Geplante Änderungen des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen

Update aus der EU

Magdalena Wessel

Magdalena Wessel - Die EU-Kommission hat Ende 2013 Änderungen insbesondere des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vorgeschlagen. Die Praxis hat bestimmte Unzulänglichkeiten des Verfahrens aufgezeigt. Daher sind derzeit Verbesserungen in der Diskussion, die gewährleisten sollen, dass es speziell von KMU besser genutzt werden kann. Dies soll unter anderem durch eine Anhebung der Streitwertgrenze erreicht werden, wodurch in der Praxis mehr Fälle in den Anwendungsbereich des Verfahrens fallen. Der Beitrag beleuchtet die Vorschläge der EU-Kommission näher.

Zum 1. Januar 2009 trat die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen1) (europäisches Verfahren für Bagatellsachen) in Kraft. Kurz davor, nämlich im Wesentlichen zum 12. Dezember 2008, trat die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens2) in Kraft. Unionsbürger sollen im Fall eines grenzüberschreitenden Rechtsstreits ihre Rechte auf einfachem Wege durchsetzen können, gerade auch bei geringen Streitwerten; darauf zielen beide Verfahren ab.

Probleme in der Praxis

Was jedoch in der legislativen Theorie unkompliziert und überschaubar erscheint, hat sich in der Praxis durchaus als problematisch herausgestellt. So ist hauptsächlich kritisiert worden, dass das europäische Verfahren für Bagatellsachen für grenzüberschreitende Forderungen im Zivil- und Handelsrecht bei den potenziellen Anwendern wenig bekannt ist und daher kaum genutzt wird, sowie dass Unzulänglichkeiten in Bezug auf Rechtssicherheit, sprachliche Barrieren und Verfahrenstransparenz bestehen.3) Die Konsultationsrunden der EU-Kommission Ende 2012 sowie im ersten Halbjahr 2013 bestätigten etliche dieser Kritikpunkte und zeigten zudem Lösungsansätze wie eine Anhebung der Streitwertgrenze und einen verstärkten Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel im Verfahren auf.4)

Änderungsvorschläge

Die EU-Kommission hat daher im November 2013 einen Vorschlag zur Änderung der beiden Verordnungen vorgelegt,5) der im Wesentlichen folgende Vorschläge enthält:

- Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf Streitwerte bis 10 000 Euro.

- Erweiterung der Begriffsbestimmung für grenzüberschreitende Rechtssachen.

- Verstärkung des Einsatzes der elektronischen Kommunikation, sowohl bei Schriftstücken als auch bei mündlichen Verhandlungen vor Gericht (zum Teil durch entsprechende Verpflichtungen).

- Einführung einer Obergrenze für die Gerichtsgebühren.

- Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Fernzahlungen zur Begleichung der Gerichtsgebühren vorzusehen.

- Beschränkung der Übersetzung des Formblatts D (Bestätigung des Urteils für Vollstreckungszwecke) auf den Inhalt des Urteils.

- Informationspflicht der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gerichtsgebühren, Zahlungsweise und Hilfestellung beim Ausfüllen der Formblätter.

Hierdurch soll das Verfahren für Verbraucher und kleine Unternehmen kostengünstiger und zeitlich effizienter und somit attraktiver gemacht werden. Aktuell werden diese Änderungsvorschläge im EU-Parlament erörtert. Die wichtigsten geplanten Änderungen dürften darin zu sehen sein, dass das europäische Verfahren für Bagatellsachen künftig sogar bei einem Streitwert bis 10 000 Euro greifen soll, statt wie bisher nur bis zu 2 000 Euro, sowie dass der Begriff der "grenzüberschreitenden Rechtssache" erweitert und der Einsatz elektronischer Kommunikation im Verfahren deutlich verstärkt werden soll. Daher werden diese drei Änderungsvorschläge im Folgenden näher beleuchtet.

Erhöhung der Streitwertgrenze

Die aktuell nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 geltende Streitwertgrenze von 2 000 Euro lässt das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) wenig attraktiv erscheinen: Der EU-Kommission zufolge betragen nur 20 Prozent der Forderungen von Unternehmen im innereuropäischen Geschäftsverkehr weniger als 2 000 Euro, während sich 30 Prozent dieser Forderungen auf zwischen 2 000 und 10 000 Euro belaufen.6)

Da viele Unternehmen aber gerade bei grenzüberschreitenden Streitsachen den Gang vor die Gerichte aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten, Komplexität und der langen Verfahrensdauer scheuen, dürfte die Anhebung der Streitwertgrenze auf 10 000 Euro eine gute Maßnahme sein, um die Attraktivität und praktische Relevanz des Verfahrens gerade auch im Bereich der KMU zu steigern.

Allerdings ist Folgendes zu berücksichtigen: Das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen soll ein weitestgehend schriftliches Verfahren sein. Bei derartigen Verfahren kann es zu Fehlern kommen, weil zum Beispiel vermeintlich nebensächliche Fragen ungeklärt bleiben. Je nachdem, wie groß das Unternehmen des Forderungsschuldners ist, kann dann ein Rechtsstreit mit einem Streitwert von beispielsweise knapp unter 10 000 Euro im Einzelfall durchaus nicht mehr als "Bagatellsache" empfunden werden. Für Fälle mit einem Streitwert über 2 000 Euro sieht die geplante Änderung des Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 861/ 2007 jedoch vor, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung von einer Partei gestellt und vom Gericht nicht abgelehnt werden kann - hierdurch können somit die vorgenannten Fehler vermieden beziehungsweise behoben werden.

Grenzüberschreitende Rechtssache

Derzeit kommt das europäische Verfahren für Bagatellsachen nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 nur dann zur Anwendung, wenn mindestens eine Partei des Rechtsstreits ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen EU-Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts hat. Streitsachen können aber auch aufgrund anderer Tatsachen einen erheblichen Auslandsbezug aufweisen, so etwa, weil der Erfüllungsort in einem anderen EU-Mitgliedsstaat liegt oder eine Urteilsvollstreckung im Ausland am Ende des Verfahrens steht.

Der geplanten Streichung des Art. 3 und der Änderung des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zufolge soll das Verfahren daher künftig für alle Streitsachen mit grenzübergreifendem Bezug, einschließlich des Bezugs zu einem Drittland, genutzt werden können: Befinden sich zum Zeitpunkt des Eingangs des Klageformblatts bei Gericht alle relevanten Elemente (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt, Ort der Vertragserfüllung, Ort, an dem der die Forderung begründende Sachverhalt entstanden ist, Ort der Urteilsvollstreckung und das zuständige Gericht) nur in einem Mitgliedsstaat, so soll das europäische Verfahren für Bagatellsachen nicht anwendbar sein.7)

Auch wenn die damit angestrebte Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren und eine Verringerung der Verfahrenskosten durchaus zu begrüßen ist, ruft vor allem das Kriterium des Orts der Urteilsvollstreckung gewisse Bedenken hervor, denn Streitfälle, die bis zum Zeitpunkt der Urteilsvollstreckung reine Inlandssachverhalte sind oder bis dahin keinen erheblichen Auslandsbezug aufweisen, können aufgrund dieser geplanten neuen Negativabgrenzung durch einen (zumindest zunächst) rein theoretischen Auslandsbezug zu einer grenzüberschreitenden Rechtssache werden und somit dem vereinfachten europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen unterfallen.

Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund EU-kompetenzrechtlicher Erwägungen, sondern auch aufgrund einer möglicherweise missbräuchlichen Nutzung dieses Kriteriums differenziert zu hinterfragen. Zudem ist zu beachten, dass die aktuell noch bestehende Hürde der Vollstreckbarerklärung oder des Exequaturverfahrens bei der Vollstreckung eines Urteils im EU-Ausland aufgrund der Änderung der sogenannten Brüssel-I-Verordnung ab 10. Januar 2015 wegfällt,8) was die grenzüberschreitende Vollstreckung von Urteilen bereits aus diesem Grund erheblich erleichtert.

Elektronische Kommunikation

Von hoher praktischer Relevanz ist der geplante verstärkte Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel in den verschiedenen Stufen des weitgehend schriftlichen Verfahrens: Mit der entsprechenden Zustimmung der Parteien des Rechtsstreits soll die Zustellung von Schriftstücken elektronisch erfolgen können (geplante Änderung des Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007), in bestimmten Fällen soll die mündliche Verhandlung per Video- oder Telefonkonferenz verpflichtend werden (geplante Änderung des Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007) und Informationen sowie bestimmte Formulare sollen künftig im Internet bereitzustellen sein (geplante Änderungen der Art. 4 Abs. 5 und 11 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007). Insgesamt soll den Plänen der EU-Kommission zufolge die elektronische Kommunikation zwischen Gericht und Parteien gerade bei weniger wichtigen Mitteilungen die Regel werden, sofern die Parteien des Rechtsstreits dem zustimmen.

Die hierdurch zu erzielende Zeit- und Kostenersparnis liegen auf der Hand, jedoch sind neben der Frage nach der Kostentragungspflicht für beispielsweise mündliche Verhandlungen per Telefonkonferenz auch die Anschaffungs- und Installationskosten zur Schaffung einer entsprechend geeigneten Infrastruktur bei insbesondere den Gerichten als praktische Hürde zu bedenken, auch wenn der Trend zur elektronischen Kommunikation mit Gerichten in vielen EU-Mitgliedsstaaten bereits deutlich zu erkennen ist.9)

Aussichten

Es ist insgesamt zu hoffen, dass die Attraktivität des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen durch die von der EU-Kommission geplanten und aktuell im EU-Parlament erörterten Änderungen nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis effektiv gesteigert wird. Entsprechende Ansätze sind im zur Diskussion stehenden Vorschlag der EU-Kommission enthalten. In der Theorie führt eine gesteigerte Nutzung des Verfahrens unter anderem durch KMU letztlich auch dazu, dass sich Gerichte und andere Organe und Institutionen der Rechtspflege verstärkt mit diesem Verfahren auseinandersetzen. Das wiederum dürfte wechselseitig zur weiteren Verbreitung und letztlich reibungslosen Nutzung des Verfahrens beitragen und wäre in der Praxis durchaus zu begrüßen. Es bleibt aber die Frage, ob durch einige der geplanten Änderungen der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 gerade im Bereich der Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel nicht neue Bereiche des europäischen Verfahrens für Bagatellsachen geschaffen werden, in denen Theorie und Praxis wiederum divergieren.

1) Vgl. Abl. L 199 vom 31. Juli 2007, S. 1 ff.

2) Vgl. Abl. L 399 vom 30. Dezember 2006, S. 1 ff.

3) Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 2011 zu alternativer Streitbeilegung in Zivil-, Handels- und Familiensachen (2011/2117(INI)), Rz. 40 und 41.

4) COM (2013) 794, S. 4.

5) COM (2013) 794, einzusehen unter: http:// eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2013:0794:FIN:DE:PDF (zuletzt aufgerufen am 14. Oktober 2014).

6) COM(2013) 794, S. 6.

7) Vgl. COM(2012) 794, S. 16.

8) Vgl. Art. 39 der Verordnung (EU) Nr. 1215/ 2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung der bisherigen Verordnung (EG) Nr. 44/2001).

9) Vgl. hierzu beispielsweise in Deutschland das "Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs" vom Oktober 2013.

DIE AUTORIN:

Rechtsanwältin Magdalena Wessel, Berlin ist Dezernentin Recht beim Deutschen Factoring-Verband e.V., Mitglied des EUF Executive Committee und Vorsitzende des EUF Legal Committee. Davor war sie in der Rechtsabteilung der HSH Nordbank AG im Bereich Bankaufsichtsrecht tätig.E-Mail: wessel[at]factoring[dot]de

Magdalena Wessel , Dezernentin Recht beim Deutsche Factoring-Verband e. V., Berlin, Mitglied des EUF Executive Committee und Vorsitzende des EUF Legal Committee
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