gegen die EU-Kommission erwartet. Vielleicht ist ja auch das noch für eine Überraschung gut.

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