DIGITALISIERUNG

KI-basierte Entscheidungsmodellierung und mathematische Optimierung

Entscheidungen über Portfoliostrategien erleichtern

Dr. Marc Drobe, Foto: FICO

Da die Digitalisierung bestehender Prozesse insbesondere im Finanzwesen nicht ausreicht, um die Geschäftsziele langfristig zu erreichen, sind automatisierte und kundenindividuelle Entscheidungen gefragt. Der Autor beschreibt, wie Entscheidungen mithilfe künstlicher Intelligenz modelliert und optimiert werden können. Dazu werden verschiedene Szenarien analysiert und die richtige Entscheidungsstrategie ermittelt. Das Ergebnis: Unternehmen können ihre Produkte und Dienstleistungen besser positionieren sowie Wachstumsstrategien verfolgen. (Red.)

Die Digitalisierung ist schon seit einigen Jahren auf der Agenda der Banken. Die Corona-Krise hat die Notwendigkeit und Entwicklung in diese Richtung zusätzlich beschleunigt. Dabei bietet die Digitalisierung nicht nur die Chance, veränderten Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, sondern sich neu und besser auf dem Markt zu positionieren und Wachstumsstrategien zu verfolgen. Liegt der Fokus vieler Banken bisher überwiegend auf der Digitalisierung bestehender Prozesse, gerne auch als Customer Journey bezeichnet, reicht diese Strategie für die mittel- und langfristige Differenzierung und Erreichung der Geschäftsziele nicht aus. Zwar verfolgen viele Banken das Ziel, bestehende Daten besser zu nutzen und aus der Analyse dieser Daten letztendlich ihre Kunden besser bedienen zu können sowie gleichzeitig im Rahmen der Portfoliostrategie geschäftspolitische Ziele wie Wachstum und eine höhere Profitabilität zu erreichen. Gelingen wird ihnen das aber nur, wenn sie automatisierte, kundenindividuelle Entscheidungen in ihre digitalen Prozesse integrieren und diese Entscheidungen als Treiber des Erfolgs flexibel und transparent managen können.

Denn den Portfoliomanagern stellen sich folgende große Herausforderungen:

  • Für jeden einzelnen Kunden und alle möglichen Entscheidungsoptionen zu ermitteln, welchen erwarteten Wertbeitrag diese liefern können.
  • Innerhalb bestehender interner und externer Restriktionen sowie teilweise konkurrierender Ziele mithilfe von Simulationen Transparenz über die zu erwartenden Portfolioergebnisse zu erhalten, um damit Entscheidungen über Portfoliostrategien zu erleichtern und diese abzusichern.
  • Mithilfe von mathematischer Optimierung diejenige Strategie zu ermitteln, die innerhalb der gegebenen Ziele und Restriktionen zu optimalen Ergebnissen führt, und diese innerhalb des (digitalen) Prozesses zu operationalisieren.

Für Banken und Finanzinstitute werden Simulationen und Stresstests vor dem Hintergrund eines volatilen Marktumfeldes und gestiegenen Kundenanforderungen immer wichtiger. Neue Szenarien müssen analysiert, Auswirkungen auf Portfolios projiziert und angepasste Entscheidungsstrategien sofort implementiert werden, um Leistungskennzahlen (Key-Performance-Indicators, KPI) in einem sich verändernden Umfeld aktiv managen zu können. Die automatisierte Evaluation von Kunden und kundenzentrierte Aktionen rücken dabei in den Vordergrund und Modelle werden agil an neue Daten angepasst.

Abbildung 1: Entscheidungsmodellierung übersetzt Auswirkungen beim Kunden in Aktionen Quelle: FICO

Automatisierte Evaluation

Traditionelle Ansätze zur Segmentierung des Portfolios und Vorhersage individuellen Kundenverhaltens reichen längst nicht mehr aus. So können selbst die Entwicklung von datenbasierten Strategien und fortgeschrittenen Analysen nur in zwei Punkten bei der Entscheidungsfindung weiterhelfen: Sie klären erstens, was daraus resultieren könnte, wenn eine (bereits definierte) spezifische Aktion für einen Kunden gewählt wird. Und zweitens, welches für den Kunden in Isolation betrachtet die beste Entscheidung ist.

Entscheidungsmodellierung und Optimierung (KI) bringen den Predictive-Analytics-Ansatz auf eine weitere Entwicklungsstufe. Mit ihrer Hilfe sind Simulationen darüber möglich, welche Entscheidungsstrategie die beste im Hinblick auf die Erreichung von definierten Portfoliozielen ist. Individuelle Kundenentscheidungen, die im Rahmen einer Entscheidungsstrategie definiert sind, werden täglich in allen Instituten getroffen. Das "Problem" dabei ist, dass es für jeden Kunden nicht nur eine mögliche Entscheidung gibt, sondern eine Vielzahl, und jede einen unterschiedlichen erwarteten Beitrag zur Erreichung der Portfolioziele bringt. Zu beachten sind dabei sowohl erwartete Erträge, Verluste und Kosten, als auch die mutmaßliche Reaktion des Kunden auf unterschiedliche Entscheidungen.

Zur Lösung dieses "Problems" ist es notwendig, die bestehenden internen und externen Restriktionen zu berücksichtigen. Die dadurch entstehende Komplexität kann nur mit dem Ansatz der mathematischen Optimierung eindeutig gelöst werden - zum einen für definierte Ziele wie etwa Maximierung des Portfolioprofits bei konstanten Risikokosten und Erhaltung des Marktanteils, als auch innerhalb bestehender Restriktionen wie Kapitalanforderungen.

Fiktives Kundenbeispiel

Abbildung 1 zeigt beispielhaft einen Kreditnehmer mit einem Risikoscore von 680, einem Umsatzscore von 720 sowie weitere Ausgangswerte. Es bestehen drei verschiedene Kreditlinien, die dem Kunden angeboten werden. Das sind die drei Aktionen, die getätigt werden können. Auf der rechten Seite sind die erwarteten Auswirkungen auf Kundenseite aufgelistet. Mit zunehmender Kredithöhe erhöhen sich zunächst Saldo, Verlust und Gewinn. Bei konstanter Zunahme des Kreditbetrages werden zunehmende Werte für Saldo und Verlust erhalten, aber die marginalen Unterschiede verändern den zu erwartenden Gewinn, wenn anstatt Kreditangebot zwei Angebot drei gewählt wird - er geht wieder nach unten. Da die Erwartungsmodelle inklusive der Kundenreaktionen in die Entscheidungsmodelle eingebaut sind, ist es möglich, Tausende Szenarien sehr schnell durchzuspielen. Diese Szenarien bilden die Basis für Optimierung. Sie zeigen die möglichen Entscheidungsstrategien entlang einer sogenannten effizienten Grenze auf (Abbildung 2).

Abbildung 2: Die Kreditlinie erhöhen - effiziente Grenze Quelle: FICO

Das Dreieck in Abbildung 2 ist der aktuelle operative Punkt. Alle Punkte auf der Linie repräsentieren Entscheidungsstrategien. In diesem Beispiel wird der Zusammenhang zwischen Veränderungen beim durchschnittlichen Profit pro Konto und den Ausfallkosten analysiert. Es ergeben sich verschiedene operative Punkte, an die Portfolio "gefahren" werden kann: In Szenario G erhöht sich beispielsweise der Gewinn pro Konto bei konstantem Risiko, in Szenario B verringert sich der Verlust pro Konto bei gleichbleibendem Gewinn. Durch diese Betrachtung erhält der Portfoliomanager holistische Einblicke, die seine Strategieentscheidungen auf ein höheres Niveau bringen.

Wie Entscheidungsmodellierung - auch bekannt als Decision Impact Modelling - und -optimierung die Strategie- und Entscheidungsfindung auf ein neues Niveau heben, verdeutlicht auch folgende Analogie: Die Strategie- beziehungsweise Entscheidungsfindung lässt sich mit dem Fliegen eines Flugzeugs vergleichen. Dabei ist im klassischen Ansatz die Preiselastizität der Kompass, um in die richtige Richtung zu fliegen, das Risikomodell die Höhenmeterangabe, die verhindert, dass es einen Absturz gibt und die Erfahrung zeigt, wie weit das Flugzeug fliegen soll und in welches Land.

Entscheidungsfindung auf neuem Niveau

Das Decision Impact Modelling hingegen geht noch einen Schritt weiter und ist mit dem GPS und dem Bordcomputer im Flugzeug gleichzusetzen: Der aktuelle Standort - also Gewinn, Verlust oder Ausgabenrate - wird klar, außerdem der Weg zum Zielflughafen - welche Konten sind preissensitiver in Bezug auf alle KPI - sowie Streckenabschnitte mit schlechtem Wetter, die vermieden werden sollten - welche Konten sind nicht profitabel und sollten daher anders bepreist werden. Mathematische Optimierung ist dabei der Autopilot. Er zeigt dem Portfoliomanager, welche Entscheidungen für jedes Konto getroffen werden müssen, um genau zum Ziel zu kommen und nicht nur in die Nähe davon.

In der Praxis, und aus der Sicht eines Portfoliomanagers, sind Decision Impact Modelling und mathematische Optimierung das Mittel, um unterschiedlichste Szenarien durchzuspielen: Was passiert etwa, wenn das Preismodell beibehalten, der Nettozinsertrag maximiert oder das Neugeschäftsvolumen erhöht wird? Oder was muss getan werden, damit Nettozinsertrag und Neugeschäftsvolumen steigen?

So lässt sich der beste Kompromiss aus verschiedenen Szenarien analysieren und ermitteln. Also mit anderen Worten: Entscheidungsmanagement auf Basis mathematischer Optimierungstechniken verbessert das Portfoliomanagement in allen Bereichen. KI-basierte Modelle ordnen jedem Kunden eine Aktion zu. Das Ergebnis dieser Entscheidung zahlt am besten auf die Ziele innerhalb der Portfoliobedingungen ein, die den Aktionsspielraum definieren.

Anstatt das Portfolio zu segmentieren und jedem Mikrosegment eine Aktion zuzuweisen wie im klassischen Portfoliomanagement, werden innerhalb der KI-basierten Entscheidungsoptimierung alle möglichen Aktionen betrachtet, die für jeden Kunden ergriffen werden können. Dabei werden dieselben Daten genutzt wie beim traditionellen Ansatz, aber es kommen zusätzliche Vorhersagemodelle zum Einsatz. So lassen sich alle möglichen Entscheidungen zeitnah testen, berechnen und die Erreichung der Portfolioziele projizieren.

Einmal implementiert, können dann - für jeden Kunden und jede mögliche Aktion - die Auswirkungen berechnet werden. Dieser Rahmen ermöglicht die mathematische Optimierung in Bezug auf die Portfolioziele und -Rahmenbedingungen.

Komplexe Fragestellungen

Zusammenfassend heißt das, dass Entscheidungsmodellierung und -optimierung die Antworten auf typische Fragen liefern, die sich Portfoliomanager stellen, wenn es darum geht, ihre Entscheidungsstrategien zu verbessern: Was ist die Auswirkung auf mein Portfolio und meine Ziele, wenn ich meine Strategie ändere - unter bestimmten gegebenen Rahmenbedingungen? Mit jeder Portfolioentscheidung müssen konkurrierende Ziele berücksichtigt werden. Portfoliomanager müssen sich kontinuierlich die Frage stellen, was die Punkte oder Strategien entlang der effizienten Grenze sind, an denen sie ihr Portfolio fahren können.

KI-basierte Entscheidungsoptimierung liefert genau die Antworten auf diese komplexen Fragestellungen. Aufgrund eines verbesserten Kundenmanagements findet sich ein substanzieller Mehrwert im datengetriebenen Portfolio. Es lassen sich umfassende und zugleich präzise Simulationen alternativer Strategien durchführen, die zeigen, wie sich die KPI verändern und wo die Profittreiber liegen sowie Stressszenarien miteinbeziehen.

Unprofitable Kunden werden erkannt und sogar Neukunden erreicht, die die bisherigen Vorgänge abgelehnt hatten. Das Ergebnis sind nicht nur verbesserte Kundenentscheidungen, die zu einer höheren Portfolioprofitabilität führen, sondern auch tiefere Einblicke in das Portfolio und dessen Mikrosegmente. Diese Transparenz ist eine Voraussetzung, um im Umfeld von dynamischem Wettbewerb und sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen profitable Portfolios zu managen.

Dr. Marc Drobe , Partner Solution Sales , FICO, Bensheim, für die Regionen DACH, Zentral- und Osteuropa

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X