BANKING

Kundenwachstum - effizient und skalierbar

Wie RPA die Unternehmensstrategie unterstützt

Christoph Lütchens, Foto: Onvista Bank

Robotic Process Automation gibt lang existierenden, erfahrenen Finanzdienstleistern die Möglichkeit, sich an veränderte Kundenwünsche sowie digitalen Fortschritt anzupassen. Dadurch können sie ein Stück verlorenes Terrain aufholen und sich für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts wappnen. Der Autor zeigt am Beispiel seiner Bank auf, wie solch ein Umsetzungsprozess in der Praxis aussehen kann und worauf geachtet werden sollte. Dazu wird der Frage nachgegangen, wie effizient das System tatsächlich ist. (Red.)

Durch neue Wettbewerber, immer schneller fortschreitende Digitalisierung, die Erosion alt-bewährter Zinsmargen und das sich rasch ändernde Kundenverhalten sehen sich Finanzdienstleistungsunternehmen (FDLU) seit einigen Jahren starkem Druck ausgesetzt. Das betrifft vor allem die Felder Innovation und Kundenorientierung und folglich auch den Ergebnisbetrag. Des Weiteren wurden durch den Regulator unter anderem mit der Zahlungsdienstrichtlinie PSD2 neue Zugänge zum sonst gut geschützten Kunden (-konto) geschaffen. Dies führte wiederum zu neuen Wettbewerbern im Bankenumfeld, welche sich auf modernes und digitales Banking spezialisiert haben. Als Folge wurden die FDLU quasi dazu gezwungen, Projekte zur Schaffung neuer Kundenplattformen und -oberflächen zu initiieren. Es wurden "alternative point of sales" (APS) entwickelt. Allerdings ist die technologische Systemlandschaft in vielen FDLU veraltet und heterogen. Damit einhergehend ist die prozessuale Leistungsfähigkeit stark begrenzt beziehungsweise durch manuelle Prozesse geprägt.

Das Zusammentreffen dieser Faktoren führt bei vielen Banken und anderen FDLU dazu, dass die nun geschaffenen digitalen Kundenplattformen auf Backend-Systeme und Prozesse treffen, die dafür gar nicht geschaffen wurden. Sprich, der im Frontend digital erteilte Kundenauftrag landet in der manuellen Verarbeitung. Das schafft keine Synergien oder positive Unternehmensbeiträge.

RPA als Strategie

Wie können Unternehmen nun diesem Konflikt etwas entgegensetzen und die Zeit überbrücken, die es benötigt, die Backend-Systeme und Prozesse auf die neuen Kundenanforderungen anzupassen und entwickelte Technologie zu implementieren?

Eine Option ist Robot Process Automation (RPA). Hierbei imitiert eine Software menschliches Verhalten und kann nach Programmierung repetitive sowie standardisierte Prozesse nachbilden. Die Implementierung erfordert weder eine straffe IT-Infrastruktur noch tiefere Programmierkenntnisse für die Prozessentwicklung. Die Vorteile liegen damit auf der Hand:

- Automatisierungssoftware arbeitet unabhängig, skalierbar und effizient.

- Die geleistete Arbeit ist transparent und kann leicht kontrolliert und optimiert werden.

- Mitarbeiter werden von wiederholender, unproduktiver Arbeitsbelastung entlastet.

- Schnelles time-to-market.

Fallbeispiel einer Bank

Auch bereits sehr digital ausgerichtete FDLU wie die Comdirect Bank AG sahen sich diesem Druck ausgesetzt und haben frühzeitig erkannt, diesbezüglich reagieren zu müssen. Gerade wenn die Kunden sehr preissensitiv und der Markt von vielen Wettbewerbern hart umkämpft ist, ist es wichtig, die internen Prozesse effizient und automatisiert zu gestalten.

In diesem Umfeld wurde Mitte 2018 bei der Bank das Pilotprojekt "RPA" gestartet, um die Einsatzmöglichkeiten und erhofften Effizienzgewinne zu prüfen. Als kurzfristiges Ziel galt es, innerhalb von sechs Wochen erste Prozesse zu automatisieren und perspektivisch jeden Geschäftsprozess skalierbar zu machen. Dadurch sollte das Spannungsfeld von Wachstum, Kosten und Ertrag gelöst werden: Kundenwachstum und Ertragswachstum - ja, bitte; Kostenwachstum - nein, danke.

RPA-Projektphasen

Doch wie gelingt eine erfolgreiche Einführung von RPA? Als Praxisbeispiel wird nachfolgend der Projektverlauf bei der Onvista Bank, einem Geschäftsbereich der Comdirect Bank, beschrieben und die wichtigsten Erfolgsfaktoren werden erläutert. Die Vorgespräche zum Projekt erfolgten im Juni 2018. Es wurde ein RPA-erfahrenes Beratungsunternehmen gefunden und für die Einführung und Umsetzung von RPA bis zur Linie betraut.

Abbildung 1: Zeitlicher Projektablauf RPA bei der Onvista Bank Quelle: C. Lütchens

- Start: In der Startphase mussten Software, technische Voraussetzungen und das Projektziel für die Implementierung von RPA geprüft und skizziert werden. Die Wahl der Automatisierungssoftware fiel schnell auf Blue Prism - eine der ersten Softwarelösungen für Prozessautomatisierung und somit technisch ausgereift. Diese findet in der Finanzindustrie häufiger Anwendung. Bei der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur bewies sich die enge und direkte Zusammenarbeit mit dem beauftragten Beratungsunternehmen als sehr hilfreich. So konnte die für die Software benötigte IT-Umgebung innerhalb von nur 1,5 Wochen bereitgestellt werden. Des Weiteren wurde unternehmensweit nach Prozessen gesucht, die noch einen hohen Anteil manuellen Aufwands und hohe Fallzahlen aufwiesen. Als Pilotprozess wurde der Depoteröffnungsprozess identifiziert. Nach Abschluss der Startvorbereitungen begann die Anlaufphase, in der die Prozessentwicklung und die Abstimmung der Stakeholder des Pilotprozesses erfolgten. Der Pilotprozess wurde in Teilprozesse unterteilt und mit der Entwicklung der Teilprozesse begonnen, abgeschlossen und getestet. Somit wurden bereits am Ende der Anlaufphase automatisierte Prozesse in den Live-Betrieb überführt. Auch konnten weitere Mitarbeiter für das Projekt gewonnen werden.

- Anlaufphase: Nachdem die personelle Basis für die Einführung von RPA gelegt und auf der Entwicklungsseite schon erste Erfolge erzielt werden konnten, gewann das Projekt nun stark an Fahrt. Es wurde damit begonnen, RPA beziehungsweise das Projekt in der ganzen Bank vorzustellen und die Ziele transparent und im Dialog mit den Mitarbeitern zu erläutern. Hier galt es zum einen, die Vorteile, die RPA bietet - die Übernahme von zeitbindenden und repetitiven Tätigkeiten - aufzuzeigen und zum anderen, etwaige Ängste der Belegschaft vor Rationalisierung und anderen Vorbehalten aufzunehmen und offen zu diskutieren. Dies ist eine äußerst wichtige und sensible Phase des Projektes. Denn nur mit Mitarbeitern, die das Ziel verstehen - die Unternehmung zukunftsfähig zu gestalten und ihnen mehr Freiraum für kommende Herausforderungen (in Form von Projekten oder Arbeitskreisen) zu schaffen - ist eine erfolgreiche Implementierung von RPA im Unternehmen möglich.

- Beschleunigungsphase: Gerade einmal drei Monate nach Projektbeginn wurde zum Ende der Anlaufphase auch der Pilotprozess in den Live-Betrieb überführt. Aus den bisher erreichten Meilensteinen wurde deutlich, dass RPA einen entscheidenden Beitrag für das Unternehmen leisten kann. Es wurde ein unabhängiges Center of Excellence (CoE) in direkter Berichtslinie zur Geschäftsbereichsleitung gegründet.

- Hochphase: Es begann nun die Hochphase des Projektes, in der weiteres Personal für das CoE rekrutiert wurde. Nach einigen Auswahlgesprächen kristallisierte sich eine wichtige Erkenntnis mehr und mehr heraus: Es waren weniger tiefe IT-Kenntnisse, dafür mehr interdisziplinäres Denken für die Tätigkeit als Process Developer notwendig. Auch mussten weitere Prozesse für die Automatisierung akquiriert werden. Ein neues Ziel hieß: aus jeder Abteilung der Bank mindestens einen Prozess automatisieren. In kurzer Zeit wurde in allen Abteilungen das Thema RPA nochmals persönlich vorgestellt und mithilfe der Angestellten begonnen, nach zeitintensiven, aber gleichzeitig einfachen Prozessen zu suchen. Dank der guten Erfahrungen aus dem Pilotprozess und dem Flurfunk über die Entlastung gelang dies bestens.

- Ende: In der Endphase des Projektes wurden alle Vorbereitungen für einen eigenständigen Betrieb des CoE getroffen. Das Beratungsunternehmen übergab die von ihnen entwickelten Prozesse an das nun dreiköpfige CoE und die Unterstützung wurde schrittweise zurückgefahren. In dieser Phase ist auch die Arbeitsorganisation innerhalb des CoE erarbeitet worden. Es mussten Antworten gefunden werden auf Fragen wie: Wie sieht der Prozess einer Prozessautomatisierung aus? Welche Abstimmungen sind notwendig (Compliance, Betriebsrat, et cetera)? Wie priorisieren wir die zu automatisieren Prozesse?

- Linienbetrieb: Nachdem teamintern ein grundlegender Arbeitsablauf definiert und abgestimmt wurde, mussten sich diese Strukturen für die kommenden Aufgaben festigen. Dabei waren die Informationen zu den besten Methoden seitens der Berater sehr hilfreich. Nach rund neunmonatiger Projektphase begann mit dem Projektabschluss der Übergang in die Linie. Dabei hieß es zunächst, den Betrieb der ungefähr zehn in Live-Betrieb befindlichen Prozesse zu sichern und weiter zu optimieren. Des Weiteren sollte die gewonnene Entwicklungsgeschwindigkeit weitestgehend aufrechterhalten werden. Zusammengefasst lassen sich die Projektphasen und deren Kernpunkte, wie eingehend beschrieben, schematisch abbilden.

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Projektphasen mit jeweiligen Kernthemen Quelle: C. Lütchens

Faktoren für den Erfolg

In der Beschreibung des Projektverlaufes wurden einige Punkte besonders hervorgehoben, die für den Erfolg des Projektes maßgeblich waren. Diese lassen sich als vielversprechende Garanten zusammenfassen und ergänzen:

- Akzeptanz und Vertrauen erzeugen: Ein offener Dialog mit der gesamten Belegschaft ist unerlässlich, da die Prozessexperten die Mitarbeiter sind. Nur durch Akzeptanz bei den Angestellten lässt sich die volle Unterstützung hinsichtlich Prozess-Knowhow und Einsatzbereitschaft erreichen. Akzeptanz und Vertrauen in Technik und Mitarbeiter des CoE sind die Folge.

- CoE gründen: Ein CoE sollte als eigenständige Linie aufgesetzt werden. Nur so ist die unvoreingenommene Prozessanalyse und -bewertung möglich. Es gilt nicht, die Abteilungseffizienz zu steigern, sondern den höchsten Beitrag für das Gesamtunternehmen zu liefern.

- Prozesse akquirieren: Ein gefüllter Auftragsbestand mit aufgenommenen Prozessen ist Gold wert. Jeder Prozess sollte erfasst und hinsichtlich Automatisierung oder Optimierung geprüft werden. Es sollten keine Vorfilterungen durch den Fachbereich stattfinden - nach dem Motto: "Das kann der Roboter eh nicht, oder das ist zu komplex".

- Qualifizierte Mitarbeiter gewinnen: Für einen gesunden Mix aus IT-Affinität mit ersten Vorkenntnissen (Visual Basic for Applications et cetera) und Geschäftsverständnis eignen sich sowohl Junioren als auch erfahrene Quereinsteiger. Dabei gilt: Mehr als 20 Prozent IT sollten es nicht sein. Bei Senior Entwicklern spielt die vorher verwendete Automatisierungssoftware keine Rolle. Das prozessuale Denken und die folgende Herangehensweise der Prozessentwicklung sind die entscheidenden Faktoren.

- Interne Arbeitsorganisation aufsetzen: Ein klarer Zuständigkeitsbereich und strukturierte Arbeitsabläufe sind für die Mitarbeiter eines CoE genauso elementar wie für jeden anderen Fachbereich eines Unternehmens. Daher ist es wichtig, Methoden und Aufgaben intern abzustimmen. Bei der Arbeitsmethodik hat sich die sogenannte Kanban-Methode der Softwareentwicklung als besonders naheliegend erwiesen. Die Ansätze in Kanban und RPA weisen eine hohe Überschneidung auf. Ziel ist eine kontinuierliche Verbesserung.

- Transparenz schaffen: CoE-interne Abläufe sollten unbedingt sichtbar gemacht werden, damit Kollegen Einblicke in die Arbeitsweise eines CoE bekommen. Eine offene, klare und zielgerichtete Kommunikation unterstützt diesen Prozess.

Unterstützung der Unternehmensstrategie

Das Projekt konnte schnell und erfolgreich umgesetzt werden. Abschließend stellt sich aber die Frage, ob RPA nun wirklich ein Baustein sein kann, um die eingangs skizzierte Strategie "Kunden- und Ertragswachstum bei gleichbleibenden Kosten" zu unterstützen.

Nachfolgend werden die Auswirkungen der Automatisierung des Pilotprozesses "Depoteröffnung" analysiert. Dieser wird im Team der Depotführung bearbeitet. Das Team hat keinen direkten Kundenkontakt und der Prozess ist, bis auf die Automatisierung, nicht stark verändert worden. Dargestellt sind Kundenwachstum und Mitarbeiteranzahl des Kundenmanagements.

Abbildung 3: Entwicklung Mitarbeiter versus Kundenwachstum Quelle: C. Lütchens

In zweieinhalb Jahren wurde die Kundenzahl verdoppelt. Die Mitarbeiterzahl im gesamten Bereich Kundenmanagement und in dem für die Eröffnungen zuständigen Depotführungsteam konnte nahezu konstant gehalten werden. Der Anstieg Ende 2018 resultierte aus einer Entscheidung, Zeitarbeitskräfte zu beschäftigen. Diese wurde bereits vor der Projektinitiierung getroffen. Die Beschäftigung über Zeitarbeit konnte ab dem ersten Quartal 2019 zurückgefahren werden. Aktuell erfolgen über den automatisierten RPA-Prozess circa 80 Prozent aller Depoteröffnungen. Insgesamt sind bei der Bank mittlerweile fast 20 Prozesse über RPA mit einer Vollzeitarbeitskraft-Effizienz von etwas über zehn Prozent der Gesamtbeschäftigten automatisiert. Es wurde kein einziger Arbeitsplatz aufgrund von RPA abgebaut. Auch in Zeiten unvorhersehbarer Herausforderungen, wie durch die Corona-Krise, hilft die hohe Automatisierungsquote. So können die Mitarbeiter andere Teams in Folge der Pandemie unterstützen und Kunden- beziehungsweise Business-Prozesse sicherstellen.

Verborgene Potenziale

Nach nun gut zweijähriger Linientätigkeit und der Sicherung der Basisaufgaben des CoE - Analyse von Prozessen, Prozessoptimierung und -automatisierung sowie Controlling und Monitoring der automatisierten Prozesse - stellt sich die Frage, ob das Feld für RPA hier schon endet oder sich weitere Potenziale erschließen lassen? Aus Sicht des Autors wurden bei der Onvista Bank erst 20 Prozent der eigentlichen Potenziale gehoben. Folgende Themenfelder lassen Effizienzpotenziale vermuten:

- Aufbau eines RPA-gestützten Testmanagements: RPA-Prozesse testen die Verfügbarkeiten und Arbeitsprozesse in den Systemen nach einem Release.

- Un-/teilstrukturierte Daten für RPA bearbeitbar machen: Zum Beispiel kann die Bearbeitung von E-Mail-Postfächern durch den Einsatz weiterer Software zur Erkennung ermöglicht werden.

- Nichtelektronische Daten für RPA nutzbar machen: Papierhafte Dokumente sollten digitalisiert ausgelesen und damit für RPA bearbeitbar gemacht werden.

CHRISTOPH LÜTCHENS verantwortet als Gruppenleiter Center of Excellence die Prozessautomatisierung mittels RPA bei der Comdirect Bank AG/Onvista Bank, Frankfurt am Main. Er ist seit 2001 im Bankenumfeld tätig und hat über 15 Jahre Erfahrung im Produkt- und Prozessmanagement führender Direktbanken.
Christoph Lütchens , Gruppenleiter Center of Excellence, Comdirect Bank AG/Onvista Bank, Frankfurt am Main

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