FACTORING

Digitalisierung ermöglicht Micro-Factoring

Forderungsverkauf auch für Kleinstunternehmen

Joachim Kaune, Foto: Fundflow/Nadine Stenzel

Für kleine Unternehmen und Freelancer kann eine verzögerte Zahlung ihrer Kunden schnell in einen Liquiditätsengpass führen, mitunter sogar die Existenz dieser Unternehmen bedrohen. Um die vorübergehende Finanzierungslücke zu schließen, treten zunehmend Start-ups aus der Finanztechnologie auf den Markt und ergänzen das bisherige Angebot im Factoring. Diese Fintechs stellen auch Kleinstunternehmen schnell und flexibel Geld zur Verfügung. Dazu mehr in diesem Beitrag. (Red.)

Viele kleine Unternehmer und Freelancer betreiben ihr Geschäft überaus erfolgreich. Dennoch fehlt ihnen für den Ausbau ihres Unternehmens das Geld: Lieferanten und Dienstleister wollen im Voraus bezahlt werden. Die Beschäftigten wollen pünktlich zum Monatsende ihr Gehalt bekommen. Im Gegensatz dazu kalkulieren ihre Kunden aber mit Zahlungszielen von dreißig Tagen oder länger. Eine ohnehin schon lange Zeitspanne, die im Falle einer Rechnungskorrektur noch einmal neu anläuft. So lange erhält der Unternehmer oder Freelancer kein Geld. Der Zeitversatz zwischen Forderungen einerseits und Verbindlichkeiten andererseits muss mit Liquidität überbrückt werden. Für die Hausbank lohnt sich ein Firmenkredit jedoch nicht, da Kleinstunternehmer und Freelancer relativ geringe Umsätze erwirtschaften und ein erhöhtes Ausfallrisiko aufweisen können.

Kommt der Finanzierungsweg über eine Bank nicht infrage, können Unternehmen auf Factoring-Angebote zurückgreifen. Factoring war bisher nur für größere Unternehmen mit mehreren Hunderttausend Euro Mindestumsatz und über Laufzeitverträge von zwölf oder 24 Monaten verfügbar. Während dieser Zeit müssen in der Regel alle Forderungen verkauft werden. Somit fallen Gebühren an - und zwar unabhängig davon, ob zu diesem Zeitpunkt Liquidität benötigt wird oder nicht. Zudem vergehen in der Regel viele Wochen, bis die erste Forderung vorfinanziert wird. Die Prüfungen und das Aufsetzen von Verträgen sowie die Anbindung an die Technik nehmen viel Zeit in Anspruch.

Enormes Marktpotenzial bei kleinen Kunden

Den Mangel an schneller, flexibler und unkomplizierter Liquidität haben Startups erkannt - und gebannt: Auf Factoring spezialisierte Fintechs bieten Freelancern und kleinen Unternehmen die Möglichkeit, ihre Rechnungen ohne Mindestumsatz über Online-Plattformen vorzufinanzieren. Die Factoring-Fintechs haben das enorme Marktpotenzial der kleinen Kunden erkannt. So gibt es allein in Deutschland rund zwei Millionen Kleinstunternehmen mit weniger als acht Mitarbeitern und einem Umsatz von weniger als 250 000 Euro. Hinzu kommen laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes noch rund 4,2 Millionen Erwerbstätige, die als Freelancer eine unabhängige Beschäftigung ausüben - sie alle sind potenzielle Kunden.1)

Die digitalen Factoring-Anbieter wollen das große Potenzial dieser Kundengruppe mittels Digitalisierung und Automatisierung heben. Vor allem zwei technische Neuerungen machen dies möglich: Erstens kommen Algorithmen für das Risikoscoring zum Einsatz, die auf deutlich mehr Datenpunkten basieren als herkömmliche Risikoanalysen. Dabei nutzen Factoring-Portale neben öffentlichen Datenbanken und Daten von kommerziellen Datenanbietern selbst erfasste Daten und - nach Freischaltung durch den Kunden - Transaktionsdaten aus dem Onlinebanking. Zweitens laufen bei den digitalen Anbietern sämtliche Prozesse von der Antragstellung bis zur Auszahlung weitgehend digitalisiert und automatisiert. So können Fintechs ihre potenziellen Kunden per Online-Video-Telefonat direkt und konform zum Geldwäschegesetz identifizieren. Die Factoring-Kunden müssen nicht in die Bank gehen, sondern können den gesamten Prozess online von ihrem Arbeitsplatz erledigen - oder wo immer sie einen Internetzugang haben.

Die meisten traditionellen Anbieter arbeiten in der Regel nach wie vor mit hohem manuellem Aufwand, was die Prozesse verlangsamt und die Kosten in die Höhe treibt. Der hohe Automatisierungsgrad bei den Fintechs verringert die Kosten so dramatisch, dass einzelne Forderungen ohne Mindestumsätze und mit gegen Null tendierenden Stückkosten abgewickelt werden können. Damit ist auch das Factoring von einzelnen Rechnungen möglich - ein Novum, über das erfahrene Factoring-Veteranen anfänglich nur ungläubig den Kopf geschüttelt haben.

Fintechs bringen hohe Flexibilität

Factoring-Plattformen bieten kleinen Unternehmen und Freelancern aber noch weit mehr als den Zugang zu einer Cashflow-Optimierung, die bisher nur großen Unternehmen zur Verfügung gestanden hat. So sind die Registrierung und die Nutzung der Portale meist kostenlos. Der Kunde zahlt nur bei Finanzierung einer Forderung eine kleine Gebühr. Diese wird bei der Auszahlung abgezogen. Sie ist abhängig von der Laufzeit, der Risikobewertung und der Dauer der Zusammenarbeit. Auch müssen die Kunden nicht alle Forderungen über die kommenden Jahre ins Factoring geben. Sie können stattdessen flexibel wählen, welche Rechnungen sie finanzieren möchten. Es besteht also häufig keine sogenannte Andienungspflicht. Bei einigen Factoring-Plattformen können Unternehmen sich sogar gegen Zahlungsausfälle absichern: Bei einer Insolvenz des Rechnungsnehmers behält der Kunde so den Rechnungsbetrag. Nur wenn die Forderung strittig ist, wird der Rechnungsbetrag vom Forderungsinhaber zurückgefordert.

Zuerst haben Fintechs in den USA wie Fundbox und oder auch Marketinvoice in Großbritannien bewiesen, dass mittels Automatisierung und Digitalisierung wirtschaftlich lohnende Margen erwirtschaftet werden können. In Deutschland wiederum adressieren erst seit kurzem Factoring-Fintechs den Markt der Kleinstunternehmen und Freelancer. Dabei reicht der Kundenkreis von kleinen Ein-Mann-Betrieben bis hin zu Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern. Gemessen am Umsatz geht es bei Freelancern mit wenigen Tausend Euro Jahresumsatz los. Größere Kunden setzen durchaus einstellige Millionenbeträge pro Jahr um. Das ist ein weites Spektrum. Ebenso groß ist die Bandbreite der Branchen, aus denen sich die Factoring-Kunden zusammensetzen. Sie reicht von Kfz-Gutachtern, Restaurants und anderem Kleingewerbe über IT-Dienstleister bis hin zu Logistikunternehmen und zu produzierenden Betrieben, deren Rechnungsnehmer sowohl private als auch gewerbliche Kunden sind. Viele Online-Factoring-Plattformen lassen bis auf Genossenschaften, Vereine oder BGB-Gesellschaften praktisch alle Rechtsformen ihrer Kunden zu.

Kooperation mit beiderseitigem Vorteil

Üblicherweise setzen die Factoring-Fintechs bei ihrem Angebot auf Kooperationen mit Banken. So arbeitet beispielsweise die Fundflow GmbH mit der Wirecard Bank AG zusammen. Im Rahmen der Zusammenarbeit ergänzen sich die Kooperationspartner dabei jeweils passgenau. So liefert das Fintech die digitale Technologie, um das Factoring für Freelancer und kleine Unternehmen überhaupt wirtschaftlich anbieten zu können. Die Bank bringt ihre Vollbanklizenz ein und stellt so die eigentliche Factoring-Leistung zur Verfügung.

Bei den Kooperationen profitieren alle Beteiligten: Die Banken können Kunden mit sehr geringen Umsätzen berücksichtigen, denen sie sonst kein Factoring anbieten würden. Zudem sammeln sie Erfahrung in der Zusammenarbeit mit den digitalen Pionieren. Für die Fintechs ist an der Zusammenarbeit mit den Banken entscheidend, dass sie die Refinanzierung von Forderungen überhaupt erst ermöglichen - ihnen allein würde die Banklizenz und das Kapital dafür fehlen. Zudem bekommen die Factoring-Fintechs über die Banken auch Kunden, die mitunter gar nicht auf das digitale Angebot aufmerksam geworden wären. Viele Unternehmer wenden sich nach wie vor zuerst an ihre eigene Bank, wenn es um Finanzierungsfragen geht. Blickt man jedoch auf die Wachstumsraten der Factoring-Fintechs, wenden sich immer mehr Kunden direkt an die Online-Plattformen.

Fußnote

1) Quelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen - erste Ergebnisse zur gesamtwirtschaftlichen Lage 2018, erschienen am 31. Januar 2019, abrufbar unter: www.destatis.de/DE.

JOACHIM KAUNE ist Gründer und Geschäftsführer der Fundflow GmbH, Berlin.
E-Mail: media[at]fundflow[dot]de
Joachim Kaune , Gründer und Geschäftsführer der Fundflow GmbH
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