ZAHLUNGEN

Dem Finanzmarkt stehen unruhige Zeiten bevor

Sind die Unternehmen das Problem oder ist es der Kunde?

Ralph Bender, Foto: Marc Fippel/R. Bender

Regelmäßig befragt Intrum europaweit mehr als 10 000 Unternehmen, um Einblicke in das Zahlungsverhalten der Kunden und die daraus folgenden Konsequenzen und Handlungsmöglichkeiten zu erhalten. Die Ergebnisse des European Payment Reports 2019 geben auch Einblick in die Risikosituation von Finanzdienstleistern. So sind die Forderungsausfälle im europäischen Durchschnitt auf 2,3 Prozent gestiegen. Auch wenn sich die Situation in Deutschland besser darstellt, verschärfen Spätzahler und Ausfälle den finanziellen Spielraum der Unternehmen. (Red.)

Unternehmen müssen in Deutschland trotz positiver Entwicklung mehr als 100 Milliarden Euro abschreiben. Hinzu kommen viele weitere Milliarden Euro, die zu spät gezahlt werden. Ausbleibende oder verzögerte Umsätze haben negative Konsequenzen für die Unternehmen.

Im Durchschnitt mussten in Deutschland 1,7 Prozent der Forderungen aus dem Jahresumsatz 2018 als uneinbringlich abgeschrieben werden, weil keine Zahlungen mehr zu erwarten sind (1,6 Prozent in 2018). Der europäische Vergleichswert beträgt 2,3 Prozent (1,7 Prozent im Vorjahr). Dies geht aus der internationalen Studie "European Payment Report" (EPR) hervor, die das Zahlungsverhalten und die finanzielle Solidität in 29 Ländern untersucht hat.1)

Die europäische Wirtschaft schwächt sich ab, und in einigen Ländern ist ein wirtschaftlicher Rückgang deutlicher absehbar. Die befragten deutschen Unternehmen schätzen trotz Warnmeldungen in den Medien das Risiko einer Rezession im eigenen Land generell deutlich geringer ein als der europäische Durchschnitt. Zum Beispiel erwarten fünf Prozent der Deutschen, dass innerhalb eines Jahres eine Rezession im eigenen Land eintreten wird versus zehn Prozent im EU-Durchschnitt.

Unternehmer können bei einer drohenden Wirtschaftskrise effektive Vorkehrungen treffen, um sich auf den wirtschaftlichen Abschwung vorzubereiten, der ihre Einnahmen negativ beeinflusst. Wenn eine Rezession auch noch nicht unmittelbar spürbar ist, so sind doch die ersten Indikatoren deutlich erkennbar.

Im Vergleich zum europäischen Durchschnitt planen deutsche Unternehmen vorrangig Ertragssteigerungen über den Ausbau des Vertriebs sowie an zweiter Stelle Kostensenkungen, um dem negativen Trend frühzeitig entgegen zu wirken (Abbildung 1, Seite 42).

Auswirkung verspäteter Zahlungen

Eine zentrale Bedeutung für jedes Unternehmen ist die Planung des Cashflows, denn finanzielle Stabilität ist die Grundlage für Wachstum. Daher überrascht es nicht, dass verspätete Zahlungen als problematisch angesehen werden und die Folgen schwerwiegend sind. Wenn Rechnungen nicht fristgerecht bezahlt werden, kann dies massive Folgen haben. Zahlungsverzug kann zu Liquiditätsengpässen, Umsatzverlusten bis hin zu einer existenziellen Bedrohung des Unternehmens führen. Dies wiederum verhindert Wachstum und die Möglichkeit, neue Arbeitsplätze zu schaffen.

77 Prozent der befragten deutschen Unternehmen sagten, dass sie in eine problematische Situation geraten, wenn Kunden erst nach dem festgelegten Fälligkeitsdatum zahlen. Dies ist ein deutlich höherer Anteil als der europäische Durchschnitt von 51 Prozent. Das zweithäufigste Problem bei Zahlungsproblemen sind lange Zahlungsziele, bei denen 52 Prozent der deutschen Unternehmen angegeben haben, dass sie dies als problematisch empfinden. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Deutschland sagen, sie seien im vergangenen Jahr gebeten worden, längere Zahlungsfristen zu akzeptieren, als ihnen lieb war.

Spätzahler machen Probleme

Überraschend ist nach wie vor, dass 25 Prozent der befragten Unternehmen in Deutschland keinerlei Instrumente einsetzen, um Zahlungsausfälle zu vermeiden. 41 Prozent der deutschen Unternehmen nutzen Vorauszahlungen, nur 14 Prozent die Unterstützung durch Inkasso-Unternehmen, zwei Prozent Factoring. Unterm Strich sind faire Zahlungsbedingungen für Anbieter und Kunden wichtig, aber es sollte auch insgesamt wesentlich besser und professioneller vorgebeugt werden. Ziel muss es sein, dass die Unternehmen für ihre Leistungen fristgerecht bezahlt werden und die Ausfallquoten weiter sinken.

Unternehmen in ganz Europa berichten von negativen Signalen und erhöhten Schuldnerrisiken im Zusammenhang mit dem Zahlungsverhalten und der Situation ihrer Kunden. So sind die Forderungsausfälle europaweit auf 2,3 Prozent gestiegen, Zahlungen vor allem anderer Unternehmen (B2B) verspäteten sich trotz langer Zahlungsziele durchschnittlich um sechs Tage. Auch wenn sich die Situation in Deutschland besser darstellt als im europäischen Durchschnitt, verschärfen Spätzahler und Ausfälle den finanziellen Spielraum der Unternehmen. Im gesamteuropäischen Durchschnitt ist aber fast jedes fünfte Unternehmen - 18 Prozent - der Meinung, dass sich ihr Land bereits aktuell in einem wirtschaftlichen Abschwung befindet. In Ländern wie Griechenland und Italien sehen Unternehmen die Rezession als aktuelle Realität an, während die meisten Unternehmen in Deutschland und Österreich für die kommenden fünf Jahre keine Rezession erwarten. In Deutschland glauben 62 Prozent der befragten Unternehmen nicht, dass es in ihrem Heimatland in absehbarer Zeit zu einer Rezession kommen wird. Nur eine Minderheit von neun Prozent sehen Deutschland bereits in einer Rezession beziehungsweise erwarten diese innerhalb von einem Jahr.

Parallel zum wirtschaftlichen Abschwung beobachten wir auch die expansive Staatsverschuldung in verschiedenen Ländern, die nicht unwesentliche Risiken für den Finanzsektor beinhaltet.

Die aktuell in Rom praktizierte, exzessive Finanzpolitik wird für die Institute neue Belastungen mit sich bringen. Mehrere deutsche Banken sind recht stark in italienischen Staatstiteln engagiert: Laut Angaben der europäischen Bankenaufsicht halten deutsche Banken rund 32 Milliarden Euro an italienischen Staatsschulden. Sollte der italienische Staat seine Zahlungsverpflichtungen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr bedienen können, wären die italienischen Banken gefährdet. Dies hätte unmittelbare, negative Auswirkungen auch auf den deutschen Finanzsektor.

Europa: Kreditausfälle durch wirtschaftlichen Abschwung

Es mehren sich also die potenziellen Gefahren und Anforderungen sowohl international, als auch auf dem Heimatmarkt, auf die sich deutsche Banken einstellen sollten. Die Erfahrungen der Vergangenheit lehren, dass in einer solchen Phase die Kreditausfälle auch in Ländern wie Deutschland deutlich ansteigen. Die Banken sind also gefordert, für ein solches Szenario schon heute die entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Andererseits jedoch sind die Banken gehalten, ihre Kosten weiter zu senken. Vor allem Investoren und Finanzanalysten fordern die deutschen Kreditinstitute kontinuierlich auf, ihr Kosten-Ertrags-Verhältnis (CIR) zu verbessern. Damit stehen die Banken vor zwei entgegengesetzten Herausforderungen, die sich nur schwer miteinander in Einklang bringen lassen. Wie gelingt hier der Spagat zwischen den Kosten der steigenden regulatorischen Anforderungen, zum Beispiel einer notwendigen Ausweitung der Forbearance Maßnahmen unter dem Druck der allgemeinen Kostenreduzierung?

Eine Lösung, diesen Widerspruch aufzuheben, ist ein Regelwerk, das den Abbau von notleidenden Krediten (Non Performing Loans, NPL) effizient gestalten kann. Der NPL Action Plan der EU vom 14. März 2018 definiert die wesentlichen Schritte:

1. Installation einer Bankenaufsicht

2. Reform der Regelungen für Insolvenz und Schuldenbeitreibung

3. Entwicklung von Sekundärmärkten für notleidende Kredite

4. Umstrukturierung des Bankensystems

Mit diesem aktuellen Regelwerk hat die Finanzindustrie die Chance, einen hocheffizienten Markt zu schaffen, in dem NPLs effektiver und schneller in einen erfolgreichen Recovery Prozess übergeleitet werden können. Die EU kann hier den von der EZB vorgegebenen Rahmen unterstützen. Doch wie muss sich die Finanzindustrie parallel zu den konjunkturellen Themen in Zukunft aufstellen, wenn sie auf Dauer in ihrem digitalisierten Kerngeschäft wettbewerbsfähig bleiben will?

Im Grunde geht es zunächst um eine agile Unternehmensführung. Dafür braucht es mehr als flexibles Denken und Handeln. Es geht verstärkt darum, offen zu sein für Neues sowie Impulse von außen aufzunehmen. Das setzt voraus, dass Organisationen ein proaktives Handeln fördern und neue Trends schnell antizipieren. Dies alles braucht entsprechende Ressourcen von Mitarbeitern und Zeit. Denn es bringt nichts, nach außen scheinbar flexibel aufzutreten und in der eigenen Organisation nicht die notwendigen Ressourcen für eine solche Wandlungsfähigkeit bereitzustellen. Eine agile Unternehmensführung ist übrigens keine Herausforderung, die nur das Finanzdienstleistungsumfeld betrifft. Dies gilt für alle Branchen.

Bankkunden besser bedienen

Die Kundenansprache muss verstärkt über Kundenzufriedenheit gesteuert werden. Helfen können dabei neue Technologien und Trends. Beispielsweise können mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Kunden besser mit Blick auf ihre Bedürfnisse und Lebensumstände analysiert werden. Das Ziel muss sein, den Bankkunden von heute und morgen besser zu bedienen. Mithilfe der Datenanalyse lassen sich neue Produkte und Services kreieren, die sich nach den Bedürfnissen von Kunden orientieren. Auch hier gilt: KI ist sowohl ein Thema in der Finanzdienstleistung als auch in weiteren Branchen. Wichtig bei all dem ist es, Trends und Tendenzen zu antizipieren und in eigene Geschäftsmodelle umzusetzen. Das ist auch immer mit Risiken verbunden. Aber wer nichts riskiert, der kann nichts gewinnen und am Ende keinen Geschäftserfolg erwarten.

Durch die Customer Journey, also die Reise des Kunden durch die einzelnen Zyklen des Geschäftsprozesses, bestimmt der Endkunde die zukünftigen Prozesse, Produkte oder Dienstleistungen. Damit hat er die Zügel in der Hand, gerade in unseren eng vernetzten und digitalen Zeiten. Von daher kommen (Bank-)Unternehmen nicht ohne eine stärkere Kundenorientierung auf dem Weg zur bargeldlosen Gesellschaft aus.

Immer mehr Menschen ziehen es vor, Waren und Dienstleistungen digital zu bezahlen. Neue digitale Zahlungsmethoden werden kontinuierlich eingeführt. Die Möglichkeit einer bargeldlosen Gesellschaft wird in den verschiedenen europäischen Ländern unterschiedlich gesehen. Immerhin 45 Prozent der deutschen Unternehmen glauben, dass wir in Deutschland innerhalb von zehn Jahren in einer bargeldlosen Gesellschaft leben werden (versus 48 Prozent im EU-Durchschnitt).

Digitale Möglichkeiten nutzen

Neue digitale Angebote müssen mit Hilfe von Chatfunktionen und Robotik dem Kunden erfahrbar gemacht werden. Ein wichtiges Element, um den Bankkunden nicht im "digitalen Raum" zu verlieren, sondern ihn dort abzuholen und Antworten zu geben, wo er mit seinen Fragen steht. In diesem Gefüge aus Kundenansprache und -service haben darüber hinaus direkte Ansprechpartner via Telefon ihre Daseinsberechtigung. Vielleicht heute mehr denn je.

Es scheint, als hätten die deutschen Unternehmen und gerade die Finanzindustrie die Veränderung als Chance verstanden und bereiten sich darauf vor, auch in einer digitalen Welt mit strategischen Partnerschaften ihre Kunden im jeweiligen Kerngeschäft serviceorientiert bedienen zu wollen. Mit einem guten Risiko- und Kreditmanagement kann es gelingen.

Fußnote

1) Der ausführliche European Payment Report kann hier heruntergeladen werden.

RALPH BENDER verantwortet die Consulting Unit für Banken und Finanzinstitute in Deutschland bei der Intrum Financial Services GmbH, Heppenheim.
E-Mail: ralph.bender[at]intrum[dot]com
 
Über den European Payment Report 2019 von Intrum Der European Payment Report 2019 basiert auf einer Umfrage, die vom 31. Januar bis 5. April 2019 in 29 europäischen Ländern gleichzeitig durchgeführt wurde. In dem Bericht wertet Intrum die Daten von insgesamt 11856 Unternehmen in Europa aus, um Einblicke in das Zahlungsverhalten und in die finanzielle Stabilität europäischer Unternehmen zu erhalten. Befragt wurden im Rahmen der Studie Personen, die in ihrer Funktion als Finanzvorstand, CFO, Head of Credits, Business-Controller oder Ähnlichem fungieren.
Ralph Bender , verantwortet die Consulting Unit für Banken und Finanzinstitute in Deutschland bei der Intrum Financial Services GmbH

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