LEASING

Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung

Asset-Bewertung in Verbindung mit Industrie 4.0

Karin Thielemann, Foto: Deutsche Leasing

Künstliche Intelligenz kann in der Finanzdienstleistungsbranche vielfältig eingesetzt werden. Um konkrete Anwendungsfälle bewerten zu können, hat ibi research ein Konsortialprojekt mit elf Unternehmenspartnern aufgesetzt, einer davon die Deutsche Leasing AG. Die Erkenntnisse für eine Asset-Bewertung in Verbindung mit Industrie 4.0 als typischem Anwendungsfall einer Leasing-Gesellschaft stellen die Autoren beispielhaft dar. (Red.)

Künstliche Intelligenz (KI) ist aktuell in aller Munde. In nahezu jeder Branche und damit auch in der Finanzdienstleistungsbranche werden vielfältige Einsatzmöglichkeiten gesehen, getestet und bereits umgesetzt. Die Digitalisierung macht es möglich. Sie zeigt sich nicht nur in der bloßen Anschaffung moderner Software und schneller Hardware, sondern hat eine fundamentale Veränderung bestehender Geschäftsmodelle, Prozesse und Strukturen zur Folge. Der Investitionsbedarf in neue Technologien, Industrieanlagen oder Maschinen ist enorm.

Zudem geht der Trend vermehrt in Richtung flexible Finanzierungsformen, wie beispielsweise nutzungsbasierte Abrechnungsmodelle ("Pay per use"). Dadurch verändern sich auch signifikant die Cashflow-Betrachtungen in den Unternehmen. Diese Entwicklungen fordern eine Leasing-Gesellschaft heraus.

Die umfassende Kenntnis um das jeweilige Investitionsobjekt (Asset) sowie die unmittelbare Verknüpfung von Finanzierung und Objekt, ermöglicht es einer Leasing-Gesellschaft im Gleichklang mit dem technologischen Fortschritt ganz neue Ansätze auszuprobieren, sei es in innovativen Finanzierungsmodellen, neuartigen Bewertungs- und Verwertungsprozessen oder der "Digitalen Convenience" für Kunden. Diesen skizzierten Entwicklungen müssen Finanzdienstleister, insbesondere auch Leasing-Gesellschaften, Rechnung tragen und darauf mit angepassten beziehungsweise veränderten Angeboten reagieren.

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz wird der nächste größere Umbruch in der Finanz- und Leasing-Branche sein. Vor diesem Hintergrund beteiligte sich die Deutsche Leasing neben zehn weiteren Unternehmenspartnern im vergangenen Jahr an einem umfang reichen Konsortialprojekt "Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung", initiiert von ibi research. Dabei wurden unter anderem ausgewählte Anwendungsfälle im Detail analysiert und da rauf aufbauend Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von KI erarbeitet.1)

KI mit stark steigendem Einsatzpotenzial

Bevor im weiteren Verlauf der Fokus auf das Konsortialprojekt gelegt wird, ist eine kurze allgemeine Betrachtung von KI notwendig, um die nachfolgend dargestellten Zusammenhänge verstehen zu können. Warum aktuell so viel Einsatzpotenzial von KI gesehen wird, liegt in drei Entwicklungen begründet. Erstens haben die seit Jahrzehnten vorhandenen Methoden und Techniken2) mittlerweile die nötige Reife erreicht. Zweitens existiert eine hohe Anzahl relevanter Herausforderungen (zum Beispiel Sprach- und Gefühlserkennung, Kundensegmentierung, Betrugserkennung), die mit solchen Methoden und Techniken gelöst werden können. Und drittens hat die Informationstechnik die notwendige Leistungsfähigkeit (Parallelrechner-, Speicher- und Vernetzungsleistung) erreicht und ist in der Lage, eine große Menge an digitalisierten, (un-) strukturierten Daten zu generieren, die als Basis für die zielgerichtete Anwendung von KI erforderlich sind.

Für KI gibt es aktuell keine einheitliche Definition. Daher ist nicht immer klar, was genau mit KI eigentlich gemeint ist. Wir betrachten KI dynamisch und weit, das heißt ihre Inhalte können sich über die Zeit ändern:

- Im Sinne von Alan Turing analog des Turing-Tests: KI liegt vor, wenn der Mensch in einem Experiment nicht klar sagen kann, ob sein Gegenüber ein Mensch oder eine Maschine ist.3)

- Im Sinne von John McCarthy: KI ist eine Maschine, die sich so verhält, dass man dies intelligent nennen würde, wenn ein Mensch sich so verhielte.4)

Des Weiteren umfasst die Definition ein weites Spektrum von Methoden und Techniken, das heißt sowohl "moderne" sub-symbolische (datenbasierte) Verfahren als auch "klassische" symbolische (Algorithmen-basierte) Verfahren sowie Robotik (Robotic Process Automation) und Sensorik. Betrachtet wird außerdem stets nur "schwache KI" (solche für abgegrenzte Domänen) und keine "starke KI" (erreicht intellektuelle Fertigkeiten des Menschen in der Breite, mit eigenem Antrieb).

Leasing-Gesellschaften stellen ihre Kunden heute über die "Customer Journey" in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. In diesem Rahmen findet der gesamte "Asset-Lifecycle" von Objekten statt, in dem aus Sicht einer Leasing-Gesellschaft die Thematik "Asset-Bewertung" ein wesentlicher Teil davon ist. Der Kreis, bestehend aus insgesamt sechs Phasen (siehe Abbildung 1), stellt die "Customer Journey" mit dem Lebenszyklus von Assets (zum Beispiel Maschinen) dar:

KI entlang der "Customer Journey"

Phase 1: Der Kunde möchte beispielsweise seine Produktionskapazitäten ausbauen, dabei entsteht ein konkreter Bedarf an neuen Betriebsmitteln. Nach Analyse des Bedarfs hat der Kunde ein konkretes Interesse an einer bestimmten Maschine, beispielsweise einem Bagger, und holt sich entsprechende Informationen dazu ein.

Phase 2: Die Leasing-Gesellschaft unterbreitet dem Kunden ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Finanzierungsangebot. Der Kunde unterzeichnet nach Prüfung den Vertrag.

Phase 3: Das Asset wird beim Hersteller bestellt und es erfolgt die Auslieferung an den Kunden.

Phase 4: Das Asset wird vom Kunden in Betrieb genommen und der Kunde nutzt das Asset über die vertraglich vereinbarte Nutzungszeit.

Phase 5: Während der Nutzungsdauer wird das Asset regelmäßig gewartet und zusätzliche Servicemaßnahmen am Asset durchgeführt.

Phase 6: Zum Ende der vertraglich vereinbarten Laufzeit kann der Kunde das Asset zurückgeben und die Leasing-Gesellschaft verwertet das Objekt oder der Kunde macht von seiner Kaufoption Gebrauch und das Objekt geht in sein Eigentum über.

Entlang der "Customer Journey" und des "Asset-Lifecycles" ergeben sich spezielle Aktivitäten einer Leasing-Gesellschaft, in denen die Asset-Bewertung eine Rolle spielt. Im Folgenden werden diese Aktivitäten kurz erläutert:

- Initiale Asset-Bewertung: Als Grundlage für das Finanzierungsangebot identifiziert und bewertet die Leasing-Gesellschaft das vom Kunden gewünschte Asset. Für die Identifikation des Assets sind Kaufpreis und der Abgleich dessen mit Marke und Typ des Assets erforderlich. In die Bewertung fließen weitere Komponenten wie beispielsweise Wertprognose für diese bestimmte Asset-Klassen und prognostizierte Auslastung in Abhängigkeit der Kundenbranche und Schichtbetriebsanzahl mit ein.

- Bestandsprüfung: Während der vertraglich vereinbarten Nutzungsdauer werden regelmäßige Bestandsprüfungen durchgeführt, bei der beispielsweise Zustand und Abnutzung des Assets kontrolliert werden.

- Bewertungsupdate: Die Bewertung des Assets wird während der Nutzungsdauer regelmäßig aktualisiert.

- Verwertung: Am Ende der vertraglich vereinbarten Nutzungsdauer und nach Rückgabe durch den Kunden verwertet die Leasing-Gesellschaft das Asset.

Während der gesamten "Customer Journey" wird die Zielsetzung verfolgt, die "Digital Convenience" des Kunden von der Angebotsphase bis hin zur "After Sales"-Phase optimal zu unterstützen. Um dies zu erreichen, müssen Leasing-Gesellschaften kontinuierlich neue Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung und Anpassung ihres Lösungsangebotes finden. KI beziehungsweise deren Einsatz bietet vielfältige, Möglichkeiten, um neue Mehrwerte für den Kunden zu generieren. Beispielsweise kann mit Hilfe von KI ein Asset im Rahmen einer Online-Finanzierungsanfrage automatisiert erkannt werden. Auf Basis der Auswertung von (Sensor-)Daten von Assets kann die aktuelle Bewertung des Objektes präzisiert werden. Weiterhin lassen sich noch treff sicherere Prognosen über deren zukünftige Abnutzung erstellen. Im Ergebnis können diese Informationen bei der Identifikation von Up-/Cross-Selling-Potenzialen hilfreich sein. Eine Leasing-Gesellschaft wäre somit mittels des Einsatzes von KI in der Lage, die aktuelle und zukünftige Werthaltigkeit von Assets noch exakter zu bestimmen, deren Auslastung über die Gesamtlaufzeit kontinuierlich zu überwachen und bei Situationsveränderungen etwaige Handlungs- beziehungsweise Optimierungsalternativen im "Asset-Lifecycle" dem Kunden ad hoc aufzuzeigen.

KI-Einsatz am Beispiel Asset-Bewertung

Im Rahmen des Konsortialprojekts wurden zahlreiche Anwendungsfälle ausführlich untersucht. Bei einem dieser Anwendungsfälle lag der Fokus auf der zukunftsweisenden Thematik "Asset-Bewertung in Verbindung mit Industrie 4.0", der von der Deutschen Leasing eingebracht und intensiv begleitet wurde.

Zur Anwendung kamen in diesem Zusammenhang die Anwendungsklassen aus dem Drei-Ebenen-Modell, welche im Verlauf des Konsortialprojektes entwickelt wurden. Insgesamt gibt es fünf Anwendungsklassen, die jeweils sehr spezifische Funktionen übernehmen. Eine kurze Beschreibung der Anwendungsklassen ist in Abbildung 2 enthalten. Ausführliche Informationen zum Drei-Ebenen-Modell finden sich in einem Whitepaper.5

Im Rahmen des betrachteten Anwendungsfalls wird folgendes Szenario zugrunde gelegt: Ein Geschäftskunde ist an der Investition eines Baggers für seinen Betrieb interessiert und least infolgedessen einen neuen Bagger. Der Neupreis des Baggers beträgt 42 000 Euro, die Finanzierung wird online abgewickelt.

Die Zielsetzung bei diesem Anwendungsfall besteht darin, mittels KI den Bagger zunächst zweifelsfrei über Marke und Typnummer zu identifizieren, zu bewerten und während der Vertragsdauer die Nutzung des Baggers laufend zu überwachen und Prognosen zur aktuellen Abnutzung zu geben. Darauf aufbauend werden in Echtzeit Neuberechnungen / Prognosen / Simulationen hinsichtlich des Restwertes für die Verwertung des Baggers vorgenommen.

Auf welche Art und Weise im Szenario nun KI sinnvoll eingesetzt werden kann, wird im Folgenden anhand der Verwendung der Anwendungsklassen beschrieben.

1. Input-Transformation: Liegen die Marke und Typenbezeichnung des Baggers nicht vor beziehungsweise der Geschäftskunde und Berater sind sich unsicher, kann auf Basis eines Bildes der Bagger per "Machine Learning Algorithmus" identifiziert werden. Es wird die Annahme getroffen, dass die (Sensor-)Daten des Baggers wie zum Beispiel Betriebsdauer, gefahrene Wegstrecke, Gewicht der transportierten Last bereits im "Digital Twin"6 gespeichert werden und damit in einem elektronischen, maschinenlesbaren Format vorliegen, so dass die Daten nicht mehr mittels KI-Einsatz transformiert beziehungsweise umgewandelt werden müssen.

Bei Bildern und Daten, die nicht immer strukturiert vorliegen, zum Beispiel Informationen zur Lage der Branche, zu der der Geschäftskunde zugeordnet ist, kommt zumeist bild-, text- beziehungsweise sprachorientierte KI zur Anwendung. Dabei werden stets klassische algorithmische Elemente (Syntaxmuster, Wörterbücher, wissensbasierte Komponenten) als Basis verwendet, ergänzt um Neuronale Netze und "Deep Learning" mit überwachtem Lernen und Backpropagation.

2. Prüfung Aufgaben-Kontext: Da der betrachtete Prozess "Asset-Bewertung" bereits sehr eng zugeschnitten ist, sind nur drei Ausprägungen vorgesehen: (1) Visuelle Identifikation des Baggers für die Angebotserstellung, (2) Erstellung einer aktuellen Bewertung des Baggers, (3) Erstellung einer Wertprognose für den Bagger zu einem definierten Zeitpunkt. Da die Prüfung auf eine mögliche Erweiterung oder Einengung des Kontextes hinsichtlich der drei Ausprägungen nicht relevant ist, ist der Einsatz von KI an dieser Stelle nicht erforderlich.

3. Präzisierung Aufgabe: In Abhängigkeit der in Anwendungsklasse 2 gewählten Ausprägung sind zum Teil unterschiedliche Parameterwerte für die jeweilige Durchführung der Identifikation und Berechnung notwendig. Ist die visuelle Identifikation eines Baggers die Zielsetzung, ist unter anderem der Parameter "Musterschablonen" aller hinterlegten Baggertypen einzubeziehen.

Besteht die Zielsetzung allerdings darin, eine aktuelle Bewertung des Baggers (2) durchzuführen, dann sind unter anderem folgende Parameter von Relevanz:

- vergangene Abnutzung (zum Beispiel Betriebsdauer, gefahrene Wegstrecke und Gewicht der transportierten Last),

- durchgeführte Wartungen (zum Beispiel Ölwechsel, letzte TÜV-Überprüfung),

- durchgeführte Reparaturen (zum Beispiel Austausch einer gebrochenen Schaufel),

- vergangene Werteprognosen für den Bagger,

- Expertenwissen (zum Beispiel Bewertungstabellen für die Asset-Klasse "Bagger").

Besteht die Intention hingegen in der Erstellung einer Wertprognose für den Bagger (3), dann sind über die bei der vorangegangenen Zielsetzung aufgeführten Parameter hinaus unter anderem noch folgende weitere Datenkategorien zu berücksichtigen:

- betriebswirtschaftliche Unternehmensdaten (zum Beispiel bisheriger Auftragsverlauf, aktuelle und geplante Auftragslage),

- Brancheninformationen (zum Beispiel Auftragslage, Beschäftigungszahlen).

Die KI-Verfahren, die im Rahmen der Auswahl der benötigten Parameter am geeignetsten erscheinen, sind bei Daten aus der Input-Transformation oder aus bestehenden Datenbanken vor allem Algorithmen-basierte Verfahren (zum Beispiel Entscheidungstabelle beziehungsweise -baum).

4. Lösung Aufgabenkern: In dieser Anwendungsklasse werden die Durchführung der Identifikation (1) sowie Berechnungen der Bewertung (2) und der Wertprognose (3) unter Einbeziehung der jeweiligen Parameter letztendlich durchgeführt. Hier liegen in der Mehrzahl der Fälle klassische algorithmische Verfahren (zum Beispiel Kalkulationsprogramme, Strukturgleichungsmodelle, Entscheidungsbäume, Bayes'sche Netze) zugrunde, die meist sehr ausgereift sind. Sie können aber durch neue Techniken, insbesondere durch "Deep Learning" in Neuronalen Netzen, schrittweise angereichert werden.

Auf Basis der Ergebnisse werden entsprechende Argumentationsmuster (zum Beispiel Textbausteine, Grafiken) erstellt, um folgende beispielhafte Fragen zu beantworten:

- Welcher Baggertyp liegt vor und welchen Anschaffungswert hat dieser?

- Entspricht der Wert des Baggers dem prognostizierten Wert?

- Wie ändert sich der Wert des Baggers im Zeitverlauf unter Berücksichtigung aller gesammelten Faktoren?

- Gibt es ein besseres Finanzierungsmodell bezogen auf die geplante Nutzung beziehungsweise prognostizierte Abnutzung?

- Gibt es einen alternativen Bagger zur effizienteren Nutzung?

- Welche Up- und/oder Cross-Selling-Potenziale können realisiert werden?

5. Output-Transformation: Die in Anwendungsklasse 4 generierten Ergebnisse und Argumentationsmuster werden in Grafiken sowie in schriftliche Fachsprache transformiert und an den entsprechenden Stellen (zum Beispiel zuständiger Kundenbetreuer) der Deutschen Leasing ausgegeben. Auch eine Weiterleitung der Ergebnisse an Expertensysteme kann erfolgen, hierfür ist allerdings entweder keine oder nur eine minimale Transformation in eine andere formale Sprache notwendig. In diesem Kontext kommen bis zur schriftlichen Fachsprache in der Regel klassische Algorithmen (zum Beispiel Entscheidungstabellen) zum Einsatz, da die Aufbereitung häufig durch die Verwendung von reinen Bausteinen erfolgt.

Einblick in prototypische Umsetzung

Basierend auf dem Vorgehen im Konsortialprojekt und den daraus gewonnenen Erkenntnissen, hat sich die Deutsche Leasing weiter intensiv mit den Einsatzmöglichkeiten von KI in der Asset-Bewertung auseinandergesetzt. Hierbei wurde zunächst der Fokus auf die initiale Asset-Bewertung im Rahmen der Finanzierungsanfrage gelegt, das heißt auf die Ausprägung "(1) Visuelle Identifikation des Baggers". Die hieraus erzielten Erkenntnisse sollen eine Grundlage für die weiteren möglichen Einsatzszenarien von KI über den gesamten "Asset-Lifecycle" und speziell bei der Weiterentwicklung des im Konsortialprojekt analysierten Szenarios bilden.

Für eine solide Bewertung eines Assets ist es zunächst notwendig, dieses eindeutig zu identifizieren und die Branchenzuordnung vorzunehmen. Von zentraler Bedeutung ist hier das eindeutige Erkennen der Marke und des Typen eines Baggers sowie der Abgleich mit hinterlegten Kaufpreisen, um die Eingaben des Kunden entsprechend zu verifizieren.

Es existieren auf dem Markt zurzeit verschiedene Cloud-Anbieter, die "Machine Learning Algorithmen" für die kognitive Erkennung und Auswertung von Daten als Service anbieten. Nach eingehender Evaluierung dieser Serviceangebote hat sich die Deutsche Leasing gegen eine eigene Entwicklung und für die Zusammenarbeit mit einem Cloud-Anbieter entschieden. Im Rahmen dieser Kooperation mit einem großen deutschen Softwareunternehmen besteht die Zielsetzung darin, einen ersten Prototyp zur kognitiven Identifikation von Assets zu entwickeln. Im Mittelpunkt stehen dabei "Machine Learning Algorithmen", mit denen Muster in Datensätzen erkannt, Prognosen getroffen oder Daten klassifiziert werden können. So lassen sich damit aus Kunden- und Asset-Daten wertvolle Erkenntnisse gewinnen, um die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen und maßgeschneiderte, optimale Produkte und Services anzubieten.

Ziel der Entwicklung dieses "Machine Learning Prototypen" ist es, dem Kunden zu ermöglichen, das von ihm gewünschte Asset (Beispiel Bagger) einfach abzufotografieren oder ein vorhandenes Bild online auf eine Plattform hochzuladen. Im nächsten Schritt werden die Marke und Typ des Baggers vom "Machine Learning Algorithmus" erkannt. Der Kaufpreis des Baggers dient sowohl als Grundlage für die Berechnung der Finanzierungsanfrage als auch für die weitere Bewertung des Baggers zu Beginn und während der Nutzungsdauer. Die Deutsche Leasing sieht hier einen deutlichen Mehrwert zur Steigerung der "Digital Convenience" für den Kunden.

Die Verfügbarkeit von Asset-Daten zu Trainings- und Verifizierungszwecken ("Testset") ist für das Antrainieren von solchen Algorithmen essenziell. Die Deutsche Leasing verfügt über ausreichend Bildmaterial, um den "Machine Learning Algorithmus" zur Entwicklung des Prototypens zu trainieren. Da die Nutzung von cloudbasierten Diensten in der Finanzdienstleistung nicht unproblematisch und an hohe regulatorische Anforderungen gekoppelt ist, hat die ausschließliche Verwendung von Asset-Bildern ohne Kundendaten die Hürden für die Prototypisierung deutlich gesenkt.

Über einen Zeitraum von sechs Wochen wurde der "Machine Learning Algorithmus" mit umfangreichen Trainings- und Verifizierungsdaten trainiert. Es wurde damit ein Prototyp entwickelt, der in der Lage ist, einen Minibagger auf Basis eines Bildes zu erkennen. Der trainierte Algorithmus fokussiert sich aktuell auf fünf Minibaggertypen von verschiedenen Herstellern. Als Rückgabewerte des Algorithmus werden Hersteller, Typ, Confidence-Level und alternative Minibagger ausgegeben.

Der Kunde lädt ein Bild des Baggers hoch, den er finanzieren will, beispielsweise einen Hitachi ZX195A. Der Algorithmus identifiziert nun den Bagger auf Basis der antrainierten Informationen. In diesem Beispiel wird der Bagger mit einer Wahrscheinlichkeit von 64 Prozent erkannt und mit dem in der Datenbank hinterlegten Listenneupreis des Baggers hinterlegt. Dieser Anschaffungspreis bildet die Basis für die weitere Kalkulation einer möglichen Leasing-Rate für den Kunden. Das Beispiel illustriert eine der wesentlichen Herausforderungen bei der automatisierten Identifizierung von Assets. In der Trainingsphase wurde der Bagger nur mit einem Confidence-Level von 64 Prozent erkannt, mit 23 Prozent wurde ein Bagger einer anderen Marke vorgeschlagen. Jegliche Abweichung des hochgeladenen Bildes - und sei es nur bei der Form der Baggerschaufel - führt zu einer schlechteren Erkennungsrate und muss daher entsprechend antrainiert werden.

Der skizzierte Prototyp könnte - eine erfolgreiche Verprobung vorausgesetzt - als Grundlage für die weitere Entwicklung einer onlinebasierten Finanzierungsplattform dienen, in der die Kunden das von ihnen benötige Asset bequem abfotografieren oder Bestandsbilder online hochladen und ihre Finanzierungsanfrage direkt im Anschluss stellen.

Herausforderungen und Chancen

Der Einsatz von KI - zunächst in der initialen Asset-Erkennung und auch in der Asset-Bewertung - bietet eine Vielzahl von Chancen, aber es muss auch einer Vielzahl von Herausforderungen begegnet werden.

Das Anwendungsbeispiel der prototypischen Umsetzung einer automatischen, initialen Asset-Identifizierung verdeutlicht dies. Die am Markt bereits vorhandenen Algorithmen zur kognitiven Erkennung und Auswertung von Daten werden häufig cloudbasiert angeboten. Damit werden alle Trainings- und Verifizierungsdaten sowie die Ergebnisse in der Cloud des Anbieters gespeichert. Scheidet die Option der Nutzung von cloudbasierten Diensten für Finanzdienstleister aus, müssen bereits vorhandene "Machine Learning Algorithmen" aufwendig nachentwickelt und die hierfür notwendige IT-Infrastruktur bereitgestellt werden.

Unter der Berücksichtigung von betriebswirtschaftlichen Kenngrößen muss sich daher die Frage gestellt werden, ob die gewünschte Erhöhung der "Digital Convenience" für Kunden dem Kosten-Nutzen-Verhältnis standhält und den aufwendigen Aufbau der eigenen Infrastruktur rechtfertigt. Zusätzlich bedarf es einen sorgfältigen Umgang mit den sensiblen Daten sowohl in der eigenen Infrastruktur als auch in der Cloud. Neben diesen möglichen Restriktionen ist die größte Herausforderung jedoch die Verfügbarkeit von Verifizierungs- und Trainingsdaten. Allein die hohe Anzahl an verschiedenen Assets, die finanziert werden, lassen den Umfang erahnen, der benötigt wird, um einen Algorithmus verlässlich zu trainieren und um ein durchgehend hohes Confidence-Level zu erzielen.

Geht man im "Asset-Lifecycle" weiter und betrachtet den geschilderten Anwendungsfall der im Rahmen des Konsortialprojektes analysiert wurde, so stehen der Umsetzung noch weitere Herausforderungen entgegen. Das Szenario setzt das Bestehen eines "Digital Twins" voraus, um das Asset-Monitoring durchzuführen. Hierzu bedarf es branchenübergreifende Standards, die eine Zusammenarbeit mit Herstellern notwendig machen. Die Kundenschnittstelle ist allerdings ein umkämpfter Markt und es stellt sich die Frage, ob Hersteller ihre Asset-Daten Dritten zur Verfügung stellen. Grundlage für die Nutzbarkeit der Daten ist daher eine zentrale Plattform, über die Daten verschiedener "Internet-of-Things"-Geräte bezogen werden können. Zudem besteht auch die Herausforderung, dass die "Digital Twins" zurzeit noch stark maschinenspezifisch ausgestaltet sind und die hohe Zahl an Assets und Branchen demzufolge zu einer Erhöhung der Komplexität bei der Umsetzung führt. Die Themen Datenschutz und sonstige rechtliche Rahmenbedingungen sind auch hier präsent.

Die Chancen sind jedoch hoch, die Kundenzufriedenheit über die verbesserte Bereitstellung einer "Digital Convenience" mit Hilfe des Einsatzes von KI zu steigern. Eine automatische Asset-Identifizierung mittels KI würde den Weg für eine schnelle und bequeme Finanzierung beispielsweise direkt über das Smartphone ebnen. Der Kunde könnte das fotografierte Asset hochladen und auf Basis dessen in wenigen Schritten eine Finanzierungsanfrage stellen. Auch die Möglichkeit, in einem solchen Szenario an 24 Stunden sieben Tage die Woche über digitale Kanäle auf das Finanzierungsinstitut zuzugehen, führt zu einer Steigerung der Flexibilität für den Kunden und zu insgesamt schnelleren Prozessdurchlaufzeiten.

Die Potenziale auf Basis dieser erarbeiteten Grundlagen und in Fortführung des Szenarios rund um die Asset-Bewertung sind durch den weiteren Einsatz von "Machine Learning" noch deutlich größer. Im Rahmen der regelmäßigen Bewertungsupdates wäre die Leasing-Gesellschaft in der Lage, den tatsächlichen Wert des Baggers mit dem prognostizierten Wert abzugleichen und unter Berücksichtigung aller gesammelten Faktoren etwaige Wertveränderungen des Baggers im Zeitverlauf darzustellen. Basierend hierauf könnte die Leasing-Gesellschaft dem Kunden beispielsweise auch ein für ihn geeigneteres Finanzierungsmodell, bezogen auf die weitere geplante Nutzung beziehungsweise prognostizierte Abnutzung anbieten, oder auch einen alternativen Bagger zur effizienteren Nutzung offerieren. Auch derzeit noch nicht erkannte Up- und/oder Cross-Selling-Potenziale könnte die Leasing-Gesellschaft in diesem Zusammenhang identifizieren und heben.

Zudem lässt sich ferner das eigene Risiko der Leasing-Gesellschaft im Laufe der vereinbarten Nutzungsdauer des Assets reduzieren. Die gewonnenen Erkenntnisse bei den prognostizierten Abnutzungen der Gesamtzahl der finanzierten Bagger tragen dazu bei, dass über das Portfolio an finanzierten Baggern die Restwertverläufe des "Bagger-Portfolios" vorausgesagt werden können. Auch Betrugsfälle oder Asset-Schäden könnten treffsicherer identifiziert werden.

Darüber hinaus sind entlang der "Customer Journey" und des "Asset-Lifecycles" noch zahlreiche, weitere Aktivitäten vorhanden, die mittels Einsatz von KI unterstützt werden können (siehe Abbildung 3, Seite 26). Sowohl der Mehrwert seitens des Kunden als auch der Leasing-Gesellschaft lässt sich dadurch signifikant erhöhen.

Neue Möglichkeiten - neue Fragen

Rund um die "Customer Journey" in Verbindung mit dem "Asset-Lifecycle" kann KI an vielen Stellen zum Einsatz kommen. Die Finanzdienstleistung ist gefordert, auf die digitale Transformation in der Industrie Antworten zu finden und entsprechende Lösungen zu entwickeln, die die "Digital Convenience" der Kunden erhöhen. Neue Geschäftsmodelle und Industrie 4.0 verschieben traditionelle Branchen- und Industriegrenzen und transformieren den Finanzdienstleistungssektor. Finanzdienstleister benötigen eine klare KI-Strategie, Leitplanken und den dafür passenden Umsetzungsplan, um die Potenziale der KI zu heben. Asset-Finance-Lösungsanbieter haben gegenüber den klassischen Finanzdienstleistern den Vorteil, dass sie aufgrund ihres Geschäftsmodells und ihrer Asset-Kompetenz besonders nah an den Anlagen und Maschinen sind.

Die daraus resultierende Verfügbarkeit von Anlagen- und Maschinendaten, durch beispielsweise Internet-of-Things oder anderen Edge-Devices, werfen allerdings vielschichtige, neue Fragen auf:

- Wem gehören die Daten - Hersteller, Kunden oder Leasing-Unternehmen?

- Welche KI-Anwendungsfälle können darüber hinaus entwickelt werden?

- Welche Daten werden für die KI-Anwendungen benötigt?

- Welche Transparenz müssen KI-basierte Entscheidungen ermöglichen?

- Welche regulatorischen und datenschutzrechtlichen Vorgaben sind zu berücksichtigen?

- Welchen Wert haben die Daten?

Die Kosten-Nutzen-Betrachtung für die Umsetzung von KI-Anwendungsfällen und den damit verbundenen Infrastrukturkosten sind zurzeit schwer final zu bewerten. Im Branchenvergleich werden nur niedrige zweistellige Prozentzahlen der entwickelten KI-Anwendungsfälle produktiv gesetzt. Dennoch haben diese einen hohen Mehrwert für das Unternehmen.

Der entwickelte Prototyp zur Asset-Identifikation und weitere Pilot-KI-Anwendungsfälle haben gezeigt, wie wichtig die frühzeitige Beteiligung der Fachbereichsabteilungen in solchen Projekten ist. So wie die Industriegrenzen verschwimmen, müssen Teams, die KI-Anwendungsfälle umsetzen, über Organisationsgrenzen hinweg besetzt werden. Unternehmen benötigen interdisziplinäre Teams mit verschiedenen Fachkompetenzen, ein klares Mandat und Ziel, um KI-Anwendungsfälle erfolgreich in Unternehmen umzusetzen. Unternehmenslenker und das Management müssen das Potenzial des KI-Themenfeldes, entkoppelt von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, verstehen und als KI-Sponsoren agieren.

Fußnoten

1) Vgl. Penzel, Hans-Gert; Peters, Anja; Weber, Stephan: Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung in: FLF, 66. Jahrgang, 1/2019, Seite 31-38.

2) Methoden und Techniken umfassen beispielsweise Neuronales Netz, Bayes'sche Netz, Entscheidungstabelle/-baum oder Strukturgleichungsmodell.

3) Vgl. Turing, Alan M.: Computing Machinery and Intelligence. In: Mind 59 (236), 1950, Seite 433-460.

4) Vgl. McCarthy, John; Minsky, Marvin; Rochester, Nathaniel; Shannon, Claude: A Proposal for the Dartmouth Summer Research Project on Artificial Intelligence. Hanover, 1955.

5) ibi research: Whitepaper: Künstliche Intelligenz in der Finanzdienstleistung - ausgewählte Ergebnisse eines Konsortialprojekts von der Analyse der Einsatzszenarien bis zur Entwicklung eines Frameworks für den KI-Einsatz, www.ibi.de/KI-Whitepaper, Regensburg, 2018.

6) Ein "Digital Twin" (deutsch "digitaler Zwilling") stellt eine digitale Repräsentanz eines physischen Objektes über seinen gesamten Lebenszyklus dar (vgl. GI Informatiklexikon).

KARIN THIELEMANN ist Senior-Referentin Konzern-Strategie bei der Deutsche Leasing AG, Bad Homburg v. d. Höhe.
E-Mail: karin.thielemann[at]deutsche-leasing[dot]com
 
NHUT AJAT HONG ist Enterprise Architect bei der Deutsche Leasing AG, Bad Homburg v. d. Höhe.
E-Mail: nhutajat.hong[at]deutsche-leasing[dot]com
 
STEPHAN WEBER ist Research Director im Competence Center Digital Banking bei der ibi research an der Universität Regensburg GmbH.
E-Mail: stephan.weber[at]ibi[dot]de
Karin Thielemann , Senior-Referentin Konzern-Strategie, Deutsche Leasing AG
Nhut Ajat Hong , Enterprise Architect, Deutsche Leasing AG
Stephan Weber , Research Director im Competence Center Digital Banking, ibi research an der Universität Regensburg GmbH

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