DIGITALISIERUNG

Big Data, Künstliche Intelligenz und Cloud im Unternehmen

Erfolgsfaktoren für die digitale Zukunft?

Glenn González, Foto: SAP

Digitalisierung ist in aller Munde - aber kein Selbstzweck. Mittlerweile geht es nicht mehr nur darum, Prozesse zu optimieren, sondern um existenzielle Fragen. Vor diesem Hintergrund sollte sich jedes Unternehmen mit dem Thema beschäftigen. Der Beitrag beleuchtet die veränderten Erwartungshaltungen und neuen Verhaltensweisen, die sich aus den Innovationen im digitalen Zeitalter ergeben. Nur wenn die einzelnen Bausteine im Zusammenhang gesehen werden, können Künstliche Intelligenz und Co wahre Erfolgsfaktoren werden. Ein Umdenken in die "Neue Welt" ist unumgänglich. Unternehmen müssen den Perspektivwechsel vornehmen. (Red.)

Es wird oft gefragt, ob Technologien wie Big Data, Künstliche Intelligenz oder Cloud Erfolgsfaktoren für die digitale Zukunft eines Unternehmens sind. Um diese Frage zu beantworten, muss man einige Schritte zurückgehen und beim Thema Digitalisierung an sich anfangen. Etwas, das aktuell jedes Unternehmen zumindest beschäftigt. Das Thema Digitalisierung ist nicht neu. Es ist schon da, seitdem der erste Rechner erfunden wurde. Bisher ging es aber fast immer nur darum, Prozesse oder Abläufe zu verbessern, zu beschleunigen oder günstiger umzusetzen. Bis jetzt ist dies nicht in erster Linie als existenzsichernd angesehen worden. Es war ein Optimierungsthema wie viele andere. Wieso also bekommt das Thema so viel mehr Aufmerksamkeit?

Das große Ganze

Technologien waren in der Vergangenheit oft die Voraussetzungen für Innovationen und somit auch für die Zukunft von Unternehmen. Jede einzelne der genannten Technologien ist hoch interessant und relevant, allerdings singulär betrachtet nicht der Schlüssel zum Erfolg. Sie sind Teile eines viel größeren Themas und sind oft die Grundlage für vieles was erlebt wird, ohne zu wissen, dass diese im Hintergrund wirken.

Die Digitalisierung der Welt hat Rahmenbedingen drastisch verändert. Durch das Internet und die Vernetzung von Menschen und Informationen entstehen komplett neue Möglichkeiten. Jeder ist prinzipiell jederzeit und überall erreichbar. Jeder trägt einen Hochleistungsrechner, eine hochauflösende Kamera, eine Hochleistungskommunikator und prinzipiell das Wissen der Menschheit mit sich. Informationen sind einfach und in unglaublicher Menge und Qualität für jeden verfügbar. Selbst an Orten, wo es noch kein fließendes Wasser oder eine funktionierende Kanalisation gibt, haben die Menschen bereits diese Möglichkeiten.

Veränderte Erwartungshaltung

Der digitale Wandel hat die Erwartungshaltung der Menschen rasant verändert. Und eine Erwartungshaltung ist eine Einbahnstraße. Niemand möchte eine erfüllte Erwartungshaltung missen. Es geht also immer nur voraus. Wer dies verstanden hat, der kann anfangen, die Chancen, die sich daraus ergeben, zu nutzen.

Durch das Internet und die darunter liegenden Technologien wird es Menschen ermöglicht, sich virtuell zu treffen. Es ist so einfach geworden, gleichzeitig mit sehr vielen Menschen zu reden, aber auch zuzuhören. Zum Tauschen von Gegenständen oder Informationen ist es weder notwendig sich zu treffen noch sich jemals persönlich kennenzulernen. Niemand muss noch irgendwo hin, um etwas zu kaufen. Um Menschen oder Informationen zu finden, ist es nicht mehr notwendig physikalisch aktiv zu werden. Man findet irgendwie alles im Internet oder noch besser das Gesuchte findet einen bevor es gesucht wird. Die Menschen sind hypervernetzt und denken nicht mehr nur lokal, sondern vor allem global. Alles muss mobil möglich sein und ganz einfach. Wenn lange Erklärungen nötig sind, ist es nicht gut. Wenn es nicht mobil geht, ist es nichts wert.

Neue Verhaltensweisen

Etablierte und jedem bekannte Produkte beziehungsweise Dienstleistungen werden scheinbar in kürzester Zeit abgelöst. Jeder kann Taxifahrer, Lehrer, Dienstleister, Banker, Versicherer oder Investor werden, ohne eine jegliche Ausbildung dazu gemacht zu haben. Auch gewohnte Verhaltensweisen ändern sich. Hierzu ein paar Beispiele:

- Push vor pull: Es ist nicht mehr notwendig, etwas aktiv zu suchen oder viel Zeit in Recherche zu investieren. Früher gab es ein Abonnement auf Lektüre. Heute können Informationen abonniert werden. Oder noch besser - interessante Informationen scheinen einen aus dem nichts zu finden. Das ist manchmal "spooky", aber manchmal auch fantastisch. Informationen werden zum Empfänger gepusht - er oder sie muss nicht mehr pullen.

- Community is kind: Es gibt Menschen, die haben Millionen von Follower. Sie nennen sich Influencer und das nicht zu Unrecht. Früher hat man Unmengen an Geld ausgeben, um Zielgruppen für Produkte zu identifizieren und diese dann möglichst zielgenau anzusprechen. Heute finden die Kunden das Produkt scheinbar von allein, weil sie einer Person regelmäßig zusehen oder zuhören. Menschen ohne jegliche Werbefach- oder Marketingausbildung erzielen ein Vielfaches eines traditionell agierenden Vermarktungs-Fachmenschen.

- Anonymität killt Persönlichkeit: Es war noch nie so einfach, etwas anonym zu erledigen. Im Internet kann sich eine Person leicht als jemand anderes darstellen. Dies öffnet einerseits Perspektiven für die Schüchternen, macht andererseits das Tor aber leider auch weit auf für Missbrauch. Es ist auf einmal möglich, in die Haut eines anderen zu schlüpfen oder jemanden komplett neuen zu kreieren. Interessant dabei ist, dass dies einfach akzeptiert und oft gar nicht mehr kritisch hinterfragt wird.

- Privatsphäre weicht Transparenz: Das Internet und mobile Endgeräte geben den Menschen ganz neue Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren oder zu interagieren. Die Leute veröffentlichen Informationen, Bilder und Videos von sich, ohne die Reichweite ihrer Handlung zu verstehen. Diejenigen, die es verstanden haben, nutzen diese Herangehensweise ganz bewusst - siehe die genannten Influencer. Aber diejenigen, die dies nicht verstehen, machen sich, ohne es zu wissen, "nackig" für die Öffentlichkeit. Denn was einmal im Internet ist, geht da auch nicht mehr weg. Interessant ist, mit welcher Leichtigkeit dies als normal gesehen wird.

- Teilen besser als besitzen: Es ist für sehr viele Menschen nicht mehr wichtig, etwas zu besitzen. Statussymbole und Besitz sind nicht mehr notwendig. Speziell jüngere Menschen sehen nicht mehr den Sinn da rin, etwas mit viel Geld erwerben zu müssen, um es die meiste Zeit gar nicht zu nutzen. Da wird etwas lieber geteilt oder kurz gemietet und das Geld besser zum Leben/Erleben ausgegeben. Jeder kann selbst kurz überlegen: Wie viel Zeit steht das eigene Auto in der Garage und wie oft wird es tatsächlich genutzt? Und wie lange dauert die Parkplatzsuche? Das Auto ist dabei eventuell das prominenteste Symbol. Es entsteht eine komplett andere Art des Konsums, auf den viele Unternehmen nicht vorbereitet sind. Diese sogenannte "Sharing Economy" findet in immer mehr Bereiche Einzug. Früher war es verpönt, sich ständig etwas leihen zu müssen, heute ist man eher "cool".

- Sinn wichtiger als Umsatz: Die Menschen schauen heute nicht mehr nur auf das Geld, auf das Einkommen, auf den Umsatz eines Unternehmens. Immer häufiger wird die Frage nach dem Sinn des Ganzen gestellt. Einer Tätigkeit nachzugehen, die nur Gewinn maximiert aber nichts Konkretes mehr erstellt oder leistet, ist nicht mehr attraktiv, sogar verpönt. Früher war jemand angesehen, wenn er oder sie nur durch Geld verschieben reich geworden ist. Heute fragt die jüngere Generation, was das der Menschheit oder unserem Planten bringt. Geld ist nicht mehr das Wichtigste.

- Hierarchie weicht Netzwerk: Der Mensch ist hypervernetzt. Dinge können passieren, ohne dass jemand von "oben" etwas vordenkt oder anweist. Hierarchien lösen sich auf, wo sie nicht mehr notwendig sind. Sich selbst organisierende Gemeinschaften finden Wege, sehr effizient Ergebnisse zu erzielen.

- Befähigen statt kontrollieren: Netzwerke haben den Informationsaustausch und die Kollaboration zwischen Menschen enorm verändert. Dadurch wandeln sich nicht nur Organisationsmodelle, siehe das genannte Netzwerk, sondern auch die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird. Es geht darum, andere dazu zu befähigen etwas autark auszuüben, anstelle ständig zu kontrollieren und alles im Detail vorzugeben und nachzubessern. Kreativität wird zum wichtigsten Soft Skill.

- Probieren statt planen: Die Welt ist schnelllebig geworden und alle Themen rund um die Digitalisierung verändern sich noch viel schneller. Die Geschwindigkeit, in der sich Dinge verändern, ist so hoch, dass lange Pläne durch die Realität überholt werden und somit keinen Sinn mehr machen. Die neue Devise lautet daher: Lieber ausprobieren und früh scheitern als langfristig planen. Firmen versuchen Methoden zu etablieren, in der kurze Schritte immer wieder auf Erfolg geprüft werden und erst bei Erfolg etwas weiterentwickelt wird. Langlaufende Projekte werden vermieden.

- Flexibilität statt abwarten: Die Geschwindigkeit, mit der sich Märkte verändern, bringt neue Herausforderungen. Früher konnte erst einmal beobachtet werden, wie sich Dinge entwickeln, um dann nachzuziehen. Heute ist der Mitbewerber auf einmal so weit vorne, dass die eigene Firma abgehängt wird. Oder die Kunden sind mit dem neuen Angebot so zufrieden, dass sie keinen Sinn darin erkennen, den Anbieter zu wechseln, ohne ein noch viel besseres Angebot zu bekommen. Es gilt daher, flexibel und agil auf Änderungen zu reagieren; aussitzen geht nicht mehr.

Was haben nun all diese Veränderungen mit Themen wie Big Data, Künstliche Intelligenz und Cloud zu tun? Dies sind Technologien, die hinter diesen neuen Möglichkeiten stecken. Sie haben vieles von dem Genannten überhaupt erst ermöglicht. Ein Unternehmen sollte aber nicht aus der Sichtweise der Technologie denken, sondern aus der von den sich schnell verändernden Erwartungshaltungen.

Der Erfolg eines Unternehmens hängt davon ab, ob es in der Lage ist, diese Erwartungshaltungen zu verstehen. Hierbei geht es nicht nur um die der Kunden. Inzwischen geht es dabei auch um die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zukünftigen Angestellten, Lieferanten und Partnerfirmen. Am besten sollte bei der eigenen Erwartungshaltung angesetzt werden.

Tempo halten

Mensch und Technologie müssen auf die Veränderung vorbereitet sein. Beide müssen sowohl stabil als auch flexibel sein. Althergebrachte, etablierte und auch immer noch gut funktionierenden Methoden und IT-Architekturen müssen losgelassen werden. Diese sind nicht mehr die richtigen, um verändernde Erwartungshaltungen schnell genug zu verstehen und zu erfüllen. Es geht da rum, nicht immer alles selbst machen zu wollen. Es gibt weder genug Fachleute noch macht es Sinn, grundlegende Technologien selber neu erfinden zu wollen. Es geht vielmehr darum, Prozesse neu zu denken, weiter zu denken und/oder zu vereinfachen.

Und vor allem muss gelernt werden, die richtigen zu Fragen stellen:

- "Soll Ihr Auto schneller, größer, schöner sein?" oder "Wie möchten Sie von A nach B kommen?"

- "Möchten Sie eine langjährige Verbindung eingehen und dafür einen kleinen Preis bezahlen?" oder "Möchten Sie jederzeit eine Verbindung beenden können, wenn etwas Besseres um die Ecke kommt?"

- "Möchten Sie immer wieder benötigte Produkte jeden Samstag nach Hause schleppen?" oder "Möchten Sie immer wieder benötigte Produkte rechtzeitig erhalten?"

- "Benötigen Sie für alles einen Zettel?" oder "Möchten Sie alles auf Ihrem Smart-Device immer bei sich haben?"

Es gibt schon heute keine Industrie, die von dieser Digitalisierungswelle nicht betroffen ist. Einige heftiger, andere weniger heftig. Aber alle werden Veränderungen bis hin zu völligen Auflösungen des Geschäftsmodells erleben. Selbst Industrien, die noch durch Regularien gebremst - oder andere sagen "beschützt" - werden, sind hier nicht sicher. Ganz im Gegenteil, diese Industrien sind gerade Ziel von neuen Ideen, weil sie eben nicht schnell und flexibel auf die neuen Erwartungshaltungen reagieren können oder auch nicht wollen. Das 21. Jahrhundert ist eine spannende Zeit. So schnell sind noch nie Innovationen in den Alltag gekommen. So schnell haben noch nie Technologien einen solchen Einfluss auf Gesellschaften gehabt.

Kritisch bleiben

Dieser Artikel ist in keiner Weise als Lobpreisung all dieser Dinge zu lesen. Viele dieser Entwicklungen können sehr kritisch gesehen werden. Die Politik und Verwaltung sind gewiss genauso mit der rasanten Entwicklung überfordert, wie viele Firmen oder Privatpersonen es sind. Allerdings ist es fatal, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass alles schon irgendwie an einem vorbei gehen wird. Fatal ist auch zu glauben, man könnte es irgendwie ausbremsen, indem Entscheidungen weiterhin in demselben Tempo getroffen werden, wie dies eventuell früher gemacht wurde.

Die Welt ist auf einmal ein Dorf. Wenn etwas nicht in Deutschland entwickelt oder umgesetzt wird, dann macht es einer irgendwo in einer kleinen Garage am Ende der Welt. Er braucht manchmal nur einen Internetanschluss und einen Computer. Deswegen sollte sich jeder aktiv mit der Digitalisierung der Welt auseinandersetzen. Dadurch können einerseits viele Chancen entdeckt und andererseits die Gefahren erkannt werden. Nur wer es versteht, kann auch richtig handeln.

GLENN GONZÁLEZ ist Chief Technology Officer bei der SAP Deutschland und Experte für die digitale Transformation. Bevor er 2012 zu SAP wechselte, war er viele Jahre im Cloud Business und E-Commerce als Unternehmer und Berater tätig.
Glenn González , Chief Technology Officer bei der SAP Deutschland und Experte für die digitale Transformation
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