DIGITALISIERUNG

Erfolgreiche Digitalisierung beginnt beim Kundenerlebnis

Zusammenfassende Erkenntnisse aus sechs Studien

Dr. Tobias Christen, Foto: DSwiss AG

Von Finanzinstituten erwarten Kunden oft ein ebenso umfassendes Onlineangebot, wie sie es aus anderen Bereichen kennen. Für Banken ist das allerdings gar nicht so einfach umzusetzen. Prozesse und Regulierungen sind sehr komplex. Um beidem gerecht zu werden und trotzdem profitabel zu wirtschaften, führt kein Weg an der "digitalen Transformation" vorbei. Und die will zuallererst wissen: Was erwartet der Kunde? Der Beitrag stellt anhand der Baufinanzierung mehrere Studien vor, die sich mit dem Spannungsfeld Kunde-Bankberater beschäftigt haben und zeigt konkrete, digitale Lösungen auf. (Red.)

Banken bewegen sich in einem zunehmend anspruchsvollen Umfeld, in dem die Kundenerwartungen steigen und die Margen schrumpfen. Deshalb ist es wichtiger denn je, gerade komplexe Vorgänge wie zum Beispiel eine Baufinanzierung zu optimieren.

Als Antwort darauf ist die "digitale Transformation" ein viel gebrauchter Begriff. Finanzinstitute wollen (und müssen) flexibel auf Kundenbedürfnisse reagieren und sich gegen neue Konkurrenten behaupten. Das geht nur, wenn die Angebote stimmen, die Abläufe hinter den Kulissen effizient sind und sich die Interessenten gut aufgehoben fühlen. Entscheidend ist es bei alledem, von Anfang an das Kundenerlebnis (die Customer Experience) in den Mittelpunkt zu stellen. So jedenfalls betonen es sechs kürzlich ausgewertete Studien zum Thema digitale Baufinanzierung. Die wichtigsten Erkenntnisse, Fakten und Ratschläge daraus stellt dieser Beitrag nun vor.

Anspruchsvolles Umfeld

Der Baufinanzierungsprozess bietet sich als Beispiel für die Herausforderungen der Branche an, weil er besonders viel abverlangt. Zum einen ist er komplex, da die Bankmitarbeiter viele Informationen und Dokumente anfragen und auswerten müssen. Zum anderen ist er für die meisten Kunden die größte Finanztransaktion ihres Lebens, die sie entsprechend aufmerksam und umsichtig angehen.

Die Baufinanzierung ist zugleich ein gutes Vorbild für andere Anwendungsfälle, denn die Grundlagen sind dieselben. So steht auf der einen Seite immer das Finanzinstitut mit seinen Kundenberatern. Und auf der anderen Seite findet sich immer der Endkunde, den es zu gewinnen, beraten und betreuen gilt. Zwischen beiden werden viele Dokumente ausgetauscht und es gibt zahlreiche Interaktionen über die unterschiedlichsten Kanäle wie persönliche Meetings, E-Mails, Telefongespräche und mehr. Es ist darüber hinaus wichtig, nicht nur die eigentliche Transaktion zu betrachten: Die Bank mit ihren Angeboten muss viel früher auf dem Radar der Interessenten auftauchen. Diese informieren sich heute schließlich auf Vergleichsportalen oder schauen sich auf Immobilienmarktplätzen im Netz um. Bereits hier sollte das Finanzinstitut potenzielle Kreditnehmer erreichen.

Zunehmender Druck

Durch die schnelle Vergleichbarkeit der Angebote steigt gleichzeitig der Kostendruck. Mehr Marktteilnehmer bedeuten in vielen Fällen außerdem ein verringertes Volumen. Und das geschieht alles, während neue Vorschriften und Compliance-Anforderungen die Arbeit verkomplizieren und viele Prozesse intern teurer werden: Im Bereich der Baufinanzierung gehen nach Angaben der Boston Consulting Group ("US Mortgage Industry White Paper") 70 Prozent der beobachteten Kostensteigerungen auf Personalausgaben zurück. Anders gesagt: Viele manuelle Prozesse verschwenden wertvolle Zeit. So werden zum Beispiel Dokumente per Post oder E-Mail zugeschickt und Bankmitarbeiter müssen diese aufwendig sortieren, auswerten, die Daten übernehmen und fehlende Informationen wiederum anfordern. Diese Zeit wäre sehr viel besser in die Kundenberatung investiert.

Deshalb gilt: Die Arbeitswerkzeuge sollten die Mitarbeiter so effizient, effektiv und angenehm wie möglich unterstützen. Dann können sie sich auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Zudem verringert dies die Bearbeitungs- und Antwortzeiten deutlich - ein wichtiger Punkt im Rahmen der Customer Experience. Einen solchen ganzheitlichen Ansatz stellt das Beratungsunternehmen Accenture im Report "Achieving the true digital mortgage" ebenfalls heraus. So sei es zwar "smart", digitale Angebote auf Kundenseite zu haben. Aber: "Nach unserer Erfahrung müssen Banken für ein profitables, digitales Baufinanzierungsangebot mehr tun. Sie müssen das gesamte Ökosystem betrachten und dabei sowohl für die Kunden als auch für das Backoffice digitale Potenziale erschließen, die Automation, Qualität und Effizienz vorantreiben."

Digitalisierung? Ja, bitte!

Die Untersuchungen zeigen zudem, dass die potenziellen Kunden längst bereit sind für den Wandel. Mehr und mehr können sie sich vorstellen, eine Baufinanzierung rein digital abzuschließen: Deutliche 80 Prozent der Befragten sind es laut Boston Consulting Group. Und PwC kommt in seinem "Home Lending Experience Radar 2018" zu dem Schluss: "Die Frage ist nicht mehr, ob Kunden digitale Werkzeuge wollen. Es ist nun die Frage danach, wann, warum und wie sie sie nutzen wollen."

Der Status quo sieht allerdings bescheiden aus: Laut der US-Untersuchung "Competing on Customer Experience in US Mortgage" von McKinsey & Company gaben nur 42 bis 48 Prozent der befragten Kunden ihrer Bank gute Noten, wenn es um die Baufinanzierung ging. Bei Nicht-Banken waren es immerhin 52 bis 67 Prozent. Das lasse "viel Platz für Verbesserungen", wie McKinsey es diplomatisch ausdrückt.

Ihre gute Nachricht im selben Report: Begeistert die Customer Experience die Kreditnehmer und erarbeitet sich das Bankhaus dadurch einen guten Ruf, spielen Preise beim Vergleich eine weniger entscheidende Rolle. Ein besonders gutes Kundenerlebnis wird demnach von vielen Interessenten als ähnlich wichtig angesehen wie die bestmöglichen Konditionen - manche Befragten bewerten es sogar höher.

Erwartungen der Kunden

Die Ansprüche an digitale Erlebnisse und Services sind allerdings hoch. Kunden erwarten heute von ihrem Finanzinstitut ein ähnlich umfassendes und nahtloses Erlebnis wie bei anderen Onlineangeboten. Das gilt nicht nur für den gelegentlichen Blick aufs Bankkonto, sondern erst recht für umfangreiche Vorgänge wie die Baufinanzierung. Aus Sicht der Kunden ist diese Erwartungshaltung vollkommen natürlich. Man bedenke: Selbst wenn jemand ein Produkt für nur 4,99 Euro bei einem Onlineversandhändler bestellt, bekommt er jederzeit Informationen über den Lieferstatus, erhält E-Mails mit Updates und kann alles rund um die Bestellung auf der Website einsehen und beeinflussen. Diesen Komfort und dieses Serviceniveau erwartet er in der Folge ebenfalls andernorts - erst recht bei einem so weitreichenden Vorhaben wie der Baufinanzierung.

Das mag Bankmanagern unfair erscheinen, denn sie tragen eine größere Verantwortung und müssen mehr Regeln, Gesetzen und Vorschriften folgen als ein Onlineversandhändler bei einer Bestellung. An dieser Erwartungshaltung lässt sich dennoch nichts ändern. Banker müssen dabei nicht gleich besser werden wollen als die bekannten Internetgrößen. Aber sie sollten innovativ und dynamisch genug sein, um sich von Fintech-Startups nicht überholen zu lassen. Erreichen lässt sich dies über hilfreiche Werkzeuge für die Mitarbeiter und durchdachte Angebote für die potenziellen Kreditnehmer.

Angebote für Interessenten

Finanzinstitute sollten beispielsweise darauf eingestellt sein, mit ihren Kunden über alle denkbaren Kanäle zu kommunizieren. Die so anfallenden Daten müssen im Backoffice gesammelt an einer Stelle zusammenfließen. Das ist bisweilen leichter gesagt als getan, denn im Verlaufe des Prozesses kommen etliche Werkzeuge und Dienste unterschiedlicher Anbieter zum Einsatz. Von dieser Komplexität sollten Kunden möglichst gar nichts mitbekommen.

Weitere Anregungen aus den untersuchten Studien: Kalkulatoren, Ratgeberinhalte rund um den Baufinanzierungsprozess oder auch Checklisten helfen nicht nur den Anwendern, sondern erleichtern zugleich den Beratern die Arbeit. Denn dadurch müssen sie nicht mehr so häufig sich wiederholende Fragen beantworten und dieselben Dokumente und Informationen anfordern. Fortgeschrittene Systeme geben sogar proaktive Empfehlungen und Hinweise, wie das Beratungsunternehmen Oliver Wyman im Whitepaper "Digital Mortgage Nirvana" betont.

Leicht verständliche Gebühren und Tarife sind ebenfalls empfehlenswert. Andernfalls könnten Interessenten allein dadurch abgeschreckt werden - Stichwort "Wahlüberlastung". Ein Onlinehypothekenantrag sollte ebenso möglich sein wie die digitale Erfassung von Antragsdaten und Dokumenten. Idealerweise achtet das Finanzinstitut dabei auf Onlineformulare in einfacher Sprache. Das digitale Unterzeichnen von Anträgen gehört zum guten Ton. Updates über den Stand der Dinge sollten in Echtzeit zur Verfügung stehen.

Auf den Punkt gebracht: Wichtige Eigenschaften einer guten Customer Experience sind Geschwindigkeit, Transparenz, Komfort und Personalisierung. "Personalisierung" bedeutet an dieser Stelle auch, auf unterschiedliche Beratungsbedürfnisse und Kundentypen einzugehen. Manche möchten am liebsten alles selbst umsetzen und ausfüllen. Sie lassen sich gern vom System durch den Prozess führen. Andere legen hingegen Wert auf den persönlichen Kontakt. Sie erwarten ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Und oftmals ist beides gefragt: Am Anfang informieren sich Interessenten zunächst selbst und suchen später das persönliche Gespräch. Bei alledem ist der Wissensstand der Interessenten höchst unterschiedlich, was ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Werkzeuge für Mitarbeiter

Die Werkzeuge der Mitarbeiter sollten ihnen Arbeit abnehmen und ihnen mehr Raum geben, um als Berater zu fungieren. Eine automatisierte Kreditprüfung sorgt beispielsweise für eine schnelle Antwort.

Im weiteren Verlauf des Prozesses ist es hilfreich, Daten aus PDFs und gescannten Dokumenten automatisch zu extrahieren. Dienste von Dritten wie Bonitätsprüfungen oder Objektbewertungen sollten wiederum direkt in die Arbeitsoberfläche eingebunden sein - anstatt die Informationen aus den unterschiedlichen Quellen selbst zusammenstellen zu müssen. KI-Anwendungen ermöglichen es nicht zuletzt mehr und mehr, den Interessenten automatisch einzuordnen: An welcher Stelle der Customer Journey befindet sich die Person? Steht sie noch ganz am Anfang und braucht grundlegende Informationen? Oder ist sie etwa schon bereit zum Abschluss?

Ratschläge für die Umsetzung

Wie eingangs schon erwähnt, empfehlen alle untersuchten Studien, mit dem Kundenerlebnis zu beginnen. Das deckt sich mit hauseigenen Erfahrungen: Die Customer Experience ist der Hebel, der als Erstes zu bedienen ist. Die Bank sollte hier hilfreich, freundlich, kompetent, vertrauenswürdig und modern erscheinen. Das lässt sich über unterstützende Instrumente und Dienste sowie über eine menschliche Ansprache erreichen. Schnelle Erfolgserlebnisse wie ein Onlinerechner sind ebenfalls vorteilhaft. Der Grund ist wie weiter oben bereits dargestellt: Kunden haben eine Erwartungshaltung an Onlineangebote, die eine Bank ebenso erfüllen muss. Interessenten schauen sich auf verschiedenen Portalen und bei mehreren Anbietern um. Werden die neugierigen Erstbesucher hier nicht entsprechend modern empfangen, sind sie schnell wieder weg.

Die Zahl der manuellen Schritte im Backoffice zu reduzieren, ist der nächste wichtige Punkt. Das gilt besonders für die Auswertung der zahlreichen eingereichten Dokumente. Kunden erwarten heute zeitnahe Rückmeldungen. Das bedeutet nicht, dass man sofort eine Antwort parat haben muss. Aber wenn das eine Finanzinstitut innerhalb von zwei Tagen reagiert und das andere drei Wochen braucht, dann hat sich der Interessent eventuell bereits entschieden. Hier empfiehlt sich das Motto: Denke groß, starte klein. Es muss nicht alles auf einen Schlag beschleunigt werden. Sinnvoller ist es, zunächst einfache Aufgaben zu automatisieren und sich so Schritt für Schritt zu verbessern.

Produkte und Lösungen für die Mitarbeiter sollten programmierschnittstellengerecht sein. Bedeutet: Sie haben Schnittstellen, um Informationen anderer Angebote und Anbieter direkt einfließen zu lassen. Alle wesentlichen Daten finden sich dann an einer Stelle. Programmierschnittstellen können es zudem ermöglichen, mit externen Partnern zusammenzuarbeiten. Wie weiter oben erwähnt, sollten Banken frühzeitig in der Customer Journey auftauchen. Mit den passenden Schnittstellen lassen sich Informationen automatisiert an Vergleichsportale und andere Angebote geben. Grundsätzlich gilt: Es geht nicht etwa darum, die Kundenberater zu ersetzen, sondern sie in ihrer Arbeit zu unterstützen.

Was lässt sich damit erreichen?

Steht am Ende noch die Frage: Lohnt sich der Aufwand? Als Ziel haben Finanzinstitute schließlich Profitabilität und Wachstum im Blick. Darüber hinaus möchten sie sich mit ihren Angeboten positiv von der Konkurrenz abheben.

Glaubt man den genannten Studien, lassen sich durch die hier beschriebenen Maßnahmen lohnenswerte Effekte erzielen. Die Abschlussraten steigen, die Produktivität der Mitarbeiter ebenfalls. Zugleich sinken die Bearbeitungszeiten und die Kosten für die Kreditvergabe. KPMG schätzt im Whitepaper "KPMG perspectives on delivering digital mortgage solutions", dass sich über verschiedene Messwerte hinweg etwa 20 bis 30 Prozent Wachstum und 30 bis 50 Prozent nachhaltige Einsparungen erzielen lassen.

Letztlich sollte es nicht darum gehen, die eine oder andere Zahl zu verbessern. Natürlich ist es wichtig, diese zu messen und Erfolge zu dokumentieren. Vielmehr steht aber im Fokus, mittelfristig den Anschluss nicht zu verlieren und die Kunden mit all ihren Erwartungen optimal zu bedienen. Und wie hier dargestellt muss dies in einem zunehmend hart umkämpften und vernetzten Umfeld gelingen.

Dr. Tobias Christen , Mitgründer und CEO von DSwiss AG
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