FACTORING

Finanzierungstrends in Krisenzeiten

Aktuelle Erhebungen zum Markt im Mittelstand

Michael Ritter, Foto: BFM e. V.

Wie finanzieren sich kleine und mittlere Unternehmen in wirtschaftlich angespannten Zeiten? Dieser Frage geht eine aktuelle repräsentative Studie nach, für die 1 685 Finanzentscheider in kleineren und mittleren Unternehmen befragt wurden. Auftraggeber ist der Bundesverband Factoring für den Mittelstand e. V., die Durchführung lag beim Institut Kantar. Die Ergebnisse zeigen: Während die Hausbank als Geldgeber in den Hintergrund rückt, gewinnen alternative Finanzierungsmethoden wie das Factoring an Bedeutung. (Red.)

Liquidität ist ein Schlüssel für Geschäftserfolge. In Zeiten von Corona kommt mit neuem Gewicht der Risikoschutz hinzu - die Insolvenzwelle, die sich aufbaut, könnte bis in das Jahr 2022 hineinreichen. Ein Stimmungsbild unter den Finanzentscheidern liefert die Factoring-Studie 2021 des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand e. V. (BFM), die in deutschen Unternehmen mit bis zu 50 Millionen Euro Umsatz erhoben wurde.

Ein zentrales Ergebnis der Studie: Jeder zweite Entscheider in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) möchte seine Bindung zur Hausbank lockern und bei der Finanzierung unabhängiger agieren. Diesen Wunsch äußern 49 Prozent in der Umsatzgrößenklasse bis 2,5 Millionen Euro und 53 Prozent in der Klasse 2,5 bis 50 Millionen Euro. Nach Branchen liegt die höchste Zustimmung beim Im- und Export (65 Prozent), am niedrigsten beim Handel (41 Prozent). Coronabedingt haben bereits 14 Prozent der KMU neue Instrumente wie das Factoring geprüft. In der Umsatzgrößenklasse 2,5 bis 50 Millionen Euro war fast jeder Vierte (23 Prozent) durch die Krise mit Finanzierungsalternativen befasst, bei den Branchen vor allem Im- und Export (24 Prozent), Handel (19 Prozent) und Bau (19 Prozent).

Marktveränderungen durch Pandemie

Dass sich Finanzentscheider gerade in der Krise für neue Lösungen interessieren, wird auch durch die verbandsinterne BFM-Umfrage bestätigt, deren Ergebnisse Anfang 2021 vorlagen. Demnach können die meisten Mitglieder zwar nicht an die guten Geschäftsergebnisse des Vorjahres anknüpfen. Dennoch ist der Blick auf die kommenden Monate überwiegend zuversichtlich.

So gehen 58 Prozent der Factoring-Gesellschaften von einem Wachstum und 32 Prozent von gleichbleibenden Umsätzen aus. Deutliche Impulse werden im laufenden Jahr aus dem Neugeschäft erwartet: Mit 58 Prozent rechnet die Mehrheit der BFM-Mitglieder mit einem erhöhten Ankaufsniveau durch neue Kunden. 37 Prozent erwarten eine konstante Entwicklung in diesem Bereich. Mehr als 83 Prozent sind sicher, dass gesamtwirtschaftlich die Nachfrage nach Factoring steigen wird. Die Anbieter haben gute Argumente, auch mit dem umsatzkongruenten Prinzip von Factoring. Es kann zur Erholung von Unternehmen beitragen, deren Umsätze nach pandemiebedingten Rückgängen wieder anspringen. Um das zu erwartende Wachstum zu nutzen, wird schnell verfügbare Liquidität gebraucht - unabhängig vom Limit der Kreditlinien.

Auch während der Krise konnten Unternehmer Factoring gewinnbringend einsetzen. Beispiele sind zum einem die vielen Neugründungen, die seit 2020 mit dem Geschäftszweck Corona-Masken oder Schutzkleidung entstanden. Ihr hochdynamisches Wachstum lässt sich mit einer Umsatzfinanzierung wirksam begleiten. Zum anderen bietet die Umsatzkongruenz von Factoring selbst bei rückläufigen Geschäftsentwicklungen einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: die variablen Kosten. Wenn keine Forderungsverkäufe stattfinden, entstehen an dieser Stelle auch keine Finanzierungskosten. Demgegenüber bleibt die Bereitstellungsprovision von Bankkrediten unverändert bei Umsatzeinbußen bestehen.

Anstieg der Insolvenzen, Schutz vor Forderungsausfall

Rückblickend auf das Corona-Jahr 2020 lässt sich feststellen, dass sich der Markt für Factoring im Mittelstand nahe an den Trends der Gesamtwirtschaft bewegt hat. Anders als in den Vorjahren, die durch ein wachsendes Volumen der Forderungsankäufe gekennzeichnet waren, bilden die Ergebnisse 2020 laut verbandsinterner Umfrage ein breites Spektrum ab. Die Umsatzentwicklungen bei den BFM-Mitgliedern variieren von minus 28 Prozent bis plus 45 Prozent. Hintergrund: Der Markterfolg wird wesentlich davon mitbestimmt, wie stark die einzelnen Factoring-Nutzer und ihre Branchen von der Pandemie betroffen sind. Rund 89 Prozent der befragten Factoring-Experten gehen davon aus, dass es im Laufe des Jahres zu einem Anstieg der Debitoreninsolvenzen kommen wird. Zwei Drittel (67 Prozent) erwarten zudem verlängerte Forderungslaufzeiten, so die Ergebnisse zum Jahresbeginn.

Die Sorge um die drohende Insolvenzwelle steigt derzeit weiter an. Lieferketten haben keine zuverlässige Zahlungshistorie mehr. Ob der Abnehmer in der Bonität so stark ist wie früher oder ein durch öffentliche Hilfe ausgestattetes Zombie-Unternehmen, lässt sich häufig nicht feststellen. Wachstum, mit dem KMU die Krise überwinden können, ist oft erst mit Neukunden möglich, deren Bonität man nicht kennt. Auch an diesem Punkt bietet Factoring einen Mehrwert, denn die Anwender erhalten regelmäßig Bonitätsauskünfte. Durch eine engere Bonitätsüberwachung der Debitoren konnten Factoring-Gesellschaften die Sicherheit ihrer Kunden oftmals weiter erhöhen.

Abbildung 1: Zentrale Ergebnisse der BFM-Factoring-Studie Quelle: BFM Bundesverband Factoring für den Mittelstand/Kantar

Wirtschaftliche Lage der Unternehmen

Den Rückstau der Firmeninsolvenzen hat die Wirtschaftsauskunftei Crif Bürgel in einem Modell berechnet. Demnach besteht die Welle aus circa 16500 zusätzlichen Insolvenzen. Betroffen sind vor allem Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern. Sollte die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im vollen Umfang aufgehoben werden, sind dann insgesamt 35500 Firmeninsolvenzen in Deutschland möglich. Über 300 000 inländische Unternehmen haben derzeit finanzielle Probleme, analysiert Crif Bürgel.

Ähnlich schätzt Creditreform die Lage ein. Das Insolvenzgeschehen als Seismograf für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung habe sich vom realen Zustand der deutschen Unternehmen entkoppelt. Spürbar erhöht haben sich die Schäden für die Gläubiger von insolventen Unternehmen. Im Jahr 2020 summierten sich die offenen Forderungen auf etwa 34 Milliarden Euro - nach 23,5 Milliarden Euro im Vorjahr. Pro Insolvenzfall müsse im Durchschnitt voraussichtlich die Rekordsumme von gut zwei Millionen Euro an Forderungsverlusten abgeschrieben werden.

In dieser Situation gewinnt ein vollumfänglicher Risikoschutz auch bei den aktuellen und zukünftigen Factoring-Nutzern an Wert. Laut Studie des BFM erklären 45 Prozent der Befragten, der regresslose Schutz vor Forderungsausfall sei ein zentraler Vorteil von Factoring. Am stärksten wird die Sicherheitsfunktion in den Branchen Bau (56 Prozent) und Dienstleistung (52 Prozent) geschätzt. Ähnliche Zustimmung findet das umsatzkongruente Konzept von Factoring. Eine Finanzierung, deren Volumen automatisch mit dem Umsatz wächst, ist für 43 Prozent der Entscheider interessant. Am höchsten ist die Zustimmung in den Bereichen Dienstleistung (55 Prozent) sowie Im- und Export (49 Prozent), ebenso in Unternehmen mit 2,5 bis 50 Millionen Euro Umsatz (55 Prozent).

Eine besondere Herausforderung für die Finanzverantwortlichen liegt in der veränderten Liquiditätssituation, die während und nach der Krise zu meistern ist. Factoring-Anbieter können hier individuelle Lösungen schaffen, auch in Kooperation mit den Hausbanken. Die Verbesserung der Liquidität sei das mit Abstand am meisten genannte Motiv für die Nutzung von Factoring, so Prof. Dr. Thomas Hartmann-Wendels in seinem Marktbericht für die FLF 4 / 2020. Seine Studien haben ergeben, dass - gemessen an der Anzahl der Factoring-Kunden - die Unternehmen mit einem Factoring-Umsatz bis zu zehn Millionen Euro den größten Anteil (93,5 Prozent) in Deutschland ausmachen. Zum Umsatzsegment über 50 Millionen Euro gehören dagegen nur zwei Prozent der Factoring-Kunden. Dies zeige, dass Factoring ein wichtiges Instrument im Finanzierungsmix vieler KMU sei.

Abbildung 2: Schutz vor Forderungsausfall Quelle: BFM Bundesverband Factoring für den Mittelstand/Kantar

Schnelle Liquidität und Mix der Instrumente

Vier von zehn der BFM-Befragten halten es für sinnvoll, sich bei der Liquiditätsbeschaffung breiter aufzustellen. Besonders offen für einen Finanzierungsmix sind Unternehmen in der Klasse 2,5 bis 50 Millionen Euro (53 Prozent), ebenso die Branchen Im- und Export (60 Prozent) und das verarbeitende Gewerbe (52 Prozent). Insgesamt sagen 42 Prozent, eine ausgewogene Finanzierung umfasse neben Eigen- und Fremdkapital auch Beteiligungen, Factoring und Leasing. Dennoch setzt nur eine Minderheit der KMU die in Forderungen gebundene Liquidität unverzüglich frei. Ein wesentliches Hemmnis, Factoring im eigenen Betrieb zu nutzen, liegt in der Unsicherheit mit dem Instrument. Diese geht aber kontinuierlich zurück. Räumten 2017 noch 75 Prozent der Entscheider eine unzureichende Vertrautheit ein, sind es derzeit 62 Prozent.

In Zukunft planen 15 Prozent der befragten KMU, ihre Liquidität mittels Forderungsverkauf zu erhöhen. Mittelständische Factors berichten: Kunden, die bereits mit dem Factoring vertraut sind, nutzen derzeit verstärkt die krisenrelevanten Vorteile. Das sind neben dem Ausfallschutz auch die Möglichkeiten, den eigenen Debitoren längere Zahlungsziele einzuräumen.

Kommunikation als Erfolgsfaktor

Spitzenwerte erzielte die Frage nach einem guten Dialog: 92 Prozent der Entscheider finden bei Finanzierungen einen persönlichen Kontakt wichtig, ermittelte der BFM. Die Zustimmung zieht sich durch alle Branchen vom Handel (89 Prozent) bis zum Baugewerbe (95 Prozent). Das Ergebnis spiegelt zugleich das Geschäftsmodell vieler mittelständischer Factoring-Gesellschaften wider, die auf einen Mix von Beratung und Digitalisierung setzen.

Spezielle Kenntnisse über die Branchen und den betrieblichen Alltag von KMU sind weiterhin entscheidend, um Factoring-Kunden auf Augenhöhe zu begleiten. Daneben bewähren sich digitale Schnittstellen, etwa zur Bearbeitung und Sofortauszahlung angekaufter Forderungen. 39 Prozent der KMU planen die Nutzung von digitalen Rechnungsformaten. In der Größenklasse bis 2,5 Millionen Euro Umsatz sind es 37 Prozent, in der Klasse 2,5 bis 50 Millionen Euro 62 Prozent. Ein Trend, den Factoring-Gesellschaften unterstützen, um die Liquiditätsbeschaffung ihrer Kunden noch effizienter zu gestalten.

Digitale Prozesse gemäß des neuesten Stands umzusetzen - das darf im heutigen Factoring-Geschäft vorausgesetzt werden. Entscheidend für die im BFM organisierten Gesellschaften ist ihr Beratungsansatz. Der direkte Austausch hat einen hohen Stellenwert. Schon in der Vertragsphase gibt es Treffen mit den Kunden. Während der laufenden Kooperation setzt man sich einmal pro Jahr zusammen, um die Finanzierung auf Passgenauigkeit zu prüfen. Im BFM ist man überzeugt: Mit bankenunabhängigen Konzepten lassen sich auch im herausfordernden Jahr 2021 Impulse bei der KMU-Finanzierung setzen.

Michael Ritter , Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Factoring für den Mittelstand e.V. in Berlin und Geschäftsführer der Adesion Factoring GmbH in Schorndorf

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