NACHHALTIGKEIT

Nachhaltige Finanzwirtschaft

Gekommen, um zu bleiben!

Dr. Christian Glaser, Foto: Dr. Ch. Glaser

Das ehrgeizige Ziel um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist es, bis spätestens 2050 Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um das zu erreichen, braucht es ein gemeinsames Verständnis grundlegender Begriffe und Klassifikationen. Der Autor weiß um vorprogrammierte Zielkonflikte, die Notwendigkeit einer einheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie und eines Risikomanagements sowie um die Chancen, die diesem Thema innewohnen. (Red.)

Der European Green Deal ist laut Ursula von der Leyen der europäische "Mann-auf-dem-Mond-Moment". Wie die Mondlandung sei der Green Deal der Beginn einer völlig neuen Ära, diagnostizierte sie im Dezember 2019. Die EU-Offenlegungsverordnung, die im März 2021 in Kraft trat, ist in Anlehnung an von der Leyens Metapher "ein kleiner Schritt für die Institute, aber ein großer für Europas Wirtschaft!" Nachhaltigkeit wird also immer wichtiger, gleichzeitig gibt es aber noch immer sehr unterschiedliche Definitionen eben hiervon. Deshalb liegt der Fokus des Regulators auf einer Vereinheitlichung und einem gemeinsamen Verständnis grundlegender Begriffe und Klassifikationen.

Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe hat 67 Aktivitäten identifiziert, die für 80 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Im Juni 2019 erschien ein umfangreicher technischer Bericht, der für die verschiedenen Sektoren konkrete Kriterien vorschlägt. Werden diese erfüllt, gelten sie gemäß EU als grüne Aktivität. Die Taxonomie wird als Ausgangsbasis für die Entwicklung weiterer Instrumente dienen mit denen die EU eine weitere Standardisierung von Finanzprodukten anstrebt. Die Taxonomie-Verordnung ist Bestandteil des EU-Aktionsplans und soll mehr Transparenz über die Umweltfreundlichkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten schaffen.

Struktur folgt Strategie

Eine Nachhaltigkeitsstrategie ist von zentraler Bedeutung für die nachgelagerten praktischen Tätigkeiten, Strukturen und Prozesse. Auf Basis eben dieser gilt es zu prüfen, wie sich eine Anpassung der Portfolios im Sinne einer höheren Nachhaltigkeit vornehmen lässt. Dadurch sollen Konzentrationsrisiken reduziert ("mitigiert") beziehungsweise umgesteuert werden. Auch die Teilrisikostrategien für wesentliche Risikoarten sind auf Nachhaltigkeitsrisiken sowie ihre Konsistenz zur übergeordneten Risikostrategie hin zu prüfen.

Die Fragen der Nachhaltigkeit sind allerdings nicht immer trivial und sehr dynamisch. Mit zunehmender technischer Entwicklung wird auch die Frage immer komplexer, was denn nachhaltig ist - insbesondere im Zeitverlauf kann es hier zu erheblichen Änderungen kommen. Wenn ursprünglich ökologisch nachhaltige Trends überholt werden, bedarf es einer zeitnahen Umsteuerung.

ESG oder doch nur E?

Bei der Bewertung der sogenannten ESG-Kriterien gibt es gewisse Zielkonflikte. Der aktuelle Fokus liegt größtenteils auf den Umweltrisiken und dem "E" für "ökologisch" (environmental). Allein beim "S" für "sozial" zeigt sich einer von vielen möglichen Zielkonflikten: Einerseits soll der Planet gerettet werden mit weniger CO2 -Emissionen, andererseits soll die Bevölkerung nicht in Armut leben. Dies wiederum dürfte aber bedeuten, dass mehr Wachstum und damit auch mehr CO2 -Emissionen produziert werden. Zusätzlich sind umweltbezogene Maßnahmen nicht immer auch sozial und es kann beispielsweise zu Jobverlusten kommen.

Genau diese Zielkonflikte gilt es in der Nachhaltigkeitsstrategie zu adressieren und klare Priorisierungen zum Umgang festzulegen. Hierzu gehört beispielsweise die Frage, inwiefern mit Verboten gearbeitet werden soll. Ist ein Demeter-Landwirt mit schlechter Bonität besser zu stellen als ein konventioneller Betrieb mit besserer Bonität? Werden Geschäfte mit einem Kohlekraftwerksbetreiber abgelehnt oder können nachhaltige Investitionen gezielt finanziert werden, um den nachhaltigen Wandel zu begleiten?

Risiko (und) Nachhaltigkeit

Um die Herausforderungen der nachhaltigen Finanzwirtschaft zu meistern, spielt das Risikomanagement eine zentrale Rolle. "Unternehmen, die sich nicht anpassen, werden ohne Frage bankrottgehen - einschließlich der Unternehmen im Finanzsystem," so beschrieb der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, die Herausforderung durch den Klimawandel für die Real- und die Finanzwirtschaft. Sicherlich ist dieses Statement überspitzt, wenngleich es deutlich macht, dass das Risikomanagement die Aspekte der Nachhaltigkeit beziehungsweise des Klimawandels sehr genau berücksichtigen muss. Dies bedarf noch einiger Arbeit, denn mit den herkömmlichen Methoden sind Nachhaltigkeitsrisiken kaum greifbar.

Nachhaltigkeitsrisiken werden von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (2019) im "Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken" als Ereignisse oder Bedingungen aus den drei Bereichen Ökologie/Umwelt, Soziales/Gesellschaft/Mensch und Ökonomie/Wirtschaft/Unternehmensführung definiert, deren Eintreten tatsächlich oder potenziell negative Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage sowie auf die Reputation eines beaufsichtigten Instituts haben kann. Die Unterteilung in physische und transitorische Risiken ist bereits verbreitet, wonach erstere klimabezogene, geologische sowie ökosystemische Risiken wie Extremwetterereignisse oder das Artensterben und zweitere durch neue Gesetze wie etwa die Verteuerung von fossilen Brennstoffen, technologische Innovation und Stimmungsumschwünge entstehen.

Insbesondere die transitorischen Risiken sind sehr schwer zu prognostizieren, weshalb in Anlehnung an den Begriff des "schwarzen Schwans" der Begriff des "grünen Schwans" verwendet wird. Dabei wird unter anderem angeführt, dass sich "grüne Schwäne" als noch extremer als "schwarze Schwäne" erweisen können, denn sie sind oft nicht umkehrbar und führen zu verschiedenen Verlusten, inklusive menschlicher Leben. Daher kann sich niemand individuell vor diesen Risiken schützen, was weltweite, koordinierte Maßnahmen voraussetzt.

Das gezielte Vorgaukeln von Nachhaltigkeitsaspekten aus Marketingüberlegungen, ohne dass es sich wirklich um nachhaltige Produkte handelt, wird als "Greenwashing" bezeichnet. Durch erhöhte Transparenzanforderungen mit steigenden Taxonomie- und Berichtspflichten wird der individuelle Interpretationsspielraum gesenkt. Anstatt viel Energie dafür aufzuwenden, die immer weniger werdenden Schlupflöcher zu suchen, um sich nur äußerlich grün anzustreichen, sollten die Institute ihre Kräfte bündeln und sich ganzheitlich(er) nachhaltig aufstellen.

Große Chance?

Gemäß einer PwC-Studie aus dem Jahr 2020 ("2022 - The Growth Opportunity of the Century") stellt der Faktor Nachhaltigkeit die Wachstumschance des Jahrhunderts dar. 77 Prozent der institutionellen Anleger kaufen in den kommenden 24 Monaten keine Produkte mehr, die nicht mit den ESG-Krite rien in Einklang zu bringen sind. PwC prognostiziert, dass im Jahr 2025 jeder zweite Euro in ESG-Fonds gesteckt wird und bezeichnet dies als "Wachstumschance des Jahrhunderts" und die "größte grundlegende Veränderung in der Investmentlandschaft seit der Einführung von ETFs". Außerdem wird das europäische ESG-Vermögen bis 2025 zwischen 5,5 Billionen und 7,6 Billionen Euro erreichen und damit zwischen 41 und 57 Prozent des gesamten Fondsvermögens in Europa ausmachen. Ende 2019 waren es 15,1 Prozent. Speziell Banken und Leasing-Gesellschaften dürften in besonderem Maße von den erwarteten jährlichen Investitionen von 180 bis 270 Milliarden Euro in ein nachhaltiges Wachstum profitieren.

Die Transformation eines Instituts zur nachhaltigen Finanzwirtschaft ist in erster Linie eine Kombination aus Veränderungs- und Innovationsmanagement. Nur durch innovative Ansätze können einerseits neue vertriebliche Chancen verfolgt und interne Prozesse verändert werden und andererseits mögliche Zielkonflikte frühzeitig erkannt werden. Alte Denkmuster müssen aufgebrochen werden. Es gilt das Schlagwort der Disruption, wonach sich gewisse Geschäftsmodelle und Produkte radikal verändern werden. Es gibt neue Wettbewerber mit völlig neuen Marktansätzen, die das Thema nachhaltige Finanzwirtschaft aktiv als Alleinstellungsmerkmal zu nutzen versuchen werden. Die Aufgabe der etablierten Institute ist es, durch ein gutes Veränderungsmanagement diesen Gefahren zu trotzen.

Dr. Christian Glaser , Generalbevollmächtigter , Würth Leasing GmbH & Co. KG, Albershausen
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