DIGITALISIERUNG

Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung

Konsortialprojekt analysiert Einsatzszenarien und deren Umsetzung

Prof. Dr. Hans-Gert Penzel, ibi research

Künstliche Intelligenz ermöglicht nutzbringende Lösungen für den täglichen Geschäftsbetrieb von Finanzdienstleistern. Gängige Einsatzgebiete finden sich beispielhaft in der Kundenberatung, einer automatisierten Abwicklung im Backoffice oder einer Betrugserkennung. Eine detaillierte Analyse der Einsatzmöglichkeiten und Implementierung von KI-Anwendung hat ibi research in Zusammenarbeit mit elf Unternehmenspartnern vorgenommen. Die Autoren beschreiben Vorgehensweise und Ergebnisse. (Red.)

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein dominanter Trend - insbesondere auch in der Finanzdienstleistungsbranche. Gleichzeitig ist KI oft unverstanden und ihr Einsatz birgt hohes Fehlerpotenzial. Denn das bestehende Wissen ist häufig von Einzelfällen geprägt und nicht in der Breite bekannt. Daher erfordert der KI-Einsatz deutlich mehr Wissen bei Experten und Entscheidern. In der Finanzdienstleistung sind die Einsatzgebiete für Künstliche Intelligenz vielfältig. Dazu gehören beispielsweise:

- Robo Advice1) für Anlage- oder Kreditprodukte, die auf den Kunden zugeschnitten sind,

- Chatbots2) - auch mit Spracherkennung - anstelle der menschlichen Servicekraft,

- Textanalyse zur Erkennung von Gefühlslagen, etwa zum Identifizieren drohender Kündigungsabsichten,

- Robotic Process Automation3) im Backoffice als Ersatz für den denkenden Menschen und

- Erkennen von Betrugsmustern oder Automatic Repairs4) in Transaktionsgeschäften.

Künstliche Intelligenz ist demnach kein Hype, sondern ermöglicht Lösungen, die im täglichen Geschäftsbetrieb von Finanzdienstleistern nutzbringend eingesetzt werden können. Drei Entwicklungen sind dafür ursächlich, die sich miteinander verbinden und diesen produktiven Einsatz ermöglichen.

Erstens haben Methoden, Techniken und Verfahren (im Folgenden "Verfahren") mittlerweile die nötige Reife erreicht. Das erste Neuronale Netz hat Marvin Minsky bereits im Jahr 1954 realisiert5) ; es folgte ein jahrzehntelanger Entwicklungs- und Reifeprozess der KI-Verfahren. Zweitens gibt es heute eine große Bandbreite von Einsatzszenarien (zum Beispiel Kundensegmentierung, Robo Advice), die mit solchen Verfahren unterstützt werden könnten. Drittens erreicht die Informationstechnik (IT) nunmehr die nötige Leistungsfähigkeit und generiert eine große Menge an digitalisierten Daten, die die notwendige Basis für die Anwendung von KI bedeuten. Mit dieser IT können ausgereifte Verfahren auf vorhandene Praxisprobleme angewandt werden.

Die zielgerichtete Anwendung von KI erfordert demnach analytische Tiefe sowie Erfahrung im Einsatzfeld. Beides scheint bislang in der Finanzdienstleistungsbranche nicht ausreichend vorhanden.

Aus diesem Grund hat ibi research ein Konsortialprojekt initiiert, um zusammen mit elf Unternehmenspartnern6) - Banken, Rechenzentren und Dienstleistern - eine strukturierte Vorgehensweise für den Einsatz von KI zu erarbeiten. Bei diesem Projekt ging es vorrangig um den Wissensaufbau - neben den Grundlagen wie beispielsweise einer Definition von KI im Rahmen des Konsortiums wurde der Status quo der Projektteilnehmer bezüglich des Einsatzes von KI im Unternehmen erhoben. Auch das Wissen über Methoden und Techniken wurde geschärft. Des Weiteren stand die Entwicklung von Einsatzszenarien im Fokus, wobei zunächst die bereits heute möglichen Anwendungen und deren Begrenzungen analysiert wurden. Im weiteren Schritt wurden zukünftige Anwendungsfelder, dafür notwendige Voraussetzungen, zu erwartende Herausforderungen sowie die Grenzen des Machbaren beziehungsweise vorhersehbare Risiken intensiv diskutiert. Und schließlich wurden die erarbeiteten Inhalte mittels individueller Workshops in die jeweiligen Unternehmen transferiert.

Verfahren und Definition für KI

Eine erste wichtige Diskussion innerhalb des Konsortiums hatte zum Inhalt, welche Verfahren sich unter den Begriff "Künstliche Intelligenz" subsummieren lassen und welcher Definition von KI letztlich entsprochen werden sollte.

Ein derzeit verfolgter Strang der KI adressiert insbesondere Verfahren des Deep Learning auf Basis Neuronaler Netze. Dies ist der "datenbasierte Ansatz", auch als subsymbolische oder numerische Abbildung bezeichnet. Er geht davon aus, dass das Wissen in den Inputdaten steckt, dass die Nutzer selbst nur relativ wenig oder gar nichts über die Lösungsmuster wissen und dass diese durch das Lernen im Neuronalen Netz herausgearbeitet werden müssen.

Genauso bedeutend ist der zweite - zeitlich gesehen frühere - Strang der KI, in dem das menschliche Wissen als Input in die Algorithmen einfließt. Beispiele sind Prädikatenlogik, Strukturgleichungs- und Regressionsmodelle, Entscheidungsbäume, -tabellen und Bayes'sche Netze sowie Monte-Carlo-Simulation. Auch Robotic Process Automation kann man unter diesen Strang subsumieren, denn dort sind Entscheidungstabellen und diverse Erkennungsmuster hinterlegt.

In vielen Fällen werden beide Stränge kombiniert (zum Beispiel in Tree Based Neuronal Networks und Random Forests). Dies kann die Schlagkraft der Lösungen weiter erhöhen. Im Rahmen des Projekts wurde ein weites Spektrum von Methoden der KI betrachtet, sowohl datenbasierte als auch Algorithmusbasierte sowie kombinierte Verfahren.

Auch definitorisch wurde KI im Konsortialprojekt weit und dynamisch betrachtet, das heißt ihre Inhalte können sich über die Zeit ändern:

- Im Sinne von Alan Turing analog des Turing-Tests liegt KI vor, wenn der Mensch in einem Experiment nicht klar sagen kann, ob sein Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine ist.7)

- Im Sinne von John McCarthy8) ist KI eine Maschine, die sich so verhält, dass man dies intelligent nennen würde, wenn ein Mensch sich so verhielte.

Beschränkung fand das Projekt durch die Betrachtung der "schwachen KI" (solche für abgegrenzte Teilbereiche), nicht betrachtet wurde eine möglicherweise "starke KI" (erreicht intellektuelle Fertigkeiten des Menschen in der Breite, mit eigenem Antrieb).

Ergänzend zu den theoretischen Grundlagen wurden heutige und zukünftige Anwendungsfälle analysiert sowie mittels einer Befragung aktuelle Aktivitäten im Themenkomplex der KI sowie die dabei verwendeten Verfahren erhoben. Auch Erfahrungsschatz, erkannte Herausforderungen, Probleme sowie der Grad der Erfüllung von Erwartungen wurden evaluiert. Die dabei erkannten Anwendungsfälle - mehr als 100 - wurden im weiteren Verlauf strukturiert und in Anwendungsfelder geclustert. Letzteres erfolgte zum einen aus Sicht der zugrunde liegenden Produktkategorie, zum anderen aus Sicht einer (gegebenenfalls übergreifenden) Funktionsweise.

Anwendungsfälle in Unternehmen

Insgesamt wurden dabei sieben Anwendungsfelder priorisiert und diesen 13 konkrete Anwendungsszenarien zugeordnet (Abbildung 1, Seite 30). Für diese Szenarien wurden Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz von KI erarbeitet. Zudem galt es, aus diesen Detailarbeiten einen übergreifenden Beurteilungsrahmen für den KI-Einsatz zu erarbeiten und zu überprüfen.

Für den Einsatz von KI in Unternehmen können unterschiedliche Dimensionen berücksichtigt werden, dabei müssen diese nicht zwangsläufig in ihrer Gesamtheit miteinander kombiniert sein.

In zwei aktuellen Publikationen zeigen sich diesbezüglich deutliche Überschneidungen, aber auch Unterschiede in der Herangehensweise. Ausgangspunkt ist stets die Betrachtung von Branchen und Geschäftsprozessen. McKinsey betrachtet des Weiteren eine Vielzahl von Fallstudien, in denen Künstliche Intelligenz bereits eingesetzt wird.9) Aufgezeigt werden die Häufigkeit von Methoden und Verfahren (in der Studie als "sample techniques" bezeichnet) in spezifischen Branchen sowie in generischen, branchenunabhängigen Geschäftsprozessen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) spricht in diesem Zusammenhang von "Algorithmen".10) Sowohl McKinsey als auch die BaFin zeigen zudem die für bestimmte Problemtypen beziehungsweise Lernaufgaben geeigneten KI-Methoden auf.

Zur Transmission von fachlichen Geschäftsprozessen in die technischen Dimensionen hat ibi research die zusätzliche Dimension der Anwendungsklassen erarbeitet, so dass sich in Summe das in Abbildung 2 dargestellte Bild der ableitbaren Betrachtungsdimensionen zeigt.

Im Rahmen des Konsortialprojekts erfolgte somit die Konzentration auf drei besonders entscheidungsrelevante Dimensionen, die eine schrittweise Logik zur Projektdurchführung sicherstellen. Der Fokus des Projekts lag dabei in der Branchen-Dimension auf der Finanzdienstleistung, insbesondere Banken und Sparkassen. Für das Drei-Ebenen-Modell werden die drei entscheidenden Dimensionen "Geschäftsprozesse", "Anwendungsklassen" sowie "Methoden und Verfahren" berücksichtigt. Unberücksichtigt bleiben hingegen die Dimensionen "Problemtypen/Lernaufgaben" und "Datentypen", da diese über die beiden Dimensionen "Anwendungsklassen" sowie "Methoden und Verfahren" zugeordnet werden können.

Drei-Ebenen-Modell des KI-Einsatzes

Aus der intensiven Beschäftigung mit den Anwendungsfällen wird deutlich, dass eine stringentere Logik nötig ist, um für ein konkretes Institut zu bestimmen, ob und wo sich KI-Anwendungen für ein bestimmtes Anwendungsfeld eignen und welche KI-Methoden hinterlegt werden können. Ziel des ibi-Frameworks mit dem Drei-Ebenen-Modell ist es, dabei deutliche Unterstützung zu liefern. Grundsätzliche Anforderungen an das Framework waren:

- Abbildung einer schrittweisen Logik: Aus der Geschäftssicht heraus werden die mit KI zu unterstützenden Funktionen bestimmt, diese Funktionen werden mit geeigneten KI-Methoden und Verfahren hinterlegt.

- Hoher Abdeckungsgrad von Funktionen: von intensiver Beratung bis hin zur Transaktionsdurchführung, kundengetriebene und von internen Bearbeitern getriebene Funktionen.

- Unabhängigkeit von einzelnen KI-Technologien und deren gegenwärtigem Stand: Die Zuordnung konkreter Methoden und Verfahren kann und wird sich über die Zeit ändern.

- Generelle Gültigkeit für (Informations-)Dienstleistungen, nicht nur speziell für die Finanzdienstleistungsbranche.

In einem iterativen Prozess, in dem sich zudem die Erkenntnisse aus den einzelnen Anwendungsfällen stetig wiederfinden, wurde dieses Drei-Ebenen-Modell der KI entwickelt (siehe Abbildung 3, Seite 31). Es liefert einen strukturierten Ansatz, KI-Projekte fokussiert durchzuführen.

Ebene Geschäftsprozesse: Zu Beginn eines Projekts steht stets die Auswahl eines konkreten Geschäftsprozesses, bei welchem KI-Potenzial vermutet wird, das heißt der mithilfe von KI optimiert werden kann.

Ebene Anwendungsklassen: Im zweiten Schritt werden dem ausgewählten Geschäftsprozess fünf Anwendungsklassen zugeordnet, um den Geschäftsprozess derart zu zerlegen, dass die inhärenten Teilprozesse beziehungsweiseaufgaben für KI abgeleitet werden können.

Ebene Methoden und Verfahren: Diesen Anwendungsklassen können abschließend Methoden und Verfahren der KI zugeordnet werden.

Geschäftsprozess-Strukturierung

Verdeutlicht werden kann das Drei-Ebenen-Modell zum Einsatz der KI am Beispiel eines ausgewählten Geschäftsprozesses, hier mithilfe des Referenzprozesses "Finanzanlage" (siehe Abbildung 4). Bei der Auswahl des Prozessabschnitts (= des Use Cases) ist die Abbildung eines vollen Verantwortungszyklus unabdingbar. Dies bedeutet, dass der Prozess von der Auftragserteilung (von einem Menschen zu verantworten) bis hin zur Auftragserfüllung (von einem Menschen zu verantworten) verläuft.

Am Ende des Prozessabschnitts muss das Ergebnis ökonomisch und regulativ gegen den erteilten Auftrag zu prüfen sein: Wenn die Prüfung des Ergebnisses erst nach weiteren Folgeschritten jenseits des ursprünglich formulierten Auftrags erfolgen kann, kann dieser Prozessabschnitt nicht isoliert betrachtet werden. Er ist damit kein vollständiger Zyklus.

Greift man den Anlageprozess als Beispiel heraus, so könnte man sich zum Beispiel auf die Vermögensverwaltung mit Robo Advice und dem begrenzten Produktspektrum von ETFs11) konzentrieren. Der Prozess würde dann mit der Abfrage der Zielsetzung des Kunden und der relevanten Parameter (Volumen, Zeitdauer, Risikoneigung et cete ra) beginnen und mit dem prüffähigen Vorschlag eines konkreten Portfolios von ausgewählten ETFs mit definierten Anteilen und entsprechender Begründung gegenüber dem Kunden enden.

Diese Vorgabe wird zudem den avisierten Vorgaben der BaFin gerecht.

Anwendungsklassen der KI

Um vom Geschäftsprozess letztendlich zu den Methoden der KI zu gelangen, wird als Transmissionsschicht die Ebene der Anwendungsklassen eingefügt. Jede Anwendungsklasse übernimmt sehr spezifische Funktionen, denen auf der dritten Ebene wiederum spezifische Methoden der KI zugeordnet werden können. Die Abbildung 5, Seite 33, zeigt den grundsätzlich sequenziellen Prozess mit den fünf zu unterscheidenden Anwendungsklassen.

Für die Abbildung eines vollständigen Zyklus (= eines Use-Case) gelten folgende Prämissen. Nicht jede Einzelklasse im Zyklus muss besetzt sein; Einzelklassen können also "leer" sein beziehungsweise übersprungen werden. Es sind mehrfache Iterationen durch das Modell denkbar. Erfolgt zum Beispiel nach Klasse fünf eine Rückfrage zwecks Präzisierung, so erfolgt ein Rücksprung in Klasse eins. Auch ein hierarchisches Herunterbrechen (fragmental) in weitere Teilprozesse ist stets denkbar.

Für jede Einzelklasse gilt zudem Folgendes. Am Ende jeder Klasse existiert ein inhaltlich definiertes Ergebnis ("Deliverable"). Nach Ende einer Klasse schließt sich eine Zwischenfunktion im Sinne eines "Service Bus" an. Sie umfasst Funktionen wie Umformatierung, Routing, Speicherung et cetera. Die Punkte jeweils zwischen den Klassen stellen dabei den Zwischenschritt "Systemübergang" dar. Sie umfassen typische Funktionalitäten eines "Enterprise Service Bus", also beispielsweise "Routing", "Formatierung" (zum Beispiel Dateiformat von XML auf JSON wandeln), Speicherung in Datenbank, Weiterleitung an Controlling- oder Compliance-Systeme.

Damit kann der Ablauf der Anwendungsklassen sowohl leichter in die Prozesslandkarte als auch in die IT-Landkarte integriert werden. Sichergestellt ist damit die Fokussierung der Anwendungsklassen auf Aufgaben der KI bei gleichzeitiger Definition der (nicht KI-unterstützten) Systemübergänge.

Die fünf Anwendungsklassen lassen sich wie folgt beschreiben.

(1) Input-Transformation: Die Grundaktivität besteht aus der Erfassung des Inputs eines Auftraggebers, das heißt Kunden oder Bearbeiters, und Umsetzung in den Output einer digital codierten, damit von der Maschine verständlichen Programmiersprache. Die zugelassenen "Aufsetzpunkte" des Auftraggebers, das heißt die Input-Formate können in einer weiten Spannbreite liegen zwischen Gefühlsäußerungen (Mimik) oder gesprochenem Wort einerseits und dem Ankreuzen vordefinierter Datenfelder in Online-Masken andererseits. Was jeweils gewünscht und zulässig ist, muss im spezifischen Fall definiert werden. Der Output muss stets in einer digital codierten, mit vordefinierter Ontologie belegten (Programmier-) Sprache erfolgen.

(2) Prüfung Aufgaben-Kontext: Hier erfolgt die Transformation vom Bedarf des Auftraggebers (Kunde oder Bearbeiter), das heißt aus dessen Beschreibungswelt und in dessen Bedarfstypologie, in die Lösungstypologie aus Anbietersicht. Kurz gesagt geht es um die Umsetzung von dem, was der Kunde will, in das, was der Anbieter bereitstellt.

Dabei sind zwei Varianten denkbar: Kontext-Einengung oder Kontext-Erweiterung. Bei ersterem reduziert die Bank den Kontext gegenüber dem geäußerten Auftrag, weil sie nur dann eine Lösung bieten kann oder weil sie glaubt, damit im Interesse des Auftraggebers zu handeln (zum Beispiel Vermeidung unnötiger Komplexität). Beispielsweise könnte der Kundenwunsch "Altersversorgung" von der Bank in "Vermögensverwaltung mit Einsatz von ETFs" verengt werden. Bei einer Kontext-Erweiterung erweitert die Bank den Kontext gegenüber dem geäußerten Auftrag, weil sie damit Cross-Selling betreibt oder weil sie damit besser im Interesse des Auftraggebers handelt (bessere Erfüllung des eigentlichen, gegebenenfalls nicht explizit genannten Ziels). So könnte beispielsweise der Kundenwunsch "Anlage in ETFs" durch die Bank in den "Aufbau einer umfassenden Altersvorsorge" erweitert werden.

(3) Präzisierung Aufgabe: Dazu erfolgt die Übertragung von der Lösungstypologie aus Anbietersicht zu einem konkreten, bereits existenten Lösungsverfahren des Anbieters mit dem Befüllen der dafür erforderlichen Parameter mit entsprechenden Daten. Zu vollziehende Schritte sind dabei:

- Auswahl beziehungsweise Detaillierung des Lösungsverfahrens

- Zielformulierung, also die Bestimmung der zu optimierenden Größe und der Nebenbedingungen oder die Festlegung von Bedingungen, unter denen ein oder mehrere Angebote oder Angebotsvarianten gemacht werden beziehungsweise Reaktionen erfolgen sollen.

- Abklärung der für die Lösung zu füllenden Parameter

- Datenbeschaffung, soweit die Daten aus Anwendungsklasse (1) Input-Transformation oder in bestehenden Datenbanken noch nicht vorliegen.

(4) Lösung Aufgabenkern: In diesem Schritt erfolgt die Weiterbearbeitung der in Anwendungsklasse (3) ausgewählten Lösungsverfahren und der dort bereitgestellten Daten hin zur durchgerechneten Lösung. Dabei kann es sich auch um mehrere durchgerechnete Lösungsalternativen handeln. Zu vollziehende Schritte sind dabei:

- Durchlaufen des Lösungsprogramms mit den bereitgestellten Daten

- Gegebenenfalls Iterationen mit Erzeugung alternativer Ergebnisse

- Entsprechend der in Lösungsklasse (3) definierten Zielfunktion und Bedingungen finale Entscheidung über Zahl der bereitgestellten Lösungen beziehungsweise Lösungsvarianten

- Bereitstellung von Argumentationen beziehungsweise Begründungen für die Lösung(en)

(5) Output-Transformation: In dieser letzten Anwendungsklasse wird eine digital codierte Lösung zur Darstellung der Lösung in einer für den Menschen konfektionierten und verständlichen Form umgewandelt. Dies umfasst zwei unterschiedliche, aber jeweils wichtige Aufgaben.

Zum einen geht es um die Transformation der Form. Dabei erfolgt die technische Transformation von digitalen Signalen in menschenverständliche Signale (zum Beispiel Text, Schaubilder, Sprache, Video).

Zum anderen wird Inhalt aufbereitet, dabei erfolgt die "Konfektionierung", also inhaltliche Aufbereitung und Beschreibung der Lösung, so dass der Kunde sie intellektuell verstehen kann. Bei Bedarf ist diese Aufbereitung also deutlich zu individualisieren und mit Argumentation und Darstellung der zugrundeliegenden Logik und Datenbasis zu versehen.

Nicht abgedeckt werden durch diese Phase Rückfragen und Dialoge. Damit würde ein neuer Zyklus oder sogar eine Mehrfach-Iteration starten. Er beginnt wieder mit (1) Input-Transformation. Allerdings kann dieser Zyklus deutlich abgekürzt sein, unter weitgehendem Überspringen von Klassen (2) und (3).

Das Modell wurde im Verlauf des Projekts erfolgreich auf alle ausgewählten Use Cases angewandt, die Überprüfung zeigte dabei sowohl die Funktionsfähigkeit des Modells als auch diverse Lernerfahrungen je Anwendungsklasse (siehe Abbildung 6, Seite 33).

KI-Methoden und -Verfahren

Die zur Anwendung kommenden Methoden und Verfahren sind allesamt nicht neu und unterstützen die einzelnen Anwendungsklassen unterschiedlich weitgehend. Es gelten die zu Beginn beschriebenen positiven Voraussetzungen für deren heutigen Einsatz für alle im Rahmen des Projekts betrachteten Methoden gleichermaßen. Einordnen und abgrenzen lassen sich die gängigen Methoden und Verfahren zum Beispiel nach dem Grad dessen, was über die Lösungsmuster bekannt ist (siehe Abbildung 7).

In Bezug auf die fünf Anwendungsklassen lassen sich Zuordnungen vornehmen, die allerdings je Anwendungsfall nur als Richtschnur zu verstehen und jeweils im Detail zu prüfen sind.

(1) Input-Transformation: Hier findet sich zumeist der Einsatz text- beziehungsweise sprachorientierter KI. Dabei werden stets klassische algorithmische Elemente (Syntaxmuster, Wörterbücher, wissensbasierte Komponenten) als Basis verwendet, darauf setzen Neuronale Netze und Deep Learning mit überwachtem Lernen und Backpropagation auf. Beide sind für den Anwender unauflösbar verknüpft. Deshalb sollte der Anwender hier Black Boxes einsetzen, die eine Gesamtlösung liefern, also nicht in die Interna des Verfahrens ein greifen.

(2) Prüfung Aufgaben-Kontext: Die Prüfung des Aufgaben-Kontexts mit einer möglichen Erweiterung oder Einengung ist besonders anspruchsvoll. Der Mensch hat hier eine sehr starke Rolle, die KI ist insgesamt noch wenig leistungsfähig. Sie kann mit Algorithmen und Neuronalen Netzen (oft in Kombination) unterstützen, wobei der Mensch zu immer neuen Experimenten mit der Kombination von Verfahren aufgerufen ist.

Mögliche Ausprägungen sind zum Beispiel alle Formen der Kundenprofilierung, bei der auf Basis vorgegebener Klassen beziehungsweise Segmente eine Klassifikation beziehungsweise Segmentierung vorgenommen wird. Methodisch kommen zum Beispiel Neuronale Netze mit überwachtem Lernen zum Einsatz. Wird hingegen ein Clustering auf Basis unbekannter Zusammenhänge vorgenommen, erfolgt dies mittels Neuronaler Netze mit unüberwachtem Lernen.

Ebenso sind alle Formen von Voraussagen (Predictive Analysis) denkbar. Diese erfolgen zum Beispiel mittels Extrapolationen auf Basis von Algorithmen wie Regression oder Simulation, gegebenenfalls ergänzt um Neuronale Netze mit überwachtem Lernen oder der Erkennung von Anomalien durch Neuronale Netze mit unüberwachtem Lernen.

Auch Empfehlungen im Sinne des Next Best Product können über klassische Tabellen plus Neuronaler Netze mit überwachtem Lernen abgeleitet werden, ebenso ist die Thematik der Compliance- oder Fraud-Prüfung durch das Erkennen neuer Muster mit Neuronalen Netzen und unüberwachtem Lernen eine mögliche Ausprägung.

(3) Präzisierung Aufgabe: Die Auswahl beziehungsweise Detaillierung des Lösungsverfahrens geschieht in der Regel über Entscheidungstabellen beziehungsweisebäume. Der Einsatzgrad von KI hängt direkt davon ab, welche Methoden und Verfahren in der Anwendungsklasse (4) "Lösung Aufgabenkern" eingesetzt werden.

Wenn klassische, strukturierte Daten aus der Input-Transformation oder aus bestehenden Datenbanken benötigt werden, besteht kein Bedarf für Neuronale Netze und Deep Learning. Wenn hingegen klassifizierte oder geclusterte Big Data benötigt werden, die aus der Input-Transformation und aus bestehenden Datenbeständen nicht vorliegen, bietet sich zur Gewinnung der Einsatz von Neuronalen Netzen und Deep Learning an.

(4) Lösung Aufgabenkern: Dabei liegen in der Mehrzahl der Fälle klassische algorithmische Verfahren zugrunde, die meist bereits sehr ausgereift sind. Sie können aber durch neue Techniken, insbesondere durch Deep Learning in Neuronalen Netzen, schrittweise angereichert werden.

Für die Lösung der Aufgabenkerne stehen aus der Historie vielfältige Algorithmen wie Kalkulationsprogramme, Strukturgleichungsmodelle, Entscheidungsbäume, Bayes'sche Netze und andere zur Verfügung. Diese können allerdings je nach Situation um fortgeschrittene Techniken auf Basis von Lernen in Neuronalen Netzen ergänzt werden, was allerdings bisher eher selten geschieht. Je nach Anwendungsfall ist die individuelle Konstellation zu prüfen.

(5) Output-Transformation: Der Einsatzgrad der KI hängt davon ab, auf welcher Sprachebene und mit welchem Individualisierungsgrad die Aufbereitung erfolgt.

Eine Aufbereitung bis maximal hoch zur "Fachsprache schriftlich" könnte durch reine Bausteine erfolgen, die gemäß Algorithmen, insbesondere Entscheidungstabellen, zusammengefügt werden. Für eine höhersprachliche Aufbereitung werden moderne Verfahren der KI, also Neuronale Netze mit überwachtem Lernen, eingesetzt.

Für eine Individualisierung gilt: Einfache Individualisierungen lassen sich noch mit klassischen Verfahren wie Entscheidungstabellen konfigurieren. Komplexere Individualisierungen, die zum Beispiel auf soziale Eigenschaften des Auftraggebers oder seine empfundene Auffassungsfähigkeit zielen, erfordern eine Ergänzung um moderne Verfahren der KI, das heißt Neuronale Netze mit überwachtem Lernen. Insgesamt gilt: Die Methoden und Verfahren der KI unterstützen die einzelnen Anwendungsklassen unterschiedlich weitgehend. Menschliche Experten können zudem durch Interaktion mit der Maschine das Potenzial der KI deutlich erhöhen, insbesondere durch das Einbringen zusätzlicher Regeln.

KI-Projekt-Scoping

Mit der Verbindung der einzelnen Bausteine zur Analyse der Anwendungsfälle, der Betrachtung der Methoden und Techniken und der Ableitung des Drei-Ebenen-Modells ergibt sich insgesamt ein Big-Picture zur soliden Entscheidungsunterstützung für den KI-Einsatz (siehe Abbildung 8).

Das KI-Projekt-Scoping mit Drei-Ebenen-Modell und Use Cases ist dabei die zentrale Drehscheibe des KI-Einsatzes, allerdings sollten die Schaffung der Grundlagen, eine fundierte KI-Projektbeschreibung sowie die kritische Auswahl möglicher Anbieter nicht zu kurz kommen.

1. Grundlagen: Die Analyse der Grundlagen mit dem Topdown-Blick auf das Portfolio von Geschäftsprozessen (Erhebung Projektteilnehmer, Review Studien, wissenschaftliche Arbeit) ergibt, dass grundsätzlich (fast) alle Geschäftsprozesse sinnvoll mit KI unterstützt werden können. Dabei lässt sich derzeit ein Schwerpunkt der Anwendungsfälle in den Bereichen Marketing/Sales, Produktkonfiguration und Transaktionsbearbeitung (inklusive Sicherheit) erkennen.

Der Überblick über Methoden und Verfahren der KI ergibt, dass "klassische", das heißt algorithmische Verfahren, nach wie vor sehr relevant sind. Diese werden angereichert um "moderne" Verfahren rund um Neuronale Netze und Deep Learning.

2. Framework/Cases: Der gezielte Einsatz von KI erfordert ein strukturierendes Framework, welches mit dem Drei-Ebenen-Modell entwickelt wurde. Durch die Transferschicht mit den fünf Anwendungsklassen kann ein guter Bezug hergestellt werden von auszuwählenden (und sauber abzugrenzenden) Geschäftsprozessen zu Methoden und Verfahren. Allerdings wurde auch klar, dass es keine mechanische oder 1:1-Beziehung zwischen Anwendungsklasse und Methode/Verfahren gibt, sondern häufig Mischformen. Diese sind stark abhängig vom Einzelfall.

Das Modell wurde im Wechselspiel mit Cases entwickelt und stetig verfeinert. Die Cases decken eine Vielfalt von Anwendungsfällen ab: Frontend und Backend, Kundengetrieben und Mitarbeitergetrieben. Zudem zeigen die Cases sehr unterschiedliche Komplexitäten.

3. KI-Projektbeschreibung: Die Projektbeschreibung folgt grundsätzlich der Beschreibung von Nicht-KI-Projekten. Ein wichtiges Spezifikum ist allerdings, dass die Funktionen des zu erfassenden Geschäftsprozesses auf die fünf Anwendungsklassen (und damit indirekt auf die zu wählenden Methoden und Verfahren) projiziert werden. Erst dadurch sind ein pragmatisches Scoping und eine Komplexitätsabschätzung möglich.

Dies ist wiederum für die Aufwandsund Ertragsschätzung und die Identifikation der Erfolgs- und Risikofaktoren unerlässlich: Aufwände und Erträge für die Realisierung umfassender Funktionalitäten können - ähnlich wie bei anderen Projekten mit innovativem Charakter - nicht zuverlässig abgeschätzt werden.

Deshalb ist ein agiles Vorgehen mit vorgegebenem Budget für einen (eng) begrenzten Scope (Minimum Viable Product = MVP) erforderlich. Dringend zu empfehlen ist dabei die Konzentration auf eine oder zwei Anwendungsklassen. Schrittweise kann dann das Budget erhöht werden, wodurch sich Risiken angemessen steuern lassen.

4. Anbieter: Die Sicht auf mögliche Lösungsanbieter wurde initial gestartet durch entsprechende Präsentationen auf einem "Experience Day" und die entsprechenden Diskussionen in den einzelnen Cases. Darauf aufbauend wurde mittels intensiver Recherche ein umfassender Anbieterkatalog aufgesetzt, der nunmehr mehr als 200 Anbieter umfasst.

Zum besseren Handling wurde zudem eine passende Gliederungs- und Ordnungsstruktur ausgearbeitet. Darüber hinaus erfolgte die Erarbeitung eines detaillierten Fragenkatalogs, der die Auswahl des passenden Anbieters unterstützt.

Konzentration ist ratsam

Die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Finanzdienstleistung sind vielfältig - sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Ausprägung. Sie reichen von der Kundenschnittstelle bis in das Backoffice, von der Übernahme von Routinetätigkeiten bis hin zur Generierung von (neuen) Geschäftspotenzialen. Wichtig ist dabei stets eine klare Fokussierung innerhalb eines Geschäftsprozesses (Scoping des KI-Projekts), der mittels KI optimiert werden soll.

Je konkreter das Einsatzszenario von KI beschrieben und damit die Erwartungshaltung aller Projektbeteiligten gesteuert werden kann, desto erfolgsträchtiger können KI-Projekte durchgeführt werden. Sie sollten vorzugsweise mit agilen Entwicklungsverfahren umgesetzt werden und nicht zu groß dimensioniert sein. Meist können sie nicht bereits vom Start bis zum Ende durchgeplant werden.

Die intensiven Diskussionen im Konsortium haben gezeigt, dass eine Konzentration zunächst auf eine oder wenige Anwendungsklassen ratsam ist, um dann das KI-Projekt schrittweise und modular zu erweitern. Künstliche Intelligenz wird in den kommenden Jahren zu einem dominierenden Gestaltungselement für Finanzdienstleister. In zehn Jahren wird es kaum einen Prozess geben, der nicht durch KI verbessert oder sogar radikal verändert worden sein wird. Eine ausführliche Darstellung der im vorliegenden Beitrag vorgestellten Inhalte findet sich in einem kostenfrei erhältlichen Whitepaper.12)

Fußnoten

1) Robo Advice bezeichnet die Aktivität eines "algorithmenbasierten Systems, das Empfehlungen zur Vermögensanlage gibt und diese auch umsetzen kann" (vgl. Gabler Wirtschafts lexikon).

2) Chatbots "sind Dialogsysteme mit natürlich-sprachlichen Fähigkeiten textueller oder auditiver Art" (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon).

3) Robotic Process Automation bedeutet roboteroder computergesteuerte Prozessautomatisierung.

4) Automatic Repairs steht für automatisierte Reparaturen beziehungsweise Korrekturen.

5) Vgl. Minsky, Marvin: Theory of Neural-Analog Reinforcement Systems and Its Application to the Brain Model Problem. Thesis, Princeton University, 1954.

6) Zu den Unternehmenspartnern dieses Projekts gehören Bank-Verlag GmbH, Datev eG, Deutsche Leasing AG, Fidelity Information Services GmbH, Fiducia & GAD IT AG, Kreissparkasse Köln, PPI AG, SIZ GmbH, Targobank AG & Co. KGaA, van den Berg AG, Volksbank in der Ortenau eG.

7) Vgl. Turing, Alan M.: Computing Machinery and Intelligence. In: Mind 59 (236), 1950, Seite 433-460.

8) Vgl. McCarthy, John; Minsky, Marvin; Rochester, Nathaniel; Shannon, Claude: A Proposal for the Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence. Hanover, 1955.

9) Vgl. McKinsey Global Institute: Notes from the AI Frontier. Insights From Hundreds of Use Cases, Discussion Paper, 2018.

10) Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht: Big Data trifft auf künstliche Intelligenz. Herausforderungen und Implikationen für die Aufsicht und Regulierung von Finanzdienstleistungen. Berlin, 2018.

11) Exchange-Traded Funds (ETFs) vereinen Eigenschaften von Aktien und von herkömmlichen Investmentfonds.

12) ibi research: Whitepaper: Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung - ausgewählte Ergebnisse eines Konsortialprojekts von der Analyse der Einsatzszenarien bis zur Entwicklung eines Frameworks für den KI-Einsatz, www.ibi. de/KI-Whitepaper, Regensburg, 2018.

PROF. DR. HANS-GERT PENZEL ist Honorarprofessor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Regensburg sowie Geschäftsführer und Mitgründer von ibi research an der Universität Regensburg GmbH.
DR. ANJA PETERS leitet das Competence Center Digital Banking bei der ibi research an der Universität Regensburg GmbH.
STEPHAN WEBER ist Research Director im Competence Center Digital Banking bei der ibi research an der Universität Regensburg GmbH.
Dr. Anja Peters , Geschäftsführerin , ibi research an der Universität Regensburg GmbH
Stephan Weber , Research Director im Competence Center Digital Banking, ibi research an der Universität Regensburg GmbH

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