DIGITALISIERUNG

Factoring und Leasing auf Basis der Blockchain-Technologie

Möglichkeiten des digital programmierbaren Euros

Prof. Dr. Philipp Sandner, Foto: Frankfurt School of Finance & Management

Blockchain revolutioniert die Finanzbranche. Wenn erst einmal Bitcoin und Co als allgemeines Zahlungsmittel akzeptiert werden und sich der digital programmierbare Euro durchsetzt, bieten sich insbesondere für die Geschäftsmodelle Factoring und Leasing zahlreiche Möglichkeiten. Fahrzeuge und Maschinen könnten beispielsweise zu eigenen kleinen Profitcentern werden. Einige Firmen haben bereits mit diversen Testphasen begonnen. Ein Beitrag über Voraussetzungen, Wertschöpfung, rechtliche Aspekte und autonomen Cashflow. (Red.)

Die Blockchain-Technologie wird alles, was mit Finanzen zu tun hat, verändern. Kryptowährungen werden dabei eine gewisse Rolle spielen. Allerdings werden Unternehmen die Blockchain-Technologie vor allem einsetzen, wenn der Euro "on chain" notiert wird. Dann werden Maschinen, Nutzfahrzeuge oder Autos nicht nur autonom agieren, sondern auch mit Finanzdienstleistungen wie Leasing oder Factoring integriert werden. Für die Finanzbranche brechen damit neue Zeiten an. Dies betrifft in erster Linie die originären Geschäftsmodelle wie etwa Banken und Börsen. Der Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie geht jedoch darüber weit hinaus. Was mit Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum begann, setzt sich nun in Überlegungen fort, etwa Wertpapiere oder auch Währungen wie den Euro auf Blockchain-Basis zu notieren.

Die Blockchain-Technologie bietet im Kern eine herausragende Möglichkeit, ein Register digital zu verwalten. Alles was in Registern geführt wird, eignet sich grundsätzlich dazu, auf Blockchain-Systeme übertragen zu werden. Wenn nun eine Währung wie der Euro auf Blockchain-Basis abgebildet wird, ergeben sich zahlreiche Vorteile.

Geringe Akzeptanz

Der Euro auf Blockchain-Basis wird gerade für die deutsche Industrie (zum Beispiel Maschinenbau, Mobilität) besonders wichtig sein: Unternehmen schreiben ihre Rechnungen in Euro und nehmen Buchungen ebenfalls in dieser Währung vor. Eine Welt, in der beispielsweise ein großer deutscher Autohersteller eine Rechnung in Bitcoin notierend versendet, ist bis auf Weiteres nicht vorstellbar. Zu gering ist die allgemeine Akzeptanz als Zahlungsmittel und zu groß sind regulatorische Hürden. Beim Thema Euro auf Blockchain geht es darum, dass ein Blockchain-Netzwerk verwendet wird, um die Kontoführung technisch zu organisieren.

Kritiker postulieren, dass für den digitalen Euro keine Blockchain-Technologie benötigt wird. Nachfolgend werden daher einige Gründe genannt, warum sich die Blockchain-Technologie als technologische Basis für den digitalen Euro eignet. Das Wort Blockchain wird dabei als Synonym für "Blockchain im weiteren Sinne" verwendet und meint genau genommen Distributed-Ledger-Technologie-Systeme, die durch die Blockchain-Technologie inspiriert wurden. Diese weisen gemeinsame technische Merkmale mit der Ur-Blockchain des Bitcoins auf.

- Machine Economy: Schätzungen zufolge werden 2025 mehr als 20 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Das sind circa dreimal so viele Geräte wie Menschen aktuell auf der Erde leben. Ein Teil dieser Geräte wird früher oder später auch in den Zahlungsverkehr eingebunden werden. Die Blockchain-Technologie ist sehr gut geeignet, Millionen von Geräten mit einem Computerchip und mithin mit einem Wallet auszustatten. Dadurch kann ein Gerät Zahlungen empfangen (Umsätze), Geld transferieren (Kosten) und in automatisierte Geschäftsprozesse eingebunden werden (durch Smart Contracts). Mehrheitlich muss und wird dies in Euro geschehen. Dass derartige Zahlungsprozess nicht in Euro, sondern in Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum abgewickelt werden, ist im Unternehmenskontext undenkbar. Nur wenn Zahlungen zwischen Maschinen in Euro ausgeführt werden, müsste keine Buchhaltung umgestellt werden und es gäbe keine Wechselkursrisiken.

Technologisch gesehen müssen Blockchain-Systeme natürlich noch weiterentwickelt werden, um den Transaktionsdurchsatz zu erhöhen. Schreibt man die technologische Entwicklung der letzten Jahre in die kurzfristige Zukunft fort, ist dies allerdings kein Hindernis. Auch der Speicherbedarf durch redundante Datenspeicherung ist unkritisch, wenn man beachtet, dass autonome Autos demnächst hunderte Gigabyte an Daten erzeugen. Und das pro Auto Tag für Tag.

- Euro als Token: Der Euro repräsentiert Wert, ebenso wie auch Aktien, Immobilien und andere Gegenstände. In der heutigen Welt gibt es Plattformen für den Euro-Zahlungsverkehr und andere Systeme für den Wertpapierhandel. In der Finanzwelt der Zukunft werden beide siloartigen Systeme verschmolzen. Es ist bereits jetzt erkennbar, dass diese auf einer Blockchain-Plattform basieren, auf der der Euro ebenso notiert ist wie diverse Aktien, Wertpapiere und zahlreiche weitere Wertgegenstände.

All diese Wertgegenstände sind letztlich Tokens auf einem integrierten Blockchain-System. Hierauf findet der Handel statt; etwa wenn eine Konzern-Aktie für einen bestimmten Euro-Betrag erworben wird. Zahlung und Lieferung - in der Finanzwelt unter "payment versus delivery" bekannt - passieren zum selben Zeitpunkt. Wertgegenstände müssen nicht mehr zwischen siloartigen Systemen transferiert oder abgeglichen werden. Blockchain-Systeme werden in der Lage sein, verschiedene Arten von Wertgegenständen (das heißt Tokens) integriert abzubilden, ohne dass neue siloartige Strukturen entstehen.

- Smart Contracts: Bei der ganzen Diskussion geht es nicht allein um den reinen Zahlungsverkehr, sondern auch darum, eine Zahlung in eine Geschäftslogik oder einen Geschäftsprozess einzubinden. Beispiele sind Treuhandprozesse, Daueraufträge, Zinszahlungen, Factoring, Leasing oder Kredite. Derartige Prozesse können ideal mit Smart Contracts programmiert werden. Was heute durch Prozessbrüche sowie uneinheitliche Schnittstellen nur mit viel Aufwand funktioniert, klappt durch Einsatz von Euro-notierten Smart Contracts besser, schneller und effizienter. Diese Smart Contracts sind am besten per Blockchain-System verwendbar.

Sinnvoll für Finanzdienstleister

Blockchain ist gerade für Finanzdienstleistungen wie Leasing und Factoring sinnvoll einsetzbar. Da die Technologie etwa die Einbindung von Maschinen in ein Zahlungsnetzwerk erlaubt und zudem geeignet ist, den Euro als Rechnungseinheit abzubilden. Der Euro wird für Maschinen unkompliziert zugänglich und "programmierbar".

Spannend wird es, wenn nicht nur Überweisungen auf Blockchain-Basis in Euro-Notation initiiert werden, sondern wenn der gesamte Zahlungsverkehr einer Geschäftslogik unterworfen wird. Konkret bedeutet dies, dass Prozesse und Zahlungsverkehr "programmiert" werden. Man kennt derartiges "programmierbares Geld" derzeit in Form von Leasing-Verträgen, Finanzierungsmodellen, Zinszahlungen, Factoring-Lösungen et cetera. All diese Prozesse lassen sich unkompliziert auf Blockchain-Basis programmieren und können direkt an Maschinen angeschlossen werden.

Neue Profitcenter

Die Vision ist, Fahrzeuge wie Lastwagen oder Autos, Produktionsmaschinen oder Silos in der Chemiebranche als eigene kleine Profitcenter zu betreiben. Ein autonom fahrendes Kraftfahrzeug würde dann eigene Ein- und Auszahlungen verbuchen und somit einer Cashflow-Rechnung unterliegen. Auszahlungen eines autonom fahrenden Lastwagens wären etwa Kosten für Diesel, Maut und Wartung. Demgegenüber stehen Umsätze aus dem Transport von Gütern. Diese Kosten und Umsätze würde der Lastwagen selbst verbuchen.

Der Hersteller oder der Besitzer dieser Maschinen würde auf Grundlage des Verbrauchs des Kunden bezahlt werden. Dies ermöglicht eine präzisere Cashflow-Prognose und sofortige Liquidität. Auf einer höheren Ebene entsteht so ein Finanzierungs- und Informationsnetzwerk für die Beteiligten, einschließlich Lieferanten, Banken, Finanzinstitute und Kunden, während der Zahlungsfluss mit dem Warenfluss synchronisiert wird.

Weil der Lastwagen an ein Blockchain-Netzwerk angeschlossen ist, verfügt er selbst über Budget für etwaige Kosten. Mittels des Euro auf Blockchain-Basis kann das Kraftfahrzeug solche Zahlungen selbst anweisen. Analog dazu gehen Umsätze in Euro-Notation auf dem Wallet des Lastwagens ein. Im Ergebnis entsteht so für einen einzelnen autonom fahrenden Truck ein Profitcenter. Dieses erlaubt die Berechnung einer Rendite. Dies wäre für Leasing erforderlich. Gleichzeitig entsteht auf Ebene des Lastwagens die entsprechende Transparenz, um die Validität einer Forderung zu analysieren. Dies wäre für Factoring erforderlich.

Im Hintergrund wäre ein blockchainbasierter Kapitalmarkt notwendig, der Finanzierungen für Leasing-Objekte und Factoring bereitstellt und automatisch durchführt. Was utopisch klingen mag, ist mit dem aufkommenden Schlagwort "Decentralized Finance" in ersten Zügen erkennbar. Weite Teile der Treasury-Funktionen wie etwa die Bereitstellung von Liquidität zu einem exakt terminierten Zeitpunkt oder die Berechnung von Zinsen würden durch die Blockchain-Technologie mit ihren Smart Contracts ermöglicht und könnten dann gänzlich automatisch erfolgen.

Rechtliche Strukturierung

Der Experte wendet nun ein, dass die Kosten für die rechtliche Strukturierung viel zu hoch wären. Dies wird die Blockchain-Technologie früher oder später ändern, sofern gesetzliche Regeln angepasst werden. In Liechtenstein trat beispielsweise bereits im Januar 2020 das neue Blockchain-Gesetz in Kraft, welches all diese Visionen aufgrund von neuen rechtlichen Regelungen Wirklichkeit werden lassen könnte.

Natürlich ist Liechtenstein ein kleines Land. Es ist aber schon jetzt erkennbar, dass andere Länder ebenfalls beginnen, ihre gesetzlichen Regelungen anzupassen. Im Übrigen nimmt Deutschland eine führende Rolle in Europa ein. Die Setup-Kosten für derartige Verbriefungskonzepte - in der Blockchain-Welt als Tokenisierung bekannt - werden in den kommenden Jahren dramatisch fallen, sodass Investitionsgüter oder Forderungen am "blockchain-basierten Kapitalmarkt" direkt verbrieft werden können.

Alles nur Visionen?

Die Blockchain-Technologie befindet sich noch im Anfangsstadium. Einige der dargestellten Gedanken basieren auf Experimenten, die verschiedene Unternehmen in Deutschland derzeit durchführen oder in jüngster Vergangenheit durchgeführt haben. Der Daimler-Konzern ist zum Beispiel sehr aktiv im Blockchain-Bereich: Ein spannendes Experiment ist der 2017 vorgestellte Ansatz, Lastwagen an ein Blockchain-Netzwerk anzuschließen. Dadurch soll das Leasing-Geschäft für Trucks ausgeweitet werden. Auch hier könnte der Lastwagen ein singuläres Profitcenter werden, das eigenmächtig eingehende Leasing-Zahlungen überwacht. Bleiben diese - etwa aufgrund von betrügerischen Absichten einer Spedition - aus, würde das Kraftfahrzeug nach dem nächsten Tankvorgang nicht mehr anspringen. Die oben dargestellte Logik, Dinge sowie Maschinen in ein Blockchain-Netzwerk einzubinden und den Euro damit auf Blockchain-Basis bereitzustellen, greift auch hier.

Auch der Euro auf Blockchain-Basis ist bisher nur ein Testobjekt bei verschiedenen Unternehmen. Einige Firmen sind in diesem Bereich bereits aktiv. Sie bieten heute oder in Kürze den Euro auf Blockchain-Basis in verschiedenen Varianten an. Die Commerzbank und die LBBW haben den Euro auf Blockchain-Basis für Testprojekte bereits realisiert. Das deutsche Startup Cash on Ledger arbeitet schon jetzt mit Euro-notierten Smart Contracts für die Realisierung erster Projekte. Das Start-up Finbc aus Frankfurt wickelt Rechnungen mit einem Blockchain-Euro ab und wird diese Dienstleistung in Kürze bereitstellen. Monerium aus Island bietet demnächst den Euro und auch andere Währungen auf dem Ethereum-Netzwerk an. Diese Projekte sind mittlerweile real und funktionieren. Ankündigungen von ähnlichen Plänen gibt es weiterhin, zum Beispiel von der US-Bank J. P. Morgan oder auch dem DAX-Konzern Allianz.

Die ersten Maschinen und Nutzfahrzeuge, die als individuelle Profitcenter angelegt sind, werden noch dieses Jahr erprobt. Natürlich wird es einige Zeit dauern, bis für derartige Ansätze die Marktreife erlangt ist. Und doch zeigt sich, dass die eingeschlagene Richtung erkennbar wird. Der übergeordnete Trend ist eindeutig: Das Thema Finanzierung wird sich in den kommenden Jahren von klassischen Unternehmen der Finanzbranche entfernen - hinein in eine blockchain-basierte Infrastruktur und hin zu Industriekonzernen.

Fußnoten

1) IHS. (2016). Internet of Things (IoT) connected devices installed base worldwide from 2015 to 2025 (in billions), https://www.statista.com/statistics/1101442/iot-number-of-connected-devices-worldwide/ (Stand: 15. Juni 2020).

2) Rudolf, B., Kuhs, M., Baer, M., & Zintl, S. (2019). AZHOS Proof of Existence for Supply ChainFinance,https://azhos.io/media/pdf/190930_V1.1.0_whitepaper_eng_no_token_GZxrVYv.pdf

3) Vgl. Chen, Y. (2018). Blockchain tokens and the potential democratization of entrepreneurship and innovation. Business Horizons, 61(4), 567-575.

4) Outlier Ventures. (2018). The Convergence Ecosystem Convergence 2.0 Building the Decentralised Future, https://outlierventures.io/wp-content/uploads/2019/05/The_Convergence_Ecosystem_Report_Outlier_Ventures_ 2018.pdf

5) Vgl. Ministry for General Government Affairs and Finance Liechtenstein. (2018). Vernehmlassungsbericht der Regierung betreffend die Schaffung eines Gesetzes über auf vertrauenswürdigen Technologien (VT) beruhende Transaktionssysteme (Blockchain-Gesetz; VT-Gesetz; VTG) und die Abänderung weiterer Gesetze, https://www.llv.li/files/srk/vnb-blockchain-gesetz.pdf

6) Vgl. Commerzbank AG. (2019). Pressemitteilung: Continental, Commerzbank und Siemens testen erfolgreich Blockchain-Technologie im Geldmarkt, https://www.commerzbank.de/de/hauptnavigation/presse/pressemitteilungen/archiv1/2019/quartal_19_01/presse_archiv_detail_ 19_01_79242.html (Stand: 15. Juni 2020).

PROF. DR. PHILIPP SANDNER ist Gründer und Leiter des Frankfurt School Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance and Management. Seine Expertise umfasst unter anderem die Blockchain-Technologie, Kryptowerte sowie den digitalen programmierbaren Euro.E-Mail: email[at]philipp-sandner[dot]de
PHILIPP SCHULDEN ist Chief Operations Officer am Frankfurt School Blockchain Center der Frankfurt School of Finance and Management. Er beschäftigt sich unter anderem mit den Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain-Technologie im industriellen Kontext sowie deren Auswirkungen auf Unternehmensfunktionen.E-Mail: philipp.schulden[at]fs-blockchain[dot]de
Prof. Dr. Philipp Sandner , Leiter des Frankfurt School Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance and Management, Frankfurt am Main
Philipp Schulden , Chief Operations Officer, Frankfurt School of Finance and Management

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